Die Verschwörung, Folge 21 — Traumland

Area 51
Bild: privat

Unsere drei Freunde sitzen in Rachel, Nevada, und warten auf Nachricht von ihrer geheimnisvollen Kontaktperson. Im Fernsehen sehen sie, dass Achmed Al Gossarah verhaftet wird, weil er in unsaubere Geschäfte verwickelt ist. Claudette nimmt Jason mit zu der Black Mailbox am Extraterrestrial Highway, wo sie auf die Area 51 zu der geheimen Mission dirigiert werden. General Myers erwartet sie dort. Aber das Treffen verläuft anders, als sie denken. Und kurz darauf gerät auch Manuel in ungeahnte Schwierigkeiten.

 

»Diese Verhaftung«, sagte die kühle, blonde Nachrichtensprecherin auf CNN, »ist ganz offenbar der Schlüssel zu einem der größten Spionageskandale in der Geschichte der USA.« Dem Mann, der zu ihren Worten von gleich vier Militärpolizisten auf einmal abgeführt wurde, waren die Kameras sichtlich unangenehm. Er versuchte, die Hände hochzuhalten, um sein Gesicht zu verdecken. Die Haut des Mannes war olivfarben, er hatte kurze schwarze Haare, trug einen weißen italienischen Anzug und eine auffällige Rolex. Und jetzt Handschellen. »Die Kontakte von Achmed Abul Abbas Al Gossarah, dem bekannten Schweizer Waffenhändler iranischer Herkunft, sollen bis in Washingtoner Regierungskreise reichen«, fuhr die kühle Blonde fort. »Aber es geht nicht nur um Spionage. Derzeit wird untersucht, inwiefern Al Gossarah auch geschäftlich in den USA tätig war. Der New Yorker Generalstaatsanwalt ermittelt bereits.«

»Jason!«, rief Manuel, der von seiner Hängematte aus den Fernseher betrachtete. »Wo steckst du denn? Kennst du den Typ, der da verhaftet wird? Das scheint ein echt großes Ding zu sein.« Keine Antwort. Wahrscheinlich kletterte Jason mit Claudette und Manuels Fernglas irgendwo an den Hängen des Tikaboo Peak herum.

Seit mehr als einer Woche warteten die drei auf eine Botschaft ihres geheimnisvollen IRA-Kontaktmannes, dessen Namen nicht einmal Claudette wusste. Sie hatte sich als Claire in dem Motel des Little A’Le’Inn einquartiert. Auch Jason schlief im Little A’Le’Inn, verbrachte die Tage aber bei Manuel im Trailer oder in den Bergen.

Manuel war seit Tagen damit beschäftigt, eine detaillierte Skizze der Area 51 auf einen Bogen Packpapier zu zeichnen. Er richtete sich nach der Vorlage, die er bei Tony und Tim im Spezialgeschäft für Extraterrestrisches gekauft hatte, und ergänzte die Skizze durch seine eigenen Beobachtungen mit dem Fernglas. Jason hatte derweil die Blaupause der Predator IV organisiert. Die des aktuellen Modells hatte er leider nicht beschaffen können, er hoffte aber, dass die beiden Vögel so verschieden nicht waren. Auch die Predator IV verfügte schon über eine digitale Kamera, die mit dem Flugschreiber verbunden war.

Auf Manuels Fernseher tauchte nun ein graumelierter Mann im Anzug auf, der ziemlich unglücklich aussah. »Und nun eine Meldung in eigener Sache«, sagte er. »Wie der New Yorker Generalstaatsanwalt vor wenigen Minuten mitgeteilt hat, war Achmed Abul Abbas Al Gossarah auch an der Finanzierung einer bislang geheim gehaltenen Medienfusion beteiligt. Erst heute wurde bekannt, dass unsere Muttergesellschaft AOL Time Warner von Lachlan Turnover, dem australischen Mehrheitsaktionär der Featurenews Universal Corporation übernommen worden ist. Der Generalstaatsanwalt lässt prüfen, inwiefern kartellrechtliche …«

»Junge, Junge«, sagte Jason, als er in der Tür des Trailers auftauchte. Er war genau im richtigen Moment von seiner Bergtour zurückgekehrt. »FUC hat CNN gekauft? Ich hatte doch die ganze Zeit das Gefühl, dass die beiden Sender sich immer ähnlicher werden.«

Der graumelierte Anzugträger sprach noch immer. »Geprüft wird derzeit auch, ob diese Übernahme mit dem Wissen oder gar der Billigung des Weißen Hauses stattgefunden hat. Da es sich bei der Featurenews Universal Corporation um einen australischen, mithin ausländischen Konzern handelt, sind gewisse rechtliche Restriktionen …«

»Was sitzt du denn hier rum?«, fragte Claudette, die nun ebenfalls in den Trailer stieg. »Wir haben Wichtigeres zu erledigen, als fernzusehen«, sagte sie. »Wir müssen zur Black Mailbox.«

Manuel sah erstaunt auf. Die Black Mailbox! Der schwarze Briefkasten – eigentlich handelte es sich um einen weißen Briefkasten, da die Mailbox inzwischen weiß gestrichen worden war – lag am Extraterrestrial Highway 375, zwanzig Meilen östlich von Rachel. Der Briefkasten gehörte zu einer Farm, die ein gutes Stück entfernt in den Bergen lag. Hier trafen sich an lauen Sommerabenden UFO-Süchtige aller Länder, da angeblich ein populärer UFO-Landeplatz direkt in Sichtweite lag. »Kriegen wir endlich Hilfe vom klingonischen Heimatplaneten?«, fragte Manuel hoffnungsfroh. Claudette würdigte ihn keines Blickes. Stattdessen griff sie nach ihrem Kapuzenshirt und Manuels Autoschlüssel. Eine halbe Stunde später waren sie da.

Die Black Mailbox stand in einem Geröllfeld, ein paar Meter abseits der Straße. Manuel sah sich um. So früh am Tag war noch kein Sternenanbeter da. Auch keiner der Cammo Dudes, der Militärpolizisten, war zu sehen. Er hielt sich fest, als Claudette seinen Käfer, heftig bremsend, schräg neben der Mailbox parkte. Dann sprang sie heraus und öffnete den Briefkasten mit einem Schlüssel, den sie aus der Tasche ihrer Jogginghose zog. In der Mailbox befand sich ein mittelgroßes Päckchen. Sie nahm es, schloss die Mailbox ab, spurtete zum Auto, warf Manuel das Päckchen in den Schoß und startete den Wagen.

Manuel, der bisher nur staunend zugesehen hatte, öffnete das Päckchen. Darin waren zwei Uniformen, wie sie die Wartungstrupps trugen, zwei Satellitentelefone und zwei Ausweise. »Lieutenant Sandra Miller«, stand auf dem einen Ausweis und »Lieutenant Clark Kent« auf dem anderen. Auf dem einen war ein Foto von Claire, auf dem anderen eines von Jason.

»Sollte ich in meinem Alter nicht was Besseres sein als ein Lieutenant?«, fragte Jason.

Die wichtigere Frage wäre wohl, woher dieser unbekannte Kontaktmann, die Fotos der beiden hatte, dachte Manuel. Aber das wusste Jason wahrscheinlich auch nicht. Und Claudette würde im Zweifelsfall nicht damit herausrücken. »Reicht das denn aus?«, fragte er. »Ihr müsst doch auch wissen, wie ihr in die Area reinkommt.«

Auch dieses Problem war – wie sich herausstellte, als Manuel seine E-Mails im Trailer abfragte – bereits gelöst. »Ihr seid morgen früh um sieben Uhr bei General Myers angemeldet. Ihr fahrt auf dem Highway 375 nach Osten und biegt beim Meilenschild 34,6 rechts ab. Dann folgt ihr einer Sandstraße bis zum Eingang«, hieß es in der E-Mail, die Manuel erhalten hatte. »Ihr gehört zu einem Wartungstrupp, der die Predator V auf Schäden an ihrem Deflektorschild untersucht, und dafür müsst ihr an die Bordelektronik. Es ist eure Aufgabe, schadhafte Teile auszubauen und auf die Airbase in Omaha, Nebraska, zu bringen. Eure Mission ist so geheim, dass ihr mit niemandem über die technischen Einzelheiten reden dürft.«

Die E-Mail kam von WarriorKahless.

Manuels Satellitentelefon lag griffbereit neben der Hängematte und glänzte im sanften Licht der Morgendämmerung. Claudette hatte ihm eingeschärft, es immer nur kurz zu benutzen. Vielleicht wurden sie abgehört. Er langte danach und warf einen Blick auf das Display. Noch kein Anruf. Ein Blick auf die Uhr. Kurz vor halb sieben. Claudette und Jason waren seit einer Stunde unterwegs. In fünf Stunden würde er sie anklingeln. Zur Sicherheit.

»Stehenbleiben«, knurrte der Uniformierte und blickte in den Wagen, und Jasons Herz drohte ebenfalls stehenzubleiben. Er hatte gleich gewusst, dass ihr Vorhaben nicht gutgehen konnte, dachte er. »Die Ausweise bitte!«, sagte der Uniformierte dann.

Claudette, die den Mietwagen steuerte, grüßte lässig. »Zu General Myers, bitte«, sagte sie. »Wir sind angemeldet.«

Der Uniformierte beugte sich zum Seitenfenster vor, nahm die Ausweise und warf einen Blick darauf. »Lieutenant Miller?«, fragte er und musterte Claudette. »Lieutenant Kent?« Dann zog er sich mit den Dokumenten in das Wachhäuschen zurück und telefonierte. Er war so lange am Telefon, dass Jason begann, Schweißabdrücke auf dem Lenkrad zu hinterlassen. Aber er schaffte es, so lange ruhig zu bleiben, bis der Uniformierte zurückkam und sagte: »Sie werden erwartet.«

Claudette trat aufs Gas. Gleichzeitig lösten sich zwei Militärfahrzeuge aus einem Konvoi, um sie zu eskortieren. Mit Schrittgeschwindigkeit rollte ihr Auto auf einer asphaltierten Straße an mehreren großen Hangars vorbei. Jason sah sich um. Weiter hinten am Horizont erkannte er die große, trichterförmige Antenne, die er am Vortag vom Tikaboo Peak aus beobachtet hatte. Als sie den nächsten Hangar erreichten, konnte er nur mit Mühe ein Quieken unterdrücken. Zwei Boeings 767 standen davor. Ihm fiel ein, was Manuel ihm erzählt hatte, und er betrachtete das Seitenleitwerk der ersten Boeing. Tatsächlich. Auf der ganzen Längsseite befand sich ein sehr dünner schwarzgrauer Streifen, in den eine Reihe von Zahlen und die Buchstaben XXZ eingeprägt waren.

»Donnerwetter«, sagte Claudette. »Weißt du was? Die sehen genauso aus wie die beiden Flugzeuge, die angeblich in Pennsylvania und im Pentagon zerschellt sind.«

Jason nickte. Dann erblickte er den schwarzen Vogel. Die Predator V. Sie stand halb unter dem Dach des Hangars. Nur die Nase ragte auf den Vorplatz. Claudette ließ das Auto auf die Drohne zurollen und stoppte. Die beiden Militärfahrzeuge hielten neben ihr. Als Claudette und Jason ausstiegen, trat ein grauhaariger Mann in Uniform auf sie zu. Claudette salutierte und der General lächelte. »Enchanté, Mademoiselle Betancour«, sagte er. »Oder soll ich Sie Sharona Eins nennen?«

Es war eine Falle.

Danach ging alles ganz schnell. Aus den beiden Militärfahrzeugen sprangen acht Männer in Uniform und stürmten auf die beiden zu. Jason konnte gerade noch seine Arme hochreißen, um sein Gesicht zu schützen, als sie sich auch schon auf ihn warfen und ihn zu Boden rissen. Dann drehten sie seine Arme auf seinen Rücken. Er fühlte den kalten Stahl an seinen Handgelenken, als die Handschellen hörbar klickten. Zwei der Männer zerrten ihn hoch. Das Letzte, was er sah, bevor sie ihm einen Sack über den Kopf warfen, war Claudettes blasses, ausdrucksloses Gesicht.

Als Jason der Sack abgenommen wurde, hatte er das Gefühl, er sei eine kleine Ewigkeit durch Gänge gezerrt, über Treppen geführt und in Aufzüge verfrachtet worden. Nun hatten sie ihn an einen Tisch gesetzt, der in einer weißgekalkten Zelle stand. Seine gefesselten Handgelenke schmerzten. »Bindet ihn los«, sagte der Mann, den er für General Myers gehalten hatte. Der General, falls es überhaupt einer war, saß an der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Neben ihm saß ein anderer Offizier. Während der General lächelte, sah der andere Offizier weniger freundlich aus. Aus irgendeinem Grund fand Jason das Lächeln des Generals beunruhigender als den finsteren Blick des anderen. Er versuchte, sein Zittern zu verbergen. Was würden sie jetzt mit ihm anstellen?

Der General griff nach einer Mappe, die vor ihm lag, und fing an, darin zu blättern. »Sehr beeindruckend«, sagte er. »Sie haben Material für Artikel verwendet, das aus dem Pentagon gestohlen wurde, Sie haben wissentlich mit einer ausländischen Spionin kollaboriert und Sie sind mit gefälschten Papieren in eine geheime militärische Einrichtung eingebrochen – wissen Sie eigentlich, was Sie sich eingebrockt haben?«

Der andere Offizier verschränkte die Arme vor der Brust. »Standrechtlich erschießen wäre die einzig richtige Maßnahme. Das erspart uns viel Ärger.«

Jason spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. Der General schüttelte milde den Kopf. »Wir sind doch hier unter zivilisierten Menschen«, sagte er. »Sie könnten es sich wesentlich einfacher machen, wenn Sie mit uns kooperieren.«

»Ich würde Ihnen ja gerne sagen, von wem wir die gefälschten Ausweise bekommen haben«, fing Jason an, »aber ich weiß nicht einmal …«

»Die haben Sie von mir«, unterbrach ihn der General. »Ich bin WarriorKahless.«

Jason schnappte nach Luft. Das war der Mann, auf dessen Informationen Manuel vertraut hatte? Er hätte sich selbst ohrfeigen können. »Was … was …?«

»Sie waren auf der Suche nach der Predator V«, knurrte der andere Offizier. »Nach dem Flugschreiber. Das wissen wir auch. Aber warum? Was wollten Sie damit?« Grimmig fügte er hinzu. »Wir können Sie auch erst mal ein paar Monate einbuchten, wenn Sie nicht freiwillig reden.«

Jason schluckte. Wir wollten beweisen, dass das Pentagon und die CIA hinter dem Anschlag auf das World Trade Center stecken, war das, was er eigentlich sagen wollte. »Wir wollten wissen, ob die Superdrohne am 11. September nach New York geflogen ist«, sagte er stattdessen. »Dazu brauchten wir den Flugschreiber.«

Es klang total verrückt, aber der General nickte, als sei das absolut nachvollziehbar. »Was uns am meisten interessiert, ist«, erläuterte er, »welche Verbindungen die Entführer in die USA hatten. Wissen Sie, Mister Gilligan, von einer ausländischen Spionin erwarten wir keine Unterstützung. Aber Sie sind doch amerikanischer Staatsbürger und kennen sich doch aus. Hatten Sie nicht damals über dieses Amt für Strategischen Einfluss geschrieben?«

Plötzlich begriff Jason. Die beiden spielten ein Spielchen. Der eine tat, als sei er böse, und der andere tat, als sei er nett. Und ganz offensichtlich hatten alle beide keine Ahnung, was hier vor sich ging und wer hinter dem Anschlag auf das World Trade Center steckte, und sie hofften, er wisse mehr. Er lehnte sich vor. »Selbstverständlich werde ich kooperieren«, sagte Jason. »Aber ich weiß auch nicht alles. Ich kann Ihnen eine Theorie liefern, aber um diese Theorie zu untermauern, bräuchte ich selbst noch mehr Informationen.«

Der General und der Offizier sahen sich an. »War die Predator V am 11. September wirklich am World Trade Center?«, fragte er schnell. »Wir haben nämlich ein Foto gesehen, das …«

»Das wissen wir«, unterbrach ihn der Offizier. »Der Fotograf sollte Ihnen diese Aufnahme zeigen. Er arbeitet für unsere Defense Intelligence Agency.«

Kenny war also doch ein Agent des Militärgeheimdienstes gewesen. Er hätte damals gleich seinem Instinkt trauen sollen. »Was?!«, rief Jason. »Aber, wenn ihre Superdrohne tatsächlich in New York war, dann müssten Sie doch selbst wissen, was passiert ist?«

Der General sah offenbar ein, dass er mehr erzählen musste. »Uns ist mitgeteilt worden«, fing er an, »dass am 11. September eine hochgeheime militärische Übung stattfindet. Eine großangelegte Flugzeugentführung, deren Ziel die zivile Infrastruktur der Ostküste ist. Wir sollten aber nicht die Flugabwehr einsetzen, sondern die neu entwickelte Predator V. Diese hypersonare Superdrohne ist nämlich in der Lage, eine Boeing 767 im Flug zu übernehmen, weil sie die Fernsteuerungstechnologie der Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers verbindet und …«

»… auf einem Radarschirm jedes beliebige Flugobjekt simulieren kann«, fiel Jason ihm ins Wort. »Und es hätte eine Entführung natürlich unblutig beenden können. Aber warum ist das Ganze so furchtbar schiefgegangen? Warum sind die Flugzeuge trotzdem ins World Trade Center gerast?«

Der General zuckte mit dem Schultern. »Technisch gesehen hätte es eigentlich funktionieren müssen«, meinte er. »Wir können es uns auch nicht erklären.«

»Vielleicht gab es eine Interferenz zwischen der Fernsteuerungstechnologie und dem TV-Sendemast auf dem World Trade Center, die das Signal verzerrt hat«, schlug Jason vor. Er war nicht umsonst Rüstungsexperte. »Oder aber die Drohne ist manipuliert worden, so dass sie einen falschen Funkbefehl gesendet hat.«

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen«, erklärte er. »Erstens kommt niemand an die Drohne heran und zweitens haben wir alle Funktionen überprüft, als sie wieder hier war. Außerdem hat sie die beiden anderen Flugzeuge ja auch umleiten können.«

»Die beiden anderen Flugzeuge wurden umgeleitet?«, fragte Jason erstaunt. »Aber wie kam dann das Loch in die Mauer des Pentagon?«

»Das war eine Rakete, die aus unmittelbarer Nähe abgeschossen wurde«, erklärte der General nüchtern. »Gezielt wurde auf das Dienstzimmer des Ministers, aber das ging daneben.«

Eine Rakete? Wer hatte die abgeschossen? »Wo kam die denn her?«, fragte Jason. Ihm schwirrte der Kopf. »Und wer hat Ihnen überhaupt von dieser geheimen militärischen Übung erzählt? Das wäre doch ein Anhaltspunkt.«

»Genug Fragen«, sagte der Offizier, der nun offenbar wieder den Bösen gab. »Sie geben hier die Antworten. Was wissen Sie über diese Entführer? Wo stammen die Ihrer Meinung nach her?«

Jason nickte, um zu signalisieren, dass er kooperieren will. »Aller Voraussicht nach«, sagte er, »kommen die Entführer aus dem Hindukusch, aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Wahrscheinlich handelt es sich um ehemalige Mujahedin-Kämpfer im Sold der CIA, die bei einer amerikanischen Ölfirma untergeschlüpft sind, nachdem die Sowjets sie verjagt hatten. Auf alle Fälle ist Geld zwischen dem ISI und der CIA geflossen, um diese Leute auszustatten. Sehr viel Geld. Und ich weiß ziemlich sicher, dass die Entführer falsche Pässe von der CIA bekommen haben.«

»Nicht von der CIA«, sagte der General. »Das haben wir schon herausgefunden. Wir haben einen Überläufer aus Pakistan verhört, der mit den Entführern in Kontakt stand. Wobei wir den Eindruck hatten, dass er nicht die ganze Wahrheit gesagt hat.«

»Überläufer?«, fragte Jason. »Übergelaufen von wem?«

»Von der CIA«, antwortete der General und stand auf. »Das reicht jetzt«, sagte er. »Kommen Sie.«

Die Handschellen klickten wieder um Jasons Handgelenke. Einer der beiden Uniformierten, die im Gang Wache gestanden hatten, griff nach seinem Oberarm, um ihn abzuführen. An der Tür drehte sich Jason noch einmal um. »Bitte«, sagte er. »Von wem wurden Sie über die militärische Übung informiert?«

Der General zögerte eine Sekunde. »Von Harold H. Burton«, sagte er schließlich.

Vom Vizepräsidenten! Halb betäubt taumelte Jason zwischen den beiden Wachen einen unglaublich langen Gang mit unendlich vielen Türen entlang. Dann öffnete eine der Wachen eine Tür und stieß ihn hinein. Auf einer Pritsche saß eine sehr erschöpft wirkende Claudette. Neben ihr hockte Manuel.

Das künstliche Licht in der Zelle machte es ihnen unmöglich, zu schlafen. Claudette drehte sich auf der Pritsche um. Die beiden Männer lagen mit geschlossenen Augen da. Claudette hatte tatsächlich zum allerersten Mal, seit sie Agentin war, Angst. Aber vor allem war sie wütend auf sich, weil sie denen in die Falle gegangen war wie eine Anfängerin. Dabei hätte die Festnahme in London sie warnen sollen. Offenbar arbeiteten die britischen und die amerikanischen Geheimdienste doch zusammen.

Sie war ebenfalls in dem weißgekalkten Raum verhört worden, aber das Gespräch zwischen ihr und den beiden Militärs hatte noch weniger ergeben als Jasons Verhör. Danach war Manuel in ihre Zelle geschleppt worden. War das vor einigen Stunden passiert oder war es schon einen ganzen Tag her? Sie wusste es nicht, aber auf alle Fälle hatten die Männer Manuel abgeholt, noch bevor er per Satellitentelefon die Washingtoner Dependance des Deuxième Bureau hatte alarmieren können.

Die amerikanischen Militärs tappten ziemlich im Dunkeln, was den Anschlag auf das World Trade Center betraf, hatte Claudette festgestellt. Erstaunlich. Leider ging es ihr genauso. Ihr fiel das Paket mit den von der Hitze verfärbten Stahlstreben wieder ein, das damals, offenbar versehentlich, im Little A’Le’Inn abgeliefert worden war. Ob die U. S. Army das inzwischen herausgefunden hatte? Sie mochte Manuel nicht danach fragen, weil sie ziemlich sicher war, dass die Zelle abgehört wurde. Was hatte dieses Paket zu bedeuten? Und wer war dieser Pakistani, an den es hätte geliefert werden sollen? Dieser Sheik Al-Sistani? Arbeitete der mit der Army zusammen oder war er ebenfalls ein Gefangener?

Sie hatte beim Verhör nichts von dem Paket erzählt und dieser General hatte auch nicht danach gefragt. Stattdessen hatte er von ihr wissen wollen, ob sie glaube, dass Lucius Prince hinter dem Anschlag auf das World Trade Center stecke. Sie hatte gesagt, sie glaube eher nicht, aber zuzutrauen sei es ihm durchaus. Danach hatten sie noch gefragt, was sie denn in London zu suchen gehabt hatte. Sie hatte erzählt, sie habe nach Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen geforscht. Das hatten sie ihr zwar nicht geglaubt, aber sie wurde vorerst in ihre Zelle zurückgebracht.

Claudette schrak auf, als sie vor der Tür Stimmen hörte. Mit einem Knall flog die Tür auf. »Guten Morgen«, sagte der General. »Wir gehen auf eine kleine Reise.«

Auf seinen Wink hin zerrten die Soldaten sie von ihren Pritschen herunter. Ein Soldat band die Hände der Gefangenen mit einem Plastikband hinter ihrem Rücken zusammen. Dann warfen sie Claudette wieder den Sack über den Kopf und wieder ging es über unzählige Treppen, Gänge und Aufzüge durch das Labyrinth unterhalb der Area 51. Schließlich roch sie frische Luft. Sie stand draußen, im Freien. Durch den Leinensack konnte sie das Sonnenlicht spüren. Es musste bereits ein ganzer Tag vergangen sein.

»Schnell, schnell«, sagte eine unfreundliche Stimme. Es war der Offizier, der beim Verhör neben dem General gesessen hatte. Ein Soldat packte sie am Arm und führte sie eine steile Treppe hoch. Sie betrat einen Metallboden und ahnte, dass es wohl ein Hubschrauber war. Neben sich hörte sie Manuel keuchen. Wo war Jason? Die Soldaten drängten sie in den hinteren Teil des Hubschraubers, wo sie sich hinlegen mussten. Claudette hatte noch immer den Sack über dem Kopf und ihre Hände blieben gefesselt. Als sie auf dem Boden lag, spürte sie einen warmen, schlaksigen Körper neben dem ihren. Jason. Sie schmiegte sich enger an ihn. Sie war froh, dass sie wenigstens nicht allein war. Gleichzeitig rührte sich ihr schlechtes Gewissen. Wäre sie sorgfältiger gewesen, wären sie jetzt nicht hier.

»Wie konnte das passieren?«, flüsterte Jason ihr zu, während die Rotoren starteten. »Ich dachte, deine Leute in Washington hätten überprüft, ob WarriorKahless wirklich bei der IRA ist?« Jason zitterte.

Sie hätte ihn am liebsten gestreichelt, aber das ging nicht. »Haben sie auch«, flüsterte sie zurück. »Er kann ja bei der IRA sein und trotzdem für die U. S. Army arbeiten.« Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Wenigstens das ging.

Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. »Ich würde dich so gerne in den Arm nehmen«, flüsterte Jason. »Werden wir eigentlich bewacht?«

»Keine Ahnung.« Vorsichtshalber sprach sie noch immer leise. »Versuch mal, den Sack, den ich über dem Kopf habe, mit deinen Zähnen nach oben zu ziehen. Geht das?«

»Ich versuch’s«, flüsterte Jason. »Mein Kopf ist auch verhüllt.« Sie spürte an seinen Bewegungen, dass er mühselig auf dem Leinensack herumbiss, bis er ihre Kopfbedeckung erwischte. Nach und nach gelang es ihm, sie mit vielen drehenden und schüttelnden Kopfbewegungen ein wenig zu lösen.

»Danke«, flüsterte sie dann. »Hör jetzt lieber auf. Bevor noch jemand etwas merkt.« Sie richtete sich auf, aber niemand reagierte. Offenbar waren die Wachen mit etwas anderem beschäftigt. Ganz langsam und so leise wie möglich robbte sie sich an die Innenwand des Hubschraubers heran. Ihren Körper an die Wand gepresst, schaffte sie es als Nächstes, sich hochzustemmen. Endlich konnte sie durch die lose Stelle im Sack nach unten schielen und einen Blick aus einem schmalen Ausschnitt des Fensters erhaschen.

Sie befanden sich über dem Meer. Für eine Sekunde stieg erneut Angst in Claudette auf. Würden die Amerikaner sie einfach ins Wasser werfen? Andererseits hätte es in der Area 51 genug Möglichkeiten gegeben, sie einfach verschwinden zu lassen. Der Hubschrauber wurde etwas lauter. Der Pilot musste die Motoren aufgedreht haben. Als der Hubschrauber in die Kurve ging, erkannte Claudette eine Insel. Sie mussten in der Karibik sein. Für Hawaii waren sie nicht lange genug geflogen und die Florida Keys waren viel kleiner. Der Hubschrauber hielt auf das eine Ende der Insel zu. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, war es das westliche Ende. Während die übrige Insel grün war, war dieses Ende asphaltiert. Es war ein befestigtes Lager.

Plötzlich begriff Claudette, wohin sie gebracht wurden.

Guantanamo Bay.

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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