Harte Zeiten, Folge 20 — Todesangst

Harte Zeiten, Spreeufer
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Nachdem ein junger Rechter auf einer Demo verschwunden ist, macht sich Jakob, der Turnschuhkanzler, Sorgen. Zur gleichen Zeit findet sich Felix, der entführte Junge, mit verbundenen Augen auf einem Stuhl gefesselt in Todesangst, während sein Entführer Philipp zu zweifeln beginnt, ob die Entführung wirklich eine gute Idee gewesen ist.

 

Normalerweise würde man ihn wegen so etwas nicht behelligen.

Besonders Jugendliche verschwinden die ganze Zeit und tauchen 24 Stunden später wieder auf. Diesen Fall aber wollte man ihm melden. Weil der Junge auf der Demo der Rechten gewesen ist. Und man nicht ausschließen kann, dass die Entführung in diesem Fall politisch motiviert ist. Was bedeuten kann, dass eine Terrorgruppe versuchen wird, die Regierung zu erpressen. Was Jakob nicht glaubt.

Gemälde mit Kartoffelpüree bewerfen oder irgendwelche Sitzungen stören ist das eine. Jemanden zu entführen ist etwas anderes. Passt nicht zum Stil der FCFW-Leute.

Die Demos der Rechten beginnen, das Land zunehmend aufzuwühlen. Als würde sich die Gesellschaft selbst schaden wollen. Jetzt wo doch alles gut gehen kann.

Jakob Mauder glaubt, dass die Rechte das Erbe der dunklen Vergangenheit seines Landes ist. Völkische Ansichten, Angst vor allem Fremden. Und die Sehnsucht nach Ordnung. Nach klaren Regeln. Gehorsam. In seinem Dorf, in dem er aufgewachsen ist, gab es sie auch, die Männer, die der alten Zeit nachtrauerten. Einer Zeit, die sie selbst gar nicht mehr erlebt hatten, aber in die sie sich hineinfantasierten. Die in der Wirtschaft saßen und große Reden schwangen. Schon als Kind waren sie ihm unsympathisch. Auch wenn er nicht verstand, was sie sagten.

Es waren es nicht zuletzt diese Männer, die ihn zu dem festen Entschluss brachten, so schnell wie möglich sein Dorf zu verlassen. Jetzt waren sie wieder da. Die Leute aus dem Dorf. Und wollten ganz Deutschland zu einem Dorf machen. Aber das würde ihnen nicht gelingen.

 

Felix sitzt auf einem Stuhl. In irgendeinem Haus. An irgendeinem Ort. Er hat die Augen verbunden und hat Angst. Er weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Irgendwann war da diese Frau. Dann kam ihr Freund und hatte ihm etwas von einem Jugendtreffen erzählt. Sie wollten ihm etwas geben. Ab da verschwimmt alles in seiner Erinnerung.

Er hat Angst. Er hat Angst, dass die verrückte Frau ihm einen Finger abschneidet. Angst, dass sein Handgelenk für immer taub bleibt. Er hat Angst vor dem, was kommt. Er hat Angst zu sterben.

Er wurde entführt. Normalerweise wollen Entführer Geld. Die Frau hat gesagt, dass es ihnen nicht um Geld geht, sondern darum, ein Zeichen zu setzen. Weil wir uns im Krieg befinden. Im Krieg gegen den Faschismus. Er hat nichts von dem verstanden, was sie gesagt hat.

Er fragt sie die ganze Zeit, was sie von ihm will. Weil, vielleicht könnten sie darüber reden und dann könnte er gehen. Aber sie sagt es nicht. Sie sagt immer, von dir will ich gar nichts. Außer dass du zur Besinnung kommst. Aber er versteht nicht, was sie damit meint.

Er würde gerne versuchen, mit dem anderen zu sprechen. Mit dem Typen, der auch dabei war. Aber er kommt nicht ins Zimmer. Nur sie kommt rein. Außerdem hat er Kopfweh. Und ihm ist immer noch schwindlig.

„Wir lassen dich schon wieder laufen“, hat sie vorhin gesagt. Vorhin? Oder war es vor ein paar Stunden? Er hat das Gefühl für Zeit verloren.

Er muss an seinen Vater denken. Daran, dass es sein Job wäre, ihn zu beschützen. Aber dass er nicht da ist. Dass er nie da ist. Außer um ihm zu sagen, was er falsch macht. Er denkt an seine Mutter. Dass er sie liebt und er sie wiedersehen will. Und dass er nicht hier sterben will. Und dass er seine Hände wieder bewegen will.

 

Philipp reißt die Augen auf. Draußen ist es schon hell. Im Schnelldurchlauf geht er den letzten Tag durch. Gestern sind sie hier angekommen. Haben ihn im Wohnzimmer auf einen Stuhl gebunden. Dann hat Jule ihn gebeten, aus dem Zimmer zu gehen.

Sie wolle sich mit ihm unterhalten.

Er hatte genickt. Und hatte das Zimmer verlassen. Weil er ihre Entscheidung respektierte. War ja gut, wenn sie mit ihm redete. Seine Positionen hinterfragte. Ihn zum Nachdenken brachte. Trotzdem irritiert es ihn. Er muss hier raus, hatte er gedacht. Raus an die frische Luft. Sauerstoff atmen. Grüne Bäume anblicken. Bäume hatte er irgendwo mal gelesen, senkten den Blutdruck.

 

Aber die grünen Bäume hatten ihn nicht beruhigt. Auch nicht der Spaziergang entlang der Straße. Als er an eine kleine Waldböschung kam, entdeckte er einen Weg, der in den Wald führte. Aber der Boden war matschig. Also hatte Philipp Kehrt gemacht. War wieder ins Haus gegangen. Hatte weiter auf Jule gewartet.

Sie mussten doch reden. Die nächsten Schritte besprechen. Wann sie endlich die Posts starten würden zum Beispiel.

Weswegen sie das Ganze ja gemacht haben. Weil sie doch Aufmerksamkeit erregen wollten. Und eine Warnung aussprechen wollen. Aber sie war nicht gekommen.

Die Stunden vergingen. Aber Philipp traute sich nicht, reinzugehen.

Irgendwann gegen Abend hatte er sich in einem der Zimmer im ersten Stock hingelegt. Er hätte nicht gedacht, dass er einschlafen würde. Vor allem nicht in diesem Bett. Umgeben von diesen düsteren Reitergemälden. An fast jeder Wand hängen diese grässlichen Gemälde. Irgendwelche Szenen von Pferden, Reitern und Jagden. Das Familienhaus von Jule tropft vom Mief vergangener feudaler Zeit.

Ob Jule in der Nacht sich überhaupt neben ihn gelegt hat?

In der Nacht hat Philipp ihn weinen hören. Die ganze Zeit ging das so. Irgendwann ist er auf leisen Sohlen heruntergetapst, vorbei an den Gemälden, runter bis vor die Tür, die er nicht öffnen sollte und hat an der Tür gelauscht.

Er hat gehört, wie Jule ihn angeschrien hat. Dass er endlich mit der Heulerei aufhören sollte. Dass er „die Konsequenzen seines Tuns jetzt tragen“ müsste. Als ob sie ihn bestrafen wollte.

Jule hat gesagt, dass keiner von ihnen ins Gefängnis käme, wenn sie 24 Stunden nicht überschreiten. Dass es vielleicht unangenehm werden könnte, vielleicht eine Geldstrafe ja, aber kein Gefängnis. Und das ja auch nur, wenn man sie erwischen würde.

Philipp schaut auf die Uhr. Es ist 7 Uhr 30. Ihnen bleibt also nur noch ein paar Stunden, bevor sie in der Illegalität sind. Aber waren sie das nicht schon längst?

Was, wenn Jule gar keine Ahnung hatte. Oder das mit den 24 Stunden nur gesagt hatte, um ihn zu beruhigen? Und überhaupt, warum musste es ausgerechnet ein Teenager sein?

Jetzt hört er ihn wieder schreien. Es reicht, denkt Philipp. Als ob sie das hier ganz allein entscheidet. Wie ein Mafiaboss. Er rennt die Treppe herunter.

„Jule“, schreit er und pocht an die Tür des Arbeitszimmers, in dem Jule den Jungen hält. „Komm raus, ich muss mit dir reden!“

Jule kommt aus dem Zimmer gestürmt und rammt ihm ihre Faust in die Brust.

„Sag mal spinnst du“, schreit sie.

„Was ist denn?“

„Du hast meinen verdammten Namen genannt. Meinen echten.“

„Mann, Jule! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass das jetzt noch was ausmacht.“

Jule lässt ihren Blick panisch durchs Zimmer gleiten. Als suche sie einen Ausgang, eine Lösung.

„Was ist jetzt mit dem Clip …“

„Dem Clip?“

„Unsere Botschaft: Dass wir uns wehrhaft zeigen werden gegen die, die den Faschismus in diesem Land vorbereiten wollen. Der Clip, wegen dem wir den ganzen Scheiß hier gemacht haben, erinnerst du dich?“

„Lass mich in Ruhe“, schreit Jule.

„Was ist los mit dir Jule, zum Teufel?“

„Hau einfach ab, wenn es dir nicht passt“, sagt Jule und geht wieder zurück ins Zimmer.

Philipp bleibt vor der Tür stehen. Sein Körper bewegt sich nicht. In seinem Kopf aber rasen die Gedanken.

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8 Kommentare

  1. Die Menschenwürde und die Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung, Schutz vor Folter und Hinrichtung, ist nach moderner Auffassung zum einen der Wert, der allen Menschen gleichermaßen und unabhängig von ihren Unterscheidungsmerkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung oder Status zugeschrieben wird, und zum anderen der Wert, mit dem sich der Mensch als Art über alle anderen Lebewesen und Dinge stellt.

  2. In T19 nennt Jule Philipp beim Echtnamen.
    Jetzt ist Jule empört, dass ihr Echtnamen genannt wird.
    Der Autor sollte etwas konsistenter bei Schreiben sein.

    Und es wird so langsam arg bemüht.

  3. Warum gibt es hier so viele Kommentatoren, die meckern ? Es ist ein Roman und keine Wirklichkeitsdarstellung. Und, es wird langsam spannend, nicht bemüht. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitlesen.

  4. Gar nicht so weit hergeholt, die Dynamik zwischen Jule und Phillip. Sieht man in der linken Szene oft, dass Frauen etwas planen und Männer das dummdoof ausführen, weil sie ins Höschen der Alten wollen.
    Vor Gericht gibt es dann aber für die Männer die höhere Strafe, weil die konservativen Richter diese Dynamik nicht verstehen und immer noch glauben, dass Frauen die besseren Menschen sind. Gab es vor ein paar Jahren, da hat ein Paar eine Frau gefangen und gequält und während die Frau alles geplant hat und auch gequält hat, hat der Mann nur gefilmt. Trotzdem war die Strafe des Mannes doppelt so hoch wie die der Frau.

  5. Es ist richtig, das Jule Phillip in Folge 19 mit seinem echten Vornahmen, ja sogar vorstellt.
    Nur, ist das dem Phillip gar nicht bewußt, sonst hätte er auch Jule nicht so angesprochen.
    Das beweist aber, das Jule wohl ganz andere Prioritäten hatte, als sie Phillip gegenüber vorgab.
    Wenn die ihren Arsch retten wollen, müssen sie den Jungen diskret beseitigen, dort, wo ihn niemand findet.

  6. »Im Schnelldurchlauf geht er den letzten Tag durch. Gestern sind sie hier angekommen. Haben ihn im Wohnzimmer auf einen Stuhl gebunden. Dann hat Jule ihn gebeten, aus dem Zimmer zu gehen.«
    Bleibt nur die Frage: Mit oder ohne Stuhl am Hintern?

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