
Chris, Philipp, Sybille und Jan Friedrich fahren gemeinsam zum Landhaus. Als sie ankommen treffen sie auf Jule, die stammelnd und psychisch zerstört auf dem Boden liegt. Chris findet ein Gewehr und hält es auf Jule. Er zwingt sie, aufzustehen und vorauszugehen, um Felix zu suchen.
Jetzt sind sie hier. In ihrem Wohnzimmer. Ihr Mann Karl-Friedrich, ihr Sohn Philipp, Chris, ihr Liebhaber für einen Nachmittag, und sie. Was für eine seltsame Zusammensetzung. Warum musste ihr Sohn ausgerechnet den Sohn ihres Liebhabers entführen?
Sybille traut sich nicht, Chris in die Augen zu sehen. Auch Chris sieht sie nicht an. Aus welchen Gründen auch immer. Wahrscheinlich sieht sie schrecklich aus. Ungeschminkt und voller Sorgenfalten. Sie schämt sich, dass sie in so einem Moment an ihr Aussehen denkt.
Als Chris ihren Sohn ins Gesicht geschlagen hat, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Ihn zurückhalten, sich schützend vor ihren Sohn stellen? Philipp hatte sich nicht gewehrt. Fast kam es ihm vor, als habe er den Schlag erwartet. Chris hatte es bei einem Schlag belassen. Sie konnte sehen, dass er seine ganze Kraft mobilisieren musste, um nicht weiter zu schlagen. Sie ist ihm dankbar dafür.
Jetzt steigen sie ins Auto. Chris vorne am Steuer, Karl-Friedrich rechts von ihm. Hinten Sybille und Philipp. Sprechen tut niemand. Die Stille kaum zu ertragen. Weil sie Platz lässt für so viele Gedanken. Gedanken daran, dass der Junge tot sein könnte, dass Philipp für Jahre ins Gefängnis muss.
Schließlich macht irgendwer das Radio an.
Die Rechten haben das Reichstagsgelände belagert. Irgendeine Gruppe, die angeblich ein Adeliger leitet und die sich „Freunde der Freiheit und Recht für Deutschland“ nennt. Sie haben Zelte aufgebaut. Die Polizei fürchtet, dass sie darauf warten, dass sich immer mehr Menschen ihnen anschließen, weil die Gruppe auf den Social Media Kanälen genau das fordert.
Bislang versuchen sie, die Gruppe mit friedlichen Mitteln zu vertreiben, was sich aber als schwierig erweist.
„Das ist unglaublich“, sagt Sybille. „Was wollen diese Leute?“
„Das, was sie sagen: Freiheit, Anstand und Recht“, sagt Karl-Friedrich. Er bemüht sich seiner Stimme einen festen Klang zu geben, aber Sybille kann spüren, dass seine Stimme bröckelt.
Dann sprechen sie von irgendeinem Post, der den Startschuss gegeben haben soll. Der vom Vater des vermissten Kindes gewesen sein soll. Der Vater des vermissten Kindes?
Im Auto scrollt sie so lange bis sie den Post sieht. Sie klickt drauf. Dreht den Ton auf:
Heute ist der 21. Mai. Es ist drei Tage her, da ist mein Sohn Felix entführt worden, Felix ist 14 Jahre alt. Er spielt gerne Fußball, er hat bis vor kurzem Pokémon-Karten gesammelt…..
Sie dreht den Ton so laut auf, dass alle ihn im Auto hören.
„Das … ist von dir?“, fragt Sybille.
Was eine idiotische Frage ist, aber sie weiß nicht, was sie sonst sagen soll.
„Ja“, sagt Chris, ohne sich umzudrehen.
Auch Karl-Friedrich schweigt.
Sybille sieht Philipp an, der aber nur mit zusammengekniffenen Lippen aus dem Fenster blickt. Sybille hat den Eindruck von drei Irren umgeben zu sein.
Philipps Unterkiefer schmerzt. Dabei wünscht er sich, Chris hätte ihn noch härter und noch mehr geschlagen, am besten richtig zusammengeschlagen. So dass er Wochen brauchen würde, um wieder aufrecht gehen zu können. Er kann Chris nicht einmal den Post verübeln, der dafür verantwortlich ist, dass die Sache mit Reichstag ins Laufen gekommen ist.
Er weiß, wie das ist, wenn man aus Liebe Fehler begeht.
Außerdem ist ihm Deutschland im Moment egal.
Alles, was er will, ist, dass sie den Jungen finden. Chris‘ Sohn. Der einen Namen hat: „Felix“.
Nicht irgendein beschissenes Symbol ist für irgendetwas.
Sondern ein Mensch.
Chris will es sich nicht zugestehen, aber es hat ihm gutgetan, den Jungen zu schlagen. Am liebsten hätte er ihn noch mehr geschlagen, aber er weiß, dass der Junge seine einzige wichtige Hilfe im Moment ist, also hat er es bei einem Schlag belassen.
Was er nicht versteht, ist, wie der Junge mit Karl-Friedrich zusammenhängt. Kann es wirklich nur ein Zufall sein? Dass ausgerechnet der Sohn jenes Mannes, der ihn zu diesem Post überredet hat, die Tat begangen hat, die nötig war, damit Chris den Post verfasst?
Er wird ihn nachher fragen. Jetzt gilt es, Felix zu finden.
Chris glaubt fest daran, dass sie ihn finden werden.
Nein, er weiß es.
Sie werden ihn finden.
Er ist sich in seinem ganzen Leben nie sicherer gewesen. Wir werden ihn finden. Ich werde ihn finden. Immer wieder sagt er das zu sich. Ohne zu merken, dass er die Worte wiederholt wie ein Gebet.
Als sie am Bauernhof ankommen, sehen sie eine Gestalt, die schwankend vor der Eingangstür steht.
Es ist Jule.
„Jule“, ruft Philipp.
„Wer ist das?“, fragt Chris.
„Das Mädchen, das deinen Sohn entführt hat“, antwortet Karl-Friedrich.
Chris sieht Jule an. Ihre Haare sind zerzaust, an ihren weißen Armen sind blutige Kratzspuren.
Als sie aussteigen, ist Philipp der erste, der aussteigt und auf sie zurast. Er spürt die Wut in ihm. Eine Wut, die so groß ist, dass er auch ihr am liebsten ins Gesicht schlagen möchte. Es ist Karl-Friedrich, der ihn zurückhält. Weil er weiß, dass sie jetzt Informationen brauchen und keine Rache.
Chris stellt sich drohend vor Jule.
„Wo ist er?“
Sie sieht ihn mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck an.
„Wer?“
„Du weißt genau, von wem ich spreche. Mein Sohn!“
Mein Sohn sagt der Mann. Als ob er ihm gehören würde. Dabei gehört er ihr. Auch wenn er sie verlassen hat. Und alles kaputt gemacht hat.
„Ich weiß es nicht“, sagt Jule. „Er ist von mir weggegangen.“
„Was zum Teufel heißt das?“, schreit Chris sie an.
Jule wirft ihm einen abschätzigen Blick zu.
„Warum zum Teufel lassen Sie zu, dass ihr Sohn zu den Rechten geht?“, schleudert sie Chris entgegen.
Chris macht einen Schritt auf sie zu und sieht sie drohend an.
„Wage es nicht … Wo ist er?“, schreit er
Jetzt sackt Jule plötzlich auf den Boden und anfängt zu wimmern.. „Ich weiß es nicht …“
„Was verdammt noch mal soll das heißen? Irgendwo musst du ihn ja hingebracht haben!“
„Ich … ich bin mit ihm zu der Hütte gegangen…da im Wald?“, sagt Jule jetzt stotternd und deutet in eine Richtung.
„Und dann… dann ist er weggelaufen.“
Philipp sieht auf Jule herab. Auf dieses Mädchen mit den hellen Haaren und dem schmutzigen T Shirt, das da im dreckigen Boden kauert. Und dieses Mädchen, denkt Philipp, habe ich einmal geliebt.
„Ich traue ihr nicht. Wir durchsuchen das Haus.“
Sybille nickt.
„Ich passe auf sie auf“, sagt Karl-Friedrich.
Sybille geht mit Philipp und Chris durch das Haus.
Ein großes düsteres Haus mit dunklen Möbeln, das Sybille augenblicklich unsympathisch ist.
Immer wieder rufen sie Felix’ Namen, gehen in jedes Zimmer. Aber da ist nichts.
Im Wohnzimmer sehen sie den Stuhl, um den ein weißer Strick baumelt. Es riecht nach Urin. Sybille kann sehen, wie sich Chris Augen verhärten.
„Ich glaube, das Mädchen hat die Wahrheit gesagt, wir sollten ihn im Wald suchen.“
„Ich mach noch eine letzte Runde“, sagt er.
Als Chris zu den anderen nach draußen kommt, hat er ein Gewehr in der Hand.
„,Chris! Woher haben Sie das?“, entfährt es Sybille, die Chris nun siezt.
„Habe ich unten in Keller gefunden.“
„Ist es geladen?“
Chris hält es in der Höhe und zieht am Lauf. Ein Schuss geht los. Die Explosion hallt allen in den Ohren nach.
„Ist es!“
„Seien Sie vorsichtig damit, Chris.“
„Wir suchen ihn jetzt. Und du“, sagt er zu Jule, während er mit dem Gewehr auf sie zeigt, „gehst vor!“
Jule, die ihn jetzt mit weit aufgerissenen Augen ansieht, steht wankend auf und stellt sich an die Spitze des seltsamen Suchtrupps, der sich jetzt Richtung Wald in Gang setzt.
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Die Juden haben am Sonntag drei Polizeibeamte in einem anderen Land umgebracht.
Das geschah nachdem die Palästinenser am Vortag drei Gefangene freigelassen haben.
Gesehen haben wir das die Juden also Wortbruch begehen (sich an den Waffenstillstand nicht halten) und dass auch sonst von Abmachungen mit ihnen nicht viel zu halten ist.
Palästinenser mussten jedenfalls mehr als einer nach der Freilassung direkt in ein Krankenhaus zur Behandlung gebracht werden. Unter anderem weil sie in den Gefängnissen geschlagen und ihnen ärztliche Versorgung vorenthalten wird.
Gross wäre der Aufschrei gewesen und in den westlichen Medien hätte man es lesen können wenn man die jüdischen Gefangenen so wie die Palästinenser behandelt hätte.
@Temolo
Was hat das mit der Erzählung zu tun ?
Richtig ist der Kommentar trotzdem. Man kann diese Doppelmoral und notorische Falschheit nicht oft genug anprangern.
Ich komme nicht dazu die Geschichte intensiv zu lesen, habe da leider zu wenig Muße dazu.
„Ist es geladen?“
Chris hält es in der Höhe und zieht am Lauf. Ein Schuss geht los.
Also, ich bin sicher daß ich in mehreren Jahrzehnten Umgang mit Feuerwaffen aller Art noch keine gefunden habe, die durch Zug am Lauf ausgelöst wird. Ist vermutlich besser, daß die Autorin ein Pseudonym verwendet.