
Jason, tief deprimiert wegen des Überfalls auf Manuel, hat sich in ein New Yorker Hotelzimmer eingemietet und sitzt nur noch herum. Da bekommt er einen überraschenden Anruf, der seine Lebensgeister wieder weckt. Harry Burton, Dewey Drillson, Lucius Prince und Orinoko Oil streiten sich, wer an dem Ärger im Mittleren Osten schuld ist und was sie tun könnten. Wolfstetter kommt dazu. Sie erfahren, dass ein Wissenschaftler in England behauptet, die Massenvernichtungswaffen seien von der CIA erfunden. Unsere Freunde treffen sich bei Carmine’s am Broadway. Claudette schlägt vor, dass sie des Rätsels Lösung dort finden, wo sie verborgen ist …
Es war vorbei. Jason Gilligan kauerte auf dem Sessel in dem kleinen New Yorker Studio, das ihm ein Freund überlassen hatte, der den Sommer in den Hamptons verbrachte. Mit beiden Händen umklammerte er ein Rotweinglas, das er seit einer Ewigkeit anstarrte. Das dritte Glas an diesem Abend. Nein, er brauchte sich keine Vorwürfe zu machen. Er hatte alles versucht. Alles. Für ein paar wilde Gerüchte hatte er seine Stelle verloren, seine Karriere ruiniert, sich zum Gespött in Washington gemacht und seine Ehe mit Elisabeth war auch so gut wie beendet. Ausgezogen war er bereits.
Mit einem raschen Zug trank er das Glas leer, schenkte sich nach und prostete seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe zu. Auf all die Menschen, die seit dem Anschlag auf das World Trade Center unter mysteriösen Umständen getötet, verschleppt oder brutal überfallen wurden. Wie Manuel. Er hätte Manuel stoppen sollen, statt ihn in seiner Paranoia noch zu bestärken. Und das Schlimmste war, dass all seine Anstrengungen umsonst gewesen waren. All die Nächte, die er mit schmerzendem Rücken am Computer verbracht hatte, und die Tage, in denen er sich an Verschwörungstheorien aufgerieben hatte. Wer auch immer hinter dem Anschlag steckte, er würde es sicherlich nicht herausfinden. Und wenn doch, würde er es vermutlich nicht überleben. Es war Zeit, dass er aufgab. Höchste Zeit.
Jason seufzte und schenkte sich noch etwas Rotwein nach. Er hatte noch ein letztes Mal von Washington aus versucht, herauszufinden, was mit Claudette passiert war. Die CIA – so viel hatte er immerhin erfahren – war schon seit Jahren hinter einer Agentin her, die »Sharona Eins« hieß und von der vermutet wurde, sie spioniere sowohl für den französischen Geheimdienst als auch für einen Dienst im Mittleren Osten. Sie hatte, den Schilderungen zufolge, eine auffällige Tätowierung. Eine rote Schlange, deren Kopf ein Pfeil war. Und sie sollte in D. C. im verdeckten Einsatz sein. Aber sie sei seit ein paar Wochen abgetaucht, gaben ihm seine Quellen zu verstehen. Die CIA vermutete, sie befinde sich in Syrien oder im Jemen. Mehr hatte Jason nicht herausgefunden. Und wo sie war, wusste er auch nicht.
Er hatte die letzten Wochen versucht, einen neuen Job zu finden, aber auch dies vergebens. Bei allen Zeitungen, bei denen er nachgefragt hatte, war ihm bedeutet worden, er sei zu »kontrovers«. Rave hatte wohl dafür gesorgt, dass sein Ruf gründlich ruiniert worden war. Oder war es Prince? Den wenigen linken Zeitungen, denen er nicht zu kontrovers war, war er zu alt und zu gesetzt. Und zu teuer.
Vor allem aber hatte sich das Bild von Manuels reglosem, zerschundenem Körper in seine Netzhaut eingebrannt. Es war ein Wunder, dass sein Freund diesen Angriff überlebt hatte. Nun lag Manuel vor ihm auf der Couch. In eine Decke gehüllt, mit geschlossenen Augen und einem dicken Verband um den Kopf. Zwei Tage lang war er bewusstlos gewesen. Erst letzte Woche war er das erste Mal aufgewacht, verstört und panisch. Der Arzt in dem New Yorker Krankenhaus, wo er mitten in der Nacht mit dem Halbtoten auf dem Rücksitz aufgetaucht war, hatte ihn sehr skeptisch angesehen, als er gesagt hatte, sein Freund sei in einem Hotel von Unbekannten überfallen worden. Erst hinterher dämmerte ihm, dass der Arzt sie vermutlich für ein schwules Sado-Maso-Pärchen hielt, aber das war ihm herzlich egal.
Manuel hatte in seinen wenigen wachen Stunden – der Arzt hatte ihm genug Pillen verschrieben, um das gesamte Gorillagehege im Zoo der Bronx zu sedieren – ein paar verwirrte Sätze über einen pakistanischen Geheimagenten und eine geheimnisvolle Festplatte von sich gegeben und mehrmals nach seinem Computer gefragt. Aber so recht hatte Jason sich noch nicht zusammenreimen können, was passiert war. Zumal Manuel auch keine Erinnerung an den eigentlichen Überfall zu haben schien. Er wusste nur, dass er sehr beunruhigt war. Manuel hätte tot sein können.
Im Schlaf stöhnte Manuel leise. »Ganz ruhig«, flüsterte Jason, setzte sich neben ihn und drückte seine Hand. Mit der anderen Hand griff er nach der Fernbedienung. BBC World. Die Hauptnachrichten waren schon vorbei. Gerade liefen die letzten Kurzmeldungen.
»… sie wurde im Austausch gegen zwei britische Topspione freigelassen«, sagte die Nachrichtensprecherin. »Paris betonte, dass es sich um ein rein freundschaftliches …« Eingeblendet wurden zwei Männer im Anzug, die sich eine Zeitung vor das Gesicht hielten und ein Pariser Gefängnis verließen. Er wollte gerade auf CNN oder FUC umschalten, als das Telefon klingelte.
»Salut«, sagte eine weibliche Stimme. »Hast du mich vermisst?«
Jason schoss hoch und hätte dabei fast die halbleere Rotweinflasche umgekippt. »Claudette!«, rief er. »Wo bist du? Oh mein Gott – ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Wenn du nur wüsstest, was ich hier durchgemacht habe! Wo steckst du?!«
»In Dublin«, erklärte sie. »Das ist eine lange Geschichte. Aber ich habe gute Neuigkeiten. Es gibt endlich eine heiße Spur. Wir müssen unbedingt miteinander reden.«
»Eine heiße Spur?«, fragte er. Das sollte die gute Nachricht sein? Er hatte sich inzwischen an so vielen heißen Spuren verbrannt, dass es ihm für den Rest seines Lebens langte. »Wo warst du denn bloß? Warum hast du mich nicht eher angerufen?«
»Da, wo sie mich hingebracht haben, durfte ich nur einen einzigen Telefonanruf machen, und den habe ich auf unseren Bürochef in London verwendet«, sagte sie trocken. »Natürlich musste er sich danach eine neue Nummer zulegen. Aber Schwamm drüber.«
Er versuchte zu lächeln, aber es ging schief. »Du bist nicht die Einzige, die mir graue Haare verschafft«, sagte er. »Manuel ist überfallen worden.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Die CIA hat den Pakistani vermutlich beschatten lassen. Klassischer Anfängerfehler. Aber mach dir keine Sorgen. Ich habe jemanden kennengelernt, der uns weiterhelfen wird. Mehr kann ich am Telefon nicht sagen, aber ich lande morgen in New York, JFK, 4.15 Uhr.«
Was sie gerade gesagt hatte, hallte in Jasons Ohren noch lange nach. Die CIA hat den Pakistani vermutlich beschatten lassen? Welchen Pakistani? Woher wusste sie, was Manuel passiert war? Und was hatte sie jetzt vor?
Er konnte ihr Lächeln förmlich durch den Telefonhörer spüren. »Wir unternehmen einen kleinen Ausflug«, sagte sie. »Ins Traumland.«
Harold H. Burton saß extrem indigniert in einem grauen Ledersessel im Sitzungssaal des Pentagon. »Wir brauchen ziemlich dringend einen Publicityerfolg in diesem Scheißland«, wetterte er. »Oder wenigstens in Afghanistan. Da ist gestern der Innenminister bei einem Treffen mit Taliban-Führern von irgendwelchen Rebellen erschossen worden. So geht das nicht weiter.«
Sofort traf ihn ein böser Blick von Dewey Drillson. »Wozu braucht Afghanistan überhaupt einen Innenminister?«, fragte er. »Das erledigen wir doch nebenbei!«
»Für Verhandlungen mit Taliban-Führern?«, warf Orinoko Oil ein. »Ich dachte, die Taliban gebe es nicht mehr?«
Lucius Prince, der seinen schweren Körper an Drillsons Eichenholzschreibtisch gelehnt hatte, richtete sich auf. »Brisbane hat mir neulich etwas vorgeschlagen«, sagte er. »Wie wäre es, wenn wir die Geschichte einer jungen, blonden Soldatin produzieren, die bei einem heldenhaften Einsatz gefangengenommen wird, dabei ein Dutzend Iraker erschießt und dann von unseren Truppen genauso heldenhaft befreit wird?« Er grinste. »Joe sagte, er habe sogar schon die ideale Besetzung, falls die Geschichte verfilmt würde. Die Zwillingstöchter des Präsidenten.«
Burton zog den Mund schief. »Das ist das Dümmste, was ich jemals gehört habe.«
»Wieso?«, fragte Orinoko. »Ich finde die Idee gar nicht schlecht. Das ist eine Story, die multimedial vermarktbar ist. Als Film, Fernsehnachricht, Zeitungsartikel, Buch …«
»Die Geschichte ist ja okay«, lenkte Burton ein. »Aber Wilma und Betty? Was will 20th Century FUC denn drehen? Linda Lovelace im Hindukusch? Na gut, von mir aus. Aber viel wichtiger ist, dass wir schleunigst dieses Dossier veröffentlichen, das Albert hat anfertigen lassen. Das mit den Beweisen dafür, dass Saddam das World Trade Center in die Luft gejagt hat. Die Verhörprotokolle, der Briefwechsel zwischen Osama und Saddam und die Pilotenuniformen. Wo hat er die eigentlich her?«
Drillson schüttelte den Kopf. »Schwachsinn«, knurrte er. »Wozu derart erstklassiges Material an den Irak verschwenden? Den haben wir im Griff. Wir sollten diese Beweise gegen den Iran einsetzen, da nützen sie uns viel mehr. Oder wenigstens gegen Syrien.«
»Den Irak haben wir im Griff?«, höhnte Burton. »Sie haben den Irak ungefähr so im Griff, wie Ronald Reagan seine Nancy im Griff hatte. Wessen Idee war es eigentlich, dort einzumarschieren?«
»Wenn Sie sich darum gekümmert hätten, beim Kongress mehr Geld für das Militär locker zu machen, anstatt Milliarden für Ihren Ölkonzern abzustauben, dann hätten wir diese Probleme gar nicht erst«, giftete Drillson zurück.
»Sie hätten halt nicht bis zur letzten Minute damit warten sollen, ihre falschen Cruise-Missiles zu verladen!« Wenn Burton in Schwung kam, war er nur noch schwer zu stoppen. »Dann könnten Sie jetzt wenigstens ein paar Massenvernichtungswaffen vorzeigen.«
»Ach ja?«, blaffte Drillson. »Und wessen bescheuerte Idee war es eigentlich gewesen, zwei Tage zu früh loszuballern?«
»Meine jedenfalls nicht«, ätzte Burton. »Das letzte Mal, als ich mich erkundigt habe, unterstand das Heer noch dem Pentagon. Aber vielleicht wird es ja inzwischen vom Umweltministerium aus kommandiert?«
Orinoko hob beschwichtigend beide Hände. »Bitte, meine Herren, hören Sie doch auf, sich zu streiten«, sagte sie. »Lassen Sie uns lieber darüber beraten, wann wir die Gefangennahme von Saddam im Fernsehen zeigen. Sie wissen schon, das Video, in dem ihn unsere Jungs aus diesem Erdloch ziehen. Das bringt doch schon mal Publicity.«
»Aber auch nur, falls das Pentagon nicht aus Versehen die Videobänder gelöscht hat«, zischelte Burton. Bevor Drillson zurückbeißen konnte, flog die Tür auf. Herein stolperte ein aufgewühlter Doktor Henry Wolfstetter.
»Ich habe Neuigkeiten«, sagte er.
»Gute Neuigkeiten oder schlechte Neuigkeiten?«, fragte Burton. »Und falls es schlechte sein sollten, gibt es in diesem Saftladen wenigstens etwas zu trinken?«
»Hinter den beiden grünen Aktenordnern da drüben ist eine Flasche Whiskey versteckt«, sagte Wolfstetter, der Drillsons erbosten Blick nicht bemerkte. »Ich weiß nicht – Neuigkeiten eben. Der Präsident will Benito Giovanni, den früheren New Yorker Bürgermeister, ins Kabinett holen. Das hat er gerade der Presse erzählt.«
Burton schnaufte empört. »Ohne das mit uns abzusprechen?«
Wolfstetter musterte kurz Drillson, der weit weniger empört aussah. Offenbar war er bereits vorab informiert worden. »Ich habe aber auch gehört«, fügte der Pentagon-Vize hinzu, »dass möglicherweise einer von uns gehen muss.«
»Welcher Funktion soll Giovanni denn nachkommen?«, fragte Orinoko vorsichtig.
»Das ist noch ein bisschen unklar«, erläuterte Wolfstetter. »Vielleicht wird er Sicherheitsberater. Oder er bekommt eine Stelle im Verteidigungsministerium. Oder aber er wird der Chef einer neuen Superbehörde, die CIA, NSA, FBI und den Secret Service vereint.«
»Wissen Sie«, sagte Burton, »diese neue Gangart des Präsidenten … Entscheidungen zu treffen, ohne dass wir eingeweiht werden …«
»Rave wusste Bescheid«, sagte Wolfstetter. »Er hatte die Pressekonferenz vorbereitet.« Er steckte zwei Finger in den Mund und fuhr sich mit der feuchten Hand durch die Haare, um sie zu glätten. Dann sah er sich um. »Wir brauchen eine Doppelstrategie«, sagte er. »Zuerst müssen wir herausfinden, was der Präsident mit dieser Ernennung im Schilde führt. Und außerdem muss der Krieg erfolgreicher für uns laufen. Viel erfolgreicher. Lucius, ihr Freund Abdullah …«
»Achmed«, entgegnete Prince. »Was ist mit ihm?«
»Könnte ihm nicht eine Taktik einfallen, wie man den Widerstand im Irak kanalisieren könnte? Er hat doch Kontakte in der Region. Wie kriegen wir es hin, dass die sich da unten mehr miteinander beschäftigen als mit unseren Truppen?«
»Oder aber«, warf Drillson ein, »könnte Ihr Abdullah nicht als iranischer Counterspion agieren? Das wäre noch praktischer.«
»Achmed«, sagte Prince noch einmal. Dann dachte er kurz nach. »Soweit ich weiß, ist mein Freund gerade in Moskau«, sagte er. »Er wickelt dort ein Ölgeschäft ab und ich könnte mich dort unauffällig mit ihm treffen.«
Burton räusperte sich. »Ich fahre nächste Woche nach Riad, zum Hochzeitsbankett eines der saudischen Kronprinzen«, erklärte er. »Bei der Gelegenheit werde ich mal die langfristige Strategie am Golf ansprechen.«
»Zu welchem der Kronprinzen?«, fragte Drillson. »Ist es …« Er wurde jäh von Wagners Ritt der Walküren unterbrochen. Sein Mobiltelefon.
»Ja«, bellte er. Während er zuhörte, bekam sein faltiges Gesicht noch ein paar Falten mehr. »Das war der CIA-Chef«, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. »Auf BBC läuft ein Bericht über irakische Massenvernichtungswaffen. Die haben einen verrückten britischen Wissenschaftler aufgetrieben, der sagt, das hätten alles die Geheimdienste erfunden.« Er streckte sich. »Holt mir mal den britischen Premier ans Telefon, aber zack-zack.«
Eine halbe Stunde später waren Drillson und Wolfstetter allein. »Was machen wir mit dieser BBC-Geschichte?«, fragte Wolfstetter.
Drillson zuckte mit den Schultern. »Ich werde dem Premier nachdrücklich klarmachen, dass wir derlei Behauptungen nicht dulden«, sagte er. »Was sonst?«
»Und wenn er sich weigert, die BBC zurückzupfeifen?« Wolfstetter sah noch immer besorgt aus. »Er hat sich in letzter Zeit sehr eigenwillig verhalten.«
»Das kommt nicht mehr vor«, sagte Drillson und zog ein Foto aus seiner Tasche, das den britischen Premierminister zeigte. Mit zwei nackten minderjährigen Jungen.
Carmine’s am oberen Broadway war eines dieser italienischen Familienrestaurants, das keiner hungrig verließ. Auf dem weißgedeckten Tisch, der halb versteckt hinter einer Säule lag, stand eine große Schüssel mit Spaghetti Carbonara, Ravioli mit Wildpilzen und Linguini mit Fleischbällchen in Tomatensoße. Daneben gab es geröstete Brotsticks und zwei Flaschen mit dunkelrotem Chianti. »Iss doch noch etwas«, sagte Jason. »Du siehst immer noch so aus, als würdest du gleich umfallen.«
Manuel nickte. »Noch ein bisschen Rotwein wäre auch nicht schlecht«, sagte er.
»Für mich auch«, bat Claudette und zerteilte dabei eine Ravioli mit der Gabel. »Wisst ihr eigentlich, was man in einem britischen Militärgefängnis serviert bekommt?« Sie lächelte, strich die langen blonden Haare zurück und sah Jason aus ungewohnt tiefblauen Augen an. Er lächelte zurück. Sie wirkte unglaublich fremd. Fast hätte er sie nicht mehr erkannt. Aber sie sah fast noch aufregender aus als zuvor.
»Was soll ich erst sagen?«, entgegnete Manuel. »Ich wäre beinahe tot gewesen. Und mein Laptop ist weg. Das war ein Powerbook aus Titanium.«
»Wie hast du es dann geschafft, die Dateien mit den Biografien der Flugzeugentführer sicherzustellen?«, fragte Claudette. »Und das Foto des Cockpits?«
»Die habe ich im Internet gesichert«, antwortete Manuel. »Gleich nachdem ich die Dateien geöffnet hatte, habe ich Kopien per Mail an meinen Server geschickt. Leider nicht von allen Dateien. Die Audiodateien waren zu groß.«
»Leider nützt uns das nicht viel«, sagte Jason resigniert. »Wir haben jetzt ein paar arabische Lebensläufe und ein Foto von einem Boeing-Cockpit abgespeichert, na und? Ohne die Festplatte, auf der sie gespeichert waren, können wir nicht beweisen, woher sie stammen. Wir können sie ebenso gut selbst gebastelt haben.«
»Mich interessiert jetzt natürlich am meisten, wem ich den Überfall zu verdanken habe«, sagte Manuel und brach sich ein Stück Knoblauchbrot ab, um es in die Tomatensauce zu tunken.
»Der CIA, denke ich«, antwortete Claudette. »Dein Pakistani ist entweder von denen überwacht worden oder er war ein Agent, der dich in eine Falle gelockt hat. Oder aber diese Festplatte ist eine aufwendig inszenierte falsche Spur. Aber wer würde sich schon so viel Mühe machen, nur um einen blutigen Laien zu täuschen?«
Manuel grinste. »Danke«, sagte er. »Und was sollen wir blutigen Laien jetzt deiner Meinung nach tun?« Er griff nach der Schüssel und fing an, sich Nudeln auf den Teller zu häufen. »Ah«, sagte er zu Jason. »Gib mir mal den Parmesan.«
Claudette musterte die beiden Männer für ein paar Sekunden. »Ich kann dir genau sagen, was wir jetzt machen«, erklärte sie. »Wir machen einen kleinen Ausflug in die Area 51. Dort ist diese schwarze Superdrohne und die ist der Schlüssel zu allem.«
Manuel hätte fast die Nudeln wieder ausgespuckt. »Hatte ich dir nicht schon das letzte Mal ausdrücklich erklärt, dass das nicht geht? Das ist ein militärisches Sperrgebiet. Da kommen wir nicht mal in die Nähe!«
Claudette lächelte mit dieser französischen Überheblichkeit, die Amerikaner so sehr mochten. »Nicht wir«, sagte sie. »Ich gehe. Ich bin schließlich der Profi.« Sie streckte die Hand nach einer der Chianti-Flaschen aus. »Und ich weiß selbst, dass die Area schwer bewacht ist. Aber das spielt keine Rolle. Ich habe dort einen Kontaktmann.«
»Einen Kontaktmann?!«, echote Manuel und ließ die Gabel mit den Spaghetti fallen.
Sie nickte. »Ich habe in diesem Militärgefängnis einen IRA-Mann kennengelernt und die IRA hat gute Verbindungen zu den hiesigen Geheimdiensten, weil da viele Amerikaner irischer Abstammung arbeiten. Und die wiederum mögen uns, weil sie die Engländer hassen.« Sie holte Luft. »Jedenfalls haben sie einen Kontaktmann in der Area 51, der mir einen Dienstausweis und eine Uniform besorgen und dafür sorgen kann, dass ich auf die Liste der Leute gerate, die von den Wachen eingelassen werden.«
Jason schüttelte den Kopf. »Das klingt noch immer saugefährlich«, warnte er. Das blonde Haar verlieh ihr eine Zartheit, die ihn wider besseres Wissen verleitete, sie beschützen zu wollen. »Das könnte eine Falle sein!«
»Garantiert nicht«, sagte sie. »Unser Washingtoner Büro hat seine Unterlagen gecheckt. Den Mann gibt es wirklich. Und er arbeitet auch wirklich für die IRA.«
Manuel sah sie noch immer halb ungläubig, halb fasziniert an. »Aber was genau suchst du dort eigentlich?«, fragte er.
Claudette schob ihren Teller zurück. »Wir wissen bereits, dass es Verbindungen zwischen den USA und den vermeintlichen Attentätern gibt. Die Schnittstelle ist der ISI in Pakistan, der sowohl mit der CIA als auch mit islamischen Fundamentalisten kollaboriert. Einer der beiden Geheimdienste hat die Attentäter mit falschen Biografien und Pässen versorgt. Und außerdem auch mit Anleitungen, wie man eine Boeing fliegt. Wir wissen auch, dass die Aktion minutiös durchgeplant wurde. Bis hin zu den telefonischen Hilferufen der Passagiere. Das heißt, der Anschlag auf das World Trade Center war ein mit amerikanischer Beteiligung inszenierter Betrug. Das Ziel war es, eine Begründung für den Irakkrieg zu finden.«
»Nette Theorie«, sagte Jason. »Aber wenn das Pentagon oder die CIA das Ganze inszeniert haben, warum waren die Attentäter dann Saudis und nicht Iraker? Oder Iraner?«
»Das ist das Einzige, was ich nicht verstehe«, räumte sie ein. »Aber meine Theorie würde immerhin erklären, warum die Identität einzelner Entführer so unklar ist. Wahrscheinlich haben sie mehrere falsche Pässe von real existierenden Arabern benutzt.«
»Es kommt ja bisweilen vor, dass sich verrückte religiöse Fundamentalisten selbst in die Luft jagen«, wand Manuel ein. »Aber seit wann setzen sich bezahlte Agenten im Auftrag eines Geheimdienstes ans Steuer eines Flugzeuges und fliegen wissentlich in den Tod?«
»Die Attentäter wussten nicht, dass es eine Selbstmordmission ist«, sagte Claudette. »Die dachten, es gehe lediglich um eine Entführung. Und um sie reinzulegen, wurde eben diese schwarze Drohne genutzt. Die ist von Nevada nach New York geflogen und hat ein Funksignal ausgesandt, das die Transponderkennung der Boeings abgeschaltet hat. Dann hat die Drohne deren Steuerung übernommen und die Flugzeuge in die Türme rasen lassen. Wir haben das Foto doch selbst gesehen.«
»Was das Foto angeht«, sagte Manuel, »wo ist eigentlich dieser Kenny, der Fotograf, abgeblieben? Der ist nämlich wie vom Erdboden verschluckt und sein Telefon ist auch abgeschaltet.«
»Warum sein Telefon abgeschaltet ist, weiß ich nicht«, sagte Claudette. »Aber ich kann dir sagen, wo er ist. Ich habe ihn in dem Knast gesehen, in den sie mich gesteckt hatten. Die Briten haben ihn hochgenommen, als er seine Familie in Belfast besucht hat.«
»Das ermuntert mich nicht gerade«, sagte Manuel. »Einfach so festgenommen?«
Claudette nickte. Nun räusperte sich Jason. »Ich halte dich noch immer für wahnsinnig«, sagte er. »Aber wenn du deine verrückte Theorie beweisen willst, dann brauchst du auf alle Fälle den Flugschreiber der Predator V.«
»Weil der dieses Funksignal aufgezeichnet haben müsste?« Manuel begriff, worauf Jason hinauswollte. »Das wäre der Beweis für die Fernsteuerung der Flugzeuge?«
»Nicht nur das Funksignal«, sagte Jason. »Alles. Bei der Predator V ist der Flugschreiber an eine digitale Kamera gekoppelt, die den Flugweg nach New York und darüber hinaus den gesamten Einsatz aufgezeichnet haben müsste. Natürlich nur, falls unsere Vermutung wirklich zutrifft.« Dann sah er Claudette tief in die Augen. »Selbst wenn du es schaffst, in die Area 51 zu gelangen, was sowieso höchst unwahrscheinlich ist, wie willst du diese Drohne überhaupt finden? Weißt du eigentlich, wie riesig die Area ist? Und wie willst du den Flugschreiber ausbauen?«
Claudette sah ihn an. Er spürte, wie angespannt sie war. »Dafür brauche ich eure Hilfe«, gestand sie. »Deshalb bin ich hier. Ich brauche die detaillierten Pläne, die Manuel von der Area angefertigt hat, und ich brauche außerdem eine Blaupause dieser Drohne, damit ich den Flugschreiber lokalisieren kann. Du schaffst es doch, die zu organisieren, oder Jason?«
Jason spürte die nackte Panik an seinem Rücken hochkriechen. »Claudette«, sagte er. »Es ist viel zu gefährlich, so etwas allein zu machen. Sollte nicht wenigstens noch ein weiterer Agent aus eurem Washingtoner Büro mit dir in die Area gehen?«
Sie wich seinem Blick aus. »Ich bin …«, sagte sie und sah zum ersten Mal etwas weniger selbstsicher aus, »… ich bin gewissermaßen auf eigene Faust hier. Meine Regierung hat mich als aufgeflogene Agentin eingestuft. Man glaubt, ich sei gerade in D. C. und packe meine Sachen.« Sie lächelte dezent. »Übrigens heiße ich jetzt Claire Montgomery.«
»Claire Montgomery!«, rief Jason. Irgendwer musste hier die Stimme der Vernunft sein und das war offenbar er. »Ich sage jetzt, was wir tun. Wir gehen alle zusammen in die Area. Du schaffst das nicht allein. Und ich weiß zumindest in der Theorie, wie man einen Flugschreiber ausbaut.«
Claudette sah ihn mit großen Augen und sichtlich gerührt an. »Danke«, flüsterte sie. Sie streckte ihre Hand aus und streichelte seine Wange. »Danke. Das ist lieb gemeint, geht aber nicht. Es ist zu gefährlich.«
Als Jason weitersprach, wusste er, dass er diese Worte einmal bereuen würde, aber er konnte nicht anders. »Wir sind zusammen in diese Situation geraten und wir stehen das zusammen durch«, sagte er. »Wir kommen mit. Ohne Wenn und Aber.«
Claudette lehnte sich zurück. Alle Sanftheit verschwand aus ihrem Blick, als sie die beiden Männer musterte. »Gut«, sagte sie schließlich. »Wir machen es so. Aber nur du und ich. Ohne Manuel. Erstens brauchen wir ihn in der Nähe der Area, damit er Paris alarmieren kann, falls etwas passiert. Und außerdem: Wenn sie dich festnehmen, wird dich dein Ex-Chef schon irgendwie rausholen. So ein Kaliber wie dich können sie nicht ewig festhalten. Aber Manuel würden sie in einem Stahlbunker zweihundert Meter unter der Erde verrotten lassen.«
Manuel schluckte. Wie unangenehm. »Das heißt, ich sitze mit meinem Satelliten-Telefon im Trailer und überwache fortlaufend, wo ihr seid? Und wenn ihr euch länger als, sagen wir, sechs Stunden nicht meldet, dann rufe ich bei Jacques Chirac an?«
»So ungefähr«, antwortete Jason. Dann fiel ihm noch etwas ein, das er Claudette unbedingt hatte fragen wollen. »Bevor du verhaftet wurdest, sagtest du mir, dass du die Trümmer des World Trade Centers gefunden hast. Was hat es damit auf sich? Und was hat es mit diesem Journalisten zu tun?«
»Ich glaube«, sagte sie, »dass die Trümmer in den Irak geschafft wurden. Zu welchem Zweck ist mir allerdings auch nicht ganz klar. Und ich glaube, dass dieser Journalist das ebenfalls herausgefunden hat. Darum ist er jetzt tot. Aber dafür muss ich mich noch mal mit meinem britischen Wissenschaftler in Verbindung setzen.«
»Britischer Wissenschaftler?«, fragte Manuel. »Hoffentlich ist das nicht der …«
»Der was?«, fragte sie. Manuels Ton gefiel ihr überhaupt nicht.
»Hoffentlich ist das nicht der Wissenschaftler, den sie vor ein paar Tagen in einem Wald in England gefunden haben«, sagte Jason. »Tot. Er hat sich umgebracht. Zumindest behaupten das die britischen Medien. Er habe sich die Schlagader am linken Handgelenk aufgeschlitzt.«
Claudette erstarrte. »Am linken Handgelenk?«, fragte sie heiser. »Das kann nicht sein. Der Wissenschaftler, mit dem ich mich getroffen habe, war Linkshänder.«
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