Die Verschwörung, Folge 15 — Weapons of Mass Distraction

Las Vegas
Bild: privat

Dewey Drillson hat Joe Brisbane beauftragt, einen Ersatz für Osama-Bin-Laden zu finden. Da das nicht geklappt hat, überlegen sie nun, Saddam Hussein als Drahtzieher von 9-11 zu präsentieren. Sie wollen auch gefakte Waffen in den Irak bringen. Außenminister Powder trifft sich wieder mit Linda, diesmal in einer geheimen Ecke des Moulin Noir. Er erzählt ihr von den hochgeheimen, internen 9-11-Ermittlungen. Derweil versucht Linda,, ihm von dem Präsidenten und dessen Problemen mit dem Fitnessdrink zu erzählen, aber Powder hört ihr nicht zu. Manuel fliegt nach Las Vegas zurück, mit einem Umweg über Washington, DC. Als er in Rachel ankommt, erlebt er eine böse Überraschung.

 

»Noch einen Whiskey?«, fragte Wilbur, der Vater des Präsidenten.

Dewey Drillson nickte. »Mach einen Doppelten daraus«, sagte er. »Den brauche ich jetzt unbedingt. Ich komme kaum noch bei der Defiant Foundation vorbei. Wir stecken bis über beide Ohren in Kriegsvorbereitungen und außerdem muss ich nebenbei noch diese Idiotentruppe beaufsichtigen, die sich Regierung nennt.«

»Irak schön und gut, aber wir dürfen nur wegen des bevorstehenden Einmarsches nicht Russland und China aus den Augen lassen«, sagte Orinoko Oil und runzelte die Stirn. »China wird bald mehr Öl verbrauchen als wir. Das wird den Weltmarkt für Öl vollkommen durcheinanderwirbeln.«

Wilbur warf ihr einen nachsichtigen Blick zu. Seit die Saudis einen Öltanker nach ihr benannt hatten, tat sie so, als habe sie Ahnung vom Ölgeschäft. Er lächelte. »Ja, Schatz«, sagte er. Dann zwinkerte er Drillson zu. »Apropos Idiotentruppe – stimmt es, was ich über diesen FUC-Fuzzi gehört habe? Diesen Brisbane?«

Drillson nickte grimmig. »Ich war gleich dagegen, ihn darum zu bitten, einen Ersatz-Osama zu engagieren«, erklärte er. »Das war wieder so eine typische Schnapsidee von Burton. Und sich dann noch so rauszureden …«

»Ersatz-Osama?«, fragte Orinoko Oil. »Wieso brauchen wir einen Ersatz für Osama Bin Laden? Ich dachte, der sei in Pakistan untergetaucht?«

Drillson warf ihr einen gequälten Blick zu, sah aber ein, dass er sie aufklären musste. »Der Mann, den Sie für Osama Bin Laden halten, ist ein Schauspieler, der sich vom LAPD beim Ladendiebstahl hat schnappen lassen. Und unser Freund Brisbane – er dehnte das Wort Freund, damit es ironisch klang – hätte einen Ersatz besorgen sollen, den wir zum krönenden Abschluss des Irakkriegs präsentieren wollten.«

»Ein Schauspieler?«, fragte Orinoko erstaunt. »Woher …«

»Und das hat er nicht geschafft?«, fragte Wilbur.

»Doch, doch«, antwortete Drillson. »Geschafft hat er das schon. Nur hat sich dieser Schauspieler genau zwei Tage vor der Vertragsunterzeichnung für diese Kreuzigungs-Schmonzette abwerben lassen. Von diesem …?«

»Mel Gibson?« Orinoko konnte kaum fassen, was Drillson da erzählte.

Wilbur schüttelte den Kopf. »Zu meiner Zeit gab es so etwas nicht. Da herrschte bei der CIA noch Zucht und Ordnung.«

Der Verteidigungsminister nickte seufzend. »Ja, aber genug davon. Es geht jetzt um Wichtigeres. Der Einmarsch in den Irak steht an. Sind wir auf alles vorbereitet?«

Orinoko nickte. »Doktor Wolfstetter hat ein umfangreiches Dossier über Saddams Arsenal von Massenvernichtungswaffen angelegt«, sagte sie. »Anthraxfässer, Clusterbomben und Atomraketen, die innerhalb von 45 Minuten New York erreichen können. Oder war es London? Das verfüttern wir nach und nach an die Presse.«

»Und er kollaboriert mit Osama Bin Laden«, fügte Drillson hinzu. »Das ist wichtig. Noch besser – nachdem das mit Brisbanes Osama sowieso schiefgegangen ist, sollten wir Saddam gleich selbst als den Drahtzieher präsentieren, der das World Trade Center in die Luft gesprengt hat.« Er griff nach der Whiskeyflasche und schenkte sich und Wilbur noch zwei Gläser ein.

»Mit diesen Massenvernichtungswaffen, da müsst ihr aufpassen«, erklärte Wilbur. »Das könnt ihr nicht komplett frei erfinden. Irgendetwas muss nach dem Krieg ausgegraben werden. Und wenn es nur ein paar leere Cruise-Missile-Hüllen sind.«

»Wo denkst du hin!«, sagte Drillson. »Glaubst du, wir sind völlig bescheuert? Wir sind kurz davor, hundert ausrangierte Marschflugkörper nach Bagdad bringen zu lassen. Über Kuwait, über die grüne Grenze. Oder die gelbe Grenze, wie sie da unten wahrscheinlich heißt. Marschflugkörper bestückt mit Atomsprengköpfen. Keine echten Atomsprengköpfe natürlich, wir sind ja nicht wahnsinnig. Aber das fällt garantiert niemandem auf. Wir sagen einfach, die wurden vor der Flucht von Saddams Leibgarde unbrauchbar gemacht. Die werden kurz vor Kriegsausbruch unter Saddams Präsidentenpalast geparkt, und ihn nehmen wir bei dieser Gelegenheit auch gleich mit. Wir lassen bloß einen DVD-Rekorder mit ein paar von seinen Reden da.«

»Warum liefert ihr die Marschflugkörper erst so kurz vor Kriegsausbruch?«, fragte Wilbur. »Warum nicht gleich in den nächsten Tagen?«

»Weil ich nicht will, dass irgendwelche käsefressenden Kapitulationsäffchen, die um Saddam scharwenzeln, die schon vorher entdecken«, antwortete Drillson. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass da ein paar von denen herumturnen. Außerdem traue ich Saddam nicht.«

»Sagtest du nicht, die Flugkörper würden vorher unbrauchbar gemacht?«, wollte Wilbur wissen. »Was soll er denn damit schon anstellen?«

»Er könnte immer noch ein paar von unseren Ölfeldern in Brand stecken«, sagte Orinoko. »Bei seinem Kokain-Konsum würde mich gar nichts mehr wundern.«

Drillson schüttelte den Kopf. Der Öltanker war ihr wirklich zu Kopf gestiegen. »Wir haben alles im Griff«, sagte er. »Wir haben einen totsicheren Plan. Die Atomraketen kommen Anfang März an, einen Tag später schlagen wir zu.«

»Und das mit dem Anthrax, wie wollt ihr das hinkriegen?«, fragte Wilbur.

»Das ist erst recht kein Problem«, antwortete Drillson. »Wir haben doch noch die Anthrax-Stränge von USAMRIID. Die müssen wir nur auf dem gleichen Weg rüberschaffen.«

»Usam-was?«, fragte Orinoko.

»USAMRIID. Das U. S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases«, knurrte Drillson.

»Ist das nicht gefährlich?«, fragte Wilbur.

»Nö«, sagte Drillson. »Wir nehmen nur ein paar winzige Flöckchen und bestäuben damit zwei Dutzend Fässer mit Puderzucker. Und schon haben wir tonnenweise brandgefährliches Anthrax, genug um den ganzen Mittleren Osten zu vergiften.« Er grinste. »Leider nicht wirklich. Dafür haben wir aber Dokumente, die das alles belegen. Aus Interlaken, gerade frisch eingekauft. Oder war es Italien? Irgendwas mit I jedenfalls.«

Wilbur grinste nun auch, zog dann aber doch noch einmal die Stirn kraus. »Weiß eigentlich Harry Burton von diesem Plan?«, fragte er.

Drillson schüttelte den Kopf. »Dem sagen wir frühestens dann Bescheid, wenn unsere Panzer zweihundert Meter vor dem Präsidentenpalast stehen. Sonst gerät er noch in Panik und versucht, seine Ölanlagen demontieren und außer Landes zu schaffen.«

»Warten Sie hier«, flüsterte Tom Powder Linda zu. Er wusste selbst nicht warum, hatte aber das Gefühl, es könnte gefährlich werden, wenn sie zu oft zusammen gesehen würden. Oder von den falschen Leuten. Er sah sich vorsichtig um. Die Bar des Moulin Noir im Keller dieses unauffälligen Brownstones in Georgetown war zwar nicht die allererste Adresse für eine Lady, aber das Moulin Noir verfügte über versteckte Winkel, verborgene Räume und verschwiegene Barkeeper. Powder musterte von der Tür aus das knappe Dutzend Gestalten im Anzug, das am Tresen saß. »Kommen Sie«, sagte er dann mit rauer Stimme zu ihr.

Linda blickte sich ebenfalls um, noch ängstlicher als der Außenminister. Die Bar war in ein dunkelrotes Licht getaucht, so dass die Gesichter der Anwesenden kaum zu erkennen waren. Jazzmusik hing in der von Zigarrenrauch angedickten Luft und eine glitzernde Kugel an der Decke drehte sich träge blitzend. In dem Fernseher über der Bar erschien gerade Drillsons verwittertes Gesicht. Der Ton war abgestellt. Hoffentlich marschieren wir nicht gerade in Kanada ein, dachte Linda. Dann winkte Powder sie auch schon weiter und führte sie in einen Alkoven, der ebenfalls in rötliches Licht getaucht war. Nachdem Powder dem Kellner einen Zwanziger in die Hand gedrückt hatte, gehörte der Raum ganz ihnen. Ein kleiner Tisch, hinter einem Vorhang verborgen, und zwei Barhocker. Die Wand dahinter schien aus einer Art Metall oder aus grauem Milchglas zu bestehen. Der Barkeeper stellte zwei trockene Martinis vor sie hin und verschwand sofort wieder. Aus dem Lautsprecher kam Pink Floyds Wish You Were Here.

Ganz langsam nur fiel die Anspannung von ihm ab. »Und?«, fragte er lächelnd. Dann nahm er ihre Hand und küsste zart und ganz kurz nur ihre Fingerspitzen. »Wie geht es Ihnen?«

Sie lächelte ebenfalls, aber der sorgenvolle Ausdruck wollte nicht ganz weichen. »Es geht so«, antwortete sie und lächelte noch einmal. Fast verlegen diesmal. Dabei hatte er ihre Hand bereits losgelassen. Sie griff nach ihrem Martini.

»Was gibt’s Neues an der Front?«, fragte er und sah ihr dabei tief in die Augen.

Wenig ladylike stürzte Linda ihren Martini herunter. Als habe er sie durch eine Glasscheibe beobachtet, tauchte der Kellner aus dem Nichts auf und stellte ihr einen neuen Drink hin. »Nicht viel«, sagte sie. »Ich sehe den … äh … meinen Mann gar nicht mehr so häufig. Albert Rave hat sich ein Gästezimmer im Weißen Haus eingerichtet, wo der Präsident nun immer öfter schläft. Auf der Couch.« Sie seufzte. »Aber das ist ja nicht so wichtig. Was gibt es bei Ihnen denn Neues?«

»Nicht viel Gutes«, sagte Powder, spießte die Olive aus seinem Martini auf einen Zahnstocher und drehte ihn zwischen seinen Fingern. »Sie haben vielleicht gehört, dass es diese Untersuchungskommission zu den Anschlägen am 11. September geben soll. Das hat der Kongress beschlossen.«

»Ja, und?«, fragte sie ein wenig zerstreut.

»Irgendetwas stimmt da nicht«, antwortete er. »Wir haben die Anweisung vom Weißen Haus bekommen, dass wir nicht vor dieser Kommission aussagen dürfen. Von Rave selbst unterschrieben. Wir dürfen denen noch nicht einmal Unterlagen zur Verfügung stellen. Das Pentagon übrigens auch nicht, wie unser Secret Service herausgefunden hat.« Das State Department hatte seinen eigenen Secret Service, weil noch kein Außenminister seit John Foster Dulles der CIA über den Weg getraut hatte.

»Tatsächlich?«, fragte Linda und sah sich um. »Wissen Sie«, fuhr sie fort, »im Grunde ist mir das ganz recht. Ich meine, wir hatten ja ohnehin schon Probleme. Und getrennte Schlafzimmer …«

»Was ich noch beunruhigender finde«, erklärte Powder, »ist die Besetzung dieser Kommission.« Er winkte dezent der grauen Milchglaswand zu und schon kamen die nächsten beiden Martinis. »Das fängt schon beim Vorsitzenden an. Wissen Sie, wer das werden sollte? Ronald Reagan.«

»Ronald Reagan?«, sagte Linda verwirrt und nahm noch einen Schluck. »Wie alt ist der inzwischen?« Langsam wurde ihr ein ganz klein wenig schwindelig. »Es ist nämlich …«, fing sie sich wieder, »also, ich habe Ihnen doch von diesem Fitnessdrink erzählt, oder? Dieses rosa Zeug, das wie flüssiges Marzipan schmeckt?«

Er nickte und nahm ebenfalls noch einen Schluck. »Aber was noch merkwürdiger ist: Reagan ist schon zurückgetreten, noch bevor er überhaupt angefangen hat.« Er seufzte. »Den Gerüchten zufolge sei er denen zu liberal gewesen.«

»Ich glaube«, fuhr Linda unbeirrt fort, »ich fürchte, also ich denke vielmehr, dass dieser Fitnessdrink keinen guten Einfluss auf den Präsidenten hat … Also für Sport oder dergleichen mag der Drink ja hilfreich sein, mit seinen Vitaminen oder was auch immer da drin ist. Aber ich als Frau, mir als Frau … Ich meine, eigentlich habe ich sowieso keine richtige Lust mehr …«

»Aber noch schlimmer sind die Gerüchte darüber, wer als neuer Vorsitzender für die Kommission gehandelt wird«, sagte Powder, ohne auf Lindas Ausführungen einzugehen. »Benito Giovanni. Dabei ist er einer von den Leuten, die die Kommission in die Zange nehmen sollte. Aber seit sich Giovanni nach dem Anschlag zum Volkshelden hat deklarieren lassen, traut sich keiner mehr, ihn zu kritisieren.«

»Tatsächlich?«, fragte Linda. Dann sah sie ihm ins Gesicht. »Wissen Sie, es ist nicht einfach, sich als First Lady mit diesen Dingen herumzuschlagen. Eigentlich sollte ich an solche Bedürfnisse nicht einmal denken. Und schon gar nicht darüber reden. Und ich wüsste auch gar nicht, mit wem – nein, nein, das geht alles nicht.«

Schlagartig merkte er, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon sie eigentlich sprach. »Was für Bedürfnisse? Was meinen Sie?«

Sie wurde rot und schwieg für ein paar Minuten. Als sie sich wieder fing, war ihre Stimme fast nur noch ein Flüstern. »Ich meine … ich glaube … also, dieser Fitnessdrink und der Präsident …« Sie brach ab.

Endlich begriff er, worauf sie hinauswollte. »Sie meinen, dass dieser Fitnessdrink … also, dass der Präsident, seit er diesen Fitnessdrink trinkt, nicht mehr … kann?«

Sie nickte. Ihre dunklen Augen wurden noch eine Spur dunkler. »Ja.«

In einer fließenden Bewegung stand er auf, zog sie hoch, umfing sie mit beiden Armen und küsste sie. Eine heiße Welle durchschoss seinen Körper. Was tat er da? Aber er konnte einfach nicht aufhören. Sie schloss die Augen und hielt sich an ihm fest. Erst als sein Mobiltelefon klingelte, ließ er sie los. »Powder«, sagte er. Seine Stimme klang noch rauer als sonst.

Der Lichterteppich erstreckte sich bis zum Horizont, wo die Silhouette des Eiffelturms die Nacht erleuchtete. Gleich daneben glitzerte das Chrysler Building wie eine Diamantenkette am Hals von RuPaul. Eine Sphinx, in weißes Licht getaucht, schimmerte neben einer schwarzen Pyramide, von deren Spitze ein einzelner Laserstrahl in den Himmel schoss. Ein Vulkan spuckte rotglühendes Feuer und ein Piratenschiff blinkte bunt auf. Willkommen in Las Vegas, dachte Manuel. Hoffentlich stand sein alter Käfer noch da, wo er ihn abgestellt hatte. Und hoffentlich konnte er die Parkgebühr bezahlen.

Als Manuel sich und seine Reisetasche durch die klimatisierte Halle des Großflughafens schob, fühlte er sich völlig erschöpft. Sein Hemd klebte. Seine Schuhe drückten. Es war ein langer Flug gewesen von New York. Noch dazu mit einem Zwischenstopp in Washington. Aber es hatte sich gelohnt. Zumindest hoffte er das. Nun musste er nur noch mit seinem Käfer weiter bis nach Rachel fahren, wo sein Bett auf ihn wartete.

Leider stand er nach seiner langen Reise vor noch mehr Rätseln, als er hatte lösen können.

Kenny, der irische Fotograf, dessen Bruder im World Trade Center umgekommen war, schien sich in Luft aufgelöst zu haben, und mit ihm auch die Spur zu der geheimnisvollen Superdrohne. Manuel hatte die Nummer angerufen, die auf der Rückseite der Fotos stand, aber der Anschluss existierte nicht mehr. Selbstredend war auch die Rothaarige mit dem fremdartigen Akzent spurlos verschwunden. Ob Jason mit seiner Skepsis doch recht gehabt hatte? Aber den schwarzen Jet gab es doch, er hatte ihn ja selbst gesehen.

Dafür hatte Manuel eine junge Frau kennengelernt, die bei dem Anschlag ihren Cousin verloren hatte. Bei einer Benefizveranstaltung für die Opfer des World Trade Centers, die von der Village Voice veranstaltet wurde. Die Veranstaltung fand in einer alten Schlachterei im Meatpacking District statt. Er war Tiffany – sie hieß wirklich Tiffany – aufgefallen, weil er ein buntgeblümtes Hemd trug, das vielleicht nach Venice Beach passte, aber nicht nach Manhattan. Denn hier trug man schwarz, wie sie ihm auf eine nette Art erklärt hatte.

Drei Bloody Marys später wusste er, wer das World Trade Center zerstört hatte. »Die Nazis haben kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein UFO gefunden, das in den Bergen notgelandet war«, hatte Tiffany ihm erklärt. »Und das hatte eine Zeitmaschine eingebaut. Sie haben das UFO gekapert und Sturmtruppen in die Zukunft geschickt, um Rache an Amerika zu nehmen. Und die steckten hinter dem Anschlag.«

Manuel fand die Geschichte nicht sonderlich logisch. Wenn die Nazis tatsächlich eine Zeitmaschine gehabt hätten, warum waren sie dann nicht in die Vergangenheit gereist, um ihre gröberen taktischen Fehler auszubügeln? Zum Beispiel hätten sie die jüdischen Wissenschaftler nicht vertreiben sollen, die die Atombombe erfunden hatten. Aber vielleicht kamen die Nazis mit den Tastaturen auf dem UFO-Armaturenbrett nicht zurecht. Vielleicht waren die klingonisch. Er sollte seinem Vater die Geschichte erzählen. Vielleicht konnte der die in seinen Roman einbauen.

Manuel hatte die Nacht dann trotzdem in Tiffanys Bett verbracht. Sie fühlte sich sehr weich an. Mitten in der Nacht – so etwa gegen vier – schreckte sie auf und klammerte sich an ihm fest. »Nein«, flüsterte sie. »Nein … wo ist … nein!«

Kurz bevor Manuel das Geld ausgegangen war, war es ihm noch gelungen, einen von Jasons wertvolleren Kontakten zu erreichen. Einen Senator, dessen Wahlkreis in Minnesota lag. Dieser Senator war einer der ganz Wenigen in Washington, die sich noch trauten, den Präsidenten öffentlich zu kritisieren, hatte Jason ihm erzählt.

Daraufhin hatte Manuel tatsächlich seinen Rückflug nach Las Vegas umgebucht und einen Zwischenstopp in Washington eingelegt. Dort war er von einem Mitarbeiter des Senators empfangen worden, dem er eine Kopie des Fotos von dem schwarzen Jet gegeben hatte. Der Mitarbeiter war sehr freundlich gewesen, hatte jedoch gesagt, dass Rüstungspolitik eigentlich nicht der Schwerpunkt seines Senators sei, er sich aber darum kümmern würde. Dabei hatte er den gleichen Klang in der Stimme wie Manuel, als der am nächsten Morgen zu Tiffany gesagt hatte: »Ich rufe dich an.«

Als er gerade gehen wollte, war – wenn auch vermutlich nur zufällig – der Senator ins Zimmer gekommen. Er nahm seinem Mitarbeiter das Foto von dem Jet aus der Hand und sah es fast eine Minute lang an. »Junge, Junge«, murmelte er, blickte Manuel ins Gesicht und schüttelte dabei halb anerkennend, halb besorgt den Kopf. »Die Predator V«, sagte er dann. Wo haben Sie das denn her? Das ist streng geheim!«

Der Käfer stand tatsächlich noch auf dem Flughafenparkplatz von Las Vegas. Manuel stieg ein, drehte den Schlüssel um und fuhr den Strip entlang. Nicht nur war das ein Umweg, er mochte Las Vegas nicht einmal. Aber er wollte, er wusste selbst nicht wieso, noch ein bisschen in der Nähe der vielen Lichter bleiben. Doch schon bald ließ er die Glitzermeile hinter sich. Er fuhr auf der Interstate 93 an den Ruinen einer alten Indianerstadt vorbei, die beim Bau eines Stausees geflutet worden war. Dann bog er auf den Extraterrestrial Highway ein, an der Black Mailbox vorbei, wo die Untertassen-Süchtigen kampierten. Endlich erreichte er Rachel. Die Area 51 war ruhig. Keine Testflüge, keine leuchtenden Kugeln, die durch die Nacht schossen, keine UFOs.

Er merkte bereits, dass etwas nicht stimmte, als er die Tür des Trailers aufschloss. Das Schloss fühlte sich anders an als sonst. Schwergängiger. Und es war still. Ungewöhnlich still. Zu still. Wo war die schwarzgraue Katze? Zwar hatte er das Fenster gekippt gelassen, denn er konnte sie ja schlecht vier Wochen lang einsperren, hatte aber erwartet, dass sie wie üblich sofort angerannt kam, um ihm an den Beinen hochzuspringen.

Als er das Licht einschaltete, erstarrte er. Im Inneren des Trailers herrschte absolutes Chaos. Seine Bücher lagen quer über den Fußboden verteilt, sein Schreibtisch war durchwühlt worden und alle Papiere flatterten unordentlich durcheinander. Als er genauer hinsah, merkte er, dass der Kasten mit seinen CD-Backups weg war.

»Verdammt«, fluchte Manuel. »Verdammt, verdammt.« Er trat mit aller Kraft an den Türrahmen. Zum Glück hatte er seinen Laptop mit nach New York genommen. Er versuchte, sich zu erinnern, was er auf den CDs abgespeichert hatte. Dann fiel ihm ein, dass er die digitale Kamera und die Satellitenschüssel auf dem Dach gelassen hatte. In plötzlicher Panik rannte er nach draußen und kletterte die Stahlleiter an der Seite des Trailers hinauf.

Erstaunlicherweise waren sowohl die Schüssel als auch die Kamera noch an ihrem Platz. Er richtete die Taschenlampe auf die Satellitenschüssel. Sie sah unverändert aus. Dann fing er an, die Schüssel und dann das Kabel, das von der Schüssel ins Innere des Trailers führte, abzutasten. Erst beim dritten Mal konnte er eine winzig kleine Beule am Kabel fühlen.

Hastig schwang sich Manuel wieder nach unten, holte ein Küchenmesser, kletterte wieder hoch, legte sich auf das Dach des Trailers und fing dann an – die Taschenlampe zwischen den Zähnen –, das Kabel an der verdickten Stelle vorsichtig aufzuschlitzen. Plötzlich fiel ihm ein winzig kleines, farbloses Teil entgegen, rutschte ihm durch die Finger und landete im rötlichen Wüstenstaub. Weg war es.

Manuel schüttelte den Kopf. »Verdammt, verdammt, verdammt«, flüsterte er wieder. Er hätte bis zum Morgen warten sollen. Er schloss die Augen und fing an zu zittern. In den ersten Minuten war er zu wütend gewesen, um Angst zu haben, jetzt aber begriff er langsam, was passiert war.

Er war zum Staatsfeind erklärt worden. Sie überwachten ihn und hatten sein Haus durchsucht. Und zwar so, dass er es merken sollte. Es war ein Warnschuss.

Das Blut wich aus seinen Beinen. Er kletterte wieder herunter, aber zitterte dabei so sehr, dass er fast abstürzte. Als er den Trailer betrat, schoss ihm die schwarzgraue Katze entgegen. Er griff nach ihr, als sei sie ein Rettungsring, und presste sie an seine Brust. Die Katze mauzte laut und ziemlich empört.

»Beruhige dich doch«, sagte er so, als redete er mit sich selbst. Die Katze mauzte noch immer, machte aber keinerlei Anstalten, sich aus seinem Griff zu lösen. Jetzt klingelte auch noch das Telefon. Es war ein Uhr nachts.

Tony Natchez war am Apparat. »Hey, Manuel«, sagte er. »Ich hab’ deine Autoscheinwerfer gesehen. Falls du es noch nicht gemerkt hast, die Feds waren bei dir.«

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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2 Kommentare

    1. „Die Nazis haben kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein UFO gefunden, das in den Bergen notgelandet war.“ Du kannst diese Prosa von Weltrang nicht mit deiner profanen Realpolitik stören!
      Banause.

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