
Der Turnschuhkanzler ist erleichtert. Dank der Rettungsaktion hat er sich als Stabilisator Deutschlands etablieren und den Putsch dadurch abwehren können. Er fährt zu Vic nach Hause, in der Hoffnung wieder mit ihr dort anzuknüpfen, wo sie vor Jahren aufgehört hatten. Ob es für beide möglich sein wird?
Jakob Mauder könnte zufrieden sein. Sowohl die Rechten wie auch die FCFW-Bewegung haben einen erheblichen Schaden davon getragen.
Mag sein, dass es nur vorübergehend ist. Aber wenigstens ist so Zeit gewonnen. Zeit, um das Land zu einen. Und seine Probleme zu lösen.
Seine persönlichen Umfragewerte sind so gut wie nie. Man macht wieder den JFK-Vergleich. Was ein gutes Zeichen ist. Allerdings muss er bei JFK immer an das Attentat denken. Egal. Wer beliebt ist, macht sich Feinde.
Er hat Vic mehrere SMS geschickt.
„Danke. Ohne dich wäre Deutschland ein unsicherer Ort.“ Und: „Darf ich mich erkenntlich zeigen? Ich hoffe es geht Dir gut!“ Und schließlich: „Hab ich irgendwas falsch gemacht? Antworte doch.“
Bis er schließlich kurz vor einer Kabinettssitzung plötzlich kehrt macht.
„Sie müssen mich noch wo hinfahren“, sagt er zu Manfred.
Vics Wohnung ist immer noch im vierten Stock. Und hat immer noch keinen Aufzug.
Was ihn wie beim letzten Mal oben außer Atem ankommen lässt.
Vielleicht sollte er wieder mehr Sport machen. Es muss ja nicht ein Attentat sein. Ein Herzinfarkt reicht auch.
Er atmet ein paar Mal ein und aus. Dann klingelt er.
Es dauert einige Zeit, aber dann macht sie auf.
„Ah, du …“, sagt sie nur. Ohne überrascht zu sein. Aber überrascht ist Vic nie.
Sie geht zurück in die Wohnung, lässt die Tür auf.
„Soll ich reinkommen?“, fragt Jakob.
Nachdem keine Antwort kommt, beschließt er, ihr zu folgen.
Er zieht die Schuhe aus und legt sie vor die Haustür. So wie er das früher gemacht hat, als er Vic in ihrer WG besucht hat.
Und einen Moment lang verliert er sich in dem Gedanken, es sei tatsächlich alles so wie damals. Sie werden ein Bier trinken und über irgendetwas reden, das ihnen heute passiert ist. Sie werden sich küssen und sie wird sich wieder auf seine Knie setzen und seine Haare durcheinanderwirbeln und dabei lachen. Er wird denken, ich liebe diese Frau und wird ihr sagen: „Irgendwann heirate ich dich und dann ziehen wir wieder zurück aufs Land und machen eine Hühnerfarm auf.“ Und Vic wird lachen und sagen, „nie im Leben“. Und er wird diesen Pfeil fühlen, in seinem Herzen, der sich mit ihrer Bemerkung in sein Herz gebohrt hat, weil er es doch ernst gemeint hat, vielleicht nicht das mit den Hühnern, aber das mit dem Heiraten, vielleicht hat sie das nicht verstanden, aber das ist ihm in diesem Moment egal.
„Willst du einen Kaffee?“, fragt Vic.
„Äh … nein, das heißt, ja doch gerne.“
Und dann setzt er sich auf den Plastikstuhl und sieht zu, wie Vic Kaffee macht, mit ihrer italienischen Kaffeemaschine.
Er traut sich nicht ihr zu sagen, dass er nur ein paar Minuten Zeit hat, dass er eigentlich jetzt losmüsste, aber dass er sie sehen wollte, um sich zu bedanken, vor allem aber, um zu fragen, was er denn falsch gemacht habe, dass sie nicht mit ihm sprechen will und nicht auf seine Nachrichten antwortet, also sagt er nichts und schaut weiter auf ihren Rücken und denkt daran, dass er sich noch nie so sehr als Turnschuhkanzler gefühlt hat wie jetzt.
Dann hört er das Rauschen von der Maschine, diese typischen Espressomaschinen „Pffff“. Er sieht, wie Vic eine Tasse für ihn in die Hand nimmt und den Kaffee hineingießt, ihm die Tasse hinhält und sich dann wieder am Herd anlehnt, um ihn leicht von oben herab anzusehen.
„Ich habe es damals ernst gemeint mit dem Heiraten“, sagt Jakob Mauder jetzt.
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“
„Als ich gesagt habe, ich wollte mit dir zurück aufs Land und eine Hühnerfarm aufmachen.“
„Verstehe. Davor wolltest du aber noch eben mal schnell Politik machen und die Welt retten, richtig?“
„So ungefähr“, sagt Jakob Mauder. „Wärst du denn bei mir geblieben? Auch ohne Hühner?“
„Du bist derjenige, der gegangen ist, also frag nicht.“
Jakob senkt den Blick.
Vic war nicht schuld. Nicht allein schuld zumindest. Vielleicht sogar überhaupt nicht schuld. Ja, er ist derjenige gewesen, der gegangen ist.
Jakob und Vic schweigen. So lange, bis Vic irgendwann sagt: „Wie auch immer. Ich bin froh, dass der Junge gefunden werden konnte.“
„Ohne dein Foto wäre das alles nicht so gut ausgegangen.“
„Gut für ihn oder gut für dich?“
Jakob sieht Vic an. Warum kann sie sich diese Spitzen gegen ihn nicht sparen?
„Gut für uns beide. Vor allem aber gut für Deutschland.“
Jakob kann sehen, wie Vic ihn fast flehentlich ansieht.
„Kannst du es nicht einfach lassen?“, sagt sie jetzt leise.
„Was meinst du damit?“
Aber eigentlich muss Jakob Mauder nicht wirklich fragen, was sie meint, dass er es lassen soll, denn er weiß es.
Es denkt an das, was die Zeitungen über Karl-Friedrich Löwenstein geschrieben haben, dass er sich vor sie gestellt hat, nachdem sie Chris angeschossen hatte und ihr gesagt haben soll, dass er „von Mensch zu Mensch“ mit ihr sprechen wollte. Weil die Menschen miteinander verbunden wären und in dieser Sache hier zusammensteckten.
Und für einen Moment stellt er sich vor, wie es wäre, wenn er das alles lassen und nur als Mensch leben würde, als ein Mensch, der immer nur zu einem anderen Menschen spricht und nicht zu einem ganzen Land, im Namen einer Idee oder einer Vision.
Aber er weiß nicht, ob er das überhaupt kann. Oder das noch lernen kann.
„Du bist ein Angsthase, Jakob Mauder“, hat Vic ihm ganz zu Beginn ihrer Beziehung gesagt.
Er hat sein ganzes Leben lang versucht, ihr zu beweisen, dass er es nicht ist.
Aber er ist sich nicht sicher, ob es ihm gelungen ist.
„Komm her, Turnschuhkanzler“, sagt Vic plötzlich.
Und Jakob Mauder steht auf und lässt sich von ihr in die Arme nehmen.
So stehen sie dann in der Küche neben dem Herd und umarmen sich.
Ob zum Abschied oder für einen Neubeginn, wissen sie nicht.
– Ende –
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Breaking Schloz – Episode 8: Die Imperator-Entscheidung
Schloz steht im kalten, schummrig erleuchteten Keller der Mühle. Der Geruch von Staub, Moder und altem Holz umhüllt ihn wie eine schwere Decke. Die Luft ist dick, das Atmen fällt ihm schwer. Der Boden unter seinen Stiefeln ist hart, ein unangenehmes Knirschen dringt in sein Ohr. Jedes Geräusch scheint in der feuchten Stille zu hallen. Er hört nur das dumpfe Tropfen von Wasser irgendwo in der Nähe. Das Geräusch wie ein gedämpftes, monoton klingendes Klopfen.
Seine Augen durchstreifen hastig den Kellerraum, der nur spärlich von einem kleinen Fenster im oberen Eck erleuchtet wird, das den schmutzigen Lichtschein der untergehenden Sonne einlässt. Zwischen den Schatten erkennt er das grobe Mauerwerk und eine Sammlung alter Dinge – Werkzeuge, Kisten, vergilbte Papiere und etwas, das wie eine alte Matratze aussieht. Doch dann bleibt sein Blick hängen.
Da, in der Ecke, ist es. Ein Modell des Imperators, des legendären HAPAG-Schiffs, das einst die Weltmeere befuhr. Es ist massiv, größer, als er es in Erinnerung hatte. Drei mächtige Schornsteine erheben sich stolz vom Deck, jeder ein Monolith der Macht. Die gelben Zylinder sind matt und abgeblättert, nur noch ein glänzendes, verblasstes Schwarz, das in den verblassenden Lichtstrahlen fast wie Kohle aussieht. Der Bug, mit dem prächtigen Adler, der stolz in die Ferne starrt, ist von der Zeit gezeichnet worden. Der Glanz des Schmucks ist verblichen, doch der Ausdruck des Adlers bleibt majestätisch, eine Erinnerung an das, was einst einmal war.
Schloz spürt einen Stich in seiner Brust, als die Erinnerung in ihm aufsteigt. Dieses Schiff, das Modell, es war ein Relikt seiner Jugend. Ein Symbol für Größe und Macht, das in seiner Familie mit Argusaugen gehütet worden war. Er erinnert sich wieder an das Elternhaus. An das warme Licht vergangener Tage, den Geruch von frisch gebackenem Brot, die Stimmen seiner Eltern. Aber dann war das Modell irgendwann verschwunden, ohne ein Wort, ohne eine Erklärung. Fast wie die Tagebucheintragungen in seinem Kalender. Und wie beim Kalender erinnert er sich nicht warum. Irgendwann muss irgendwer das Modell in diese Mühle gebracht haben. In diesen verstaubten Keller. Als sei es vergessene Geschichte, sein Wert in den Schatten der Zeit versunken.
Der Raum um ihn herum verschwimmt als Schloz sich vor das Modell stellt. Der Klang seines Atems ist das einzige, was er noch wahrnimmt. Der Raum riecht nach Schimmel, nach feuchtem Holz und etwas anderem – etwas, das wie der brennende Gestank von verwehrtem Versagen schmeckt. Schloz’ Finger ballen sich zu einer Faust, während die Entscheidung in ihm wächst, sich formt, wie der Stahl, der in den Fabriken von Rheinmetall zu Panzern wächst. Es ist die Entscheidung eines Cäsars, so wie er es sich schon oft vorgestellt hat – hart, schnell und entscheidend.
Er weiß, was er tun muss. Das Modell vor ihm ist kein bloßes Artefakt mehr. Es ist ein Werkzeug, ein Zeichen, das ihm die Richtung weisen wird. Der glänzende, alte Rumpf des Schiffes, der vor ihm liegt, wird zu einem Symbol für das Ende. Der Fuchs in ihm weiß, dass er handeln muss, ohne Zögern.
Schloz‘ Hand zuckt, der Drang, zuzuschlagen, ist stärker als alles andere. Er streckt sich vor, greift nach dem schweren Modell. Es fühlt sich kalt an, die polierte Oberfläche gleitet unangenehm über seine Finger, doch er packt fest zu. Die Schornsteine des Schiffs wiegen schwer in seiner Hand, und als er es anhebt, spürt er das Gewicht des Metalls, das an ihm zieht, als ob die Vergangenheit selbst es an ihn bände.
Der Moment ist gekommen. Die Entscheidung ist gefallen.
In seinem Kopf hallen die Worte eines Mannes wider, der schon lange nicht mehr existiert: „Wenn du es tust, musst du es zu Ende bringen, Schloz. Ohne Zögern.“ Es ist der Moment der Entscheidung, die Stunde des Rubikons, den er überschreiten muss. Der Fuchs hätte fast zu lange gewartet, zu lange gezögert.
Doch Schloz dreht sich jetzt, langsam wie ein Ozeandampfer, den Blick auf Crazy Horst geheftet, der am anderen Ende des Raumes am Boden kauert, blutend, schlaff, halb bewusstlos. Das Bild eines zerbrochenen Mannes. Eines Kerls, der ihn angreifen wollte. Der Anblick brennt sich in seinem Inneren fest. Schloz tritt einen Schritt zurück, seine Faust um den Rumpf des Imperators geballt, und ein kaltes Lächeln zieht über sein Gesicht.
Er weiß, was er tun muss. Und als er es tut, ist er endgültig nicht mehr der charmante Bundeskanzler von gestern. Das Schiff in seiner Hand ist der letzte Pinselstrich, das letzte Urteil.
Und dann ist alles still.
***
Die Fahrt nach Potsdam zieht sich endlos hin. Die Dunkelheit ist dichter als je zuvor, der Märzwind pfeift durch die Ritzen des Wagens, als er die Straßen entlangfährt, die von spärlichem Mondlicht erleuchtet werden. Potsdam. Der Ort, an dem die Maske des Mannes fällt, der er einmal war. Der Ort, an dem seine Frau, ihn erwartet. Seine Frau, die immer noch in der Welt von gestern lebt, ohne zu wissen, was sie wirklich verloren hat.
Schloz fährt die steilen Straßen zur Altstadt hinauf, der Wagen schlittert über den nassen Asphalt, der in der Dämmerung wie ein dunkler Fluss wirkt. Er trägt ihn die engen, verwinkelten Straßen der Kleinstadt entlang wir ein Förderband Kohle. Der Abend lastet schwer auf den Gassen und ebenso auf seinen Schultern. Schloz spürt das Dröhnen des Motors, aber es reicht nicht, um den pochenden Schmerz in seinem Kopf zu übertönen. Noch immer hallt die Imperator-Entscheidung in seinen Ohren nach und das prickelnde Gefühl auf seiner Haut ist wie ein zäher Film, den er nicht abwischen kann. Und dann gibt es da noch diese Frage – die eine, die ihm jetzt, im fahlen Schein des Autolichts, nicht aus dem Kopf gehen kann: Was kommt jetzt?
Die Stadt zieht an ihm vorbei, der Wind rüttelt ringsum an den Fenstern, bis er die Auffahrt seines Hauses erreicht. Es ist ein abstraktes Gebäude, das von außen betrachtet fast unsichtbar wirkt, versteckt hinter einer dichten Hecke Thymian. Ein ruhiger Rückzugsort, der es sich im Dunkeln scheinbar behaglich eingerichtet hat. Ein wahrhaftiger Fuchsbau. Doch drinnen, dort, wo es zählt, ist er mondän. Der weiche Geschmack von Teppich unter den Füßen, das gedämpfte Licht, das sich in den eleganten Möbeln spiegelt – alles wirkt so perfekt, so ruhig. Doch Schloz weiß, dass er in diesem Bau wie in einem Käfig lebt. Ein Käfig, den er sich selbst gebaut hat.
Er dreht den Schlüssel im Zündschloss und der Motor verstummt, als wäre er plötzlich im Nichts gelandet. Eine seltsame Stille umgibt ihn, als er aussteigt. Nur das gelegentliche Rauschen der Bäume ist zu hören, die sich im Wind wiegen. Der Wagen bleibt allein vor dem Haus zurück als Schloz die kurze Strecke über den Kiesweg zurücklegt. Seine Schritte knirschen in der kalten Luft. Es wirkt als würde er sich der Dunkelheit entziehen, als hätte er den Abend in sich aufgenommen. Als er die Haustür aufschließt, tritt der vertraute Geruch von frisch gemahlenem Tee in seine Nase, vermischt mit dem sanften Duft von Fleischwurst. Es riecht nach Zuhause, nach Sicherheit, nach etwas, das er nicht mehr wirklich kennt.
Schloz schließt die Tür hinter sich und atmet den warmen Duft des Fuchsbaus ein, als er ins Haus huscht. Das vertraute, beinahe melancholische Knarren der Treppenstufen unter seinen schweren Stiefeln ist das einzige Geräusch, das die Stille durchbricht. Der Flur liegt im Dämmerlicht, die Schatten der Möbel werfen lange, gebrochene Linien auf den Boden. Ein Augenblick der Ruhe – doch dann, plötzlich, taucht sie auf. Ihre Schritte auf dem Parkett, der leise Klang ihrer hohen Schuhe, der gegen die Wände hallt, wie das Klopfen von Taktgebern einer Uhr. Ihr Schatten fällt auf ihn, bevor sie selbst in den Raum tritt.
„Wo warst du denn?“, fragt Brigitta.
Ihre Stimme ist ruhig, beinahe zärtlich, aber Schloz spürt die scharfe Kante darunter. Sie stellt die Frage nicht aus Neugier, sondern aus einem tief verwurzelten Misstrauen. Er bleibt wie angewurzelt stehen. Die vertrauten Umrisse seiner Frau, die er immer noch ein wenig fürchtet, erscheinen in der Tür zum Wohnzimmer. Er hat sie nicht gehört, nicht gesehen, als er eingetreten ist. Ein flimmerndes Licht, das von einer Lampe an der Wand wirft, lässt ihr Gesicht hart und zugleich mysteriös erscheinen. Der Raum wird kleiner, als würde sich die Luft zusammenziehen. Er fühlt einen stechenden Moment der Verunsicherung.
Er hat diesen Moment erwartet, gewusst, dass er kommen würde, doch trotzdem trifft er ihn mit einer Härte, die er nicht erwartet hat. Ihr Blick bohrt sich durch ihn hindurch, als wollte sie etwas in ihm sehen, das er selbst nicht mehr kennt. Etwas, das er vielleicht auch nicht mehr in sich finden will.
„Ich… ich habe noch schnell was im Kanzleramt erledigen müssen“, radebrecht Schloz und fühlt sich, als würde das Wort „Kanzleramt“ wie Blei in seinem Mund hängen. Es schmeckt falsch und es fühlt sich auch genauso falsch an. Doch es ist die einzige Antwort, die ihm jetzt in den Sinn kommt.
Schloz sieht, wie ihr Blick sich schärft, wie sie ihn intensiver mustert, als würde sie das Gesagte mikroskopisch analysieren, es restlos röntgen wollen. Ihre Miene bleibt regungslos, doch er merkt, dass ihre Sinne, wach wie die einer Löwin, ihn durchdringen. Es wird ihm zu viel. Er lässt den Blick schnell zu Boden gleiten, kann sich keinen weiteren Moment der Konfrontation hier leisten.
„Tut mir leid“, nuschelt er hastig und fühlt wie sie ihn weiter beobachtet. „Ich… ich muss noch schnell Zigaretten holen.“
Schloz dreht sich abrupt um und geht. Er geht schnell, viel zu schnell. Fliegt geradezu. Flieht, die Tür hinter sich zuschlagend, als könnte der Lärm der Schließung ihn aus dieser Zwickmühle befreien. Die Nachtluft schneidet in sein Gesicht, er bemerkt sie nicht und ist einfach froh wieder draußen zu sein. Es ist die Flucht, die zählt. Der Drang, sich von der Vergangenheit zu befreien, von der Wahrheit, die er jetzt längst nicht mehr ertragen kann. Er muss Zeit gewinnen.
Er springt ins Auto und rast davon, der Motor des Wagens brüllt durch die stille Nacht. Hinter sich lässt er das Haus zurück mitsamt Brigitta, der Löwin. Einer Löwin, die ihm nachblickt, als hätte sie den ganzen Spieß schon längst umgedreht. Sie sieht ihn, sieht mehr, als er es je wird ahnen können. Sie sieht ihn durch die Schleier seiner Lügen hindurch.
Schloz bleibt allein mit seinen Gedanken, doch sie verfolgen ihn wie Schatten. Was bleibt ihm, wenn sie es herausfindet? Wenn sie weiß, dass er nicht mehr der ist, der er vorgibt zu sein? Und was wird sie tun, wenn der Moment der Wahrheit irgendwann eintritt?
***
Brigitta, die Löwin, ist vor dem Küchenfenster stehen geblieben, ihre Augen scharf auf den Rücken des Mannes gerichtet, der einst der ihre war. Es noch immer ist. Irgendwie. Und der jetzt wie ein im Hühnerstall ertappter Fuchs Reißaus vor ihr nimmt. Der Flur hinter ihr ist schwach erleuchtet, das Licht schummrig, die Schatten auf den Wänden lang und verzerrt. Ihr Blick geht zur Tür, die Schloz hastig hinter sich zuschlägt, und für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Die Tür knallt krachend zu – als wäre auch sie ein empörter Zeuge seiner Flucht.
Das Haus ist still, fast unheimlich still. Der Duft seines geliebten Wursttees hängt noch in der Luft, der Boden glänzt poliert, der Geruch von Holz und alten Möbeln umweht den Raum. Ihr Blick schweift umher, vorbei an den grauen Wänden, die die Räume einrahmen. Ein schwerer, dunkler Teppich liegt auf dem Boden, dessen Muster sich in dem abendlichen Dämmerlicht in sanften Wellen verlieren. Die Möbel sind edel, aber kühl, ohne Persönlichkeit. Der Raum wirkt eher wie eine Sammlung von Dingen, die zum Status gehören, nicht zum Leben.
Ihr Blick bleibt auf dem Bild an der Wand hängen – es zeigt ein Schiff auf hoher See. Erhaben durchschneidet es die dunklen Wasser des Meeres. Es ist ein prächtiges Schiff, ein stolzes Schiff. Der Imperator. Auf Wunsch des Kaisers trug es den männlichen Artikel. Gegendert wurde damals noch nicht.
Früher hatte Brigitta das Bild gemocht. Es erinnerte sie an Reisen, an eine Zeit, als noch Abenteuer vor ihnen lagen. Doch jetzt – jetzt starrt sie es an, als könnte sie nur einen schmerzlichen Fluch darin erkennen. Das Schiff, so prächtig es auch ist, scheint plötzlich die Schwere ihrer eigenen Enttäuschung widerzuspiegeln. Ein seelenloser Metallberg, der sich von den Wellen des Meeres abhebt, ohne zu wissen, was unter ihnen lauert. Irgendetwas in ihr verkrampft sich beim Anblick dieses Dampfers. Sie mag den Imperator nicht mehr.
Ihre Finger verkrampfen sich leicht zu einer Faust. Sie weiß, dass etwas nicht stimmt. Ihre Gedanken fliegen zurück zu Iggy Pop, mit dem sie gestern Abend gesprochen hat. Die Worte, die er sprach, klingen noch in ihren Ohren. Schwer wie der Koloss von Dampfer.
Er wurde abgewählt, wusstest du das nicht? Schon vor Wochen!
Die Nachricht hat sie hart getroffen, viel härter als sie es zugeben würde. Ihr Olaf, der immer unersetzlich schien, den alle liebten, den alle umgarnten, der Tag und Nacht im Kanzleramt schuftete – ein Lügner? Wie der Imperator erscheint Brigitta ihr Mann nicht mehr als das, was er einstmals war.
Sie schließt die Augen und atmet tief ein. Der Duft der Wohnung hat sich nicht verändert, doch in ihr selbst hat sich ein Wandel vollzogen. Ihr Misstrauen hat sich nun wie ein Schatten über ihr Herz gelegt.
Warum will er denn Zigaretten holen gehen?
Sie blickt nach draußen, auf den Kiesweg, dann zum Ende der Straße, wo sein Wagen bald verschwinden wird. Zigaretten. Er, der nie geraucht hat. Noch nie. Und jetzt? Warum diese Lüge, diese schnelle Flucht? Was ging da vor? Was hatte Olaf zu verbergen?
Ihre Augen blitzen auf, als ihr Blick sich wieder auf den Wagen richtet, der sich rasant weiter entfernt. Sie sieht ihn, wie er davonrauscht, das silberne Auto im schwindenden Licht der Dämmerung, die Scheinwerfer wie zwei Augen, die sich in die Nacht bohren. Die Frage brennt heiß in ihrem Inneren – Wo hat er bloß die ganze Zeit gesteckt?. Der Anblick wie er heimlich durch das Haus schlich, als ob er sie nicht hat sehen wollen, bringt ihren Puls zum Schlagen. Etwas stimmt hier nicht. Etwas stimmt gewaltig nicht.
Mit verschränkten Armen bleibt Brigitta vor dem Küchenfenster stehen und starrt hinaus. Ihre Augen fixieren noch immer die Rücklichter seines Wagens. Bis sie sich langsam im Dämmerlicht verlieren, bis sie nur noch ein kleiner Punkt in der Dunkelheit sind. Die letzten Reste des Lichts verschwinden, und die Nacht legt sich wieder wie ein schwarzes Tuch über Potsdam. Die Fragen häufen sich, wirbeln in ihrem Kopf, verschlingen sich zu einem dichten Nebel.
Was ist los? Was geht hier vor? Und warum fühlt sich die Stille im Haus plötzlich so bedrohlich an?
Der Wind zieht durch die Zweige der Bäume draußen, rüttelt an Fenstern und Türen. Hinter ihr tickt leise die alte Küchenuhr an der Wand. Ruht der Imperator in seinem Rahmen. Brigitta atmet tief ein, lässt die Luft sich in ihrer Brust sammeln. Ihre Gedanken wirbeln, und ein kaltes Gefühl kriecht in ihr Innerstes. Sie weiß, dass sie bald Antworten finden muss. Finden wird. Aber zu welchem Preis?
Abspannmusik
Live for yourself, it’s a wonderful thing
You can do what you want, you can live in a dream
Get up, get in, get the rhythm, get down
You’re living your life in peace and in harmony
You making your own decisions
That’s how it’s got to be for you and me
So many people are running around and ‚round
Without no sense of logic
I see lies
In the eyes of a stranger
Whoa
You’ll be living in danger
…
Quelle: hier
Malz
Als Friedrich Malz kurz vor 20 Uhr das ARD-Wahlstudio betritt, weiß er, daß alles vorbereitet ist.
Die anderen sind schon alle da. Schloz, mit seinem Grinsen, bei dem man Angst haben muß, daß die Milch in der Kanne sauer wird. Zwieback, der aufgeblasene grüne Frosch, und die Alice Feudel von den Rechten.
Alles war so eingetreten wie in den Umfragen vorausgesagt. Nur daß dieser unmögliche Sonnekorn über fünf Prozent gekommen war, damit hatte niemand rechnen können. Jetzt saß der in der Runde und grinste ihn hinterhältig an. Haßerfüllt sah Malz hinüber. Wenn der ihn wieder mit seinem Spitznamen ansprach, dann würde er ihm die Wasserflasche an den Kopf werfen.
Er merkte, daß die Feudel ihm einen warnenden Blick zuwarf und unmerklich für die anderen den Kopf schüttelte.
„Herr Malz, Sie sind der Gewinner des Abends,“ sagte der Moderator, „die große Frage ist nun, mit wem Sie die neue Regierung bilden werden. Können Sie uns dazu etwas sagen?“
Malz sammelte sich. „Wir sind offen für alle Demokraten, die daran mitwirken, daß in Deutschland endlich wieder Recht und Gesetz auf der Straße durchgesetzt werden“.
Durch das große Fenster des Hauptstadtstudios hörte man die Sirene eines Polizeifahrzeugs, das draußen vorbeiraste.
Schloz und Zwieback, die sich beide Hoffnungen auf die Regierungsbeteiligung machen konnten, setzten staatsmännische Mienen auf. Sie kamen als nächstes dran und taten so, als ob ihnen das Wohlergehen der Bürger am Herzen läge und daß es ohne sie in der Regierung nicht ginge.
Malz hörte gar nicht hin. Ihm lag noch das demütigende Telefongespräch im Magen, das er kurz vor der Sendung mit seinem Chef gehabt hatte. Larry Pink hatte ihn aus dem New Yorker Hauptquartier von Blackcock angerufen. Er war zwar offiziell nicht mehr Vertreter von Blackcock, aber die Firma war wie die Hundescheiße auf den Berliner Straßen. Man kriegte sie nie wieder von den Hacken.
„Fritzchen“, hatte Pink gesagt, er sagte immer „Fritzchen“, fast wie dieser Sonnekorn. „Wir wissen alle, daß du zu dämlich für den Job des Kanzlers bist. Aber das macht nichts. Die anderen sind auch nicht besser, und du hast ja mich. Also hör gut zu, wir haben einen Plan …“
Vor dem Studio raste ein Krankenwagen mit Sirene vorbei.
Malz sah unauffällig auf das Display seines Smartphones. In New York war die Regierungsbildung schon vorentschieden worden. Er war hier kaum mehr als ein wandelnder Kleiderständer. Natürlich fand er die Entscheidung richtig. Die Demokratie bedurfte einer Auffrischung. Es ging nicht so weiter, daß die Leute bei Wahlen abstimmten wie sie wollten. So wie man es in Rumänien gemacht hatte, so war es richtig.
Jetzt redete dieser Sonnekorn. Er erklärte sich bereit zur Regierungsbildung. „Ich strebe die Kanzlerschaft an und biete dem Herrn … ähm … Malz das Amt eines Sonderbeauftragten für öffentlichen Grünanlagen an. Ich bin sicher, daß das seinen Fähigkeiten und Wünschen entspricht.“
Im Studio entstand Unruhe. Draußen raste ein Feuerwehrwagen vorbei. Der Moderator kruschtelte in seinen Unterlagen und sah irritiert zur Regie hinüber.
Grünananlagen? War der jetzt völlig durchgeknallt? Es war wirklich Zeit, daß da durchgegriffen wurde. Malz sah hinüber zu der Feudel. Die wußte offenbar auch schon Bescheid. Kein Wunder, die hatte als Bankerin mit Sicherheit auch längst schon Fäden zu Blackcock geknüpft. War sie etwa schon vor ihm von Larry Pink ins Bild gesetzt worden? Malz traf diese plötzliche Erkenntnis wie ein Schlag. Plötzlich war er zutiefst verunsichert. War ihm hier etwa die Rolle zugewiesen, die mal dieser Hugenberg gespielt hatte?
Draußen raste jetzt ein Feuerwehrwagen nach dem anderen vorbei.
Ein Regieassistent reichte dem Moderator einen Zettel. „Meine Damen und Herren,“ sagte der, „ich erhalte soeben eine wichtige Nachricht.“ Der Moderator sah entsetzt in auf seinen Zettel.
„Der Reichstag brennt!“
Im Studio entstand nun ein Höllenspektakel. Schloz und Zwieback standen mit offenem Mund da. Es dämmerte ihnen, daß sie aus dem Spiel waren. Hier waren höhere Mächte am Werk.
Der Moderator versuchte mit erhobener Stimme gegen den Lärm anzukommen: „… verwirrter Einzeltäter … Sicherheit der Bevölkerung jederzeit gewährleistet … Türen und Fenster schließen …“ und so weiter.
Da kam das Signal auf das Smartphone von Malz. Er streckte sich und schaffte energisch Ruhe. „Das ist ohne Zweifel das Werk linksradikaler Kräfte im Auftrag des Kreml. Hier muß Remedur geschaffen werden. Ich werde am ersten Tag meiner Kanzlerschaft Verordnungen erlassen, die ein für alle Mal diesen Terroristen das Handwerk legen. Schon Morgen werde ich eine Regierung des nationalen Notstands bilden, mit der starken Mehrheit aller wahrhaft staatserhaltenden Kräfte“.
Wie auf ein Kommando blickten alle zu der Feudel hinüber, die nun lächelnd aufstand und spöttisch zu Malz sagte: „Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“.
Ömpf. Was soll uns dieses Kunstwerk? Resignation? Rettung durch die wokgrüne Blase? Oder der Nachweis, daß die Deutschen für einen Umsturz zu dämlich sind? Siehe Lenin: Bevor der deutsche Revolutionär einen Bahnhof stürmt, kauft er sich eine Bahnsteigkarte…
ENDE
Hatte ich glatt übersehen.
Sollte das nicht unter Kurzgeschichte laufen?
Ist das für die Generation der Bologna-Akademiker schon ein Roman?