
Jason ist in der Redaktion und beobachtet den Präsidenten im Fernsehen, wie der auf einem Flugzeugträger den Sieg im Irakkrieg verkündet. Da ruft Claudette an, um ihm von ihrem Gespräch mit dem britischen Geheimdienst zu erzählen. Mittendrin hört er, wie zwei Männer in ihr Hotelzimmer einbrechen, um sie mitzunehmen. Der Präsident, vollkommen fit und ohne seine üblichen Ausfallerscheinungen, gibt eine Pressekonferenz über die Massenvernichtungswaffen. Prince, der seine Leiche vor zwei Monaten gefunden hat, ist fassungslos. Dann fällt ihm eine Narbe am Hinterkopf des Präsidenten auf. Jason war zehn Tage in London und hat versucht, Claudette zu finden. Als er zurückkommt, kriegt er großen Ärger mit dem Chefredakteur.
Als der Kampfflieger auf dem Flugzeugträger aufsetzte, brach die Hälfte der Redaktion in Beifall aus. Die andere Hälfte stöhnte. »Und jetzt«, sagte der Nachrichtensprecher, »tritt der Präsident vor seine Truppen und händigt den tapferen Kämpfern ihre Medaillen aus.« Mit einem Tusch lief ein viriler, drahtiger Präsident, der jünger aussah als je zuvor, federnden Schrittes die Gangway herunter und grinste in die Kamera. »Mission Accomplished« stand auf einem riesigen Transparent, das hinter ihm wehte.
Der Präsident sah gut aus, fand Jason. Erstaunlich gut sogar. In den letzten paar Monaten war der Präsident praktisch abgetaucht gewesen. Albert Rave hatte der Presse mitgeteilt, dass der Präsident sich dringend auf seiner Ranch erholen müsse. Ganz allein, ohne Reporter und ohne seine Mitarbeiter. Sogar ohne seine Frau Linda. Er leide unter Erschöpfungszuständen, weil er zu viel gearbeitet habe. Des Krieges wegen. Aber der Klatsch unter den Kollegen in Washington lautete, dass der Präsident schon vor geraumer Zeit wieder angefangen hatte, zu trinken, und dass Rave ihm endlich die radikale Entziehungskur verordnet hatte, die schon seit Brezelgate fällig war. Doch in welcher Klinik der Präsident auch gesteckt haben mochte, er wirkte wie ein neuer Mensch.
»Würde die Kamera einen Schwenk machen, sähe man, dass der Flugzeugträger nur dreihundert Meter von der Küste entfernt ist«, sagte Jason. »Da hätte er auch in einem Gummiboot rüberpaddeln können.«
»Mensch, Jason«, sagte ein Kollege, der allerdings nur mit Mühe ein Grinsen unterdrückte. »In einem Gummiboot? Das ist doch viel zu gefährlich. Woher willst du denn wissen, ob er überhaupt schwimmen kann?« Jason grinste nun ebenfalls. Die Militärband im Fernsehen drehte voll auf und spielte Born in the USA. Fast hätte Jason das Klingeln seines eigenen Telefons überhört.
Hastig nahm er den Hörer ab. »Gilligan«, sagte er.
»Hör zu«, sagte eine ihm wohlbekannte rauchige Frauenstimme mit einem ganz leichten Akzent. »Ich habe eine Geschichte für dich. Unglaublich interessant. Das könnte der Wendepunkt für deine Karriere sein.«
»Claudette«, sagte er überrascht. »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Geht es dir gut? Ich muss dich unbedingt etwas fragen …«
»Mit geht’s gut«, unterbrach sie ihn. »Ich rufe aus London an.« Sie holte hörbar Luft. »Wir haben hier einen Wissenschaftler aufgetrieben, der für die britische Regierung an einem geheimen Programm arbeitet. Und dieser Wissenschaftler hat Beweise, wonach die Trümmer des World Trade Centers nach Pakistan gebracht wurden. Nach Karachi.«
»Was?«, fragte Jason. Ihm wurde plötzlich ganz anders.
»Ja«, sagte Claudette. »Der Stahl und der Betonschutt. Immerhin eine knappe Million Tonnen. Das alles wurde auf eine Hochsicherheitsmüllkippe …«
Plötzlich schwieg sie. Gilligan drückte den Telefonhörer dichter an sein Ohr, hörte aber nur, wie sie zischend die Luft einzog. »Was …«, fing er an.
»Schschsch«, zischte sie. »Hörst du das in der Leitung?«
Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm ein, dass sie ihn ja nicht sehen konnte. »Nein«, flüsterte er. »Ich höre nichts.«
»Gut«, flüsterte sie, was wenig Sinn machte, falls sie wirklich abgehört wurden. »Und ich habe eine Ahnung, warum dieser Journalist damals getötet wurde. Der hat nämlich …«
Dann hörte Jason im Hintergrund einen Knall, der Claudette unterbrach. Es klang, als sei eine Tür eingetreten worden. »Was war das?«, fragte Jason und presste den Telefonhörer so fest ans Ohr, dass es schmerzte. Sie sagte nichts. Stattdessen konnte er eine dumpfe männliche Stimme hören, die in bellendem Befehlston anordnete: »Nehmen Sie sofort die Hände hoch! Und keine Tricks!« War das britisches Englisch? Ihm fiel ein, dass sie vorhin von London gesprochen hatte. Wahrscheinlich war sie dort. Er merkte plötzlich, dass er schwitzte. Was war da nur los? War sie in Gefahr?
Inzwischen war nicht einmal mehr ihr Atmen zu hören. Offenbar hatte sie den Telefonhörer beiseitegelegt. Dafür hörte er wieder die männliche Stimme: Oder war es eine andere? »Bewegen Sie sich nicht, Mademoiselle Rosenblum. Oder ist es ihnen lieber, wenn wir Sie Sharona Eins nennen?«
Rosenblum? Sharona Eins? Jason schwitzte immer mehr. Dann hörte er wieder Claudettes Stimme. Jetzt weit entfernt, wie durch einen Nebel. »Hiermit gebe ich zu Protokoll, dass ich im Londoner West End, im Hyatt Hotel, Zimmer 1210 von zwei …«
»Verflucht«, sagte eine der beiden männlichen Stimmen. »Halt dein verdammtes Maul.« Es knackte laut. Dann waren die Stimmen weg.
Für ein paar Minuten stand Jason wie erstarrt da. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Was war mit Claudette passiert? Was war mit den Trümmern des World Trade Centers? Und was sollte er jetzt tun? Er sah sich um. Keiner seiner Kollegen hatte Notiz von seinem Telefonat genommen. Aber er konnte dies nicht einfach auf sich beruhen lassen. Diesmal nicht.
Jason holte tief Luft. Er würde nach London fliegen. Er würde Claudette finden. Und sie retten. Noch heute. Dann zögerte er für ein paar Sekunden. Er hatte keinen Urlaub mehr. Ob er einen Dienstreiseantrag einreichen sollte? Aber wie sollte er den begründen? Er griff nach dem Hörer. »Geben Sie mir British Airways«, sagte er.
»Lassen Sie mich noch einmal betonen, wie zufrieden wir damit sind, wie schnell die Befreiung des Irak vonstatten gegangen ist«, sagte der Präsident. »Unsere Truppen haben in nur wenigen Monaten Bagdad eingenommen und von dort aus das ganze Land befreit. Das alles war nur möglich dank der Mitarbeit und Hilfe unserer Medien und braven Journalisten, die in das Heer eingebettet waren. Dafür möchte ich Ihnen allen noch einmal ausdrücklich danken.«
Der Präsident stand hinter seinem Pult im Presseraum des Weißen Hauses und gab die erste Pressekonferenz seit dem Beginn des Irakkrieges, der nun offensichtlich für beendet erklärt war. Er wirkte ganz anders als sonst, fand Lucius Prince. Selbstsicherer, souveräner, gesünder. Sogar sein Stammeln gehörte offenbar der Vergangenheit an.
Prince stand links vom Präsidenten, während Rave sich an dessen rechter Seite aufgebaut hatte, gleich neben Verteidigungsminister Dewey Drillson. Der allerdings sah besorgt aus, fand Prince. Ob der Krieg vielleicht doch nicht so gut gelaufen war, wie der Präsident es behauptete? Wundern würde es ihn nicht. Der Vormarsch der U. S. Army war ein bisschen zu schnell gegangen, als dass es glaubwürdig sein konnte. Und anscheinend wurde hier und dort auch noch geschossen. Einzig Raves rundes, glattes Gesicht verriet keinerlei Emotion. Aber das tat es ohnehin selten. »Wir haben sogar schon die ersten Massenvernichtungswaffen von einem Satelliten im All aus geortet«, fuhr der Präsident fort. »Bald werden wir die ersten Waffenlager ausheben können.« Dann sah er sich um. »Ja, bitte?«
Der Korrespondent von Newsweek meldete sich als Erster. »Könnten Sie bitte ein bisschen spezifischer werden, Mister President?«, fragte der Journalist. »Was für Massenvernichtungswaffen waren auf den Satellitenbildern denn zu erkennen?«
Der Präsident grinste und drehte sich zu Drillson. »Eine Frage für dich, Dewey.«
Drillson nickte grimmig und doch selbstbewusst. »Wir gehen davon aus, dass Saddam Hussein über eine größere Menge an Cruise-Missiles verfügt hat, die jederzeit mit Atomsprengköpfen hätten bestückt werden können«, sagte er. »Aber wir überwachen jetzt den gesamten Luftraum des Irak. Für unsere Truppen besteht keinerlei Gefahr.«
»Warum entdecken wir die erst jetzt?«, fragte der Newsweek-Journalist. »Wir wissen doch schon seit Jahren, dass Saddam darüber verfügt.«
»Daran können Sie sehen, wie hochentwickelt das Waffenprogramm des Irak war«, antwortete Drillson. »Aber das waren jetzt genug Fragen zu diesem Komplex. Andere Journalisten sollten auch mal zu Wort kommen. Ja, Joe? Was ist Ihr Anliegen?«
FUC-Senderchef Joseph Brisbane war zu diesem besonderen Anlass persönlich zum Briefing ins Weiße Haus gekommen. »Unsere eingebetteten Reporter haben berichtet, dass unsere Jungs von der Featurenews Universal Corporation in Basra von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt worden sind«, sagte Brisbane. »Lieber Mister President, können Sie uns davon vielleicht etwas ausführlicher berichten?«
»Selbstverständlich«, sagte der Präsident. »Also, als die Fifth Airborne in Basra …«
Während der Präsident antwortete, wurde er von Lucius Prince gemustert, der nur eine Armlänge von ihm entfernt stand. Erstaunlich, wie eloquent der Präsident diese Frage beantwortete. Beziehungsweise der Mann, den Amerika für den Präsidenten hielt. Der Tag vor zwei Monaten, an dem sie die Leiche des echten Präsidenten gefunden hatten, schien ihm wie ein verschwommener Albtraum und ewig lang her. Drillson hatte ihm nicht erzählt, woher dieser neue Präsident kam. Und Rave behauptete sogar, der Präsident sei überhaupt nicht tot gewesen. Er habe bloß einen Herzstillstand erlitten und sei in die geheime Regierungsklinik in den Bunkeranlagen von Pentagon City eingewiesen und dann reanimiert worden. Warum das Ganze zwei Monate gedauert hatte, konnte er allerdings nicht so recht erklären. Zwar war es Rave gelungen, die Abwesenheit des Präsidenten mit Hilfe alter Aufnahmen und fingierter Presseerklärungen zu überspielen, doch irgendwann war es in Washington schließlich doch aufgefallen, dass der oberste Kriegsherr nicht mehr öffentlich auftrat. Es hatte die üblichen Gerüchte gegeben, dass er wieder trank, aber die Zeitungen hatten nichts dergleichen berichtet. Das Fernsehen schon gar nicht. Und dann war ER im Weißen Haus aufgetaucht, der Mann, der wie der Präsident aussah, wie der Präsident redete und sich auch so benahm, als sei er der Präsident. Bloß eine viel bessere Version.
»Natürlich gehen wir davon aus, dass wir das Anthrax-Labor in Bagdad finden«, bellte Drillson. »Unser Geheimdienst hat es meines Wissens sogar schon lokalisiert.« Prince ließ seine Augen den präsidialen Rücken hochwandern. Gerade wollte er sich wieder den Journalisten zuwenden, als sein Blick an einer winzigen Anomalie haften blieb. Irgendetwas war anders. Etwas, das nur in diesem gleißenden Kameralicht zu erkennen war. Prince hüstelte, trat noch ein wenig näher an den Präsidenten heran und wartete, bis dieser sich wieder zu Drillson umdrehte. Dann betrachtete er den Nacken des Präsidenten etwas genauer.
Wenige Millimeter unter dem Haaransatz schien eine Narbe zu sein. Eine sehr kleine, sehr schmale Narbe, die in dem Licht der Scheinwerfer leicht silbrig schimmerte. Sie war nur für denjenigen zu erkennen, der ganz dicht hinter dem Präsidenten stand und ganz genau hinsah.
Während Drillson sich in Ausführungen über die plutoniumbetriebenen U-Boote des Irak verlor, fuhr sich der Präsident durch die Frisur. Nun wurde die Anomalie von Haaren bedeckt. Schade, dachte Prince und trat einen Schritt zurück. Vielleicht war es auch gar nichts. Vielleicht war es einfach nur eine Narbe, die der Präsident immer schon gehabt hatte.
»Die nächste Frage bitte«, sagte der Präsident, lächelte und nickte dem Korrespondenten des Wall Street Journal zu.
»Jason?« Obwohl die Stimme sanft klang, fuhr Gilligan zusammen. Er hatte nicht gehört, dass der Chefredakteur den Raum betreten hatte. Geschweige denn, dass er im Washingtoner Büro an der K Street vorbeischaute, wo die Korrespondenten der Zeitung saßen, die aus dem Weißen Haus berichteten. Dass sich der Chefredakteur anschlich, war kein gutes Zeichen. »Jason, kommen Sie doch bitte mit«, sagte der Chefredakteur.
Jason war so müde, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er hatte zehn Tage in England verbracht und dort nur stundenweise geschlafen. Zuerst hatte er sich im Hyatt im Londoner Westend einquartiert, wo Claudette gewohnt hatte. Aber nein, eine Ms. Betancour habe hier nicht übernachtet, hatte ihm der Manager versichert. Er hatte es mit »Sabrina Smith« versucht, ebenfalls ohne Erfolg. Wer wusste schon, welchen Namen sie dort benutzt hatte. Ein Foto von ihr besaß er leider nicht. Er hatte Claudette auch dem Hotelpersonal beschrieben, aber niemand konnte sich an sie erinnern. Und an einen Polizeieinsatz, bei dem ein Gast des Hotels verhaftet worden wäre, schon gar nicht.
Als Nächstes hatte er bei der Londoner Polizei nachgefragt und außerdem beim britischen Geheimdienst – dies mit Hilfe eines Kollegen, der für den Guardian schrieb und sich mit den Finessen des MI5 und des MI6 auskannte. Ebenfalls ohne Ergebnis. Die französische Botschaft in London hatte steif und fest behauptet, das so genannte Deuxième Bureau sei bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst worden. In seiner Verzweiflung hatte Jason versucht, eine Aufzeichnung des Telefongesprächs zu bekommen, das sie zuletzt mit ihm geführt hatte, aber eine sehr, sehr schlechtgelaunte Angestellte der Telefongesellschaft hatte ihm bedeutet, seit Maggie Thatcher die Gesellschaft privatisiert habe, sei so etwas nicht mehr möglich. Jedenfalls nicht für Normalsterbliche. Zuletzt hatte er bloß noch gehofft, in dem kleinen Pub gegenüber vom Hyatt jemanden zu finden, der sich an Claudette erinnern konnte, aber das hatte nur seine Leber strapaziert. Gestern hatte er schließlich aufgegeben. Aber er war erst kurz vor Mitternacht in Washington angekommen, weil das Bodenpersonal bei British Airways gestreikt hatte. Wo war eigentlich Maggie Thatcher, wenn man sie brauchte?
Eigentlich hatte Jason geglaubt, nun sei sowieso alles egal, aber er merkte doch, wie sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengrube einstellte, als er den Chefredakteur dabei beobachtete, wie er umständlich einen Stuhl vor seinem Schreibtisch freiräumte. »Jason«, sagte der Chefredakteur schließlich. »Sie waren doch diese Woche auf der Pressekonferenz des Präsidenten, wo Verteidigungsminister Drillson über die irakischen Massenvernichtungswaffen berichtet hat, nicht wahr?«
Jason nickte. Er hatte den Bericht im Londoner Hyatt geschrieben, basierend auf Agenturnachrichten und der Berichterstattung von BBC World, und ihn per E-Mail in die Redaktion geschickt. Das, was Drillson behauptete, war vollkommener Unsinn, das war ihm auch von London aus klar gewesen. Nie im Leben hatte der Irak derart hochentwickelte Waffensysteme. Woher auch? Deren Haupteinkaufsquelle waren die Russen und die hatten nur schrottige MIGs.
»Nun ja«, sagte der Chefredakteur. »Es gibt da ein kleines Problem.« Er hob ein Bündel Zeitungen auf, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Schauen Sie sich doch mal diese Schlagzeilen an.«
Die oberste Zeitung war die Washington Times. »Saddam Hussein hat Cruise-Missiles mit Atomsprengköpfen« lautete die Schlagzeile. Darunter war in kleinerer Schrift zu lesen: »Pentagon überwacht irakische Massenvernichtungswaffen mit Hilfe von Satelliten im Weltall«.
»Wissen Sie, Jason«, sagte der Chefredakteur. »Ich war sehr geduldig mit Ihnen. Ich habe mich nicht beschwert, als Sie letzten Sommer diese Auszeit genommen haben. Ebenso wenig über diese abstrusen Geschichten über Pakistan oder die CIA. Aber das …« Er schüttelte den Kopf, »… dass wir als einzige Zeitung diese Schlagzeile nicht gebracht haben, gerade jetzt, wo der Krieg siegreich zu Ende gegangen ist. Und es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie so etwas versäumen. Während unsere Kollegen da unten im Irak so erstklassiges Material liefern. Erst letzte Woche gab es einen Bericht über den Fund von Anthrax-Fässern im Palast von Saddam Hussein.«
»Ich glaube«, antwortete Jason und spürte dabei selbst, wie lahm er klang, »ich glaube einfach, dass die Beweise, die das Pentagon vorgelegt hat, nicht stichhaltig sind.«
»Was mich noch mehr wundert«, fuhr der Chefredakteur fort. »Sie hatten doch einen Bericht über diese Drohne geschrieben. Sie wissen schon, diese …«
»… die plutoniumbetriebene, hypersonare Superdrohne, die die Fernsteuerungs-Technologie der Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers verbindet?«, fragte Jason. Er hatte geschrieben, die Drohne werde von der Air Force bereits in geheimer Mission eingesetzt. Im Irak und möglicherweise sogar im Inland. Es war ein Testballon gewesen. Er wollte sehen, wie das Pentagon reagierte.
»Und Sie haben geschrieben«, sagte der Chefredakteur, »dass Drillson sich geweigert habe, sicherheitsrelevante Entwicklungen im Rüstungssektor zu kommentieren?«
Jason nickte. Jetzt begann er, wirklich Unheil zu ahnen.
»Wann haben Sie ihn denn genau befragt?«, wollte der Chefredakteur wissen. »War das auf der gleichen Pressekonferenz, bei der er über die Massenvernichtungswaffen geredet hat?«
»Ich … ich glaube schon«, stammelte Jason. »Ich meine aber, dass es mehr so am Rande war. Nicht vor allen Kollegen oder während der Fernsehübertragung.«
»Und Sie waren ganz sicher bei dieser Pressekonferenz?« Der Chefredakteur ließ nicht locker.
Jason begann schon wieder, zu schwitzen. Ob sein Chef das sah? »Sicherlich«, sagte Jason. Dann fiel ihm ein, dass er einfach hätte sagen sollen, er habe Drillson angerufen. Wer konnte schon ahnen, dass dieser Vollidiot von Präsident seine erste und einzige Pressekonferenz im Quartal ausgerechnet in der Woche abhielt, die er in London verbrachte?
»Wissen Sie«, sagte der Chefredakteur und klang nun so betont freundlich, dass Jason am liebsten aus dem Fenster gesprungen wäre, »es ist nur komisch, dass Sie dort niemand gesehen hat. Mister Rave nicht und Mister Prince, mit dem ich gestern Lunch hatte, auch nicht. Und diese Superdrohne, sagt Prince, gebe es gar nicht.«
Diese Ratten. »Ich musste … äh … etwas früher gehen«, stotterte Jason.
»Wenn Sie früher gegangen sind, wie konnten Sie dann mit Drillson am Rande der PK noch reden?« Der Chefredakteur hatte ihn eingekreist wie die Schlange das Kaninchen.
Jason stand auf. »Gut«, erklärte er. »Ich war nicht dort. Ich habe im Moment ein paar familiäre Probleme und deshalb keine Zeit. Aber ich muss auch nicht die Pressekonferenzen des Weißen Hauses besuchen, nur um mich von Drillson anlügen zu lassen. So verstehe ich meinen Job nicht.«
»Familiäre Probleme?«, fragte der Chefredakteur, nun gruselig nett. »Mit Elisabeth?«
Als Jason nickte, wusste er bereits, dass dies sein letzter, endgültiger Fehler war. Elisabeth und sein Chefredakteur kannten sich noch aus Yale.
»Elisabeth«, sagte sein Chef, »hat mir erzählt, Sie seien nach London geflogen. Um ein paar Tage Urlaub zu machen und auszuspannen.« Er lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und sah Jason für eine halbe Minute kommentarlos an. »Jason«, sagte er schließlich. »Sie arbeiten nun schon sehr lange für uns und ich will nicht aus diesem einen Vorfall …« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Gut, ich will das nicht dramatisieren. Und ich möchte auch Elisabeth nicht brüskieren. Gibt es vielleicht ein Ressort, in dem Sie sich wohler fühlen würden und dem Sie auch eher gewachsen wären? Vielleicht Gesundheit? Wissenschaft? Oder verstehen Sie etwas von Erziehung?«
Jason spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. Er stand auf. »Wenn Sie meinen Artikeln über Rüstungspolitik nicht mehr trauen«, sagte er, »dann sollte ich vielleicht die Redaktion verlassen.«
Der Chefredakteur blickte ihn kühl an. »Ja«, sagte er. »Das sollten Sie.«
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„Er würde Claudette finden. Und sie retten. Noch heute.“
Meisterhaft. Geradezu episch.
–
„Krankheit, Verfolgung, Betrübniß und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung seyn.“