Die Verschwörung, Folge 24 — Der Jäger

GITMO
Bild: privat

Claudette sitzt in einem Käfig in Guantanamo Bay fest und verflucht ihre Unvorsichtigkeit. Sie bekommt nur in Bruchstücken mit, was in den USA passiert, aber er erfährt, dass sich Lucius Prince nach Moskau abgesetzt hat. Wilbur, der nun Präsident neben Dewey ist, will Russland, Saudi-Arabien und China den Krieg erklären. An seiner Seite ist Orinoko Oil. Powder erwacht in einem Krankenhaus in Florida, wo er von Linda erfährt, wer ihn gerettet hat. Aber die Gefahr ist noch nicht vorbei.

 

»Hey«, flüsterte Claudette. »Komm, halte durch.« Die blonde Frau in dem Käfig neben ihr rührte sich nicht. Sie kauerte auf dem Boden, beide Arme um ihre Knie geschlungen, den Kopf darin vergraben. Ihre grelle, orangerote Gefangenen-Uniform schlackerte um ihre schlanke Figur. Und sie sprach nicht. Nicht mit Claudette und nicht mit den Wachen, die ab und an vorbeikamen, um Wasser oder etwas zu Essen zu bringen. Es war, als habe sie sich aufgegeben.

Claudette war weit davon entfernt, aufzugeben, obwohl sie nun schon seit acht Wochen in Guantanamo Bay festsaß. Sie war fest entschlossen, sich nicht brechen zu lassen. Obwohl das nicht einfach war. Sie war in diesem Käfig gefangen wie ein Tier, der heißen Sonne ausgesetzt, den Fuß mit einer Kette an das Gitter gefesselt. Immerhin bekam sie regelmäßig etwas zu essen. Maisbrei, Brot, Hähnchenkeulen und ab und zu eine Orange. Einmal in der Woche durfte sie sich zusammen mit den anderen Frauen duschen. Zwei Dutzend Frauen saßen in diesem Teil des Lagers. Die Männer wurden etwas weiter entfernt untergebracht. Und die Araber noch weiter weg.

Die Frauen stammten aus den beiden Flugzeugen, von denen die ganze Welt glaubte, sie seien ins Pentagon geflogen, respektive auf einem Acker in Pennsylvania abgestürzt, nachdem sich die Passagiere den Entführern heldenhaft entgegengestellt hatten. Auch die blonde Fernsehmoderatorin, die teilnahmslos im Käfig neben Claudette saß, war an Bord von Flug 77 gewesen. Lange hatte sie geglaubt, jemand werde sie hier herausholen. Das hatte sie Claudette anvertraut, als sie noch sprach. Immerhin war ihr Mann Anwalt für die Regierung und hatte sogar den Präsidenten nach jener umstrittenen Wahl in Florida vor dem höchsten Gericht der USA vertreten.

Anfangs waren die Passagiere in der Area 51 untergebracht worden. In einem unterirdischen Hangar mit Feldbetten und bei gelegentlichem Freigang. Aber dann war dem Militär die Dauerpräsenz der Gäste wohl zu heiß geworden, vermutete Claudette. Nun also Guantanamo Bay. Die Passagiere lebten hier allerdings unter wesentlich besseren Bedingungen als die internierten Araber. Aber Gefangene waren sie auch.

Claudette fühlte sich immer noch schuldig. Sie war der Profi und hätte die Falle wittern müssen. Aber der Wunsch nach Rache und danach, wider besseres Wissen ihren Kopf durchzusetzen, hatte sie geblendet. Kenny! Es war Kenny, der irische Fotograf, gewesen, den sie in diesem Londoner Gefängnis getroffen hatte und der behauptet hatte, er arbeite für die IRA. Sie hätte es Jason sagen sollen, bevor sie zur Area aufgebrochen waren. Er war diesem Kenny gegenüber gleich misstrauisch gewesen. Der Militärgeheimdienst hatte ihn wohl von Anfang an auf sie angesetzt. Während sie, die professionelle Agentin, in die Falle getappt war wie eine blutige Anfängerin.

Claudette strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Eine Brise wehte durch die Gitterstäbe ihres Käfigs. Sie sehnte sich nach Jason. Immerhin hatte sie es geschafft, mittels Morsezeichen Kontakt zu ihm aufzunehmen, die sie auf den Boden ihres Käfigs klopfte. Es funktionierte, war aber eine sehr langsame und mühselige Art, sich zu verständigen. Insbesondere, da Jason das Morsealphabet eher mangelhaft beherrschte. Außerdem war es nur möglich, wenn keine der Wachen in Hörweite war. Immerhin wusste sie dadurch, dass Jason und Manuel noch lebten. Aber sie hatte keine Ahnung, was mit ihnen passieren würde. Ihre eigene Regierung konnte oder wollte ihr jedenfalls nicht helfen. Und es wusste ja auch niemand, wo sie waren.

Als ein Geräusch näherkam, spannte sich Claudettes abgemagerter Körper an. Das Radio. Einer der Uniformierten, ein junger Puerto-Ricaner, trug immer ein Transistorradio bei sich. Meistens hörte er sich Fußballspiele an, aber ab und zu auch die Nachrichten. Auf Spanisch. So erfuhr sie wenigstens, was in der Welt geschah. Nicht, dass sie das besonders aufgemuntert hatte. Die USA schienen kurz davor zu stehen, in eine Diktatur zu schlittern.

Dewey Drillson war inzwischen der Präsident der Vereinigten Staaten und hatte bereits verfügt, mehrere TV-Sender zu verbieten. Daneben auch alle Zeitungen, die ihm zu liberal waren, so wie jene, bei der Jason gearbeitet hatte. Diese Maßnahme, hatte Drillson erklärt, sei vorübergehend und diene ausschließlich dem Schutze der Öffentlichkeit vor terroristischen Anschlägen. Das Gleiche gelte für die Chipkarte mit den Fingerabdrücken, der Sozialversicherungsnummer und der DNA-Probe, die von nun an jeder Amerikaner bei sich tragen müsse.

»… seit mehr als zwanzig Jahren auf der Gehaltsliste der KGB-Nachfolgeorganisation FSB«, sagte die Stimme aus dem Radio. »Dies hat sich jedoch erst nach seiner Flucht nach Moskau herausgestellt, die schon vor Monaten eingefädelt worden war. Sofort nach seinem Eintreffen in der russischen Hauptstadt wurde Lucius Prince zum Direktor des FSB berufen. Der amtierende US-Präsident Dewey Drillson erklärte Prince mittlerweile zum Staatsfeind Nummer Eins. Dieser wiederum forderte sowohl den afghanischen Premier als auch den saudischen Herrscher Khalid Ibn Sultan auf, wirtschaftliche und politische Beziehungen mit Russland aufzunehmen. Der Irak werde …«

Der puertoricanische Soldat mit dem Transistorradio war weitergelaufen, aber Claudette war wie elektrisiert. Prince war ein Spion der Russen! Und sie hatte immer gedacht, der arbeite für den Mossad. So konnte man sich täuschen. Ob er wegen der Verhaftung seines Geschäftsfreundes Achmed Al Gossarah geflohen war? Auf jeden Fall war Prince der Boden in den USA zu heiß unter den Füßen geworden, dachte Claudette. Aber wer zum Teufel war dieser Khalid Ibn Sultan?

Die Agentin kniete sich auf den Boden ihrer Zelle und fing an zu klopfen. Es war das übliche rhythmische Klopfzeichen, mit dem sie Jason kontaktierte. Keine Antwort. Sie versuchte es noch einmal. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. SOS.

Erst nach zehn Minuten klopfte es zurück, aber es dauerte ein wenig, bis Claudette die Nachricht entziffern konnte. Die Klopfzeichen klangen anders als die von Jason und schienen aus einer anderen Richtung zu kommen. War das Manuel? Die Nachricht lautete: »Wer bist du?«

»Französin«, morste sie kurz entschlossen zurück. »Und du?«

Ein paar Minuten Wartezeit, dann hörte sie wieder das weit entfernte Klopfen. »Gefangener der USA.«

Sie überlegte. Dann klopfte sie wieder. »Wie lange schon?«

Die Antwort kam diesmal schneller. »Fünfunddreißig Jahre.«

Fünfunddreißig Jahre! Claudette spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie fing an zu zittern. Fünfunddreißig Jahre, das hieß lebenslänglich in Guantanamo Bay. Sie fing wieder an zu klopfen. »Wie heißt …«

»Hey!«, brüllte eine der Wachen. Sie hatte nur einen Moment lang nicht aufgepasst. »Was machst du da? Sofort aufhören mit der Klopferei oder ich kette dich an den Gitterstäben fest!«

Das FUC-Studio in Washington, D. C., war mit mehr amerikanischen Flaggen ausgestattet als FUC-Chefkorrespondent Rush Limbaugh mit Schmerzmitteln. Heute würde der Vize-Präsident der USA eine Rede an die Nation halten. Auf diese Rede wartete Amerika schon seit der Nachricht von der Flucht des vormaligen Pentagon-Beraters Lucius Prince nach Moskau. Über etwas allerdings hatten die wenigen Medien, die es noch gab, nicht berichtet: Während seiner Zeit in Washington war es Lucius Prince gelungen, ein gutes Dutzend von Moskau bezahlter Schlüsselpersonen in der Interimsregierung des Irak unterzubringen. Leider wusste Dewey Drillson nicht, wer diese Leute waren. Und die CIA, sowie das Amt für Strategischen Einfluss, schon gar nicht.

Wilbur lächelte probehalber in die Kamera. »Sitzt meine Krawatte, Liebste?«, fragte er seine Frau, die mit ihm ins Studio gekommen war. Seine neue Frau. Er hatte ihr in der gleichen Woche einen Antrag gemacht, in der Eleanor begraben wurde.

Orinoko Oil lächelte. »Du siehst gut aus, Schatz«, sagte sie. Dann zupfte sie die goldene Distel an seinem Jackett gerade. »Viel staatsmännischer als dein Sohn.«

Als das rote Licht an den drei FUC-Kameras aufleuchtete, wurden beide ernst. »Meine lieben amerikanischen Bürger – wir leben in ernsten Zeiten. In gefährlichen Zeiten. In Zeiten, in denen wir zusammenstehen und Amerika gegen den weltweiten Terrorismus verteidigen müssen, der unser Leben, die Freiheit und die Demokratie schlechthin bedroht.«

Dann erlaubte er sich ein schmales Lächeln, das seine herben Züge ein wenig erhellte. Gleichzeitig legte er seine Hand auf Orinokos Arm. »Meine Frau und ich sorgen uns Tag und Nacht und fragen uns, wie wir Amerika vor diesen Terrorbanden schützen können. Gerade jetzt, da sich die ehemalige Sowjetunion mit den arabischen Ländern verbündet hat und eine neue Achse des Bösen bildet.«

Wilbur machte eine kleine Pause. »Unsere Geheimdienste vermuten, dass Lucius Prince auch hinter dem bis heute unaufgeklärten Attentat auf meinen Vorgänger, unseren unvergessenen Vize-Präsidenten Harry Burton, steckt. Mit diesem feigen Anschlag wurde ein nimmermüder Verfechter der Demokratie im Mittleren Osten mit dem äußerst verwerflichen Ziel getroffen, die goldene Revolution im Keim zu ersticken.« Im Hintergrund war langsam anschwellende Orchestermusik zu hören. Wagners Der Ring der Nibelungen. FUC experimentierte mit neuen Fernsehformaten. »Aber das wird niemandem gelingen.«

Dann richtete sich Wilbur noch ein wenig mehr auf. »Liebe amerikanische Bürger, wir werden diesen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie nicht dulden«, sagte er. »Unsere Truppen stehen bereit, um uns gegen jene Feinde zu verteidigen, die Amerika hassen. Falls Russland uns Mister Prince nicht ausliefert, werden wir dem gesamten Reich des Bösen den Krieg erklären. Auch gegen die arabische Liga werden wir uns zur Wehr setzen. Die Marines stehen bereit und wir haben fünf Flugzeugträger in die Golfregion bringen lassen. Zudem werden sich unsere Abrams-III-Panzer, die zur Stunde noch in Bagdad stationiert sind, in Bewegung setzen und über die Grenze in den Iran, den Libanon und nach Saudi-Arabien rollen. Und nach Kuwait.«

Nun fuhr Kamera Zwei auf Wilbur zu, während die Musik dramatisch anschwoll. »Wir haben außerdem den Vereinten Nationen ein Ultimatum von vierundzwanzig Stunden gestellt, New York zu verlassen. Sollte dies nicht wahrgenommen werden, sehen wir uns zu Konsequenzen gezwungen. Wir können es nicht zulassen, dass unsere Freiheit und unsere Sicherheit von ausländischen Einflussagenten bedroht werden.« Tusch. »Und noch etwas: Ich bin sicher, Sie werden es verstehen, wenn vorübergehend Reisen ins Ausland nicht möglich sind. Diese Maßnahme dient ausschließlich Ihrem Schutz vor terroristischen Anschlägen.« Damit war die Übertragung beendet.

»Was ist mit Frankreich?«, fragte Orinoko, während die Kameras weggefahren wurden. »Sollten wir dort nicht ebenfalls einmarschieren?«

Wilbur zuckte mit den Schultern. »Nach dieser Provokation von gestern nur zu gerne. Vielleicht lassen wir aber erst mal ein paar F-22 an der Grenze auffahren.«

»Welche Provokation?« Seit Orinoko vornehmlich Partys im Weißen Haus gab, war Politik zur Nebensache geworden.

»Hast du nicht das Bulletin von Giovanni gelesen?«, fragte Wilbur nachsichtig. »Paris hat der BBC politisches Asyl gewährt. Dabei waren wir gerade so weit, London den Saft abzudrehen.«

Orinoko nickte beeindruckt. »Stimmt es eigentlich, was du gerade gesagt hast?«, fragte sie. »Steckt Prince hinter dem Attentat auf Burton?«

Wilbur grinste, nun, da die Kameras ausgeschaltet waren. »Aber nein«, sagte er. »Wenn du mich fragst, das war Dewey. Der wollte sich die Konkurrenz vom Hals schaffen. Außerdem war die Sache mit Saddam als neuem saudischen Herrscher einfach zu viel.«

»Aber warum ist Prince dann überhaupt abgehauen?«, fragte Orinoko.«

Der Vizepräsident stand auf und griff nach seiner Jacke. »Ich glaube, er hat Lunte gerochen, dass die Börsenaufsicht hinter ihm her war. Prince und sein Freund Abdullah haben hinter den Put Options gesteckt.«

»Den was?«, fragte sie.

»Den Put Options. Ein paar Börsianer haben zwölf Stunden vor dem Anschlag auf das World Trade Center Aktien im Milliardenwert abgestoßen. Vor allem von Fluglinien, Reiseunternehmen und Versicherungsgesellschaften. Über die Börse von Katar. Und das lief über die Schreibtische unserer beiden Freunde.«

»Oh«, stieß Orinoko aus und ihre Augen weiteten sich. »Das heißt, Prince wusste vorher, dass der Anschlag passieren würde?«

»Sieht ganz so aus«, antwortete Wilbur grimmig.

»Aber woher?«, wollte Oriniko wissen.

»Keine Ahnung«, antwortete Wilbur. »Wir haben Abdullah – nein, Achmed – nach seiner Verhaftung mit sämtlichen Methoden, die unser Amt für Strategischen Einfluss beherrscht, gegrillt. Aber er hat nichts gesagt. Gar nichts. Entweder ist er extrem gut darin, dichtzuhalten, oder aber Prince hat ihn schlicht nicht eingeweiht. Prince ist uns ja leider durch die Lappen gegangen, aber den kriegen wir. Und wenn es das Allerletzte ist, was ich tue.«

»Hallo?! Können Sie mich hören? Hallo?!«

Tom Powder stöhnte. Sein Kopf schmerzte. Er lag auf einer weichen Unterlage und ganz langsam wurde es um ihn herum hell. Genauso langsam begann er, seine Arme und Beine wieder zu spüren. Wo war er?

»Tom!«, sagte eine weibliche Stimme. Die Stimme zitterte, so als müsse die Person gleich weinen.

»Mister Powder, können Sie mich hören? Sind Sie wach?« Die Stimme kam ihm sehr bekannt vor. Gegen eine aufsteigende Übelkeit ankämpfend, öffnete der Außenminister die Augen. Er lag in einem Krankenhausbett. An der Seite des Bettes saß Doktor Henry Wolfstetter und neben ihm stand Linda. Sie umklammerte seine Schulter und sah so aus, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde.

Powder stöhnte. »Wo bin ich?«, fragte er.

»Sie sind in Florida«, antwortete Wolfstetter. »Im jüdischen Altenpflegeheim von Miami-Dade. Sie waren lange bewusstlos.«

Daran zweifelte Powder nicht. Er stöhnte noch einmal auf. »Aber warum? Wie …?«

»Ich habe dich gefunden«, sagte Linda, schluchzte und griff nach seiner Hand. »Als du dich nicht gemeldet hast, bin ich ins Pentagon gegangen. Dort hat der Pförtner mir erzählt, dass ein Krankenwagen dich weggebracht hat. Er hat gesagt, du hättest einen Herzinfarkt gehabt. Ich habe Stunden gebraucht, um das richtige Krankenhaus zu finden. Und da lagst du mit einer Kanüle im Arm und sahst aus wie ein Geist.«

»Ohne die guten Instinkte von Linda wären Sie jetzt tot«, sagte Wolfstetter ernst. »Denn über diese Kanüle wurde ein Nervengift in Ihre Venen geleitet. Sie wären spätestens einen Tag später wirklich einem Herzinfarkt erlegen.«

Powder begriff noch immer nicht so recht, was passiert war. Noch weniger verstand er, warum ausgerechnet Wolfstetter an seinem Krankenbett saß. »Und dann … und dann weiter? Wie bin ich nach Miami-Dade gekommen?«

»Ich habe die Kanüle herausgezogen und einem Pfleger fünfhundert Dollar gegeben, der dich dann in ein Hotel gebracht hat«, erklärte Linda und streichelte sein Gesicht. »Das war gar nicht einfach. Den Pagen musste ich auch bestechen. Und Doktor Wolfstetter hat dich dann hierherbringen lassen.«

»Und warum … und Sie …«, Powder starrte Wolfstetter an.

»Zunächst einmal muss ich Ihnen etwas mitteilen«, sagte Wolfstetter. Powder fiel auf, dass seine übliche hektisch-unsichere Art einer professionellen Gelassenheit gewichen war. »Ich bin ein Operativer des israelischen Geheimdienstes Mossad und wurde auf Martin Bormann angesetzt. Es ist meine Aufgabe und unser Ziel, jeden Nazi-Verbrecher, dessen wir habhaft werden können, der Gerechtigkeit zuzuführen.«

Bormann! In einer schnellen, schmerzhaften Welle kam Powders gesamte Erinnerung zurück. Die Akte Bormann in dem geheimnisvollen Archiv der CIA! Die medizinischen Versuche, ZaPhoD, die Schöpfung eines Übermenschen. Drillsons versteinertes Gesicht, als er ihn damit konfrontierte. »Aber … aber … Sie wollen damit sagen, dass Drillson wirklich Bormann ist?« Powder starrte sein Gegenüber erschrocken an.

Wolfstetter schüttelte den Kopf. »Drillson ist Bormanns Sohn«, erklärte er. »Aber Bormann lebt tatsächlich noch. Drillson hat für ihn einen Trakt in seinem Haus eingerichtet, den niemand betreten darf. Er soll geistig umnachtet sein. Aber die Akten, die Sie in Langley gefunden haben, haben uns sehr weitergeholfen. Vor allem die über das Zarathustra-Phobos-Development-Projekt.«

Powder war noch immer nicht klar, woher Wolfstetter das alles wusste. »Der Schlüssel«, sagte Wolfstetter. »Als Sie damals den CIA-Direktor nach dem Schlüssel gefragt haben, habe ich Sie aus dem Augenwinkel beobachtet. Und unseren betrunkenen William danach zum Reden zu bringen, war dann kein so großes Problem mehr. Seitdem lassen wir Sie beobachten.«

»Beobachten! Mein Gott!« Powder richtete sich auf. Alle Knochen taten ihm weh.

Linda umarmte ihn. »Ich erkläre dir alles, wenn wir unterwegs sind«, flüsterte sie.

Wohin wollten sie ihn bringen? Sollte er nach Washington zurück?

»Sie müssen hier raus«, sagte Wolfstetter. »Sie und Linda, und zwar sofort. Sie sind in den USA nicht mehr sicher. Linda wird Ihnen erzählen, was passiert ist, während Sie bewusstlos waren, aber nun drängt wirklich die Zeit. Wir haben ein Flugzeug vorbereitet, das Sie nach Israel bringen wird.«

Als Powder die Cessna sah, die auf dem kleinen Privatflughafen in Miami-Dade parkte, wurde ihm ein wenig mulmig. In so einer kleinen Kiste über den Atlantik fliegen? Aber sie hatten wohl keine Wahl. Er half erst Linda an Bord, dann stieg er selbst ein. Im Cockpit saß ein schlanker, drahtiger junger Mann. Powder vermutete, ein israelischer Soldat. Der Pilot startete die Maschine und zog sie über Miami hoch. Die Sonne schien. Powder sah die palmenbestandene Küste von Miami Beach und die pastellfarbenen Strandvillen, für die die Stadt so berühmt war. Linda schmiegte sich an ihn. »Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Ich hatte solche Angst.«

Der Pilot drehte das Radio auf. Ein paar knarrende Geräusche vom Tower, dann vermutlich die Nachrichten. »… China aufgefordert, den Handelskrieg gegen die USA zu beenden und den Dollar als Leitwährung anzuerkennen. Sonst werden militärische Konsequenzen …« Es war Drillsons Stimme. »Das gilt auch für Japan und Korea.«

Powder hatte das Gefühl, dass sie gerade erst die Flughöhe erreicht hatten, als Linda entsetzt aufschrie. Mehrere sehr schnelle gleißende Geschosse zischten auf die Cessna zu. Es waren Flugabwehrraketen.

»Mayday, Mayday!«, brüllte der Pilot. »Anschnallen! Festhalten!«

Powder und Linda konnten das ohrenbetäubende Geräusch nicht mehr hören, mit dem die Maschine zu Boden ging.

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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Ein Kommentar

  1. Der Kunstschreiber aus Vargas Llosas „Tante Julia und der Kunstschreiber“ scheint wieder zum Leben erwacht zu sein. Au Mann, da geht’s ja zur Sache…

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