
Der Präsident, gecoacht von Albert Rave, besucht New York City, wo er von Bürgermeister Benito Giovanni empfangen wird. Umjubelt von Parteifreunden, schlägt er im Yankeestadium einen Ball, um Stimmung für den Krieg zu machen. Lucius Prince trifft sich mit seinem arabischen Geschäftsfreund Achmed, um einen Deal in Afghanistan zu verhandeln und beschwert sich über Harry Burton und Henry Wolfstetter, die er für inkompetent und nicht vertrauenswürdig hält. Jason wird fast von einem Auto überfahren; eine Frau namens Sabrina Smith rettet ihn. Sie hat die gleiche Tätowierung wie Luella. Die Frau füttert ihn mit Informationen über den pakistanischen Geheimdienst und dessen Verbindungen zur CIA, aber bevor er sie nach ihrer Adresse fragen kann, verschwindet sie.
Dem Präsidenten war bitterkalt und er hatte schlechte Laune. So hatte er sich seinen großen Triumph nicht vorgestellt. Zum ersten Mal seit dem 11. September – zum ersten Mal, seit er Präsident war – war er nach New York gekommen. Die Stadt, die er so heldenhaft gegen die Angriffe der Terroristen verteidigt hatte. Aber wo waren bloß alle? Warum stand er ganz allein in der schneidenden Kälte, die New York im Januar auszeichnet, mitten im Yankee Stadion vor fünfzehntausend leeren Plätzen und versuchte, einen kleinen weißen Ball zu treffen? Und warum traf er diesen blöden Ball nicht? Der Präsident fluchte. Dann nahm er einen Schluck von seinem Fitnessdrink. Sofort wurde ihm wärmer und seine Laune besserte sich merklich. Noch einmal schwang er den Baseballschläger, lockerer diesmal, aus der Hüfte. Endlich traf er den Ball.
Die beiden Männer am Rande des Spielfelds sahen sich an und schüttelten den Kopf. Der größere, im grau-weiß gestreiften Dress, war ein Spieler der Yankees, der kleinere war Albert Rave. Albert flüsterte kurz mit dem Yankee und schlenderte dann zum Präsidenten hinüber. »Wissen Sie was, Mister President«, sagte er. »Es wäre besser, Sie würden den Ball werfen, anstatt ihn zu schlagen. Das kommt besser.« Der Präsident lächelte. Albert war immer so nett zu ihm. Ganz anders als die anderen in seinem Team.
Dann nahm der Präsident noch einen Schluck seines Fitnessdrinks, den er seit Neuestem immer bei sich trug. Noch mehr Wärme durchströmte ihn. Das wäre doch gelacht. Er hatte bestimmt keine Angst vor ein paar New Yorker Feuerwehrmännern. Wobei auch Bürgermeister Benito Giovanni kommen würde und vor dem hatte er schon ein bisschen Angst. Der guckte ihn immer so streng von der Seite an. Dabei hatte er doch gerade seinen ersten Krieg gewonnen. Ärgerlich nur, dass dieser Osama Bin Laden aus Tora Bora entkommen war. Wie konnte das nur passieren? Obwohl, Dewey Drillson hatte ihm erklärt, dass sei nicht weiter schlimm. Den werde man schon finden. Der Präsident griff nach dem Ball, holte weit aus und warf ihn in Richtung des Yankees, der immer noch am Spielfeldrand stand. Der Yankee streckte seine rechte Hand mit dem dicken brauen Lederhandschuh aus und fing den Ball ganz lässig auf. »Sie wollen den doch nicht im Ernst so auftreten lassen?«, fragte der Yankee. »In dieser albernen Jacke?«
Der Präsident beschloss, das zu überhören. Wie viele dieser Taliban hatten sie eigentlich schon gefangen? Und wieso machten sie sich eigentlich solche Umstände? Früher wurden solche Banditen einfach erschossen. Jedenfalls in Texas. Kurzer Prozess, zack-zack. Und Araber gab es ja weiß Gott genug. Er nahm noch einen weiteren Schluck und warf den Ball mit aller Kraft. Voll aus der Schulter. Der Yankee fing ihn wieder. »Gut, gut«, sagte der Yankee wenig überzeugend. »Aber ist das wirklich der beste Platz für den Wurf?« Der Präsident wollte gerade nicken, als er merkte, dass der Yankee mit Albert sprach.
»Sie haben recht«, antwortete Albert. »Sie müssen da oben stehen.« Er zeigte auf den kleinen Hügel in der Mitte des Spielfelds. »Von dort aus ist es einfacher, Schwung zu holen. Außerdem sieht es besser aus«, erklärte er dem Präsidenten.
Der Präsident drehte sich zu dem Hügel um. Dort stand ein Mann in einer dunkelblauen Uniform und mit einer dunkelblauen Mütze. Die Mütze sah versengt aus. Die Haare auch. Es war ein Feuerwehrmann. Bildete er sich das nur ein oder sah ihn der Feuerwehrmann unfreundlich an?
Der Präsident blickte hilfesuchend zu Albert. Wie kam ein Feuerwehrmann überhaupt an seinen Leibwächtern vorbei? »Sie werden den Ball schon richtig werfen«, sagte Albert ermutigend. »Kommen Sie, nehmen Sie noch einen Schluck.« Der Präsident wandte sich wieder dem Hügel zu. Der Feuerwehrmann war weg. Wie vom Erdboden verschluckt.
An diesem Abend stand der Präsident im Yankee Stadion, wo ihm mehr als fünfzehntausend Zuschauer, darunter eintausendfünfhundert Feuerwehrmänner, dabei zusahen, wie er mit aller Kraft den kleinen weißen Ball warf. Er trug eine kugelsichere Weste, die ihm bis über die Hüften reichte, einen Gesichtsschutz wie beim Eishockey – man wusste ja nie – und dazu eine dunkelblaue Windjacke mit dem Emblem der New Yorker Feuerwehr. Die hatte Albert ihm besorgt. Und eine Mütze der Yankees. Die Yankees waren in New York verhasst, weil sie so arrogant waren, aber das wusste der Präsident nicht.
In der Ehrenloge saßen Rave, Giovanni, der Chef der Feuerwehr und der Besitzer der Yankees. Sie rauchten Zigarren und beobachteten, wie der Präsident warf. Der Wurf wurde auf eine Leinwand im Stadion übertragen, so dass auch die Zuschauer auf den hinteren Rängen jede Bewegung des Präsidenten mitbekamen. Und zu Hause vor dem Fernseher natürlich auch. Da der Präsident auf einem Hügel stand, wirkte er viel größer, als er tatsächlich war. Donnernde Orchestermusik schallte aus den Stadionlautsprechern. Wagners Götterdämmerung, aber auch das wusste der Präsident nicht.
Der kleine weiße Ball flog aus seiner Hand auf den Yankee zu, der sich mitten auf dem Spielfeld postiert hatte. Genau in dem Moment, als Siegfried in sein Schwert fiel, fing der Yankee den Ball. Der Präsident grinste dümmlich, aber das konnte das Publikum wegen des Eishockeyvisiers nicht erkennen. Dann drehte er sich in die Kamera und hob den Daumen. Fünfzehntausend Menschen rasteten vor Begeisterung aus.
Rave beobachtete die tobende Menge. »Das ist ja wie bei einer Nazi-Kundgebung«, murmelte er leise.
»Was?«, fragte Giovanni.
»Schon gut«, winkte Rave ab. Er warf einen Blick auf die Nachfüllflasche, die er neben seinem Sessel abgestellt hatte. Darin war noch genug von dem Fitnessdrink, um den Präsidenten wieder wohlgelaunt nach Washington zu schaffen. Ansonsten war der Abend gelaufen. Er musste den Präsidenten jetzt nur noch vom Spielfeld holen, bevor der etwas sagte, was ein Fernsehreporter aufnehmen konnte.
»Dieser verfluchte Bastard!« Prince hatte heute überhaupt keine gute Laune. »Wenn ich könnte, würde ich ihn mit Fußtritten in den Hintern von Anchorage bis nach Abu Dhabi treiben. Uns so reinzulegen!«
Ihm gegenüber saß ein feixender Mann mit olivfarbenem Teint, einem weißen Anzug und einer überteuert wirkenden Rolex am Handgelenk: Achmed Abul Abbas Al Gossarah, der langjährige Partner von Muhammed Al-Bandar. »Beruhige dich doch, Lucius«, sagte er. »Bis jetzt ist doch alles ganz prima gelaufen am Hindukusch. Im Großen und Ganzen jedenfalls.«
Prince verzog sein Gesicht, so als habe ihm der Kellner versehentlich Lambrusco eingeschenkt. »Ja, so lange bis dieser Vollidiot Harry Burton seinen früheren Chefmanager zum Präsidenten von Afghanistan befördert hat.«
»Aus seiner Sicht ist das doch gar nicht so idiotisch«, sagte Al Gossarah, bemühte sich dann aber, etwas weniger zu grinsen, als Princes Gesichtsausdruck immer aufgebrachter wurde. »Im Ernst, warum ist das so schlimm? Ihr Amerikaner kontrolliert doch sowieso ganz Afghanistan. Na gut, vielleicht nicht ganz Afghanistan, aber Kabul und alle drei Pipelines. Ob jetzt eine Marionette von Burton oder ein Fuzzi vom Pentagon im Präsidentenpalast sitzt, kann dir doch völlig egal sein.«
Al Gossarah hatte recht, aber Prince gab das ungern zu. Es stimmte auch nicht so ganz. Es wäre wesentlich leichter gewesen, einen Fuzzi aus dem Pentagon loszuwerden. Burtons Hilfssheriff abzuservieren, würde hingegen richtig viel Geld kosten. Oder Blut. Er winkte dem Kellner zu. »Noch einen Beaujolais.«
Ein Wunder, dass sie in dieser Kellerbar überhaupt Beaujolais hatten. Die Bar wirkte so, als käme Tony Soprano gleich um die Ecke. Aber er hatte sich mit Achmed unbedingt an einem Ort treffen wollen, wo er garantiert von niemandem gesehen wurde, der ihn kannte. Und das war in Washington nicht einfach. Prince seufzte. »Ich frage mich, ob Drillson davon gewusst hat. Manchmal glaube ich, der steckt mit Burton unter einer Decke.«
»Ehrlich gesagt traue ich Wolfstetter noch viel weniger«, sagte Al Gossarah und kippte seinen zweiten Whiskey hinunter. »Gegen den wirkt Kissinger wie eine treue Seele. Aber genug von Politik – können wir wieder zum eigentlichen Geschäft kommen?«
Prince nickte. »Es sieht gut aus für den Deal, Achmed«, sagte er. »Sehr gut sogar. Die sind fällig. Schulden bis tief in den Milliardenbereich, Konkurs müsste in den nächsten Wochen angemeldet werden, wenn alles korrekt zugeht. Weiß ich vom Geschäftsführer persönlich. Wir müssen nur rechtzeitig zuschlagen, bevor die Presse davon Wind bekommt.«
Al Gossarah zog die Augenbrauen hoch. »Ok«, sagte er. »Aber wir wollen keine echten Schulden übernehmen. Die müssen natürlich vorher weg.«
»Aber bitte«, sagte Prince. »Das haben wir doch immer so geregelt. Kreative Buchführung, du weißt schon.«
»Was hängt denn noch alles dran?«, fragte Al Gossarah. »Am wichtigsten sind uns natürlich Expansionsmöglichkeiten und internationale Distribution.«
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Prince. »Besser kannst du es nicht treffen. Der Laden ist vertikal wie horizontal vollkommen durchstrukturiert. Dein Auftraggeber wird zufrieden sein.«
Der Araber guckte noch ein bisschen interessierter. »Und wie weit ist die Umstellung auf digitales Breitbandkabel schon fortgeschritten?«
»Im Prinzip haben wir das im Griff«, sagte Prince. »Da muss ich nur meine Kontakte zum Pentagon noch ein bisschen spielen lassen. Aber wofür habe ich die?«
»Vergiss nicht, dass meine Auftraggeber immer treue Alliierte der USA waren«, frotzelte Achmed. »Auch, wenn es manchmal nicht ganz so aussieht.«
»Fünfzehn Prozent Provision, wie immer?«, fragte Prince.
»Zehn Prozent«, sagte sein Geschäftspartner. »Bei den Summen, die wir einsetzen, ist das auch schon ganz ordentlich. Fünfzehn Prozent allerhöchstens, wenn das volle internationale Glasfaserpotential mitgeht. Und Content natürlich, das versteht sich von selbst.«
»Der Irak bekommt demnächst ein völlig neues Netz mit amerikanischen Standards«, versprach Prince. »Das wäre schon mal eine potenzielle Expansionsmöglichkeit.«
»Sag mir Bescheid, wenn es wirklich so weit ist«, gab Al Gossarah zurück. »Einen Vorschuss gibt es nicht. Und denke daran, dass wir nur über reelle Preise verhandeln. Sonst stellen wir die Provision auf Pauschalzahlung um.«
»Mach mal halblang«, antwortete Prince. »Habe ich euch jemals übers Ohr gehauen?«
Sein Gegenüber grinste. »Versucht ja, geschafft nein«, sagte er. »Außer damals, als sie wegen der Steuersache hinter mir her waren. Wenn ich mich recht entsinne, hätten sie mich sogar beinahe in den Knast gesteckt, weil irgendein Helferlein im Senat der Staatsanwaltschaft Kopien aus meinen Geschäftsakten hat zukommen lassen. Du weißt nicht zufällig, wer …«
»Das war nicht ich!«, protestierte Prince und hob die Hände. »Es ist mir wirklich ein völliges Rätsel, wer das gewesen sein könnte. Vollkommen unerklärlich. Der Senator und ich haben damals eine umfassende Untersuchung eingeleitet, und …«
»Klar warst das nicht du«, unterbrach ihn Al Gossarah. »Du würdest deinen Freunden doch niemals ein Messer in den Rücken stecken. Höchstens in die Brust.« Dann winkte er dem Kellner. »Noch einen Whiskey. On the Rocks.«
»Sag mal«, fragte Prince, »wo wohnst du jetzt eigentlich?«
»In einem Land, wo dein Geheimdienst sich nicht so einfach einmischen kann«, sagte Al Gossarah und grinste. »Mit wunderbaren hohen Bergen und tiefblauen Seen.« Dann kippte er das Glas hinunter, kaum dass der Kellner es gebracht hatte. Als er aufstand, sah er Prince noch ein paar Sekunden eindringlich an. »Übrigens«, sagte er, »habt ihr einen Spion in den eigenen Reihen. Im Pentagon. Und zwar ziemlich weit oben.«
Jason Gilligan stockte der Atem, als er den schwarzen Mercedes auf sich zurasen sah. Mitten auf der K Street. Das Auto hatte getönte Scheiben. Kein Fahrer war erkennbar. Er hatte das Gefühl, als geschehe das alles in Zeitlupe, und gleichzeitig war er unfähig, wegzurennen. Erst ein grauenvoll dumpfer Schlag riss ihn aus dieser Starre. Als er begriff, dass er angefahren worden war, wurde ihm schwarz vor Augen.
Erst vor wenigen Minuten war Gilligan aus dem Redaktionshaus gestürmt, geschockt von der Agenturmeldung, die er gelesen hatte. Ein Reporter war in Pakistan entführt worden. Es war genau der Reporter gewesen, der ihm in den letzten Wochen und Monaten immer eine Nasenlänge voraus gewesen war. Gilligan hatte die Nachricht auf seinem Bildschirm gelesen und sofort das Gefühl gehabt, er bekomme keine Luft mehr. Nur raus hier! Das Letzte, was er hörte, war das Quietschen der Bremsen.
Als er wieder zu sich kam, war er im Himmel. Er lag auf dem Rücken, über sich weiße Wölkchen, die am blauen Horizont schwammen. Eine wunderschöne Frau mit langen, schlanken Fingern hielt seine Hand. Die schönste Frau, die er gesehen hatte, seit er in Washington lebte. Sie hatte braune Augen, halblange schwarze Haare und die Figur einer römischen Göttin: schmale Taille, geschwungene Hüften, schwingende Brüste und eine sanfte, bronzefarbene Haut. Als sie sich über ihn beugte, bemerkte er eine auffallende Tätowierung oberhalb ihrer linken Brust. Eine kleine rote, gewundene Schlange, deren Kopf sich in einen Pfeil verwandelte. Er versuchte, sich aufzurichten. Ein scharfer Schmerz schoss in seinen Rücken. Nein, er war wohl doch nicht im Himmel. Ganz im Gegenteil.
»Waschischpaschtt?«, fragte er.
»Oh, Gott sei Dank! Sie sind wieder bei sich«, sagte die Frau. Er merkte erst jetzt, wie bestürzt sie ihn ansah. »Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen, bis Sie plötzlich direkt vor meiner Kühlerhaube aufgetaucht sind. Sie müssen auf die Straße gelaufen sein, ohne zu gucken.«
»Wa… wa…« Er umklammerte ihre Hand. »Was?«
Auf sie gestützt, schaffte er es endlich, sich aufzurichten. Auch sein Kopf schmerzte. Sehr sogar. »Was … wer?«, stammelte er.
»Mein Name ist Sabrina Smith«, sagte die Frau mit einem Akzent, den er nicht einordnen konnte. Sie betrachtete ihn nun schon ein bisschen weniger besorgt. »Waren Sie zufällig in der Gegend oder arbeiten Sie hier?«
Er schüttelte den Kopf, hörte aber mitten in der Bewegung auf, weil es noch immer schmerzte. »Nein.« Er stöhnte. »Meine Redaktion ist hier in der Nähe. Ich war … ich habe einen Spaziergang … ich war durcheinander.«
Jetzt lächelte sie. Ganz dezent. »Das Gefühl habe ich auch«, sagte sie. »Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren? Oder in Ihre Redaktion?«
»Nein, nein«, sagte er hastig. Das fehlte ihm gerade noch. »Es geht … es geht mir gut.«
»Es geht Ihnen überhaupt nicht gut«, sagte sie stirnrunzelnd. »Das sehe ich doch.«
Sie einigten sich darauf, dass sie ein paar Straßen weiter im Cafe des Artistes noch einen Kaffee trinken würden. Oder vielleicht ein Glas Zitronenlimonade mit Aspirin.
Nach einer Stunde wusste Sabrina Smith, oder wie auch immer ihr richtiger Name lautete, alles über Jason. Dass er bei einer der führenden Zeitungen der USA arbeitete, aber nicht so recht zufrieden war mit sich. Dass sein Chefredakteur ebenfalls nicht so recht zufrieden mit ihm war, aber sich sowieso lieber mit jüngeren Leuten umgab, die ihm nach dem Mund redeten. Dass er seiner Frau nichts recht machen konnte, weshalb er, ganz nebenbei, angefangen hatte, Kontakte per Internet zu suchen. Kontakte mit Frauen. Ganz harmlos natürlich. Er hatte keine dieser Frauen jemals getroffen. Das wäre unmoralisch und darum hatte er es auch nicht vor. Zumindest nicht sofort. Wobei sich in letzter Zeit eine Seelenverwandtschaft zwischen ihm und einer dieser Frauen entwickelt hatte. Ein Gleichklang, der zwar mehr intellektuell als spirituell oder gar sexuell war, aber er war eben auch eher ein intellektueller Mensch. Dabei war es ja auch gerade sein hochentwickeltes, intellektuelles Bewusstsein, das es ihm erlaubte, das Leiden verwandter Seelen mitzuerleben, wie etwa das des entführten Reporters, von dem er heute erfahren hatte …
Sie unterbrach seinen Redefluss. »Es ist in Pakistan passiert, nicht wahr?«, fragte sie. »In einem Vorort von Karachi. Dieser Reporter war auf dem Weg zu einem Interview mit Mullah Al-Abbas, einem hochrangigen Offizier des ISI, der gerade geschasst worden war und der Verbindungen zu Al-Quaida haben soll. Und zur CIA. Oder auch nicht. Niemand weiß hier wirklich, wer mit gezinkten Karten spielt. Außer dem Reporter vermutlich. Aber das wird ihm jetzt auch nichts mehr nützen.«
Gilligan starrte sie mit offenem Mund an. »Woher wissen Sie das alles?«, fragte er. »Nicht mal ich kenne so viele Details. Und die Details, die ich kenne, sind bisher noch nicht veröffentlicht worden. Die können Sie also eigentlich gar nicht kennen.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Sagen wir einfach, ich habe meine Quellen.« Dann zögerte sie ein paar Sekunden. »Vielleicht können Sie mir im Gegenzug auch ein bisschen was erzählen?«
»Äh, ja – vielleicht. Was wollen Sie denn wissen?«, fragte er verwirrt. Wer war diese Frau bloß? Erst jetzt fiel ihm auf, dass er die ganze Zeit nur von sich und seinem Leben erzählt hatte, sie aber nichts von sich. Rein gar nichts. Wo arbeitete sie noch gleich? In der Nähe?
»Wissen Sie, wo der Chef des pakistanischen Geheimdienstes am 11. September war?«, fragte sie.
Er starrte sie gespannt an. Dann begriff er, dass sie tatsächlich eine Antwort erwartete. »Nein, keine Ahnung«, sagte er. »Wo war er denn? Und warum ist das wichtig?«
»Es gibt Gerüchte, er sei in Washington gewesen«, sagte sie. »Er soll sich mit dem Chef der CIA getroffen haben. Und die CIA soll kurz vor dem Ende des Afghanistanfeldzugs mit dem ISI über die geplante Flucht von Osama Bin Laden verhandelt haben. Von Afghanistan nach Pakistan, über das Höhlensystem von Tora Bora. Die wollen nämlich gar nicht, dass er gefasst wird. Er weiß zu viel. Und es könnte sein, dass auch dieser entführte Reporter zu viel wusste. Jedenfalls gibt es Kreise in D. C., die ihn loswerden wollten. Das wäre doch eine interessante Geschichte für Sie, oder etwa nicht?«
Eine sehr interessante Geschichte sogar, dachte Gilligan. Doch falls das Weiße Haus wirklich den Befehl gegeben hatte, den Journalisten zu entführen – was er für recht absurd hielt –, wäre es dann nicht ziemlich gefährlich, der Sache nachzugehen? »Wollen Sie damit sagen, dass die CIA Bin Laden beschützt?«, fragte er skeptisch.
»Vielleicht ist es ja umgekehrt«, sagte sie.
Sein Kopf fing wieder an, wehzutun. »Woher wissen Sie das alles?«, fragte er wieder. Er hatte die Frage doch gerade schon einmal gestellt, oder? Hatte sie ihm eigentlich eine Antwort gegeben?
Sie lächelte. »Ich weiß es einfach.«
Gilligan seufzte und gab auf. »Ich kann versuchen, mehr darüber herauszufinden«, versprach er, weniger deshalb, weil er ihr irgendetwas davon glaubte, sondern weil er hoffte, sie dann wiederzusehen. »Aber, selbst wenn sie stimmen würde, wie soll ich so eine Geschichte ohne Beweise veröffentlichen?«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber Sie dürfen niemandem erzählen, dass Sie mich kennen oder auch nur gesehen haben. Absolut niemandem. Mein Leben hängt davon ab. Und ihres.« Dann stand sie auf und lächelte ihn noch einmal an. Erst als sie schon verschwunden war, fiel ihm auf, dass sie ihm nichts hinterlassen hatte. Keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts. Noch nicht einmal einen richtigen Namen. Nur die Serviette, mit der sie während des Gesprächs gespielt hatte.
Darauf stand etwas mit Kugelschreiber geschrieben. »Sheik Al-Sahhaf« konnte er entziffern. Ein arabischer Name. Er steckte die Serviette ein. Sie roch noch vage nach ihr. Nach Vanille und Rosenöl.
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Die Anschläge 9/11 2001 wurden verwendet, um die nachfolgenden Kriege der USA zu rechtfertigen
– Afghanistan
– Irak
– War on Terror
Nun gibt es wohl auch eine literarische Verwertung.
Grundlegend untersucht und vollständig aufgeklärt sind sie bis heute nicht.
Ich bin mir vor diesem Hintergrund nicht sicher, ob ich eine solch seichte literarisch/fiktionale Verwertung derzeit gut finden kann.
Der Roman ist vielleicht eine Anspielung auf Hanlons Razor. Das würde doch die Geschehnisse erklären, insbesonders wenn man bedenkt wenn man die die intuellekten Fähigkeiten der politischen Führer bedenkt, die das Sagen hatten(und haben)…..