
In einer kleinen Hütte im Wald finden Chris, Sybille, Jan Friedrich und Jule schließlich den verletzten Felix. Jule bemächtigt sich der Waffe und droht, alle zu erschießen. Nur die Selbstlosigkeit Sybilles und die Menschlichkeit Jan Friedrichs rettet schließlich alle – auch wenn es nach außen hin der Kanzler Jakob Mauder ist, der sich als rettender Held inszeniert.
Nein, es ist kein schöner Anblick, der sich ihnen bietet. Felix, wie er in einer Ecke am Boden liegt, mit einem ausgekugelten Fuß, seine Beine voll von Schürfwunden, die er sich zugelegt hat, als er durch das Dickicht gestolpert ist. Aber es ist ein Anblick, der Chris vor Glück sein Herz fast zerspringen lässt. Felix lebt!
Chris legt sein Gewehr ab und will seinen Sohn hochheben. Ihn in die Arme schließen, ihn nie wieder loslassen.
„Sie sollten vorsichtig sein, vielleicht hat er sich etwas gebrochen. Wir müssen die Polizei rufen. Hat jemand ein Handy, das hier funktioniert?“
„Ich!“, sagt Sybille und will gerade die Notrufnummer tippen, als sie plötzlich sieht, wie Jule sich auf das Gewehr gestürzt hat und sich nun als irrgewordener Racheengel in den Eingang stellt hat und alle bedroht.
„Niemand ruft hier irgendwen an!“
„Jule, was soll der Scheiß!“, sagt Philipp.
„Du hältst die Klappe, du Verräter!“
„Du bist die Verräterin. Du hast gesagt, dass du nicht an Gewalt glaubst. Du hast gesagt, dass nur eine PR-Aktion sein sollte, du hast uns alle verraten, die Bewegung, alles …“
„Halt endlich den Mund!“, schreit Jule. „Und du, geh da weg“, sagt sie zu Chris. „Er gehört mir!“
„Nein“, sagt Chris, der sich schützend vor seinen Sohn stellt.
Jules Augen zucken kurz. Dann drückt sie ab.
Für einen Moment halten alle die Luft an. Auch Jule, die nicht weiß, wo genau sie Chris getroffen hat.
Dann sinkt Chris nach hinten auf seinen Sohn. Aus seiner Schulter beginnt Blut zu rinnen.
„Du bist doch völlig wahnsinnig!“, schreit Philipp und will nach vorne treten.
Da legt Karl-Friedrich seinen Arm vor Philipp und drückt ihn sanft zurück.
Stattdessen ist er es, der sich jetzt nach vorne stellt. Zwischen Chris und Jule.
Sieht Jule ins Gesicht, obwohl das Gewehr nur ein paar Meter vor ihm ist.
„Ich spreche jetzt zu Ihnen von Mensch zu Mensch“, beginnt er.
Sybille kann hören wie hinter der Festigkeit seiner Stimme ein kaum wahrnehmbares Zittern zu vernehmen ist. Ein Zittern, das seine Verzweiflung verrät. Eine Verzweiflung über Jule, über die Gewalt in diesem Raum, vielleicht auch über die Gewalt in der gesamten Menschheit. Was ihm in diesem Moment trotz zittriger Stimme eine Art würdevolle Aura verleiht.
„Wir können das Ganze hier überstehen, aber dafür müssen wir uns jetzt alle besinnen. Sie, ich und alle in diesem Raum. Weil wir in dieser Sache zusammenstecken. Wir sind verbunden. Als Menschen verstehen Sie das? Als Menschen, die sich hier und jetzt ins Antlitz schauen“
Sybille sieht ihren Mann an.
Sie ist sich nicht sicher, ob das Mädchen versteht, was er da sagt. Sie ist sich selbst nicht sicher, was er mit dem „verbunden“ meint. Alles, was sie sieht, ist, dass sich ihr Mann vor jemanden gestellt hat, der ein Gewehr in der Hand hat und nicht zurückschreckt, es zu benutzen, und er trotzdem vor diesem Menschen steht und an ihre Menschlichkeit appelliert. Und sie weiß, dass sie in diesem Moment diesen Mann noch nie so sehr bewundert hat, wie jetzt.
Jakob Mauder hat den leitenden Kommissar darum gebeten, im Helikopter mitfliegen zu dürfen, der sich jetzt auf den Bauernhof zubewegt, aus dem gerade ein Schuss vernommen wurde. Es sei nicht wirklich regelkonform, meinte er, traute sich aber dann doch nicht zu widersprechen. Ihm, dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Als die drei Helikopter landen, stürmen sofort die SEK-Polizisten raus und umzingeln den Bauernhof.
„Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus und leisten Sie keinen Widerstand“, sprechen sie durch ihre Anlage.
Die Polizisten haben Helme auf, auf denen Kameras montiert sind. Jakob Mauder kann nicht umhin, die Routiniertheit und Professionalität der Polizisten zu bewundern. Inbegriff des funktionierenden Rechtsstaates. Im Augenblick das Wichtigste, das die Demokratie retten kann.
Später wird sie sagen, dass alles viel zu schnell ging. Viel zu schnell, um eine Heldin zu sein. Dass es fast unbewusst geschehen ist. Wie sie gehört hat, wie Jule nachgeladen hat, wie sie in ihrem Kopf innerhalb von Millisekunden durchgespielt hat, wie es weitergeht, dass also erst Karl Friedrich erschossen am Boden liegen würde, als nächster dann ihr eigener Sohn und die Vorstellungen allein gereicht habe, hier und jetzt mit ihrer ganzen Kraft die Machtverhältnisse umkehren zu wollen.
Sie wird sagen, dass sie sich praktisch gar nicht erinnern kann, sich auf das Mädchen gestürzt zu haben. „Wie eine Löwin“, das werden die anderen später über sie sagen. Weil man das ja kennt, die Löwinnen, die sich plötzlich mit ihrem ganzen Körper auf ihre Beute stürzten und mit ihr eins werden, weil es in diesem Moment nichts anderes gibt als sie und ihre Beute.
Andere werden sagen, dass es so überraschend kam, dass sie gar nicht eingreifen konnten, weil die beiden Frauen, die da miteinander kämpften, so stark miteinander verhakt waren wie zwei Urgewalten, man hätte auch gar nicht gewusst, was man tun soll. Auf jeden Fall, so werden sie sagen, habe sich plötzlich Sybille auf das Mädchen gestürzt, sie hätten gekämpft und am Boden gelegen, hätten geschrien und sich gekratzt. Und dann hätten alle zugesehen, wie Sybille Jule zu Boden geworfen hat und sich auf sie gesetzt hat, ihre Hände hart auf den Boden gedrückt hat und dabei ihre Zähne gefletscht hat. Wie eine Löwin eben, so sei Sybille gewesen, unerschrocken und wild, bis sie Jule das Gewehr aus der Hand gerissen habe, wo Philipp es an sich genommen und gerufen hat: Ich habe es.
Genau in dem Moment, in dem die Polizisten auf einmal gesagt haben, sie sollten rauskommen und ihre Waffen niederlegen und jeder auf Philipp geblickt hatte, weil er gesagt hatte, ich geh da jetzt alleine raus und er und seine Mutter sich nur kurz angesehen hatten, um sich gegenseitig zu bestätigen, dass sie es waren, die gesiegt hatten, und nicht das verrückte Mädchen und dass jetzt alles gut werden würde und Philipp rausgegangen war.
Jakob Mauder kennt das aus Filmen. Dass Polizisten rufen, man soll Waffen niederlegen. Und dann der Bösewicht kommt, und es dann erst das richtige Gemetzel gibt. Jakob Mauder hat vom Polizeikommissar eine Weste bekommen. Eine dicke Schutzweste, mit der man zwar schlecht atmen kann, aber die Leben rettet. Trotzdem hält er jetzt die Luft an, als Philipp Löwenstein, einer der Entführer mit einem Gewehr aus der Hütte kommt.
„Legen Sie ihre Waffe nieder!“, schreit ein Polizist und Philipp Löwenstein legt das Gewehr auf den Boden.
Sofort kommen zwei Polizisten auf ihn zu, beginnen ihn zu durchsuchen und machen dann ein Ok-Zeichen zum Polizisten.
Der Polizeikommissar geht auf Philipp zu.
„Wo ist Felix?“
„Da drin“, sagt Philipp und zeigt auf den Schuppen.
„Ist er verletzt?“
„Nein … das heißt, er sieht schwach aus, aber verletzt … ich weiß es nicht“
„Wer ist noch bei ihm?“
„Jule … meine … meine Ex Freundin. Und sein Vater. Und meine Eltern …“
Der Kommissar sieht Philipp ungläubig an.
„Hat jemand da drin noch eine Waffe?“
Philipp, der jetzt erst bemerkt, dass der Bundeskanzler in unmittelbarer Nähe zu ihm steht, schüttelt den Kopf.
„Hat irgendjemand noch eine Waffe? Antworten Sie!“
„Nein!“, ruft Philipp laut.
„Ok“, sagt der Kommissar und nickt einem der Polizisten zu,
„Wir gehen rein.“
„Warten Sie!“, sagt Jakob Mauder plötzlich.
„Wie meinen Sie das?“
„Ich möchte als erster mit den Personen sprechen.“
„Das … das kann ich nicht zulassen. Der Junge könnte lügen, Sie könnten in Gefahr geraten.“
„Ich ordne es an. Als Bundeskanzler.“
Der Kommissar zögert. Kanzler oder nicht. Niemand kann sich einfach so in den Dienstablauf der Kriminalpolizei einmischen.
Plötzlich vernehmen sie Geräusche, die aus dem Wald kommen. Die Polizisten sind sofort in Habachtstellung. Haben die Entführer Unterstützer? Werden sie umzingelt?
Die Polizisten richten ihre Pistolen auf die Menschen, die aus dem Wald kommen.
„Alles gut, es sind die Leute von der Presse!“, ruft ein Polizist plötzlich.
„Was verdammt noch mal sucht die Presse hier?“, schreit der Kommissar. „Das hier ist kein Film! Wir sind mitten in einer Rettungsaktion“, schreit er den Reportern zu, die bereits ihre Kameras und Fotoapparate gezückt haben und alles aufzeichnen.
Was der perfekte Moment für Jakob Mauder ist. Weil es genau der Moment der Unachtsamkeit von Seiten der Polizei ist, in dem niemand ihn zurückhalten wird. Und so betritt Jakob Mauder – das können alle bezeugen, die da gewesen sind sowie natürlich die Fotos und Filmaufzeichnungen – ganz alleine den Ort, an dem die Entführerin sich mit dem vermissten Jungen aufhält.
Jakob Mauder mit einer Sicherheitsweste im Wald.
Jakob Mauder, der als erster die Hütte betritt
Jakob Mauder, wie er den Jungen auf den Armen nach draußen trägt.
Jakob Mauder. wie er später die Faust in die Höhe reckt.
Jakob Mauder, Jakob Mauder, Jakob Mauder.
Die Zeitungen sind voll davon.
Die Social-Media-Kanälen sowieso.
Das Bild des Kanzlers, der das Kind vor den Linken rettet, geht um die Welt.
Ab da wird es plötzlich ganz leicht, das Reichstagsgelände zu räumen.
Weil niemand mehr sich zu ihnen gesellt.
Weil viele freiwillig gehen.
Und weil die, die bleiben, sich nun leicht vertreiben lassen.
Weil ihnen der Zündstoff fehlt.
Und weil Jakob Mauder jetzt der Held Deutschlands ist, und sie nichts dagegen machen können. Nicht einmal Jakob Mauder selbst.
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Da mein Nachbar die Tage auf Montage ist und ich wie gesagt nix selbst zu Breaking Schloz beitragen will, einfach geschwind was anderes. Etwas worüber man einen eigenen Roman schreiben könnte, nein müsste:
Keine weiteren Fragen, euer Ehren! Und das waren jetzt nur meine persönlichen Highlights, Moneyquotes. Der Artikel geht noch länger, wer ihn lesen will, weiß wo er ihn findet. Macht was draus und sei es eine Tüte.
Ist das das, was man allgemein unter „Stammeln“ versteht? In diesen Zeiten doch reiht man sich mit diesem Schwall sehr gut in den gefügigen Mainstream ein: konsequent. Tusch! Ein Hoch auf den verantwortungsbewussten Chefred – zumal immer noch pointenreicher als Ms Vidans Tatort… 🙂
Aus einem Kommentar zu diesem Interview mit Neuber geklaut (Erstaunlicherweise sind da sogar Kommentare zugelassen):
Köstlicher Punkt. 🍿
Und ansonsten: Danke für den Hinweis! 😊 Ich hatte gar nicht nach Kommentaren geguckt, da ich irgendwie erwartete, dass der Artikel keinen Kommentarbereich haben würde. Noch mehr verwundert hat mich, dass dann die Löschorgie noch nicht (so richtig?) eingesetzt hat. Solche Ketzereien müsste man doch zensieren:
Ansonsten ist das Geschwafel von Neuber natürlich nicht nur traurig, sondern irgendwo auch wieder 🍿 verdächtig. So was hier hätte ich natürlich noch hinzunehmen können:
Gewinnbringende Debatten fördern! Jawohl! Ein Forum für die Guten und Treuen und für den Rest gibt’s: ✂️✂️✂️
Ich gebs ja zu, ich habs nach Beginn des 2. Absatzes nur quergelesen. Aber ich konnte mich dabei des Eindrucks nicht erwehren, der Scheffred und der Kokainski müssen Gemeinsamkeiten in der Freizeitgestaltung haben um solche Texte formulieren zu können.
Hoffentlich isser nicht so staatstragend daß ich mir bis morgen einen modischen Bademantel kaufen muss.
Geht, doch schöne Parabel…kicher