Das Ende des Kükentötens?

Bild: Karim MANJRA / Unsplash

Die Landwirtschaftsministerin posierte vergangene Woche mit einem Plakat: „Kükentöten beenden!“ Das Bundeskabinett hatte ihren Gesetzentwurf beschlossen, mit dem das Töten von Eintagsküken verboten wird. Bisher werden in Deutschland noch jedes Jahr über dreißig Millionen Hühnerküken direkt nach dem Schlupf getötet – weil sie das falsche Geschlecht haben: Sie sind männlich, die Brüder der zukünftigen Legehennen. Damit soll nächstes Jahr Schluss sein. Ist damit alles gut?

„Deutschland ist Vorreiter mit einem gesetzlichen Verbot“, steht auf dem Plakat, das die Ministerin hochhält. Und tatsächlich soll das Töten der männlichen Eintagsküken in Deutschland im nächsten Jahr verboten sein. So steht es in dem Gesetzentwurf, den das Kabinett beschlossen hat und der sicher auch verabschiedet wird. Die Verbraucherinnen wollen, dass das „Schreddern“ der Küken aufhört, wie das gerne plakativ genannt wird, auch wenn sie bei uns nicht lebendig im Schredder landen, wie etwa in den USA. Der Lebensmittelhandel will, dass das aufhört, weil der Imageschaden beträchtlich ist, wenn am sauberen Ei unsichtbares Blut klebt. Und die Politik macht es jetzt – endlich. Wer soll sich da finden, das schlecht zu reden? Ich zum Beispiel – und mit mir viele Geflügelhalterinnen, zum Beispiel von den Anbauverbänden Naturland und Demeter. Und Tierschutz- und Umweltverbände auch.

Klöckner, Stolz auf Kükenschreddern
Bild: Ministerin Julia Klöckner ist stolz darauf, das Gesetz durchs Kabinett gebracht zu haben. Das Töten geht allerdings weiter – jetzt nur bei Küken, die noch nicht geschlüpft sind. | Foto: BMEL

Abtreibung per Gesetz

Das Kükentöten wird nämlich nur zeitlich vorverlegt – vor den Schlupf. Vor der Geburt sind die Tierchen noch keine Küken, sondern Hühner-Embryonen. Es geht also um Abtreibung.

Damit werden die Spezialisten arbeitslos, die derzeit in den Brütereien in Windeseile jedes frisch geschlüpfte Küken auf den Kopf drehen, das Geschlecht bestimmen und selektieren: Tod oder Leben. Greifen, hinschauen, weglegen. Mit dem Ende dieser Art der Selektion wird der Berufsstand der Geschlechtsbestimmerinnen wohl aussterben. Und die Selektion wird industrialisiert. Es übernehmen Firmen, die die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung von Hühnereiern entwickelt haben. Wobei das mit dem In-Ovo nicht ganz stimmt. Es wird nämlich ein kleines Loch ins Ei gebohrt, und erst durch dieses kann dann analysiert werden, wes Geschlechts das Embryo ist. Ist es weiblich, wird das Loch geschlossen, ist es männlich, wird das Ei – ja was nun? „Verworfen“ heißt das gerne. Ob daraus Futter für andere Tiere oder Biogasanlagen oder sonstwas wird, egal – das Hähnchen ist tot.

Wie wenig die neue Technik kann, zeigt schon der Gesetzentwurf, der als „Ende der Kükentötens“ gefeiert wird. Startet zwar 2022, ab 2024 soll aber sogleich eine Verschärfung folgen. Dann dürfen Hühnerembryos im Ei nach dem sechsten Tag der Bebrütung nicht mehr getötet werden. Ab dem fünften Tag nämlich entwickle sich das Schmerzempfinden des künftigen Kükens. Will sagen: Wir führen eine Technik ein, die mit Schmerzen tötet und fordern deren Weiterentwicklung binnen zweier Jahre. Wofür – na klar – wieder Forschungsgelder locker gemacht werden. Schon jetzt hat die Bundesregierung fünf Millionen in das Abtreibungsprogramm gesteckt. Aber bis zu dessen nächster Stufe – Schmerzempfinden hin oder her – darf bis zum vierzehnten Tag abgetrieben werden. Das wäre bei uns Menschen der sechste Monat der Schwangerschaft.

Hühnerembryo, Embryonen
Bild: In zwei Jahren soll das Gesetz verschärft werden. Dann dürfen nur noch Hühnerembyonen bis zum fünften Bruttag getötet werden. Im Ei sieht es dann so aus: Kopf, Augen, Schnabel, Flügel – alles schon da. | Foto: Maslennikov Uppsala / Getty Images

Henne oder Ei

Die In-Ovo-Industrie hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben schon sechs Millionen Hühnerembryonen auf ihre Weise aussortiert. Um diese Summe sind die nach dem Schlupf getöteten Hähnchen offiziell verringert worden. Sonst läge die Zahl der getöteten Küken bei weiter über vierzig Millionen, wie in früheren Jahren. Fünf Millionen der im vergangenen Jahr geschlüpften Brüder der Legehennen sind – auch das an der Gesamtzahl abgezogen – tatsächlich großgezogen worden. Obwohl das wirtschaftlich nicht zumutbar ist, wie Gerichte mehrfach geurteilt haben.

Im deutschen Tierschutzgesetz, dem ältesten der Welt, steht eigentlich, dass kein Tier „sinnlos“ getötet werden darf. Aus juristischer Sicht nicht sinnlos ist das Töten, wenn das Tier gegessen werden soll. Keinen Sinn hat es dagegen, das Tier wegwerfen zu wollen. Dennoch haben deutsche Gerichte immer wieder gesagt, es sei wirtschaftlich nicht zumutbar, die Brüder der Legehennen aufzuziehen und deshalb eine um die andere Wegwerf-Ausnahme gemacht, oder die Ausnahmeregelungen der Länder bestätigt. Aufgezogen wird ein wachsender Teil der Brüderhähne dennoch – von Biohöfen, die das sinnlose Töten beenden wollen. Die Verbraucherinnen subventionieren das, indem sie etwas mehr für das Bio-Ei der Schwestern zahlen.

Das alte Problem, wer zuerst war, Henne oder Ei, ist in diesem Fall geklärt: zuerst war die Legehenne aus der Produktion von Lohmann Tierzucht in Cuxhaven, dann das Ei, aus dem die Nachkommen schlüpfen. Von Lohmann kommen die meisten der heute weltweit eingesetzten Hybridhennen. Konsequent auf weibliche Eigenschaften optimiert, legen diese Hennen fast jeden Tag ein Ei, verwerten das Futter optimal für die Eierproduktion und nehmen dadurch kaum zu. Eine ausgewachsene „Lohmann Brown“ kann man auf einer Hand sitzen haben. Viel zu tragen gibt’s da nicht, und ein Teil des Gewichts besteht auch noch aus den heranwachsenden Eiern, die die nächsten Tage gelegt werden. Wie die Hennen, so die Hähne: auch die setzen nur sehr langsam Fleisch an, und legen außerdem keine Eier. Für die industrialisierte Landwirtschaft werden die männlichen Abkommen der Legehennenzuchtlinien so zu Abfall.

Das heißt, die Hühnerindustrie hat sich das Problem herbeigezüchtet. Früher gab es keine Wegwerfhähne. Aber auch keine eierlegenden Akkordarbeiterinnen. Alte Hühnerrassen legen eben nicht dreihundert Eier im Jahr. Dafür kann man am Ende noch ihr Fleisch verwerten. Sie heißen deshalb heute – der Mensch sieht immer nur seinen Vorteil – Zweinutzungsrassen.

In diese Richtung möchten die Bioverbände: zum Zweinutzungshuhn. Dafür können sie aber nicht einfach irgendein altes „Rassehuhn“ halten und von jetzt auf gleich auf zwei Drittel der Eier verzichten. Das wäre die Pleite für die Höfe. Also soll ein neues Zweinutzungshuhn gezüchtet werden. Was Millionen kostet und Zeit braucht. Bis dahin sind auch die Biohühner in der Mehrzahl „Lohmänner“. Also haben auch die Bios das Problem mit den Wegwerfhähnen.

Bild: Ihre Brüder sind das Problem: Legehennen Lohmann Brown mit einem Hahn aus einer anderen Linie in Freilandhaltung beim Bauckhof in Uelzen. | Foto: Florian Schwinn

Alternativlos: Der Bruderhahn

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft, der das Ende des Kükentötens grundsätzlich befürwortet, beklagt eine Wettbewerbsverzerrung durch den Alleingang Deutschlands, weil Eierproduzentinnen in der EU sich die Zusatzkosten der Abtreibung sparen könnten. Deren Eier dürften aber weiter nach Deutschland exportiert werden. Außerdem sieht der Zentralverband die für 2024 vorgesehene Verschärfung kritisch, weil ein technisches Verfahren, das die Geschlechtsbestimmung im Ei vor dem sechsten Bruttag leisten kann, gar nicht am Horizont sei. Was nicht ganz stimmt, weil laut Ministerium ein spektroskopisches Verfahren entwickelt wird, das am vierten Bruttag eingesetzt werden soll. Aber ganz generell, sagt der Zentralverband, sei ein kompletter Ausstieg aus dem Kükentöten bis zum Ende des Jahres nicht zu schaffen.

Die Verbände der biologischen Landwirtschaft setzt das „Sechste Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes“, wie die Neuregelung offiziell heißt, zwiefach unter Druck: Sie müssen sich zur Abtreibungspraxis positionieren, und – wenn sie diese ablehnen – schnellstens die Aufzucht der Bruderhähne organisieren und für diese einen Absatzmarkt schaffen. Zwei Verbände sind vorgeprescht und haben sich schon im vergangenen Jahr festgelegt, als sich abzeichnete, dass Julia Klöckner Ernst machen will mit dem Ende des Kükentötens.

Als erster voran ging der Bioanbauverband Naturland. „Jedes Tier hat einen Wert und deshalb wollen wir auf unseren Betrieben auch jedem Hahn seinen Platz geben“, sagte Hubert Heigl, der Präsident von Naturland nach einer Delegiertenversammlung Ende November. Die beschloss, dass Naturland seine Mitgliedsbetriebe verpflichtet, die Brüder der Legehennen aufzuziehen. Nach Verbandsangaben passiert das bislang nur mit jedem zweiten Bruderhahn. Auch Demeter hat sich festgelegt: Bis zum Ende des Jahres soll jeder Bruderhahn aufgezogen werden.

Der Gründer der Bruderhahn-Initiative-Deutschland, Carsten Bauck vom Bauckhof in Uelzen, sieht seinen Verband auf einem guten Weg. Schon jetzt werden über fünfzig Prozent der Bruderhähne auf Demeter-Geflügelhöfen aufgezogen. Und die Vermarktung ist auch schon längst angelaufen. Die Bauckhöfe haben einen eigenen Schlachthof aufgebaut, beliefern Hersteller von Babynahrung und produzieren in eigener Küche Gläser mit Produkten wie „Hühnerfrikassee“ oder „Bruderhahn an Curryrahm“. Auf der Demeter-Seite zu den Bruderhähnen finden sich auch Rezepte. Wer in Zukunft Bio-Eier essen will, ist die Botschaft, sollte sich auch den Bruderhahn schmecken lassen.

Während Demeter zusammen mit Bioland, dem größten Bioverband, die Ökologische Tierzucht gGmbH betreibt, um ein neues Zweinutzungshuhn zu züchten und langfristig die reinen Legehennenlinien überflüssig zu machen, hat sich Bioland in Sachen Bruderhahnaufzucht noch nicht offiziell festgelegt.

 


Bioverband Demeter zu Bruderhähnen: https://www.demeter.de/bruderhahn

Die Bruderhahn-Initiative: https://www.bruderhahn.de/

Das Gesetz zum Verbot des Kükentötens: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Referentenentwuerfe/6-gesetz-aend-tierschutzgesetz.pdf

 

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