
Katja, eine junge, ehrgeizige Filmproduzentin, bekannt für ihre engagierten Themen wie Frauen- und Transgenderrechte, fühlt sich von einer Fernsehredakteurin gemobbt und wird von ihrer 8-monatigen Tochter vollgespuckt.
Angelina hat wieder erbrochen. Auf ihre Schulter. Genauer gesagt auf ihren cremeweißen Cashmere-Pulli. Klar wäre es besser gewesen, sie hätte ihn nicht angehabt – aber soll sie jetzt echt die nächsten Monate in billigen Klamotten rumlaufen, nur weil sie damit rechnen muss, dass ihre acht Monate alte Tochter sie vollkotzt? Katja versucht sich das Erbrochene im Klo abzuwischen. Der süß-eitrige Geruch kriecht ihr in die Nase. Sie hasst diesen Geruch. Auch weil sie weiß, dass er sie die nächsten Tage und Wochen heimsuchen wird. Katja hat eine sensible Nase. Sie riecht nicht nur mehr als andere, sondern behält Gerüche auch viel stärker in Erinnerung als andere. Angelina hat sie ihrer Assistentin CKay überlassen. CKay hat große Augen gemacht, Katja weiß ganz genau, dass CKay sich mit Kleinkindern unsicher fühlt, aber darauf kann sie jetzt keine Rücksicht nehmen.
Am liebsten würde sie jetzt nach Hause gehen, Angelina bei Chris abgeben und erst mal ein Bad nehmen, aber Katja kann nicht nach Hause. Die Präsentation vor der Redakteurin des Senders zu Ende bringen. Das Palästina-Projekt. Eine Dokumentation über palästinensische Flüchtlinge und ihr Verhältnis zu Israel. Ein wichtiges Projekt.
Sie muss das jetzt durchziehen. Auch wenn ihre linke Schulter stinkt. Hoffentlich ist Angelina nicht krank. Norovirus oder so ein Scheiß. Kann sie jetzt gar nicht gebrauchen.
Die weiße Kotze hat sich auf dem Pulli eingekrustet. Nichts mehr zu machen. Zum Teufel mit dem Pulli. Sie muss wieder rein.
Als sie wieder hereinkommt, sind nur noch CKay und Angelina im Zimmer.
„Hier!“, sagt CKay und reicht ihr Angelina, die an CKays Schulter eingeschlafen ist. In der Tat ist der Anblick von Angelina in ihrem rosa Strampelanzug auf der Schulter von CKay mit ihrem tätowierten kahlgeschorenem Kopf und ihrer Militärjacke, ein wenig ungewohnt. Aber als Filmemacherin mag man Kontrast. Ist schließlich die Essenz jeder guten Geschichte.
„Wo sind die anderen?“, fragt Katja, Angelina entgegennehmend.
„Zurück in ihre Büros. Sie hatten ja keine Ahnung, wann du wiederkommst. Ich soll dir sagen, dass Du gerne einen neuen Termin ausmachen kannst. Vielleicht dann unter anderen Bedingungen.“
„Vielleicht unter anderen Bedingungen?“, sagt Katja wütend. Weil sie genau weiß, was das heißt. Weil es heißt, dass sie das nächste Mal ohne Kind kommen soll. Klar. Ohne Kind. Weil Frauen am besten ihre Kinder verstecken, wenn sie welche haben. Sie sollen zwar was tun, damit die Geburtenrate steigt, aber merken wollen wir davon nichts.
Genervt legt Katja ihre Tochter in den Buggy, den sie zur Babyshower bekommen hat.
„Scheiße“, entfährt es Katja. Sie geht jede Wette ein, dass die Sender-Tante keine Ahnung hat, wie es ist, Beruf und Kind zusammenzubringen. Wahrscheinlich, weil sie selber kein Kind hat, weil das ja sooo schwierig ist, als Frau Karriere und Kinder zu vereinen. Und sie deswegen erst gar keins bekommen hat. Weil wir Frauen ja leider einfach noch nicht da sind, wo wir sein sollten. Und man sich eben entscheiden muss.
Katja kann diesen Bullshit nicht mehr hören.
Wird sie etwa von ihrem Lebensplan abweichen, nur weil sie ein Kind hat? Natürlich nicht. Warum sollte sie?
Katja kann diese Frauen um die 50 nicht verstehen. Die keinerlei Solidarität mit jüngeren Frauen haben. Sie ist froh, dass sie nicht zu denen gehört. Sondern zur Generation der Millennials. Den Menschen, denen die Welt offenstehen. Weil sie die Dinge anpacken, statt ständig rumzujammern.
„Okay, sorry“, sagt Katja, weil sie an CKays Gesichtsausdruck lesen kann, dass ihr aggressiver Tonfall sie verletzt hat. „Das war nicht gegen dich. Sondern gegen die Frau, ok?“
Katja weiß, wie empfindlich CKay sein kann. Dabei versucht sie sie ja nur einzubeziehen. Und das, obwohl CKay wie jeder weiß, nicht auf der Filmschule gewesen ist und nur ein abgebrochenes Philosophiestudium vorzuweisen hat und irgendwelche seltsamen Fotoprojekte in schwarz-weiß und überdies selber weiß, dass sie es höchstwahrscheinlich nie zur Producerin schaffen wird. Aber Katja will ja kollegial sein. Und inklusiv.
„Okay?“, fragt Katja zur Sicherheit noch mal.
„Okay“, sagt Ckay.
„Die sollen sich bloß nicht einbilden, dass die über mich und das Projekt bestimmen können. Weißt du was, ich geh erst wieder zum Sender, wenn ich praktisch das gesamte Geld zusammengekratzt habe. Je weniger Geld der Sender gibt–desto mehr Freiheit haben wir, right?“
„Right“, sagt CKay.
Wenn der Sender jetzt für das Projekt verloren ist, würde sie woanders betteln gehen müssen. Katja hat kein Problem damit, betteln zu gehen. Weil sie weiß, dass im Grunde nicht die Investoren ihr einen Gefallen tun, sondern umgekehrt. Es geht ja hier immerhin nicht um Blumenvasen, sondern um wichtige Dinge. Wer schon nicht auf Demos geht oder große Spenden tätigt, kann sich dank ihrer auf diese Weise einbringen. Sie hat sich bislang bei keinem ihrer Filme allein auf einen Sender verlassen, sondern ihre Filme aus einem wilden Mix aus Beteiligungen realisiert. Privatinvestoren. Crowdfunding. Nicht der klassische Weg. Aber Klassik war gestern.
„Anderssein in Deutschland“ hieß ihr letzter Film, der von geschlechtsneutralen Personen und ihrem Lebensgefühl in der Republik handelte. Der davor von häuslicher Gewalt.
Morgen früh würde sie gleich anfangen rumzutelefonieren.
Jetzt aber nichts wie nach Hause. Dann ein Bad.
Jetzt war Chris dran, sich von Angelina auf die Schulter kotzen zu lassen.
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Arthur_C hat ja die These geäußert, diese Serie sei eine AfD-Werbung. Meine Gegenthese ist es, dass irgendwelche woken Millenials versuchen TikTok-Videos in Schriftform unter die Leute zu bringen:
– das Kind hat nicht erbrochen, sondern macht das was Kinder in dem Alter so machen: Wenn sie zu viel Luft geschluckt haben, machen sie ein Bäuerchen.
– einen Cashmere-Pulli zu tragen, wenn man ein Kind stillt (oder das Fläschchen gibt): Auf eine solche Idee kommen nur völlig weltfremde Millenials
– sich nicht zwischen Job und Kind zu entscheiden ist ebenfalls typisch woke. Habe ich auch in meiner Familie. Eure Kinder werden euch dafür eines Tages hassen. Es gibt nur drei Varianten: Kind ODER Job ODER beides nicht. Man kann Job und kleine Kinder nicht vereinbaren. Es geht nicht. Ein acht Monate altes Kind ist ein Vollzeit-Job. Und natürlich versteht die vorherige Generation eurer Verhalten nicht. Ihr seit dermaßen abgedreht, dass ihr selber Betreuung braucht.
Tuka Ram sagt:
„einen Cashmere-Pulli zu tragen, wenn man ein Kind stillt (oder das Fläschchen gibt): Auf eine solche Idee kommen nur völlig weltfremde Millenials“
Das Problemchen müsste sie seit acht Monaten haben.
Insofern ist das lediglich ein Zeugnis davon, dass der Autor von Bäuerchen machenden Babys null Ahnung hat.
Nein, sie kann sich doch jeden Tag einen neuen kaufen. Wo ist das Problem?
Und nein, den Rest habe ich nicht gelesen.
Und… wozu soll dieser Beitrag jetzt gut sein?
Edith@Bettina
Ja, das könnte passen, auch wenn ich das nie geschaut habe… 😉
Wahrscheinlich ist es ein Auszug aus dem neuen Drehbuch von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Das Niveau könnte passen.😉
Ich lese das (noch?) interessiert und bin gespannt auf die weiteren Folgen.
Ist doch bislang eine schöne Satire; ein Sittengemälde der woken Generation bzw. der gut ans System Angepassten.
Finde auch das Stilmittel spannend, dass die Gedanken der Protoganisten nicht in der „Ich-Form“ erscheinen, sondern von aussen beschrieben werden, als seien die Gedanken und Beweggründe das Normalste der Welt.
„Zeitgeist“ in harten Zeiten.
Folge 5 inzwischen, irgendwie holt mich das alles nicht ab….
„Ist doch bislang eine schöne Satire;“ ok, wenn man es so sieht, trotzdem irgendwie….