
Chris bemüht sich, ein junger hipper Vater zu sein, der sich im Sinn der neuen Väterlichkeit genauso um das Kind kümmert wie seine Frau. Das gelingt ihm leider nur mehr schlecht als recht.
Nur bei dem Einbauschrank hatten sie sich einigen müssen. Holz oder Anthrazit? Sie hatten beides realisiert. In einem einzigen Schrank. Von einem Schreiner extra angefertigt. Das sichtbare Zeichen dafür, dass ein Mann und eine Frau aus unterschiedlichen Generationen zusammenfinden können.
Chris weiß, dass er sich mit dem Altersunterschied auf ein Experiment eingelassen hat. Aber Chris mag es, sich auf Experimente einzulassen. Das ist das, was er seinen Kunden immer sagt: „Lassen Sie sich einfach auf etwas Neues ein!“
Sein Experiment besteht darin, dass er sich mit 52 darauf eingelassen hat, das Leben an der Seite einer jungen Frau und mit ihr das Leben eines jungen Paares zu führen. Eines jungen Paares, das ganz anders lebt als die Paare aus seiner Generation.
Zum Teufel mit den salbeigrünen Wänden, denkt Chris. Ich habe ein großartiges Leben. Ein Leben, bei dem ich eine extra Schleife drehen kann. Den vorprogrammierten Weg verlassen, etwas ganz Neues anfangen.
One extra ride.
Chris schenkt sich ein Glas Rotwein ein und holt sich eine Stück Parmesan, das er in einen Teller tunkt, in das er exklusives Olivenöl aus Mykonos gegossen hat, und das er mit Salzkristallen überstreut hat. Das Salz knistert in seinem Mund.
Er würde lügen, wenn er behaupten würde, nicht stolz auf all das zu sein, was er erreicht hat. Er denkt nicht gerne an seine Kindheit. Das dunkle Holz, die Sparsamkeit, der Sauerbraten und der Opel in der Garage.
Gerade als er sich überlegt, ob er sich nicht auf die Couch legen kann, um sich eine Folge aus dieser spanischen Bankräuber-Netflix-Serie anzusehen, beginnt Angelina zu weinen.
Als er in ihr Zimmer kommt, laufen dem Kind vor Wut schon die Tränen über die Augen. „Wen haben wir denn da? Ist das ein kleiner Baby-Puma?“, sagt Chris mit einer hohen Stimme, weil er gelesen hat, dass kleine Babys deswegen lieber von Frauen gehalten werden, weil sie höhere Stimmlagen bevorzugen.
Chris hebt Angelina aus dem Kinderbett. Er trägt sie in die Küche, legt sie in die Babyschale und macht ein Fläschchen Milch. Er wird erst gar nicht versuchen, ihr das Lied mit der Biene und der Blüte zu singen, das Katja ihr immer singt.
Als die Milch fertig ist, setzt sich Chris mit ihr auf das Sofa.
Langsam beginnt sie an der Flasche zu nuckeln, nur um sie immer wieder wegzustoßen und dann wieder an sich zu ziehen und wieder zu weinen.
Erschöpft trägt Chris Angelina ins Schlafzimmer, wo Katja im Bett jetzt den ganzen Platz eingenommen hat.
Vorsichtig legt er Angelina bei Katja ab.
Mit ein bisschen Glück würde sie der Geruch der Mutter beruhigen und sie würde einschlafen.
Aber das tut sie nicht.
Erst als Katja schlaftrunken aufsteht, und sie ein paar Mal hin- und herwiegt, schläft das Kind endlich ein.
Wahrscheinlich wird sie ihn fragen, warum er ihr das Kind gebracht hat.
„Ich habe mein Bestes versucht“, wird er ihr antworten.
Was ja auch wirklich der Wahrheit entspricht.
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99% aller Babys beteiligen sich nicht an der gemeinsamen Hausarbeit. Und wer isst Parmesan nur mit Salz und Öl, und ohne Nudeln?