Während die Angst der Deutschen vor Atomkraftwerken wie verflogen erscheint, wächst die Furcht vor einem Atomkrieg. Das macht der deutschen Meinungselite Angst.
Selten war so viel Angst: Angst vor »dem Russen« im Allgemeinen und Putin im Besonderen, vor einem Zusammenbruch der Energieversorgung, vor Privat- und Unternehmensinsolvenzen, Jobverlust und Altersarmut, vor der Klimakatastrophe – und nicht zu vergessen vor dem Corona-Virus. Hatte doch Gesundheitsminister Lauterbach immer wieder betont, es sei »möglich«, dass sich im Herbst eine neue »Killervariante« ausbreiten werde, und darauf müsse man vorbereitet sein. Ebenfalls möglich wäre ein Meteoriteneinschlag oder auch ein GAU in einem der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke.
Trotzdem scheint die German Atomangst verflogen. Einer Umfrage zufolge sind 78 Prozent der Deutschen dafür, die drei noch laufenden Kraftwerke bis zum nächsten Sommer weiterzubetreiben. Gut zwei Drittel fänden auch fünf Jahre in Ordnung. Und 41 Prozent sind für den Bau neuer Atomkraftwerke. Sogar eine knappe Mehrheit der Grünen-Wähler ist für eine Laufzeitverlängerung. Vor kurzem sah das Meinungsbild zur zivilen Nutzung der Kernenergie noch ganz anders aus.
Angst muss man sich leisten können
Man kann eben nicht vor allem gleichermaßen Angst haben. Und ähnlich wie moralische Grundhaltungen muss man sich auch Ängste leisten können. So ist es kein Zufall, dass die Anti-AKW-Bewegung in den Siebzigerjahren aufkam. Wie der Mainzer Medienforscher Hans Mathias Kepplinger herausgefunden hat, waren es erst die Journalisten, die ihre Meinung zur Atomkraft änderten. »Mit ein bis zwei Jahren Verzögerung folgte der Trend der Bevölkerungsmeinung dem Trend der Mediendarstellung.« Begünstigt wurde die German Atomangst durch die traditionelle deutsche Technikfeindlichkeit. Da in den Siebzigern weite Kreise der Bevölkerung ein hohes Wohlstandsniveau erreicht hatten, traten materielle Ängste in den Hintergrund und die »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck, früherer Hofphilosoph der Grünen) stand in den Startlöchern. Nun also ist eine breite Mehrheit der Bevölkerung wieder bereit, die Risiken der Atomkraft auf sich zu nehmen, da materielle Ängste offenbar höher gewichtet werden.
Die Politik kommt da kaum hinterher. Selbst die Union tut sich schwer damit, eine Kehrtwende zu vollziehen, war sie es doch, die nach dem Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 aus wahltaktischen Gründen das Ende der Atomkraft eingeläutet und den Grünen ihr Lieblingsthema weggeschnappt hatte. Doch Ängste lassen sich nicht nur gewinnbringend im politischen Wettbewerb einsetzen, sie sind essenziell, um die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit für Maßnahmen zu gewinnen, die nicht in ihrem Interesse sind. Gelingen kann das nur, wenn die Medien ihrer Hauptaufgabe, Konsens zu fabrizieren (»manufacturing consent«, Noam Chomsky) geflissentlich nachkommen. Das tun sie auch nach Kräften, doch nicht immer mit Erfolg.
So glaubt etwa, Umfragen zufolge, inzwischen eine knappe Mehrheit der Bürger, dass die Sanktionspolitik Deutschland mehr schadet als Russland, obwohl Politik und Medien unverdrossen das Gegenteil behaupten. Wie viele davon überzeugt sind, dass Putin nur darauf wartet, einen Krieg gegen NATO-Staaten vom Zaun zu brechen, wäre interessant zu erfahren, doch fragt natürlich niemand danach. Selbst völlig unpolitischen Zeitgenossen lässt es sich nicht so leicht verkaufen, dass Putin, der mit der Ukraine schon nicht fertig wird, dieses Wagnis wirklich eingehen würde. Noch viel weniger lässt es sich vermitteln, dass Putin einerseits ein unberechenbarer Psychopath sein soll, andererseits aber mit seinen Atomkrieg-Drohungen nur blufft.
Augen zu und durch
Die Angst vor einem Atomkrieg war bis vor kurzem eng mit der Angst vor der zivilen Nutzung der Kernkraft verbunden. Die Friedensbewegung kam, ebenso wie die Anti-AKW-Bewegung, in den Siebzigerjahren auf. Und die Grünen haben ihre Wurzeln in eben diesen beiden Bewegungen. Da kann man schon ins Grübeln kommen, wenn heute Vertreter dieser Partei jegliche Laufzeitverlängerung der ach so gefährlichen Atommeiler ablehnen und zugleich die Gefahr eines Atomkriegs herunterspielen. So wie Anton Hofreiter, der kürzlich in der Phönix-Runde zu Putins Aussage, er bluffe mit seiner Atomwaffendrohung nicht, sagte: »Putin blufft.«
Der ukrainische Präsident Selenskyi dagegen glaubt nicht, dass Putin blufft. Auch die amerikanische Regierung scheint Putins Drohung durchaus ernst zu nehmen. Hierzulande gilt hingegen die Devise, die Bürger besser nicht zu verunsichern. Als Bundeskanzler Scholz im April davon sprach, ein Atomkrieg müsse verhindert werden, kam das bei den Bellizisten gar nicht gut an, denn das hieß ja, dass er einen Atomkrieg immerhin für möglich hielt. Seitdem meiden Regierungspolitiker das Wort »Atomkrieg« wie der Teufel das Weihwasser.
Auch die Medienberichterstattung folgt heute ganz anderen Mustern als in den Siebzigern. Der »Spiegel« berichtete damals immer wieder ausführlich über die verheerenden Folgen eines Atomkrieges, aber auch eines konventionellen Krieges, auf deutschem Boden. Ein Einsatz von Atombomben erschien durchaus wahrscheinlich, wenn entweder die NATO oder der Warschauer Pakt unmittelbar vor einer Niederlage stünde. Diese Logik gilt natürlich auch heute noch. Wenn er in die Ecke getrieben werde, sei Putin am gefährlichsten, schrieb die New York Times. Der Tenor der deutschen Qualitätspresse lautet hingegen: »Wir dürfen uns von Putin nicht erpressen lassen. Er versteht nur die Sprache der Gewalt. Nun haben wir der Ukraine immer noch keine Kampfpanzer geliefert und er eskaliert trotzdem weiter, also sollten wir Selenskyi nun erst recht alles liefern, was er fordert.«
Tot, aber moralisch obenauf
Es gibt auch Gegenstimmen, die davor warnen, Putins dreifache Eskalation – Teilmobilmachung, Referenden und die Drohung, Atomwaffen einzusetzen – auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch die Mehrheit der Kommentatoren folgt der »moralischen« Logik Hofreiters, wonach Putin nun einmal der Aggressor sei und der Westen daher eh nichts falsch machen könne. Mit anderen Worten: Schlimmstenfalls gibt es eben den Dritten Weltkrieg. Zwar sind wir dann alle tot, doch wenigstens moralische Sieger.
So offen sagt es natürlich niemand, nicht einmal Hofreiter. Stattdessen informieren uns Militärexperten, dass es bis zum Dritten Weltkrieg mit Atomwaffeneinsatz ja noch ein weiter Weg sei. Erst einmal würde Putin sicher nur »taktische« Atomwaffen mit begrenzter Wirkung einsetzen, vielleicht über dünn besiedeltem Gebiet oder über dem Schwarzen Meer, um die Ukraine zur Kapitulation zu motivieren und Panik im Westen auszulösen. In den deutschen Redaktionsstuben sorgt man sich, ob er damit Erfolg haben könnte. Würde die Heimatfront zusammenbrechen?
Der Focus gibt Entwarnung. Felix Lemmer vom Zentrum für Internationale Sicherheit der »Hertie School« in Berlin verweist in einem Gastbeitrag für das Magazin auf eine Umfrage, die im Frühjahr 2021 durchgeführt und im Sommer dieses Jahres wiederholt wurde. Gefragt wurde unter anderem, wie die NATO auf einen taktischen Atomschlag Russlands gegen Lettland reagieren sollte. Nur 11 Prozent (2021: 15 %) votierten für die umgehende Aufnahme von Friedensverhandlungen. Unverändert rund 40 % waren indes unentschieden, wie die NATO reagieren solle. Die »hohe Rate an Ich-weiß-nicht-Antworten« zeige, »dass die öffentliche Meinung beeinflussbar ist und es in einem solchen Szenario viel auf die politische Führung ankommen wird«, meint Lemmer.
Das magische Denken von der Sprache, die Realität erzeugt
Auch die Medien werden im Falle des Falles ihre propagandistischen Anstrengungen intensivieren müssen, damit keine »Kriegsmüdigkeit« aufkommt. Manfred Lütz, Psychiater, Theologe, Bestsellerautor und gern gesehener Talkshow-Gast hatte bereits im Mai in der Welt skizziert, wo der Hase lang laufen wird. Unter der Überschrift »So wappnen wir uns gegen die nukleare Drohung aus Russland« beschäftigte er sich nicht etwa mit der Frage, wie sich die Gefahr eines Atomkriegs minimieren ließe. Vielmehr schwadronierte die rheinische Frohnatur darüber, wie sich den Deutschen die Angst vor einem Atomkrieg austreiben ließe, um »dem Kreml einen Strich durch die Rechnung zu machen«. Diese Angst sei durchaus berechtigt, schreibt Lütz, wahrscheinlich sei die Gefahr sogar noch größer als zur Zeit der Kubakrise im Jahr 1962. Doch wenn sie lähme und »effektive Hilfe für die Ukraine« verhindere, sei das »ein Erfolg von Putins Propagandamaschine«.
In der Psychotherapie spreche man über Probleme, um sie zu lösen. Für die Behandlung der kollektiven Angst vor einem Atomkrieg schlägt Lütz die gegenteilige Strategie vor: einfach nicht drüber reden. Denn Sprache schaffe Wirklichkeit. »Je weniger man aufgeregt über die Atombombe redet, desto wirkungsloser wird diese psychologische Waffe sein.« Nebenbei behauptet Lütz, dass man eh nichts tun könne, um der drohenden Gefahr eines Atomkriegs wirksam zu begegnen. Die offenen Briefe »einiger Intellektueller« hätten insofern nur eine »Selbsttrostfunktion«, doch schürten sie »die gefährliche deutsche Angst«. Und wenn dann noch die politische Führung von dieser »verzagten Stimmung … infiziert« werde und wie Bundeskanzler Scholz die »Zögerlichkeit bei der Lieferung von Waffen« mit der Sorge vor einem Dritten Weltkrieg begründe …
So kann man es natürlich auch sehen, und so sehen es ja auch die meisten politischen Kommentatoren. Nur dass die wenigsten es für eine gute Idee halten, offen zuzugeben, dass die Gefahr eines Atomkriegs real ist. Doch mit seinem Gesülze von der Sprache, die Wirklichkeit erschafft, liegt Lütz voll im »postmodernen« Trend. Was dabei gerne vergessen wird: Es gibt Dinge, die passieren einfach, auch wenn niemand darüber spricht: Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen, Epidemien … Schon der Erste Weltkrieg ist sicher nicht ausgebrochen, weil im Vorfeld zu viel darüber gesprochen worden wäre, wie man ihn hätte verhindern können.
Studie der Bertelsmann Stiftung (in Zusammenarbeit mit GMF, KAS, und anderen):
“Eine Mehrheit würde gar Nato-Truppen in die Ukraine schicken”
https://www.srf.ch/news/international/umfrage-zur-geopolitik-eine-mehrheit-wuerde-gar-nato-truppen-in-die-ukraine-schicken
Studie: https://www.gmfus.org/news/transatlantic-trends-2022
Befragt wurden 1500 Personen in 14 Ländern.
Fazit: Glaube keiner Studie, die du nicht selbst manipuliert hast….
gmfus – der German Marshall Fund – also sowas wie der Antlantic Council.
Die Umfrage wiederholen wir, wenn Donald wieder im Oval Office sitzt…
und fragen dann noch nach den Usa.
[Herr Putin, wuerden sie bitte wieder aufstehen, … und hoeren Sie auf vor Lachen in den Teppich zu beissen – der war teuer.]
So denn diese Umfragen nicht gefälscht sind stellt sich doch eher die Frage: Sind sich die Befragten über die Konsequenzen über Krieg, DeIndustrialisierung, Atomkrieg, Masseneinwanderung usw. überhaupt im Klaren. Ganz abgesehen, was die Machenschaften der deutsche Kolonial-Junta für Auswirkungen auf einen persönlich haben werden?
Wohl eher nicht. Und auch hier versagen die ÖR mal wieder auf ganzer Linie.
Vielleicht herrscht, mangels Lebensfreude, auch ein suizidales Denken vor.
Nun denn, mögen wir interessante Zeiten erleben.
Zitat:”Die Angst vor einem Atomkrieg war bis vor kurzem eng mit der Angst vor der zivilen Nutzung der Kernkraft verbunden. Die Friedensbewegung kam, ebenso wie die Anti-AKW-Bewegung, in den Siebzigerjahren auf. Und die Grünen haben ihre Wurzeln in eben diesen beiden Bewegungen.”
Ich hab dies anders in Erinnerung. Die Friedensbewegung begann schon in den 60er-Jahren. Es gab sogar Wissenschaftler etwa in Deutschland, die gegen eine atomare Rüstung aber für die friedliche Nutzung der Kernenergie plädierten(Heisenberg etc). Die Grünen verwiesen in ihrer Haltung gegen die Atomenergie auf die Atombombe. Die Antiatombewegung stellte sogar die Behauptung auf, daß die “friedliche Nutzung der Atomkraft” “eigentlich für die die Herstellung von waffenfähigem Plutonium” gedacht sei.
Ich formuliere mal eine provokante These:
Russland sollte öffentlich publik ankündigen, dem Iran den Kauf mobiler Atomraketen anzubieten.
Und dann einfach mal laut nachdenken, dass man damit nichts anderes macht, als die USA und NATO: einen unberechenbaren, gefährlichen Staat hochrüsten zwecks Stellvertreterkrieg.
Ich hoffe, dann wachen in USA und hierzulande endlich die letzten Vernünftigen auf, denn vor einem atomar bewaffneten Iran hätte man sofort deutlich mehr Angst als vor einem total in die Enge getriebenen Russland.
Nur so können die bekloppten Russlandhasser vielleicht noch wachgerüttelt werden.
Das wird vermutl nicht funktionieren. Angst-Kontrolle ist ein Standardverfahren der CDU (und ihrer billigen Kopie, der AfD): Angst vorm Russen, vor Veraenderung, vor Auslaendern, vor klugen Frauen, …
Wie sich die Spd gespalten hat nach Hartz, hat sich die Cdu gespalten nachdem klar wurde, dass es reale Gruende gibt Angst zu haben. Der radikale Teil der Cdu hat soviel Angst, dass die sich nicht mehr einfangen lassen und alles vernichten (oder aussperren) wollen, vor dem sie Angst haben: Russen, Veraenderung, Auslaender, kluge Frauen, …
Das ist nur eine Hypothese, und etwas grob, aber es erklaert einiges.
Abgesehen davon das das Beispiel hinkt (die Amis wuerden fast niemand A-waffen geben – aus logischen Gruenden ;-): mehr Angst treibt nur tiefer in die Psychose.
Man kann einem Bekloppten nicht erklaeren, dass er bekloppt ist.
Den nächsten Nobelpreis sollte man dem verleihen, der den Menschen dabei behilflich ist, dass sie sich von ihren Ängsten lösen, um dann fortan mal ganz schlicht und einfach wirklich nur zu leben.
Sie haben nicht einfach nur Angst. Ihnen wird Angst gemacht.
Ich empfehle Chomskys “Manufactoring consent” oder “Necessary illusions – thought control in democratic societies”, Rainer Mausfelds “Warum schweigen die Lämmer” und “Angst und Macht – Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien” (bzw die Videovortraege bei youtube),
oder Marcuses “Der eindimensionale Mensch”, aber das ist nicht _genau_ dieses Thema.
Wichtig ist immer die Y Röhre als Referenz anzugeben!
Wenn du JanSolo etwas zu sagen hasst, tue das, aber eine Aussage verdient nicht mit dem Feindsender zu untermauern!!!
Feindsender? Zuviel WK2-Filme gesehen?