Die Verschwörung, Folge 8 — Strategischer Einfluss

Times Square
Bild: privat

Jasons Recherchen über den Anschlag laufen ins Leere. Da wird seine Redaktion von Briefen aufgeschreckt, die mit Anthrax-Sporen verseucht sind. Eine Kollegin, die über Biowaffen recherchierte, ist bereits daran gestorben. Pentagonchef Dewey Drillson und sein Vize Henry Wolfstetter treffen sich in den Clubräumen der Defiant Foundation, um die Generalprobe für den Einmarsch in Afghanistan zu beobachten, die auf dem rechten Sender FUC News läuft. Als dessen Chef Joe Brisbane ebenfalls dazukommt, besprechen sie die nächsten Schritte und stimmen die Propagandalinie ab. Luella belauscht von einem Horchposten aus einen Unbekannten, der am Telefon über die Kriegsvorbereitungen spricht. Wir ahnen nun, dass sie eine Agentin ist.

 

Jason Gilligan konnte gerade noch seine Arme vor das Gesicht reißen, bevor sich der Kollege über ihn warf, ihn samt seinem Schreibtischsessel umriss und ihm die Post aus der Hand schlug. Der Angriff kam so unerwartet, dass Gilligan nicht einmal Zeit hatte, sich zu wehren oder sich wenigstens irgendwo festzuhalten. Er schnappte hörbar nach Luft, während sein Stuhl an der Teppichleiste hängenblieb und umkippte, woraufhin Gilligan mit dem Hinterkopf auf den Boden aufschlug. Der Kollege, der ihn angesprungen hatte, rollte über ihn hinweg und blieb halb benommen neben ihm liegen, während sich das Dutzend Briefe, das er gerade noch in der Hand gehalten hatte, im Raum verstreute.

Gilligan stöhnte und versuchte, sich hochzustemmen. Nicht so einfach, wenn man fast fünfzig war und so unsportlich wie Woody Allen. »Kannst du mir mal sagen, was das sollte?«, fragte er und hoffte, dass der Chefredakteur nicht ausgerechnet jetzt hereinkam.

Sein Kollege stöhnte auch. »Mensch, Jason«, sagte er. »Liest du denn keine Agenturmeldungen? Die Post ist verseucht.«

Jason starrte den Kollegen an, als sei der einer dieser Geisteskranken, die in der Reagan-Ära aus Kostengründen auf die Straße gesetzt wurden. Ein Gedanke, der ihm allerdings nicht zum ersten Mal kam. »Verseucht?«, fragte er. Ihm wurde bewusst, dass er wie ein Papagei klang. Er setzte sich auf. »Was ist passiert?«

Seit dem 11. September durchlebte Gilligan schwere Wochen. Er war oft nervös und unruhig, manchmal geradezu panisch. Er litt unter dem erdrückenden Gefühl, ausgeliefert zu sein. Gleichzeitig hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er nie genug tat. Und so wechselte er zwischen Phasen bleiernen Vor-sich-hin-Starrens und Phasen hektischer Aktivität, in denen er ganze Abende und halbe Nächte im Büro verbrachte. Elisabeth beschwerte sich dann, weil sie ihn kaum sah. Wenn er nichts tat, beschwerte sie sich allerdings auch darüber, dass es mit seiner Karriere nicht so recht vorwärtsging. Inzwischen ließ ihn wenigstens sein Chefredakteur über die Verbindungen der arabischen Ölindustrie und der amerikanischen Rüstungsindustrie recherchieren. Ob er den Artikel am Ende selbst schreiben dürfte, würde man sehen. Wahrscheinlich nicht.

Vor dem gut gemeinten Angriff des Kollegen war er gerade dabei gewesen, einer Story nachzugehen: Was war mit dem Stahl aus den Trümmern des World Trade Centers passiert? Er hatte den Artikel seiner Kollegin Esther gelesen, die für eine Fachzeitschrift für Biochemie arbeitete und die er von der Columbia School of Journalism kannte. Esther wiederum kannte die Angestellten der New Yorker Umweltbehörde, die gleich nach dem Anschlag die Stahlreste des World Trade Centers untersucht hatten und denen etwas Merkwürdiges aufgefallen war: Die Stahlträger, die den tonnenschweren Türmen ihre Stabilität gaben, waren geschmolzen. Und zwar alle, bis hinunter in den Keller, obwohl es ja nur in den oberen Stockwerken gebrannt hatte. Der geschmolzene Stahl enthielt Reste einer chemischen Trägersubstanz, die nicht auf dem freien Markt erhältlich war. Leider wollte niemand aus der Umweltbehörde mit Jason reden. Offenbar waren die betreffenden Mitarbeiter nach Esthers Artikel alle von ganz oben eingeschüchtert worden. Gilligan hatte sogar schon überlegt, einen Antrag unter Berufung auf den Freedom of Information Act zu stellen, um die Unglücksstelle selbst begehen zu dürfen.

»Anthrax«, sagte sein Kollege gerade und rieb sich den Kopf. »Terroristen verschicken Briefe mit Anthrax. Das ist so ein feines weißes Pulver, das aussieht wie Gries und einmal eingeatmet absolut tödlich ist. Heute hat es eine Zeitung in Florida erwischt. Zwei Tote. Und kurz darauf das New Yorker Fernsehstudio von ABC.«

Gilligan suchte bereits nach Esthers Nummer. Er war blass geworden. »Drei tote Journalisten?«

Der Kollege nickte. »Mindestens.«

Ausgerechnet jetzt. In New York und Washington lagen die Nerven noch blank. Vor allem seine. »Und woher kommt dieses Anthrax?«, fragte er seine Kollegen.

»Keine Ahnung«, antwortete er. »Ich jedenfalls würde meine Briefe erst mal nicht mehr selbst aufmachen. Wofür gibt es Praktikanten?«

Die Briefe mit Schwung im Raum zu verstreuen war vermutlich auch nicht so gut, dachte Gilligan. Er konnte sich vage daran erinnern, dass die USA Anthrax zum Zwecke der biologischen Kriegsführung produziert hatten, aber die Produktion wurde bereits Ende der sechziger Jahre eingestellt. Galt als zu gefährlich. Oder hatten die Vereinigten Staaten dieses Teufelszeug etwa exportiert? Und jetzt kam es zurück?

Gerade als Gilligan Esthers Nummer gefunden hatte, fiel ihm auf, wie still es plötzlich geworden war. Als er aufsah, stand neben ihm der Chefredakteur.

»Ich möchte Sie über die neuesten Sicherheitsvorkehrungen informieren«, sagte der Chefredakteur und hob eine breite weiße Rolle mit Isolierband hoch. »Falls es zu einer neuerlichen Terrorattacke kommt, müssen wir gewappnet sein.« Er zog ein Stück Isolierband von der Rolle und klebte es an den Fensterrahmen. »Vor allem müssen Sie darauf achten, dass die Fenster luftdicht sind«, erklärte er. »Sonst hilft es nicht.«

Gilligan hielt diese Sicherheitsvorkehrungen für genauso hilfreich wie die Gummirutschen in Flugzeugen, die sich in Rettungsfloße verwandeln sollen. Er hatte noch nie von jemandem gehört, der nach einem Flugzeugabsturz durch ein Gummifloß gerettet worden war.

Nachdem der Chefredakteur jedem Redakteur eine Rolle Isolierband auf den Schreibtisch gelegt hatte, wandte er sich zum Gehen. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um. »Übrigens«, sagte er. »Ich muss Ihnen etwas Trauriges mitteilen. Es hat einen weiteren Todesfall unter Journalisten aufgrund einer Anthrax-Attacke gegeben. Die Biowaffenexpertin Esther Meier. Ich bitte Sie alle, größtmögliche Vorsicht walten zu lassen, wenn Sie Ihre Post öffnen.«

Jason Gilligan fühlte, wie eine unheimliche Kälte seine Brust emporkroch. Wenn es nicht so verrückt geklungen hätte, hätte er geglaubt, er sei verflucht. Noch während er den Chefredakteur entgeistert anstarrte, stürmte ein Trupp Männer in weißen Schutzanzügen und mit geschlossenem Visier in die Redaktion. Mit einer langen Zange fingen sie an, seine Briefe aufzusammeln und in einen luftdicht verschließbaren Container zu packen.

»Läuft doch gut, oder?«, fragte Lucius Prince. Die Frage war rhetorisch gemeint. Prince, Verteidigungsminister Dewey Drillson und sein Vize Doktor Henry Wolfstetter saßen im Clubraum der Defiant Foundation. Wie immer gab es Rotwein und auf einem Tischchen stand ein Tablett mit Horsd’œuvres. Muscheln in Blätterteig mit Sojasprossen, winzig kleine geröstete Frühkartoffeln mit Kaviar, Ravioli, gefüllt mit Carpaccio vom Perlhuhn und Wachtelspießchen an Weintrauben. Prince war es gelungen, die Küche zu Höchstleistungen anzuspornen. Auf dem Fernseher war der siegreiche Einmarsch der U. S.-Truppen in Afghanistan zu sehen.

Der Sender FUC inszenierte den Kriegsbeginn wie Leni Riefenstahl den Einmarsch der Sportler ins Olympiastadion 1936. Allerdings in Farbe. Rote, weiße und blaue Luftballons schwebten auf dem Bildschirm nach oben und an beiden Bildrändern wehte die amerikanische Fahne. Untermalt von einem Chor, der »God Bless America« sang. Der Moderator war in einen rot-weiß-blau-gestreiften Panzer montiert worden. In Wirklichkeit saß er im FUC-Studio in New York vor einem Green Screen und las vom Teleprompter ab. Der Einmarsch in Afghanistan lief, dem Moderator zufolge, großartig.

Zu sehen war allerdings nicht der echte Einmarsch, sondern eine Generalprobe, die extra für FUC abgehalten wurde. Der Sender wollte vorbereitet sein, wenn der Krieg tatsächlich begann, was für nächste Woche geplant war. Die U. S. Army stand schon in Usbekistan, Tadschikistan und einem Land, das Drillson schlicht »Feindistan« nannte, weil er sich den Namen nicht merken konnte.

Prince nahm sich gerade einen Hähnchenflügel, als der Kommunikationsdirektor Albert Rave im Türrahmen auftauchte. Rave schien ungewohnt besorgt. »Wir müssen den Präsidenten besser coachen«, sagte er. »Er hat sich schon wieder im Fernsehen versprochen. Ist der ein Legastheniker?«

»Legastheniker? Nee, er kann bloß nicht lesen und schreiben«, sagte Prince und grinste. »Aber dafür hat er es doch eigentlich ganz gut hingekriegt, oder?«

Drillson schüttelte grimmig den Kopf. »Albert hat recht«, sagte er. »Wir müssen besser werden. Wir haben noch viel zu viel schlechte Presse. All diese liberalen Arschlöcher überall. Nicht jeder ist so auf Zack wie FUC.«

Als sei er auf die Sekunde bestellt, platzte der letzte Mann herein, laut und fröhlich wie immer. Joe Brisbane von FUC. Brisbane war ein abgebrühter, schwammiger und blonder Australier in seinen Fünfzigern, der seit zehn Jahren in Washington lebte und zu seiner eigenen Überraschung seit einiger Zeit den Posten des Nachrichtenchefs der Featurenews Universal Corporation innehatte.

»Na, wie findet ihr unser neues Logo?«, fragte Brisbane und deutete auf den Fernseher.

»Wenn man all die digitalen Luftballons platzen lassen würde, fände man es ganz leicht«, sagte Prince. Enthusiasmus war nicht seine Stärke.

Brisbane entkorkte ungefragt eine weitere Flasche Rotwein und nahm sich einen Hummerwürfel. »Verglichen mit CNN und Konsorten sind wir doch spitze, oder etwa nicht?«

»Das ist genau das Problem«, sagte Drillson, »Sender wie CNN und … äh …«

»MSNBC!«, half Rave aus.

»… MS – egal, solchen Sendern, und erst recht einigen Zeitungen, ist noch nicht klar, wo es jetzt langgeht. Haben Sie die Geschichte vorgestern im Journal gelesen? Al-Quaida sollen Atomwaffen vom pakistanischen ISI angeboten worden sein? Mit dem Wissen der CIA? Wie konnte so was bloß gedruckt werden?«

»Ist die Presse denn nicht durch die Anthrax-Anschläge hinreichend eingeschüchtert?«, fragte Prince. »Wo kam das eigentlich her?«

Alle sahen sich an. »Die CIA und das FBI untersuchen das noch«, antwortete Drillson.

»Wir sollten den Zeitungen klarmachen, dass Bin Laden hinter den Anthrax-Anschlägen steckt«, schlug Rave vor. »Das dürfte doch kein Problem sein, oder?«

»Besser wäre noch, man würde es Saddam Hussein anhängen«, sagte Wolfstetter. »In Afghanistan sind wir ja praktisch schon. Und der Irak hatte sogar mal ein Biowaffen-Programm.«

»Ja, von uns gekauft«, sagte Drillson und verzog den Mund. »Davon müssten wir eigentlich noch die Quittungen haben. Die brauchen wir der Presse bloß zu präsentieren.« Er nahm sich ein Stück Entenleber-Parfait mit Feldsalat.

»So meinte ich das natürlich nicht«, sagte Wolfstetter schnell.

»Das war ein Scherz«, versicherte Drillson gelassen. Der kleine Professor hatte wirklich überhaupt keinen Sinn für Humor.

»Wir brauchen eine Doppelstrategie«, erklärte Wolfstetter. »Wir müssen die Öffentlichkeit für die Gefahren durch arabische Terroristen sensibilisieren und dafür brauchen wir die Medien. Die müssen über Anschläge, Massenvernichtungswaffen, Grausamkeiten berichten …«

»Dieses Ding im letzten Golfkrieg, mit den Brutkastenbabys, das war genial«, fiel ihm Brisbane bewundernd ins Wort.

»… und wir müssen eine Heldengeschichte inszenieren«, Wolfstetter mochte es nicht, unterbrochen zu werden. »Zum Beispiel von den tapferen Passagieren, die über Pennsylvania verhindert haben, dass die Boeing ins Weiße Haus fliegt.«

»Wie wäre es«, fragte Brisbane, »wenn wir die Frauenrechte in Afghanistan zu unserem Thema machen?« Er nahm sich eine der Kartoffelwaffeln mit Meerrettichhäubchen und stopfte sie in seinen Mund.

Die anderen sahen ihn an, als drehe er jetzt endgültig durch, aber Rave sprang ihm bei. »Wir führen Krieg gegen Frauenunterdrückung, das ist gut«, sagte er. »Das ist sehr gut. Das zieht vor allem bei weiblichen Wählern, die sonst eher gegen Krieg sind.«

»Genau!« Auch Prince schien nun zu begreifen. »Und das ist einfach zu inszenieren. Wir brauchen dazu bloß ein paar Exil-Afghaninnen in Burkas, die im Fernsehen erzählen, wie sie eingesperrt und verprügelt wurden. Das zieht«, erklärte er.

»Ein Spielfilm wäre auch eine gute Idee.« Brisbane war in seinem Element. »Die Heldin könnte ein afghanisches Mädchen mit Kulleraugen sein, die mit ihrem kleinen Bruder und einem Kätzchen in Kabul lebt und deren innigster Wunsch es ist, Tierärztin zu werden. Aber die bösen Taliban …«

»Oder eine Fernsehserie«, unterbrach ihn Prince. »Unsere Jungs in Afghanistan. So was wie Star Trek, multikulti und mit viel Technikgeschwätz, das keiner versteht …«

»Film oder Fernsehen dauern viel zu lange«, wand Rave ein. »Die Taliban haben wir in acht Wochen durch. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass es keine Bilder von toten Amerikanern gibt und dass das Ganze einen humanitären Anstrich bekommt. Wir könnten Lebensmittelpakete abwerfen, wie damals während der Luftbrücke in Berlin.«

»Während der Luftbrücke wurden keine Lebensmittelpakete abgeworfen«, bemerkte Wolfstetter trocken. »Die wurden ordentlich ausgeladen und verteilt.«

»Woher soll ich das wissen?«, fragte Rave ein wenig gereizt. »Ich bin Public-Relations-Fachmann und kein Historiker.«

»Es wäre ganz hilfreich, wenn sich Bin Laden noch einmal melden könnte«, sagte Brisbane. »Er könnte in seinem nächsten Video vielleicht darauf hinweisen, dass Saddam ihm die Anthrax-Sporen geliefert hat. Oder so.«

Wolfstetter schüttelte den Kopf. »Sie denken alle nur von jetzt auf gleich«, sagte er. »Wir brauchen eine langfristige Strategie. Und dafür brauchen wir die richtige Infrastruktur. Eine schnelle Truppe aus vertrauenswürdigen Mitarbeitern, die die CIA an die Kandare nimmt und die richtige Art von PR macht. Nicht zu viele Leute, sonst plaudert noch wer. Ein knappes Dutzend reicht. Wir nennen das …«

»Amt für Desinformation?«, fragte Prince und grinste.

»Seien Sie nicht immer so zynisch, Lucius«, tadelte Wolfstetter. »Wie wäre es mit Amt für Strategischen Einfluss?«

»Gute Idee«, sagte Rave. »Es müsste eine Schnittstelle zwischen Pentagon, CIA und Defiant Foundation sein. Die müssen Journalisten mit Infos füttern, Chefredakteure massieren, Websites bauen, die so aussehen wie von Oppositionellen im Mittleren Osten, Dokumente herstellen und so platzieren, dass Journalisten sie leicht finden, Wissenschaftler engagieren, die die richtigen Gutachten liefern, und so weiter. Psychologische Kriegsführung halt. Ruhig auch ein paar Schöngeister dazu holen und veranlassen, dass die ein paar offene Briefe publizieren oder so.«

Prince nickte beeindruckt. »Sehr gut«, sagte er. »Wir brauchen auch ein paar Leute bei der Presse, auf die wir uns verlassen können. Vor allem bei der Times und bei der Post. Einen Hardliner und ein Weichei, das zögerlich tut, sonst ist es zu auffällig. Und wenn irgendwas von der Beweislage her zu dünn ist, sollten wir es in ausländischen Medien lancieren.« Er holte Luft. »Aber am wichtigsten sind Bilder. Bilder von Gefolterten zum Beispiel. Am besten von Kindern. Bilder von toten Kindern kommen immer gut. Die müssen aber diesmal wirklich echt aussehen. Pannen können wir uns keine mehr leisten.«

Drillson beugte sich vor. »Es gab doch in den achtziger Jahren diesen Giftgasangriff auf die Kurden im Nordirak«, sagte er. »Wen hat die CIA damals dafür verantwortlich gemacht? Den Iran?«

Wolfstetter nickte. Er begriff, worauf sein Chef hinauswollte. »Diesen Angriff sollten wir schnell ausschlachten, bevor Burton sein Veto einlegen kann«, sagte er. »Dafür war ab sofort der Irak verantwortlich. Ist die CIA biegbar genug, um das hinzukriegen?«

»Sind die Demokraten Schlappschwänze?«, fragte Drillson. Alle kicherten.

»Apropos Demokraten«, sagte Wolfstetter, wobei er nach einem Dörrpflaumenspieß mit Serrano-Schinken griff. »Der Patriot Act steht nächste Woche im Kongress zur Verabschiedung an. Ein paar Demokraten zicken noch rum.«

»Das wird sich geben«, beschwichtigte Prince. »Laut CNN hat deren Sprecher heute auch einen Anthrax-Brief bekommen.« Und als ihn alle ansahen: »Er lebt allerdings noch.«

»Wir brauchen außerdem ein Logo«, warf Rave ein. »Eines, das den Kampf gegen den Terror symbolisiert. Was Sci-Fi-mäßiges. Vielleicht ein Colorcode mit Alarmfarben, roter Alarm, gelber Alarm, orangener Alarm …«

»Rosa Alarm, wenn unser Freund Albert Rave den Raum betritt«, spottete Drillson. Wieder kicherten alle. Außer Rave natürlich.

»Das Wichtigste überhaupt ist ein positives Image«, sagte Rave unbeirrt. »Wir müssen vermitteln, dass wir auf der Siegerstraße sind, dann folgen uns alle von selbst.« Er drehte sich zu Brisbane um. »Wie hoch sind die Einschaltquoten von FUC?«

»Schwer zu sagen, in dieser Präzision«, sagte Brisbane und entkorkte die dritte Flasche Wein. Seine Wangen waren so rot wie die gegrillten Langusten auf dem Tablett. »Das hängt davon ab, von welcher Sendung wir reden. Und natürlich auch von der Nachrichtenlage …«

»Mehr oder weniger als eine Million?«, schnitt Drillson ihm das Wort ab.

»Eher weniger«, räumte Brisbane kleinlaut ein.

»Das müssen wir ändern«, sagte Rave. »FUC muss mehr Erfolg haben. Dann werden die anderen Sender schon auf euren Nachrichten-Stil aufspringen.«

»Wir tun ja, was wir können«, sagte Brisbane. »Wir haben neulich erst einen zweiten Hubschrauber für unser New Yorker Büro …«

Mit einer Handbewegung brachte Rave ihn zum Schweigen. »Wer ermittelt denn die Einschaltquoten? Das ist doch eine private Gesellschaft, oder?«

Brisbane nickte. Rave wandte sich an die anderen. »Denen müssen wir klarmachen, dass ihre Zahlen unpatriotisch sind. Vielleicht fördern wir auch positive Verstärkung. Wir sollten ein paar Aufträge für Umfragen vergeben oder so.«

»Die Idee ist gut, aber das sollten wir machen, nicht das Weiße Haus«, sagte Prince. »Die Defiant Foundation, meine ich. Wenn Sie oder das Pentagon das finanzieren, fällt das auf. Wir haben noch reichlich Geld von Al-Bandar.«

»Über Werbung lässt sich sicherlich auch etwas machen«, sagte Rave und griff bereits nach dem dritten Shrimp im Nudelkörbchen, einer Komposition aus Muschelnudeln und Engelshaar. »Wir sollten den Rüstungsfirmen, die Aufträge von uns erhalten, nahelegen, nur bei patriotischen Sendern Werbung zu schalten.«

»Ok, die Marschrichtung ist klar«, sagte Drillson und ballte leicht die Faust. »Afghanistan ist verkauft. Jetzt geht es um den Irak oder den Iran. Syrien, Libyen und Saudi-Arabien sollten wir auch nicht aus den Augen verlieren. Henry, Sie stellen ein Dossier über Massenvernichtungswaffen zusammen und geben das gleich an Joe weiter. Sobald wir festgelegt haben, welches Land wir uns als Nächstes vornehmen, sorgt er dafür, dass FUC eine Dokumentation produziert.« Schnell schnappte er sich die letzte Scheibe gegrillten Truthahn mit Knoblauch-Mayonnaise.

Prince guckte der Scheibe neidisch hinterher. Dann erst merkte er, was Drillson gesagt hatte. Syrien, Libyen, Saudi-Arabien?

»Was ist jetzt mit meinem Spielfilm?«, fragte Brisbane. Er klang ein wenig enttäuscht.

»Sie können so viele Spielfilme machen, wie Sie wollen, Joe«, sagte Wolfstetter großzügig. »Die Medien sind schließlich unabhängig.«

Luellas Garderobe befand sich im Keller des Moulin Noir und war nur über einen verwinkelten Gang zu erreichen. Sie grenzte an die Bar, in der die Kunden hinterher noch ein Glas tranken und vielleicht noch ein bisschen plauderten. Oder telefonierten, denn auch das Münztelefon hing in der Bar, gleich neben dem Zigarettenautomaten. Luellas Garderobe und die Bar waren nur durch eine sehr dünne Wand getrennt. Gleich am ersten Tag, nachdem sie ihren Posten im Moulin Noir bezogen hatte, hatte sie die Wand zur Bar vorsichtig ausgehöhlt bis nur noch die Tapete auf der anderen Seite übrig war, und hatte dann eine dicke Scheibe Styropor in die Aushöhlung eingesetzt. Nun musste sie nur noch diese Scheibe herausnehmen, dann konnte sie hören, was an der Bar besprochen wurde. Allein auf ihre Fähigkeit, sich dumm zu stellen und im rechten Augenblick »Yes, Sir« zu sagen, mochte sie sich dann doch nicht verlassen.

Sie hatte in den letzten Monaten ein beachtliches Talent entwickelt, verschiedene Stimmen zu erkennen und zuzuordnen. Doch wer der Mann war, dem sie gerade lauschte, fand sie einfach nicht heraus. Er redete nicht in normaler Lautstärke, sondern flüsterte auf eine flache, emotionslose Art, die seiner Stimme jeglichen Charakter nahm. Da sie niemanden hören konnte, der ihm antwortete, nahm sie an, dass er in ein Mobiltelefon sprach – leider, denn auch das Münztelefon hatte sie über eine Leitung an der Rückseite bereits angezapft.

Der Mann war, das konnte sie hören, höchst zufrieden mit sich selbst. »Wir haben unser Ziel erreicht«, sagte der Unbekannte. »Die Demokraten trauen sich vor Panik kaum noch aus ihren Wohnungen, geschweige denn ins Kapitol. Und die Presse bettelt die Regierung auf Knien an, härter gegen Terroristen durchzugreifen.« Eine halbe Minute Schweigen.

»Darüber war ich selbst überrascht. Auf den Briefen standen schließlich Warnungen, die doch irgendwer vor dem Öffnen hätte sehen müssen. Aufs Personal kann man sich heute eben auch nicht mehr verlassen«, ergänzte er spöttisch.

Erneut Schweigen. Luella wagte kaum, zu atmen. Das war das erste wirklich große Ding, dem sie auf die Spur kam, seit sie hier auf der Lauer lag.

»Ja, sicher, wir haben nur solche Stränge verwendet«, sagte der Unbekannte. »An irgendwelchen Viechern, was weiß ich. Ich bin Fachmann für schmutzige Tricks und kein Biowaffenexperte.«

Schweigen.

»Ja, ja, selbstverständlich. Der Kreis der Mitwisser ist streng begrenzt. Nur eine Handvoll Spezialisten. Und USAMRIID verdächtigt sowieso niemand. Die Zeitungen schreiben alle über Saddam und den Irak.«

USAMRIID, das U. S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases, forschte über ansteckende Krankheiten. Wie Anthrax. Natürlich hatten sie deshalb auch Anthrax-Stämme in ihren Laboren.

»Ja, die CIA und das FBI untersuchen das, aber die finden nie etwas heraus, das garantiere ich Ihnen. Und selbst wenn irgendein Journalist zurückverfolgen könnte, woher wir das Zeug haben, hätten wir noch immer ein oder zwei falsche Spuren in petto, auf die wir zurückgreifen könnten.«

Schweigen.

»Gut. Aber so viele von denen gibt es auch wieder nicht, als dass wir die nicht unter Kontrolle bekämen. Werfen Sie doch mal ein Auge auf diesen russischen Biowaffenexperten. Diesen Überläufer. Dem traue ich nicht.«

Schweigen. Dann hechelte der Unbekannte. Luella begriff, dass das ein lautloses Lachen war. »Keine Sorge. Wir haben noch mehr davon. Genug für alle.«

Gleich war das Gespräch vorbei. Luella brauchte genau dreißig Sekunden, um ihren seidenen Kimono überzuwerfen und hinüber in die Bar zu schlüpfen. Wo war bloß der Mann mit der leisen Stimme? Die Bar war leer. Abgesehen von dem Mexikaner, der die Drinks mixte.

»Pedro«, sagte sie. »War hier gerade noch jemand, der telefoniert hat?«

Der Barkeeper sah sie schulterzuckend an. »No, Lady.« Genau in dem Augenblick setzte ein irrsinniger Lärm ein.

Er kam vom Fernseher über der Theke. Auf dem Bildschirm tanzten rot-weiß-blaue Ballons und im Hintergrund rollten Panzer. Ein Chor sang »God Bless America« und der Moderator überschlug sich vor Begeisterung. Der Einmarsch in Afghanistan hatte begonnen. Diesmal wirklich.

 

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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3 Kommentare

  1. Die Anthrax Anschläge auf Kongressabgeordnete, welche den Patriot Act nicht unterzeichnen wollten, sind weitgehend in Vergessenheit geraten.

    1. „Die Anthrax Anschläge auf Kongressabgeordnete, welche den Patriot Act nicht unterzeichnen wollten, sind weitgehend in Vergessenheit geraten.“

      Ne (leider) nicht bei mir.

      https://youtu.be/TuABzsPPVXU

      Man verliert leider den Überblick über das gesamte Gewaltpotentials des deep states. Die sind einfach so kriminell das uns heute die richtige Beschreibung/Wörter dieser Zustände fehlen.

      Mafia? Organisierte Kriminalität? Psychopathen? Viel zu harmlos! Die Mafia begeht keine Völkermorde, diese Typen allerdings, machen so was noch vor dem Frühstück und dem Morgenschiss.

  2. Was tatsächlich los war: die Anthraxbriefe waren der Grund für die Einführung des Patriot Act. Justizminister Ashcroft behauptete, tausend Islamisten stünden bereit, um damit loszuschlagen. Der Patriot Act war wundersamer weise schon fertig, ein Werk mit 384 Seiten. Der Mehrheitsführer der Demokraten, Tom Dashle, der sich gegen den Act wehrte, bekam ebenfalls einen Anthraxbrief. Sieht nicht nach Islamisten aus.
    Matthias Bröckers behauptete, der Patriot Act setze die Verfassung außer Kraft. Ich habe das geprüft, meiner Meinung nach hat er recht. Wäre mal ein Thema für einen Artikel.
    Interessant ist, dass die Serie der Anthraxbriefe kurz vor 9/11 begann. Ohne den Anschlag hätte der PA wohl keine Chance gehabt, aber die aufgeheizte Stimmung wurde genutzt, um ihn durch zu bringen. Es sieht ein ganz klein wenig nach Vorwissen aus.
    Dann wurden die Vorfälle untersucht und statt 1000 Islamisten blieb dann nur noch ein Beamter übrig, auf den alle Schuld geschoben wurde. Er nahm sich das Leben, angeblich mit Paracetamol. Da war bei Ken Jebsen einmal ein Arzt, der behauptete, das sei unmöglich.
    Leider kümmern sich die Truther zu wenig um das Anthrax. Ein Fehler, finde ich.

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