Harte Zeiten, Folge 11 — Fair Climate for a Fair World

Bundeskanzleramt, Berlin
Quelle Pixabay

Vic betrachtet die Fotos, die sie von den Fair Climate for a Fair World-Protestlern gemacht hat. Sie, die Überlebende aus dem Kriegsgebiet, fühlt sich als Außenseiterin und kann nicht verstehen, warum Menschen, die allzu sehr davon überzeugt sind, das Richtige zu tun, irgendwann auch zu Gewalt greifen.

 

Auf den Fotos, die Vic von den FCFW Leuten gemacht hat, sieht man, wie sie ihre Hoodies über den Kopf ziehen. Es sind etwa zehn junge Männer und Frauen, vielleicht um die zwanzig. Auf einem der Bilder sehen sie sich noch einmal an, holen noch einmal gemeinsam Luft. An ihren Augen, ihren Gesichtern kann Vic förmlich ablesen, was in ihren Köpfen vorgeht. Sie denken an das, was sie jetzt tun werden. Sie denken daran, wie sie das Gebäude stürmen und einen geeigneten Konferenzsaal finden werden, und sie denken daran, was sie den Menschen, die in diesem Unternehmen arbeiten, zurufen werden. Um sie zu ermahnen, sie zu warnen.

Vic weiß, wie Menschen aussehen, wenn sie bereit sind, für etwas zu kämpfen. Menschen, die ihr Leben einem höheren Ziel gewidmet haben. Und die sich sicher sind, dass sie diejenigen sind, die für das Gute kämpfen.

Vic weiß, was das bedeutet, wenn Menschen sich sicher sind, dass nur sie die Guten sind.

Es bedeutet Krieg. Es bedeutet Zerstörung. Sie war im Irak, sie war in Afghanistan. Auch dort waren Menschen, die überzeugt waren, dass nur sie zu den Guten gehören.

Vic ist seit Jahrzehnten in Krisengebieten unterwegs. Meist im Auftrag der dpa. Bis es ihr irgendwann unanständig vorkam, mit Fotos von verstümmelten oder toten Körpern Geld zu verdienen. Zumal diese Bilder irgendwann zerknüllt und weggeworfen werden. Als ob man damit das Grauen mit einer Handbewegung zum Verschwinden bringen könnte.

Dann lieber ausstellen. Wenn Fotografien an einer Wand hängen, blicken Menschen mit einer gewissen Ehrfurcht darauf. Sie halten Abstand. Sie treten ein Stück näher, dann wieder zurück oder legen den Kopf schief. Sie lassen die Bilder auf sich wirken.

Die dpa war ziemlich sauer, als sie sich weigerte, weiter für sie zu arbeiten. („Machst du denn keine Fotos mehr?“ „Doch, aber ich schicke sie euch nicht!“) Um sich zu rächen, hatten sie von ihr verlangt, die Kosten für ihren Aufenthalt in Afghanistan zurückzuzahlen.

Geht’s noch?

Sie wird immer Kriegsfotografin bleiben. Sie braucht dafür nicht die dpa.

Sie braucht dafür nicht einmal  Krieg. Egal wo sie ist, sieht sie die Gewalt, die in den Menschen lauert. Was soll man tun, wenn man das mit der Gewalt nicht aus dem Kopf bekommt und sie überall sehen kann?

Kein Wunder, dass sie immer ein Außenseiter ist. Wer mag schon mit jemandem zusammen sein, der immer in den Abgrund des Lebens blickt? Wenn sie von ihrem Job erzählt, merkt sie, wie die Menschen auf Distanz gehen. Als würde sie selbst noch Spuren von dieser Gewalt, diesen schmutzigen und traurigen Toden in sich tragen. Wie eine Narbe. Oder einen Virus. Als sei der Tod der anderen ansteckend.

Oder sie fühlen sie schuldig.

Weil das ja wohl das Mindeste ist, dass wir hier im privilegierten Westen tun können!

Viv kann dieses Gelaber nicht ausstehen.

Wer ist auf diese überhebliche Idee gekommen, dass der Westen so gottverdammt privilegiert ist? Ja, der Westen hat für die meisten genug zu essen und die Busse fahren und es herrscht auch kein Krieg, aber was heißt das? Die Menschen hier halten nicht zusammen,  sperren sich in Büros ein, bekommen Krebs und fragen sich jeden Tag, warum sie auf der Welt sind.

Auch sie ist ein gutes Beispiel für den vereinsamten Westler. Kein Mann. Kein Kind. Stattdessen das Leben einer Nomadin, die in einer vergammelten Wohnung lebt. Der einzige Mensch, mit dem sie dort redet, ist Bihan, eine 12-jährige Afghanin aus dem 4. Stock, mit der sie ab und zu Memory spielt.

Hätte das Leben auch anders verlaufen können?

Hätte hätte Fahrradkette.

Vic nimmt einen Schluck aus ihrer Cappuccino-Tasse. Schaum von der guten alten Kuh. Nicht von Pflanzen oder Nüssen. Man muss schon zur bescheuerten Kultur des 21. Jahrhundert gehören, um Nüsse zu Milch verarbeiten zu wollen, während in anderen Ländern Menschen verhungern.

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2 Kommentare

  1. Toller Text, danke!

    „Die Menschen hier halten nicht zusammen, sperren sich in Büros ein, bekommen Krebs und fragen sich jeden Tag, warum sie auf der Welt sind.“

    Beste Stelle, genau so ist es. Wann merken die Menschen in diesem Land endlich, dass das alleinige Streben nach materiellem Wohlstand nicht sinnstiftend sein kann und in den Nihilismus mündet?

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