Harte Zeiten, Folge 12 — Transformationsberater

Harte Zeiten, Brandenburger Tor
Quelle: Pixabay

Sybille würde gerne ein neues Date mit Chris haben, dem Transformationsberater, mit dem sie vor ein paar Wochen Sex hatte – und fühlt sich verletzt, als dieser sich nicht mehr meldet.

Sybille hat ihren weißen Spitzen-BH angezogen und ihm eine Nachricht geschickt. Ihm, dem Mann, mit dem sie Karl-Friedrich vor drei Monaten untreu wurde und an den sie seitdem immer wieder denken muss.

Kennengelernt hatte sie ihn an dem Abend, an dem er zur Vernissage einer Performance-Künstlerin zum Thema „Ger-A-nie“ gekommen ist. Er war ihr sofort aufgefallen. Groß, schlank, mit einer Art inneren Anspannung, die sie in den Bann zog.

Eine Angespanntheit die wohl manche als Arroganz auslegen, doch sie hatte sofort verstanden, dass er einfach nur jemand ist, der auf der Suche nach etwas ist, das er neu begreifen und erobern muss.

Sie war es, die in einem geeigneten Moment auf ihn zugegangen war. Das Gesprächsthema war rasch gefunden, die Qualität der Performance, die Galerie, sein Bezug zur Kunst, aber es ging nicht um das, was sie sagten. Auf einer tiefen Ebene, einer animalischen, basalen Ebene merkten beide, dass da eine starke Anziehung zwischen ihnen entstand.

Sybille konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das zum letzten Mal gefühlt hat.

Nach den paar Sätzen, die sie miteinander getauscht hatten, trat eine Frau dazu. Seine Frau. Eine magere 30-Jährige, die irgendwas mit Film zu tun hatte. Sybille fand, dass sie nicht zusammenpassten. Allein schon körperlich. Sybille war in seiner Anwesenheit zu einem Panther geworden, der in der Lage ist, sexuelle Verbindungen förmlich zu riechen.

Sie war 53. Die Falten, die seit einigen Jahren fast wöchentlich mehr zu werden schienen, würden ihr nur noch wenige Jahre Attraktivität ermöglichen. In ein paar Jahren würde sie 60 sein. 60. Eine 60-jährige Frau. Hatte sie schon das Gefühl, dass die Unsichtbarkeit der Frau schon mit 40 eingesetzt hatte, wie würde es dann mit 60 sein?

Der Mann, der da vor ihr stand, ließ sie diese Gedanken vergessen. Sie fühlte sich jung.

Als die Frau zum Büffet gegangen war, gab sie dem Mann ihre Karte.

„Falls Sie mal Kunst kaufen wollen“, hatte sie gesagt und ihm dabei in die Augen gesehen.

Er wusste genau, dass das nur ein Vorwand war.

Jetzt war er es, der seine Karte herauszog.

„Falls Ihr Unternehmen sich transformieren muss“, sagte er.

Die Luft knisterte so sehr vor Anspannung, dass Sybille laut auflachen musste, um sie zu entladen. So laut, dass es Karl-Friedrich mitbekam. Aber er war ihr egal.

Am nächsten Tag hatte sie ihm eine SMS geschickt: Tea for two?

Sobald sie auf den Absende-Knopf gedrückt hatte, spürte sie wie ihr Herz zu rasen begann.

Würde er antworten? Wann würde er antworten? Was würde er antworten.

Sie fühlte sich wie ein Teenager.

Als schließlich die kurze Antwort kam: What time?, wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Vor zittriger Vorfreude. Vor Aufregung.

Und vor Lust.

Ja, Sybille will berührt werden. Von ihm. Mit Fingern, einer Zunge oder dem ganzen Körper. Körper auf Körper. Haut auf Haut.

Die erotischen Begegnungen mit Karl-Friedrich sind seit Jahren verebbt.

Und wenn sie stattfinden, sind die Bewegungen und Abläufe so routiniert, so erwartbar geworden, dass sie nichts mehr dabei empfindet. Seine Berührungen überraschen nicht mehr und lösen nichts aus.

In dieser Hinsicht ist gute Erotik wie gute Kunst. Gute Kunst erweckt Menschen aus ihrem sinnlichen Schlummer, sie rüttelt sie wach und auf, indem sie ihnen etwas Neues zeigt, etwas Unerhörtes und noch nie Gesehenes und Gedachtes und sie dadurch wieder lebendig macht.

Sybille ist zu jung, um sich alt zu fühlen. Sie will sich lebendig fühlen, ihre Körper spüren, berührt werden.

Wenn man jung ist, wird man ständig in den Arm genommen. Von den Eltern, den Freunden, seinen Geliebten. Wenn man dann selbst Mutter wird, sind es Kinder, die einen berühren, sich auf den Schoß setzen, kuscheln wollen. Dann werden sie älter, sie gehen aus dem Haus und man bleibt allein zurück. Der Mann hat schon lange vergessen, wie es ist zu berühren.

Als ob man aufhören würde, Berührungen zu brauchen, nur weil man Falten bekommt.

Seit Sybille den Mann in ihrer Galerie gesehen hat, spürt sie, wie sehr sie sich all die Jahre nach Berührungen gesehnt hat.

Der Mann, der sich der „Transformationsexperte“ nannte.

Was auch immer das bedeutete. Es war ihr herzlich egal, was der Mann beruflich machte. Alles, was sie wollte, war, mit ihm zu schlafen.

„Tea time is now“, hatte sie geschrieben.

Als er zwei Stunden später bei ihr aufkreuzte, war sie bereits so aufgeregt, dass sie ihre Erregung an ihrem Körper riechen konnte.

Sie war sich sicher, dass er es auch tat.

Sie sprachen nicht viel, sondern gingen nach hinten in die Büroküche, wo sie außer Atem übereinander herfielen.

Sybille spürte seinen Mund, seine Hände auf ihrem Körper und erwiderte sein Drängen mit ihrem Körper, ja ihrem ganzen Sein.

Es ging nicht um sexuelle Befriedigung, es ging darum, dem Körper das zu geben, was er braucht, dem ganzen Körper.

Als er wieder ging, sah er ihr in die Augen und nahm ihr das Versprechen ab, dass das, was da vorgefallen ist, nie passiert ist.

Sie hatte gelacht und „Von was redest du?“ gesagt.

In den darauffolgenden Tagen fühlte sie sich über den Boden schweben. Lebendig. Jung. Begehrenswert.

In den Wochen darauf ebbte das Gefühl langsam ab und wich dem Bedürfnis ihn wiederzusehen. Ihn zu spüren. Sich zu spüren. Das Leben zu spüren.

Aber der Mann rührte sich nicht.

Selbst nachdem sie ihm eine Nachricht geschickt hatte (Earl Grey or Ceylon?), ließ er nichts mehr von sich hören.

Sie hatte versucht, nachsichtig mit ihm zu sein. (Vielleicht will er nur seine Ehe nicht gefährden. Vielleicht hat er Angst vor ihr, vielleicht ist er im Ausland?), sie hatte versucht ihn zu vergessen (die schönsten Dinge sind unwiederholbar, einmal ist so viel wert wie tausendmal), am Ende blieb ein schales Gefühl. Das unangenehme Gefühl nicht attraktiv, nicht interessant, ja vielleicht nicht jung genug zu sein.

Und die Verärgerung über seine Bitte, dass das, was passiert war, auszulöschen, indem es als etwas zu betrachten ist, das nie stattgefunden hat.

Idiot, denkt Sybille.

Berührung hin oder her, eine Frau hat schließlich ihre Würde.

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3 Kommentare

  1. Frauen in diesem Alter, sind wirklich die allerbesten Liebhaberinnen., gerne auch über Nacht oder einem Kurztrip mit dem Wagen.
    Ein gepflegtes Stelldichein beim Darjeeling FTGFOP, oder einem Glas Champagner konnte ich nie wiederstehen. 😉 💋

    1. Widerstehen. Ist ja nun aber bekannt, dass die einzige Frau, die du armer Irrer mit der Narrenkappe je beglücken durftest, deine Werte Frau Mamon gewesen ist. War ja sogar Aufmacher der Tageszeitung, wie du weißt.

      1. Ich wußte nicht, dass ich inzwischen so berühmt geworden bin.
        Die hätten mir aber schon mal ein Exemplar zukommen lassen können…. 😉

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