Die Verschwörung, Folge 3 — Unexpected Flying Objects

US-Kongress von vorne
Bild: privat

Sternenforscher Manual Goldstein aus Kalifornien lebt in der Wüste von Nevada in einem Trailer, zusammen mit seiner Katze, und nahe eine geheimen Militärinstallation, die als Area 51 bekannt ist. Er beobachtet nicht nur den Himmel, sondern auch die Area 51, wo es in diesen Tagen verdächtige Flugbewegungen gibt. Dabei chattet Manuel mit UFO-Suchern aus aller Welt, die er nur aus dem Internet kennt — bis er von einem Anschlag in New York aus seinem Alltag gerissen wird.

 

Die Wüste von Nevada ist eine rote, raue Felslandschaft, von der Sonne verbrannt, vom Wind ausgetrocknet. Im Sommer steht eine glühende Sonne hoch über den Bergen und treibt alle Lebewesen unter die Erde. Der Winter verwandelt den Himmel in eine eisige, blauschimmernde Halbkugel, die alles Leben erstarren lässt. Die satte Sonne des Herbstes taucht die Wüste in ein goldschimmerndes Licht. Bis zu der Minute, in der sie untergeht, um dem mit Kratern übersäten weißen Mond Platz zu machen. Manchmal fliegen auch unbekannte Flugobjekte am Mond vorbei.

Emmanuel Goldstein fing erst an zu arbeiten, nachdem die Sonne untergegangen war, denn er beobachtete den nächtlichen Himmel. Morgen, am 11. September, würde die Sonne um 4.55 Uhr über der Bergkette des Tikaboo Peak aufgehen und die Bussarde, Armadillos und Leguane wecken. Jetzt war es kurz vor zehn, eine klare, warme Herbstnacht. Manuel saß an einem ausklappbaren Tisch in seiner Küche und wickelte Spaghetti mit Tomatensoße um seine Gabel. Dazu trank er Kaffee. Schwarz. Er musste noch einige Stunden wach bleiben. Unter dem Tisch hockte die kleine grau-schwarze Katze mit den weißen Pfötchen, die sich bei ihm einquartiert hatte, und hoffte, dass sie ein paar Nudeln abbekam.

Manuel lebte in einem Trailer, den er zwei Navajo-Indianern am Lake Tahoe abgekauft und hier in den Tikaboo-Bergen aufgestellt hatte. Der Trailer war so spartanisch eingerichtet, wie man es von einem jungen Mann in der Wüste erwarten würde. In dem Regal, das die komplette Rückwand einnahm, stapelten sich drei Schachteln mit Cornflakes, zwei Packungen Hartkekse, etwas Brot, ein paar getrocknete Kakteenfrüchte, eine Tüte Spaghetti, Konservendosen mit Tomaten, ein großes Stück Hartkäse, ein Blechkanister mit Öl, Wasserflaschen aus Plastik, zwei Plastikschüsseln, zwei dicke Weingläser und drei graue Steingutbecher mit einem stilisierten angebissenen Apfel in den Farben des Regenbogens. Aus dem vierten Becher trank Manuel seinen Kaffee. Im Trailer befand sich außerdem noch ein erstaunlich großer Kühlschrank, ein zerschrammter Elektroherd mit zwei Platten und eine Spüle mit einem ebenfalls zerschrammten Stahlbecken. Am anderen Ende des Trailers fiepte es ab und zu leise. Der Funkscanner tat alle zehn Minuten kund, dass er sich im Standby-Modus befand.

Gleich neben der Küche lag das winzige Bad mit einer Dusche, in der Manuel sich kaum umdrehen konnte. In der Mitte des Trailers spannte sich eine aus Seilen gedrehte Hängematte über die ganze Breite. Darin lagen drei Decken mit dem klassischen Streifenmuster der Navajo. Im vorderen Teil gab es einen Bereich, den die grau-schwarze Katze für ihr Jagdrevier hielt und Manuel für sein Büro. Ein stählernes Bücherregal war am Kopfende angeschraubt, dazu ein Schreibtisch, vollgepackt mit Büchern, Karten und Papierstapeln, eine Lampe und ein kleiner Fernseher. Daneben stand sein Mac. Ein PowerBook G4, das neueste Modell, per DSL mit der Außenwelt verbunden. Dass man Internet in einem Trailer empfangen konnte, wusste Manuel auch erst, seit er in der Wüste wohnte. Der Mac war mittels Firewall vor virtuellen Attacken geschützt, so hoffte er zumindest. Der Fernseher war mit einer Satellitenschüssel auf dem Dach verbunden. Im militärischen Sperrgebiet funktionierten normale Antennen nicht. Genau wie Mobiltelefone. Außerdem hatte Manuel eine digitale Kamera auf dem Dach installiert, die ebenfalls mit seinem Mac verbunden war. Nicht ganz billig, aber notwendig für seine Forschungen. Der Fernseher lief wie immer leise im Hintergrund. Um 22 Uhr fingen in Nevada die Spätnachrichten an. Aber viel war heute nicht los auf der Welt.

Manuels Trailer stand am Rande des Dörfchens Rachel, das eigentlich nur aus einer Handvoll verstreuter Wohnwagen, drei weißgekalkten Häuschen sowie einer Bar namens Little A’Le’Inn bestand. Von Rachel aus führte der Highway 375, Extraterrestrial Highway genannt, am Spezialgeschäft für Extraterrestrisches und an der berühmten Black Mailbox vorbei, wo sich abends die UFO-Sucher einfanden. Der Highway 375 endete an der Interstate 93, die nach Las Vegas führte, hundert Meilen südlich von Rachel. Eine Fahrt von zwei Stunden, mit Manuels klapprigen VW-Käfer fast drei.

Nördlich von Rachel, auf einem Gelände, das Yucca Flats hieß, testete die Army Atombomben. Halb Nevada war ein Testgelände für die Air Force, die NSA oder die CIA. Aber das größte von ihnen lag zwanzig Meilen westlich von Rachel, am Groom Lake, einem großen Salzsee. Hier waren die Tarnkappenbomber für den Golfkrieg entwickelt worden, die dank einer hochgiftigen Spezialfarbe unter dem Radar fliegen konnten. Doch nicht dafür war dieses Testgebiet so berühmt. Es war berühmt, weil es geheim war. So geheim, dass es keinen Namen hatte und auf keiner Karte verzeichnet war. Die Geheimdienste und die Army nannten es intern »Traumland«. Aber bei Ufologen und Trekkies, Verschwörungstheoretikern, Mondsüchtigen und Skeptikern, die glaubten, die NASA habe die Mondladung mit Hilfe von Hollywood inszeniert, war es als »Area 51« bekannt. Hier, so glaubten sie, verbarg die Regierung fliegende Untertassen, die abgestürzt waren. Das hielt Manuel für ausgemachten Blödsinn. Er fand die Area 51 aber trotzdem bemerkenswert. Denn von hier aus starteten die unbekannten Flugobjekte der U.S. Army.

Manuel kam aus Kalifornien. Aus einer intellektuellen Mittelschichtsfamilie, falls man die Gründerin einer Hanfbäckerei in Santa Barbara und einen unveröffentlichten Science-Fiction-Schriftsteller zur intellektuellen Mittelschicht zählen konnte. Abschluss an der Abbie Hoffman Highschool in Santa Barbara, danach University of Berkeley. Die linkste Uni der USA. Dort hatte er Amy getroffen. Amy war wunderbar. Lustig, schön, selbstbewusst, voller Energie. Politisch engagiert, klug, mutig; er hatte es geliebt, wenn sie auf einem Podium stand, unter einem Poster von Harvey Milk oder Angela Davis, und beim Reden ihre braunen Haare zurückstrich. Sie waren unzertrennlich. Zumindest dachte er das, bis er merkte, dass er nicht der Einzige war, den sie faszinierte. Es folgten Tränen, Trennung und dann sein Entschluss, in Rachel, Nevada, ein neues Leben anzufangen.

Manuel stellte den Teller in den Ausguss, zwängte sich in das winzige Bad, drehte den Wasserhahn auf und sah in den Spiegel. Lange lockige braune Haare, die er hier, weit weg von seinen Freunden, zum Pferdeschwanz gebunden trug. Sanfte braune Augen und ein Drei-Tage-Bart aus Faulheit, nicht aus Mode. Wozu rasieren in Rachel? Ein kritischer Blick auf seine Schultern, die herunterhingen. Er saß definitiv zu viel am Schreibtisch. Manuel streckte sich, lächelte sein Spiegelbild an und schöpfte mit beiden Händen Wasser, um sein Gesicht darin einzutauchen.

Als er sich vor den Computer setzte, war es fast 23 Uhr. Zeit, auf BBC World umzuschalten. Nur nichts verpassen. Achtzehn Mails waren eingetrudelt. Ein Drittel davon war Werbung für Kredite, Singlebörsen und Penisverlängerungen. Manuel grinste. Wieso traf man eigentlich niemals einen Mann, der sich den Penis hatte verlängern lassen? Zwei Rundbriefe von Instituten, die über militärische Strategie forschten. Eine Mail aus Berkeley. Die Uni behelligte ihn schon wieder mit irgendeiner Abgabefrist, die er hätte einhalten sollen. Drei Mails von Freunden aus Kalifornien. Und eine von WarriorKahless.

Manuel hatte WarriorKahless in einem Chatroom für manisch-depressive NASA-Angestellte kennengelernt, die wie die Verschwörungstheoretiker glaubten, dass Houston die Mondladung mit der Hilfe von Hollywood inszeniert hatte, und schrieb seitdem regelmäßig mit ihm. Verschwörungen und Raketentechnologie waren das Hobby von WarriorKahless. Sein Job konnte es nicht sein, dafür kannte er sich zu gut aus.

»Hi, LeiaOrgia«, schrieb WarriorKahless. LeiaOrgia war Manuels Username. Ein Name, der ihn bei Männern mit viereckigen Augen, die ihre Tage am Computer verbrachten, sehr beliebt machte. Die wussten natürlich nicht, wie er aussah. »Hast du schon von der neuen plutoniumgetriebenen, hypersonaren Superdrohne gehört, die das Pentagon entwickeln lässt? Die verbindet die Fernsteuerungstechnologie der Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers und kann auf dem Radar jedes beliebige Flugobjekt von der Cessna bis zur Saturn V simulieren. Guck doch mal, ob du davon in der Area etwas mitkriegst.«

Die neue Predator V? Es gab Gerüchte im Internet über diese neue Superdrohne, aber Manuel hatte sie noch nicht gesehen. »Wie sieht sie denn aus?«, mailte er zurück.

»Schwarz«, antwortete WarriorKahless. »Übrigens hat die Airbase von Omaha, Nebraska, gestern Nacht eine Lastwagenkolonne in Richtung Area 51 geschickt. Vielleicht hat das ja etwas mit dieser Superdrohne zu tun.«

Vielleicht, dachte Manuel. Oder auch nicht. Die nächste Mail kam von Roswell666. Der war selbst für Manuels Geschmack ein bisschen zu verrückt. »Hi, Leia«, schrieb Roswell666. »Weißt du, dass heute eine einmalige Planetenkonstellation am Himmel zu sehen ist? Jupiter, Saturn und Mars befinden sich auf einer Tangente, deren äußerster Punkt von Alpha Centauri gebildet wird. Das bedeutet, dass außerirdische Krieger die Erde ins Visier genommen haben und bald Chaos herrschen wird.«

Manuel seufzte. Was hieß denn hier bald? Seit dieser schwachsinnige Präsident im Amt war, herrschte bereits Chaos in ganz Amerika. Er klickte weiter. Auf dem Bildschirm blinkte eine neue Mail. Sie kam von jemandem, mit dem er bisher noch nie Kontakt hatte. Niitaka nannte er sich. Oder war er eine Sie? Im Internet wusste man ja nie. Irgendwie kam ihm der Name vage bekannt vor, doch er wusste nicht, woher. Vielleicht sollte er den Namen googeln, dachte er. Er öffnete die Mail. »Morgen um 8.46 Uhr wird sich die Geschichte wiederholen, nur grandioser«, schrieb Niitaka.

Manuel schüttelte den Kopf. Wieder so ein Spinner. Er löschte die Nachricht. Kurz vor Mitternacht startete er das Programm, mit dem er die Daten der Digitalkamera auf seinem Dach auswerten konnte. Der Mond war aufgegangen. Eigentlich schien er ein bisschen zu hell für das, was Manuel vorhatte, aber es war eine schöne klare Nacht, die er nicht vergeuden wollte. Irgendetwas rumpelte ganz leise aus der Ferne, ungefähr von dort, wo die Area 51 lag.

Manuel war Forscher. Wissenschaftler. Er beobachtete den nächtlichen Himmel, um Material für seine Dissertation zu sammeln, die er in Berkeley einreichen würde. Irgendwann. Ganz bestimmt. »Quasare und schwarze Löcher als Phänotypen der galaktischen Anomalie und ihr visueller Effekt auf die Physiognomie der Milchstraße« lautete das Thema. Inzwischen hatte er allerdings festgestellt, dass es in der Wüste von Nevada noch etwas weit Interessanteres gab, das er beobachten konnte. Die Area 51. Hinzu kam der Kitzel des Verbotenen. Manuel war Anarchist.

Es war allerdings gar nicht so einfach, die Area zu beobachten, denn das Gelände war besser gesichert als das Set eines Star Wars-Films. Zudem stand sein Trailer mehr als dreißig Meilen von dem Militärgelände entfernt – viel näher durfte keiner ran. Rund um die Area gab es eine Sperrzone von zehn Meilen, die durch meterhohe Aluminiumstangen mit stählernen Kugeln an der Spitze markiert war. Und überall gab es Schilder, auf denen stand: »Use of Deadly Force Authorized«. Innerhalb der Sperrzone rannten Männer in Camouflage und mit halbautomatischen Waffen herum, die von den Einheimischen in Rachel Cammo Dudes genannt wurden. Der Groom Lake lag bereits mitten im Sperrgebiet. An seinem Ufer gab es eine Start- und eine Landebahn, aber einige der Flugzeugtypen konnten auch direkt auf dem Salzsee landen. Dahinter lag das Militärgelände, die eigentliche Area. Sie war durch einen meterhohen Zaun aus stahlverstärktem Maschendraht gesichert, der wiederum von Stacheldraht gekrönt wurde. In den Wachhäuschen an den Eingängen standen Tag und Nacht bewaffnete Soldaten. In der Nacht herrschte dort Hochbetrieb.

Wenn Manuel auf einen der Hänge des Tikaboo Peak kletterte, konnte er mit Hilfe seines Fernglases einen Blick auf mehr als ein Dutzend Flugzeughangars erhaschen. Schon einer davon war groß genug, um ein Space Shuttle nebst der Raumfähre aufzunehmen. Die meiste Zeit absolvierten diverse schwer identifizierbare Flugkörper unter Halogenleuchten Trockenläufe mit heulenden Motoren. Gelegentlich blitzte es auch. Manchmal flogen Kampfjets – falls es Kampfjets waren – Testmanöver am Himmel über Nevada, bis sie in der Stratosphäre verschwanden. Auch eine turmhohe trichterförmige Antenne konnte er vom Berghang aus erkennen. Das Einzige, was er noch nie hatte landen oder starten sehen, war ein UFO.

Da Manuel nicht die geringste Chance hatte, in das Sperrgebiet oder gar die Area selbst zu gelangen, war er darauf angewiesen, den Funkverkehr abzuhören, den Himmel abzusuchen und die Militärfahrzeuge zu beobachten, die dort ein- und ausfuhren. Natürlich konnte er auch im Internet nach Gerüchten suchen. Davon kursierten viele. Etwa, dass es in der Area Hangars gab, in denen Neutronenbomben und Schallwaffen lagerten, und Bunker, in denen keine Schwerkraft herrschte und wo hochintelligente, fremde Lebensformen, die auf Stickstoff- oder Schwefelbasis lebten, gefangen gehalten und seziert wurden. Seit acht Monaten lebte Manuel in Rachel, Nevada, und der ständige Kontakt mit all den Möchtegern-Wissenschaftlern, Internetspinnern und vom Glauben abgefallenen Spezialisten, die kaum voneinander zu unterscheiden waren, vermittelte ihm das Gefühl, er verwandele sich langsam selbst in einen Roswell666.

Fast hätte er das neue blinkende Briefchen auf dem Bildschirm übersehen. Es war von JEdgarH, einem interessanten Chatpartner. Kein UFO-Spinner, sondern eher ein politischer Kopf. Manuel vermutete, dass JEdgarH für die Regierung arbeitete. Vielleicht für den Kongress oder für einen Senator. »LeiaOrgia«, schrieb JEdgarH. »Sieh dich vor. Es gibt Bestrebungen in Washington, deinen Computer anzuzapfen. Schon mal was von der Magischen Laterne gehört? Das FBI könnte in dein Haus einbrechen und einen Scanner in deinem Laptop installieren, der ihnen dann alles mitteilt, was auf deiner Festplatte passiert.«

Manuel fühlte sich ein wenig unbehaglich. Er glaubte zwar, dass die Regierung zu allem fähig war, aber er hatte Sicherheitssoftware installiert, so dass sein Computer ihn eigentlich sofort alarmieren sollte, falls jemand bei ihm einbrach. Aber man wusste ja nie. Vielleicht arbeitete Steve Jobs ja mit den Feds zusammen. »Außerdem«, schrieb JEdgarH weiter, »planen die Republikaner eine Bereinigung der Wählerverzeichnisse, um bei der nächsten Wahl möglichst viele Demokraten herauszukegeln.«

Manuel zuckte mit den Schultern, obwohl sein Chatpartner ihn gar nicht sehen konnte. »Republikaner, Demokraten, ist doch alles das Gleiche«, mailte er zurück.

Ein Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln kam zurück. »Sag nicht, du bist eine dieser Ralph-Nader-Wählerinnen, die ihre Stimme verschenkt haben?«

Manuel hatte tatsächlich Nader, den Kandidaten der Grünen, gewählt, aber das wollte er JEdgarH nicht unbedingt auf die Nase binden. »Kommt darauf an, wie man ›bist‹ definiert«, mailte er zurück.

Diesmal kam ein grinsender Smiley zurück. »Eigentlich müsste deine Stimme doch doppelt zählen – lebst du nicht in einem militärischen Sperrgebiet?«

Das ließ Manuel nicht auf sich sitzen. »Technisch gesehen studiere ich in Berkeley. Meine Stimme dürfte also überhaupt nicht gezählt worden sein. Aber wir werden ja sowieso vom militärisch-industriellen Komplex regiert. Warum also wählen?«

Eine weitere Nachricht von JEdgarH blinkte auf. »Wahrscheinlich dürfen demnächst nur noch Leute wählen, die nachweisen können, dass sie schon für Reagan gestimmt haben.« Mittlerweile war es schon vier Uhr morgens, pazifische Zeit. An der Ostküste schon sieben Uhr. Die Katze war damit beschäftigt, imaginäre Mäuse zu jagen. Zumindest hoffte Manuel, dass sie imaginär waren. Er holte die nächsten Bilder von der Digitalkamera auf den Schirm. Der Himmel über der Wüste war mit Millionen von Sternen überzogen. Es war wirklich keine ideale Nacht, um Quasare zu beobachten oder die ohnehin kaum wahrnehmbaren Lichteffekte, die von schwarzen Löchern verursacht wurden. Außerdem spielte die Area 51 verrückt. Gerade fuhren Dutzende von Lastwagen den Extraterrestrial Highway hoch. Er konnte die Scheinwerfer von weitem sehen. Dazu hörte er Motorengeräusche. Es waren Flugzeuge. Viele Flugzeuge.

»Bist du sicher, dass diese mysteriöse Lasterkolonne aus Omaha hierhin wollte?«, schrieb er an WarriorKahless. Der antwortete nicht. Um 5.30 Uhr kippte er den letzten Kaffee weg und machte noch ein paar Notizen für seine Dissertation, um sein Gewissen zu beruhigen. Direkt neben Betelgeuse vermutete er ein Schwarzes Loch. Vielleicht war es aber auch nur ein totes Insekt auf dem Scanner. Gleich morgen würde er auf das Dach klettern, um zu gucken, ob die Matrix beschädigt war. Als er wieder auf den Bildschirm sah, fiel ihm ein heller Fleck auf, der sich direkt über ihm bewegte. Der Fleck bewegte sich zu langsam für ein Flugzeug und zu schnell für einen Stern – für einen Planeten, meinte er natürlich. Sterne bewegten sich schließlich überhaupt nicht. Vielleicht war es ein Satellit.

Während er seine Unterlagen zusammenpackte, fiel ihm ein, dass er noch irgendetwas hatte googeln wollen. Was war das bloß gewesen? Er klickte auf die Homepage der New York Times, die schon die Morgennachrichten meldete. Dann auf die Seite der Washington Post. Ja, die Erde hatte auch diese Nacht gut überstanden.

»Oh mein Gott, oh mein Gott!«, schrie eine weibliche Stimme, weit jenseits der Hysterie. Gleichzeitig machte die grau-schwarze Katze einen Satz und sauste unter eine der Navajo-Decken. »Mein Gott, der Turm, der … Feuer!« Die hysterische Stimme kam aus dem Fernseher. Manuel sah irritiert auf. Er war es nicht gewohnt, dass Fernsehmoderatoren echte Emotionen zeigten. Das Bild zeigte das World Trade Center in New York. Aus einem riesigen Loch in den oberen Stockwerken quoll Rauch. Gewaltige Feuerzungen leckten an einem der Türme, der wohl mindestens hundert Stockwerke hatte. Das Bild wackelte und schwankte, als seien Amateure am Werk.

Manuel griff zur Fernbedienung und zappte durch die Kanäle. ABC, CBS, NBC, überall dasselbe Bild. Dann wieder CNN. Er konnte es nicht fassen. »Um 8.46 Uhr hat ein Flugzeug den Nordturm des World Trade Center gerammt«, sagte die weibliche Stimme, noch immer vollkommen hysterisch. Ein Flugzeug? Das Flugzeug musste in der riesigen Rauchwolke verschwunden sein. War das ein Unfall? Ein Attentat?

Noch während er auf den Bildschirm starrte, geschah es. Ein weiteres, kleines Flugzeug steuerte ganz langsam auf den zweiten Turm zu. Das heißt, das Flugzeug wirkte klein und langsam, weil die Türme so riesig waren. Tatsächlich war es eine Boeing, die mit voller Geschwindigkeit auf das World Trade Center zuraste und einschlug. Ein gewaltiger orangefarbener Feuerball brach aus dem zweiten Turm hervor. Dann bildete sich eine riesige schwarze Rauchwolke. Die Kamera klebte zitternd und wackelnd an dem orangefarbenen Feuerball. In der Wiederholung explodierte der Feuerball wieder und wieder. Und wieder. Harter Schnitt: Die Kamera erfasste wild schwankend die Straße. Es sah aus wie in Beirut 1988. Eingedellte Autos, dunkle reglose Körper auf dem Asphalt, graue Trümmer, graue Staubwolken, weiße, mit Kalk überzogene Menschen, die entsetzt wegrannten, während sich hinter ihnen eine gewaltige Trümmerwolke auftürmte, die wahnsinnig schnell größer und größer wurde.

Manuel brauchte eine halbe Stunde, um sich von den Fernsehbildern loszureißen. Erst dann bemerkte er das rot leuchtende Briefchen auf seinem Computerbildschirm, das eine neue Mail anzeigte. Wieder Niitaka. »Habe ich es nicht prophezeit?«, war darin zu lesen.

Manuel starrte einige Sekunden vollkommen ungläubig auf die Nachricht. Dann riss er sich zusammen und schrieb. »Wer bist du?!«

Keine Antwort. Er wartete noch ein paar Minuten, aber nichts geschah. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, was er hatte tun wollen. Er hatte den Usernamen auf Google suchen wollen. Niitaka. Er tippte ihn ein.

Niitaka war das japanische Codewort für den Angriff auf Pearl Harbor.

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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3 Kommentare

  1. zitat:
    „Morgen, am 11. September, würde die Sonne um 4.55 Uhr über der Bergkette des Tikaboo Peak aufgehen und die Bussarde, Armadillos und Leguane wecken. Jetzt war es kurz vor zehn, eine klare, warme Herbstnacht“

    ich glaub ich kauf das Buch….🤣🤣

  2. zitat:
    „Morgen, am 11. September, würde die Sonne um 4.55 Uhr über der Bergkette des Tikaboo Peak aufgehen und die Bussarde, Armadillos und Leguane wecken. Jetzt war es kurz vor zehn, eine klare, warme Herbstnacht“

    ich glaub ich kauf das Buch….🤣🤣

  3. Lieber nicht, in einem Buch funktionieren keine Cliffhanger. Ansonsten:
    „Eine der Navajo-Decken“ – es stimmt wirklich jedes Detail. Zauberhaft!

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