Die Verschwörung, Folge 14 — Brezelgate

Baustelle WTC, Ground Zero
Bild: privat

Jason trifft sich mit Manuel zum Jahrestag des Anschlags in New York City, nahe der Baugrube des World Trade Center. Manuel berichtet ihm von seinen Recherchen über die ferngesteuerten Flugzeuge, aber Jason glaubt ihm nicht. Albert Rave und Orinoko Oil finden den Präsidenten kurz vor der Ansprache zum Jahrestag bewusstlos auf dem Boden, bekommt ihn aber mit dem eigens entwickelten Fitnessdrink wieder halbwegs fit. Jason und Manuel sind derweil in eine irische Kneipe gegangen, wo sie Claudette treffen. Die hat einen Fotografen dabei, der vor einem Jahr Fotos von der schwarzen Superdrohne gemacht hat. Sie schlägt vor, auf der Area 51 nach Beweisen zu suchen.

 

»Pass auf!«

Jason Gilligan fuhr zusammen. Der hünenhafte Polizist war aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht. Oder schien es ihm nur so, weil er so unkonzentriert war? »Tschuldigung«, murmelte er. Der Bulle drehte sich abrupt um und war weg. Ein nervöser Schleier der Erinnerung lag am Jahrestag des 11. September über New York City. Schon seit dem Vorabend wurde Ground Zero, die gewaltige Baugrube an der Südspitze von Manhattan, von einem Meer aus Kränzen, Blumen und Kerzen umringt. Polizisten waren überall. So viele Polizisten, dass es Jason unbehaglich wurde. Dazu tausende Feuerwehrmänner in Dunkelblau, die seit dem frühen Morgen darauf warteten, dass die Zeremonie begann.

Es war eine dumme Idee gewesen, sich ausgerechnet an diesem Morgen in Downtown zu verabreden, aber für derlei Überlegungen war es nun zu spät. Als sich Jason durch die Massen am Broadway gedrängelt und den Starbucks an der Reade Street erreicht hatte, war es kurz nach neun. Er war zwanzig Minuten zu spät.

Er blickte sich um, aber dort war keine Frau mit langen braunen Haaren. Zwei kichernde Mädchen saßen an einem der Fenster, aber beide waren blond und zu jung. Weiter hinten döste eine dicke schwarze Mama mit Walkman, den üblichen Pappbecher neben sich. Daneben saß eine Gruppe von Investmentbankern in dunklen Anzügen. Und noch ein einzelner Mann, vielleicht Ende zwanzig oder Anfang dreißig, mit einem Kaffee an einem Tisch weiter links. Vor ihm lag ein Wall Street Journal. Der Mann hatte lange braune Haare, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Jason starrte ihn ein paar Sekunden unschlüssig an, bis der junge Mann aufblickte. »Na, endlich«, sagte er.

Jason runzelte die Stirn. »Es klingt wahrscheinlich ziemlich verrückt«, sagte er, »aber du bist nicht zufällig LeiaOrgia, oder?«

Der Mann grinste und sah nun richtig begeistert aus. »Ja, und du – du bist doch der berühmte Journalist, der diese Story über das Amt für Strategischen Einfluss ausgegraben hat, oder? Der, den sie im Fernsehen so in die Mangel genommen haben?«

Jason nickte ein wenig gequält. »Ja, der bin ich.«

»Also bist du JEdgarH«, schlussfolgerte der junge Mann.

»Tja«, sagte Jason. »Wen hattest du dir denn vorgestellt?«

Der Mann stand auf und streckte ihm die Hand hin. »Hi«, sagte er. »Ich heiße Emmanuel Goldstein.« Er lächelte wieder. »Nenn mich Manuel. Obwohl ich eigentlich gehofft hatte, vor mir säße ein Superagent von der CIA oder so.«

Jason grinste. »Und ich hatte eigentlich gehofft, vor mir säße eine Prinzessin aus einer weit entfernten Galaxis in einem knappen goldenen Bikini und mit Haarschnecken.«

Eigentlich, fand Manuel, hätte er sich denken können, dass Jason Gilligan alias JEdgarH auch dann seine Theorien in der Luft zerreißen würde, wenn er ihm in Person gegenübersaß und nicht nur am Computer schrieb. Aber ein wenig schmerzte es ihn dennoch. Er gab sich schließlich solche Mühe.

»Was meinst du mit ›technisch nicht möglich‹?«, fragte Manuel. Vor ihm stand inzwischen der zweite Latte Macchiato und dazu ein Brownie mit Schokoladenstückchen. Ab und zu aus der Abgeschiedenheit der Wüste herauszukommen, tat ihm ganz gut.

»Also«, sagte Jason, »du glaubst wirklich, die Flugzeuge wurden von der Area 51 aus ferngesteuert? Wie soll denn das funktionieren? Die Area ist tausende von Meilen von New York entfernt!«

»Nicht von der Area 51 aus«, antwortete Manuel. »In der Area wurde nur die Technologie dafür entwickelt. Erinnerst du dich an den Tarnkappenbomber?«

»Ja, klar«, sagte Jason spitz. »Wie ich dir schon gesagt habe, bin ich bei meiner Zeitung der Experte für Waffentechnologie und Rüstungspolitik.«

»In der Area wird gerade etwas Ähnliches getestet«, erklärte Manuel. »Nur moderner und leistungsfähiger. Ich weiß das von WarriorKahless. Eine getarnte, unbemannte Drohne, die ferngesteuert wird und die mit hypersonarer Geschwindigkeit fliegt.«

»Alle Drohnen sind ferngesteuert«, bemerkte Jason amüsiert. »Und unbemannt. Deswegen heißen sie Drohnen. Und weißt du überhaupt, was hypersonar bedeutet?«

»Überschallgeschwindigkeit«, antwortete Manuel pikiert. Sah er etwa so aus wie ein Hinterwäldler? »Jedenfalls ist diese Superdrohne am Morgen des 11. September von der Area 51 nach New York gezischt, hat über den Twin Towers ein paar Schleifen gedreht – getarnt natürlich! – und dann im richtigen Augenblick ein Transpondersignal ausgesandt. Und das hat die beiden Flugzeuge gezwungen, ins World Trade Center zu fliegen. Gegen den Willen der Piloten. Dann ist die Drohne weiter nach Washington geflogen, wo genau das Gleiche passiert ist.«

»Mit Überschallgeschwindigkeit«, sagte Jason und schüttelte den Kopf. »Und die Araber an Bord waren in Wirklichkeit vom Mars? Und die Passagiere, die ihre Freunde angerufen haben, litten alle an Halluzinationen?«

Manuel gab nicht auf. »Also diese Geschichte mit den Telefonanrufen aus dem Flugzeug kurz vor dem Crash, die kann sowieso nicht stimmen«, sagte er. »In dieser Höhe gibt es nämlich keinen Empfang mehr. Ich hab’ das ausprobiert, als ich von Las Vegas hierhergeflogen bin. Da kommt kein Signal mehr rein.«

Jason runzelte die Stirn. »Ist es nicht verboten, im Flugzeug sein Mobiltelefon zu benutzen?«, fragte er. »Und woher kamen dann die Aufzeichnungen? Hat die CIA die Mitschnitte heimlich anfertigen lassen?«

»Keine Ahnung«, sagte Manuel. »Vielleicht ist ja diese blonde Moderatorin, die ich gesehen habe, nicht die Einzige, die mit dem Pentagon kooperiert. Vielleicht ist das alles ein gigantisches Täuschungsmanöver. Aber eines weiß ich bestimmt: Die Flugmanöver dieser Boeings in New York und Washington, die hätte kein erfahrener Pilot hinbekommen, geschweige denn ein Flugschüler.«

Jason schüttelte erneut den Kopf. »So ganz nebenbei – das mit der Moderatorin glaube ich erst, wenn die live bei Letterman auftritt. Welche Beweise hast du denn noch?«

Manuel holte Luft. »Es gibt außerdem noch eine Markierung an den Boeings, die beweist, dass sie ferngesteuert werden können.«

»Welche Markierung?«, fragte Jason. »Die Markierung, von der dir dein Internetfreund erzählt hat? Roswell1947?«

»WarriorKahless«, korrigierte ihn Manuel. »Ich bin mir sicher, dass der für den militärisch-industriellen Komplex arbeitet. Denn er kennt sich wirklich aus.«

»Bis vor einer Stunde dachtest du auch, dass ich für den militärisch-industriellen Komplex arbeite«, antwortete Jason.

Manuel grinste. »Das tust du doch auch, oder?«, fragte er. Dann wurde er wieder ernst. »Dass ein Flugzeug über diese Fernsteuerungstechnologie verfügt, ist an einer Markierung am Seitenleitwerk zu erkennen. Ein dünner schwarzgrauer Streifen, in den eine Seriennummer und die Buchstaben XXZ eingeprägt sind.«

»Und diese Markierung hast du an einer der Boeings gesehen?«, fragte Jason.

»Nicht direkt«, gab Manuel zu. »Aber das müsste doch herauszufinden sein.«

Wieder schüttelte Jason den Kopf. »Selbst wenn das alles stimmt und wenn du ein Flugzeug mit einer solchen Markierung in der Area 51 gesehen haben solltest, bewiese das lediglich, dass dort Fernsteuerungstechnologie für Flugzeuge entwickelt wird. Das heißt noch lange nicht, dass diese Technologie am 11. September in New York eingesetzt wurde.«

Jason lehnte sich zurück und holte tief Luft. »Ich sage dir jetzt mal, was ich glaube«, fing er an. »Ich glaube, dass eine Bande von Arabern die Flugzeuge ins World Trade Center geflogen hat. Verrückte Araber. Aber diese islamischen Terroristen galten in Washington bis gestern noch als Freiheitskämpfer. Und als solche haben sie ein bisschen zu intensiv mit ihren amerikanischen Freunden zusammengearbeitet. Vor allem mit Freunden aus dem Ölgeschäft, die heute in der Regierung sitzen. Und denen wiederum wäre es sehr peinlich, wenn das herauskäme. Deshalb werden nun im Internet aus anonymen Quellen diese Verschwörungstheorien gestreut. Das ist klassische CIA-Desinformationspolitik. Die setzen diese Gerüchte selbst in die Welt, um Leute wie uns von der richtigen Spur abzubringen.«

Manuel schmollte. »Aber wie erklärst du dir, dass zwei Stunden lang keine Luftabwehr in New York oder Washington aufgetaucht ist?«, fragte er, der Diskussion ein wenig müde geworden. Aber er wollte sich nicht so einfach geschlagen geben.

»Es kann gut sein, dass …«, das Klingeln seines Mobiltelefons unterbrach den Journalisten. Er warf einen Blick auf das Display. Unbekannter Anrufer. »Hallo«, sagte er.

»Allo«, antwortete eine rauchige weibliche Stimme mit einem ganz leichten Akzent, der vermutlich französisch war. »Ich bin in New York und ich habe jemanden gefunden, mit dem du unbedingt reden solltest. Und bring deinen Freund von der Area 51 mit.«

Jason konnte Sabrinas überlegenes Lächeln förmlich sehen. Ach nein, sie hieß ja Claudette. »Was … woher …?«, stammelte er.

»First Avenue und zwölfte Straße«, unterbrach sie ihn. »Bis gleich.«

Albert Rave stieß zischend Luft aus. Das durfte nicht wahr sein. Der Präsident rührte sich nicht. Bewusstlos und blass lag er zwischen zwei Dutzend leerer Bierdosen auf dem Fußboden seines Schlafzimmers. Eine Dose hielt er mit der linken Hand umklammert, eine zweite war ihm zwischen die Beine gerollt. Sein Haar war wirr, der Gürtel gelöst. Er war nass. Und er roch auch so. Nach Bier und nach Pisse.

Rave richtete sich auf, betrachtete den eingenässten Präsidenten und fluchte innerlich. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Eine knappe halbe Stunde noch bis zur Fernsehansprache zur Erinnerung an den 11. September. Live, auf allen Kanälen. Hatte dieser Vollidiot etwa die ganze Nacht durchgesoffen?

»Was ist denn hier los?«, fragte es entgeistert aus Richtung der Tür. Orinoko Oil, ausgerechnet. Wo war die eigentlich gewesen, als sie auf den Präsidenten hätte aufpassen sollen?

»Was stehen Sie da rum und glotzen?«, fragte Rave gereizt. »Helfen Sie mir lieber, ihn wieder auf die Beine zu kriegen. Und zwar schnell!« Für einen Augenblick überlegte er, die First Lady zu suchen. Die machte sich in letzter Zeit ebenfalls ausgesprochen rar, dachte er.

Orinoko kniete sich neben ihn und gemeinsam wuchteten sie den schlaffen Körper des Präsidenten auf das rosaseidene Bett. Orinoko war fassungslos und schüttelte in einem fort den Kopf. »Das schaffen wir nie«, sagte sie. »Wir haben nur noch fünfundzwanzig Minuten bis zur Ansprache. Das schaffen wir nie.«

»Das schaffen wir«, knurrte Rave. Er knöpfte das Hemd des Präsidenten auf, streifte es ab und zog ihm dann die Hose herunter. Dann griff er sich den Sektkühler, der neben dem Bett stand. Der Kühler war voller Eiswürfel, zwischen denen drei kalte Bierdosen lagen. Rave kippte den Inhalt neben das Bett, füllte den Kühler unter dem Wasserhahn und kippte dem Präsidenten das kalte Wasser ins Gesicht.

Es dauerte ein paar Sekunden, dann blinzelte der Präsident. Ganz kurz. »Wwww… wasch …«, nuschelte er. »Arrrrggsch.« Dann schloss er wieder die Augen.

»Wir schaffen es nicht«, sagte Orinoko erneut. Sie setzte sich in den Sessel und betrachtete kopfschüttelnd den Präsidenten, als sei der ein missglückter Ton-Aschenbecher aus dem Kunstunterricht. »Muss die Ansprache unbedingt live gesendet werden?«, fragte sie in den Raum hinein. »Wir haben doch meilenweise Bänder. Können wir nicht ein paar Aufzeichnungen so frisieren, dass keiner etwas merkt?«

»Klar. Und den Fernsehteams im Presseraum, die darauf warten, dass er in Person vor ihre Kameras tritt, schicken wir ein Hologramm«, knurrte Rave. »Großartige Idee.« Er schüttelte den Kopf. So schnell gab er nicht auf. Er stand auf, holte noch einen Kübel mit kaltem Wasser und schüttete ihn wieder mit Schwung über den Kopf des Präsidenten. Während der Präsident leise zu röcheln begann, ging Rave zum Kühlschrank, öffnete die Tür und betrachtete die aufgereihten Dosen mit dem Fitnessdrink. Mehr als zwanzig Dosen waren noch übrig. Nach einiger Überlegung nahm er eine von ihnen und riss sie auf.

Orinoko starrte ihn an. Dann merkte sie, dass sie nicht mehr gebraucht wurde. »Ich gehe mal zu den Fernsehfritzen«, sagte sie. »Ich erkläre denen, dass der Präsident spontan beschlossen hat, in den Minuten, in denen die Flugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon geflogen sind, eine Andacht in der Kapelle des Weißen Hauses zu halten. Dann gewinnen wir noch eine Stunde.«

Rave nickte. »Eine Stunde, das kriege ich hin«, antwortete er. Er packte den Präsidenten am Genick wie einen nassen jungen Hund, zog ihn hoch, setzte ihm die Dose mit dem Fitnessdrink an die Lippen und sorgte dafür, dass die rötliche Flüssigkeit die Kehle des Präsidenten hinunterlief.

 

»Das hätte auch schiefgehen können«, sagte Orinoko Oil anderthalb Stunden später. Sie saß mit Rave und Joe Brisbane auf der Ledercouch im Vorraum des Oval Office. Sie alle beobachteten den Präsidenten bei seinem Liveauftritt im Fernsehen. »Die Touristen … äh Terroristen werden die Sicherheit … mit Sicherheit Deckung suchen müssen«, sagte der Präsident gerade. Das lief nicht perfekt, aber gut genug. Rave tupfte sich die Stirn mit einem weißen Satintuch ab.

»Liest er wieder vom Teleprompter ab?«, fragte Brisbane.

Butler schüttelte den Kopf. »Nein, wir erproben gerade eine neue Technologie«, sagte er. »Achten Sie mal auf seine linke Ohrmuschel. Fällt ihnen etwas auf?«

Brisbane starrte den Bildschirm an und schüttelte dann den Kopf.

»Sehen Sie!«, sagte Rave triumphierend und kicherte. Jetzt, wo die Anspannung von ihm abgefallen war, wurde er ein wenig albern. »Stellen Sie sich vor, wir hätten ihn nicht wachgekriegt! Was hätten wir bloß der Presse erzählt?«

Orinoko war immer noch nicht nach Scherzen zumute. »Ich dachte, er trinkt nicht mehr«, sagte sie vorwurfsvoll zu Rave. »Das hatten Sie mir doch versprochen.«

Rave zuckte mit den Schultern. Die hatte gut reden. »Dachte ich auch«, antwortete er. »Aber keine Sorge, das passiert garantiert nicht noch einmal. Ab jetzt habe ich das im Griff.«

»Na, dass er besoffen auf dem Fußboden des präsidialen Schlafzimmers herumliegt, hätten Sie der Presse jedenfalls nicht erzählt«, sagte Brisbane und grinste breit in die Runde. »Sie hätten vielleicht … vielleicht … Sie hätten der Presse erzählen können, er habe sich an einer Brezel verschluckt.«

»An einer Brezel?«, fragte Orinoko und runzelte die Stirn.

Jetzt musste auch Rave grinsen. »Eine Brezel – keine schlechte Idee. Wir hätten sagen können, ein Stück von einer Brezel sei ihm in die Kehle geraten, als er gerade dabei war, mit seinem Hund ›Fang-die-Brezel‹ zu spielen. Dann bekam er keine Luft mehr und fiel bewusstlos um. Schuld daran sind natürlich die Demokraten.«

»Ja, und das Ganze nennen wir Brezelgate«, sagte Brisbane. »Wir könnten auch sagen, ein Unbekannter hätte die fehlenden Brezeln aufgegessen. Und dann lassen wir durchsickern, dass es Prince war.« Rotweintrinker, die sich für etwas Besseres hielten als Biertrinker, hatte Brisbane noch nie leiden können.

Orinoko schüttelte den Kopf. »Seien Sie mal lieber froh, dass die Wahrheit nicht rausgekommen ist«, sagte sie zu Rave. »Für so eine Albernheit hätte Nixon seinen Sprecher gefeuert.«

»Nixon«, antwortete Rave, »ist tot.«

»Wirklich?«, fragte Brisbane. »Ich könnte schwören, ich hätte ihn vor ein paar Tagen beim Stöbern im Oval Office gesehen.«

»Ein Guinness!«, rief Jason. »Und eine Portion Chicken Wings mit Pommes.«

»Und einen Cheeseburger«, fügte Manuel hinzu. Sie saßen in einer der vielen irischen Bars von New York, mit einem grünen Neon-Kleeblatt im Fenster, einem dunkel polierten Tresen, einer Batterie von Whiskeysorten und zwei Fernsehern. Auf beiden Geräten lief FUC. Im Bild war Benito Giovanni, der vor einem Jahr noch Bürgermeister von New York gewesen war. FUC hatte ihn als Kommentator für den Jahrestag engagiert. Das passte zu FUC, fand Jason.

»Da, wo ich wohne, gibt es nur eine einzige Bar und die haben kein dunkles Bier. Außerdem gehört die zwei wahnsinnigen Waffennarren«, erzählte Manuel. »Allerdings gibt es in unserer ganzen Gegend nur wahnsinnige Waffennarren.«

»Hier auch«, sagte Jason und hatte dabei Giovanni im Blick. »Bloß, in New York tragen die Uniform.«

Auf dem Bildschirm erschienen nun wieder die beiden gut gelaunten Moderatoren.

Manuel nahm sich eine Pommes von Jasons Teller, während er noch auf seinen Cheeseburger wartete. »Und Frauen«, fuhr er fort. »Frauen gibt es bei uns schon gar …« In dem Moment ging die Tür auf und herein kam eine umwerfende Rothaarige in einem engen schwarzen Kleid. Ein stämmiger, dunkelblonder Mann mit einer schwarzen Mappe unter dem Arm folgte ihr. Sie blieb in der Mitte der Kneipe stehen, sah sich kurz um und steuerte direkt auf Jason zu.

»Wow«, sagte Manuel leise zu Jason. »Kennst du die etwa?«

Jason nickte unauffällig. »Hallo … äh … Claudette?«, sagte er. Seit wann hatte sie denn rote Haare? Und wer mochte der Kerl neben ihr sein?

Sie lächelte flüchtig und betont sachlich. »Das hier«, sagte sie und wies dabei auf ihren stämmigen Begleiter, »ist Kenny. Und diese beiden Herren«, erklärte sie Kenny, »sind Jason und Emmanuel. Sie können ihn Manuel nennen.«

»Emmanuel?«, fragte Kenny. »Wer nennt sein Kind denn Emmanuel?«

»Huh – was?«, sagte Manuel und guckte die rothaarige Frau staunend an. »Woher kennen Sie mich denn?«

»Das erkläre ich dir später«, sagte Jason und wandte sich an Kenny. »Und Sie sind …?«

»Kenny ist professioneller Fotograf«, antwortete Claudette. »Er lebt in Westchester und ist wegen der Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge auf das World Trade Center in der Stadt. Sein Bruder ist bei dem Anschlag umgekommen. Er hat ein paar sehr interessante Fotos dabei.«

Kenny räusperte sich und guckte die beiden Männer an. »Wer von Ihnen ist denn dieser Journalist, der sich mit der Rüstungsindustrie auskennt?«, fragte er.

»Das bin ich«, antwortete Jason. Hoffentlich war das keiner dieser Verrückten, die beweisen wollten, dass der Geist von Sitting Bull mit Hilfe von UFOs aus Ursa Minor Beta die Twin Towers in die Luft gesprengt hatte. Manuel reichte ihm bereits. Er stopfte den letzten Hähnchenflügel in sich hinein und spülte mit Guinness nach.

Kenny legte die schwarze Mappe auf den Tisch, schlug sie auf und zog ein stark vergrößertes, sehr, sehr grobkörniges Foto hervor. »Wissen Sie, was das ist?«

Auf dem Foto war ein schwarzer Jet zu sehen. Ein vollkommen schwarzer Jet, ohne Fenster, ohne Türen. Der Jet schien unbeweglich in der Luft über den intakten Zwillingstürmen des World Trade Centers zu stehen. Am unteren Bildrand stand in kleinen weißen Buchstaben: »New York, 09/11/2001, 8.43 am.«

»Oh mein Gott«, entfuhr es Jason.

»Was ist das?«, fragte Claudette.

Jason starrte das Foto an. Er traute seinen Augen nicht. Erst tischte ihm Manuel diese völlig unglaubliche Geschichte auf und dann wurde ihm prompt das passende Foto dazu geliefert. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Das gibt’s nicht. Das ist eine Fotomontage.«

»Na, hören Sie mal«, sagte Kenny empört. »Das habe ich selbst aufgenommen.« Er sah sich um. Das Schweigen am Tisch vermittelte ihm das Gefühl, als seien noch ein paar Erklärungen nötig. »Ich war an diesem Morgen mit meinem Bruder verabredet. Auf der Plaza des World Trade Centers. Und während ich auf ihn wartete, habe ich herumfotografiert. Es war ja ein schöner, sonniger Tag. Aber das da«, er zeigte auf den schwarzen Jet, »habe ich erst gesehen, als ich den Film entwickelt hatte. Ich muss genau die Zehntelsekunde erwischt haben, als das Ding vorbeiflog.«

»Was ist dieses Ding denn nun?«, fragte Claudette noch einmal ungeduldig.

Jason zog die Augenbrauen hoch. »Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher«, antwortete er. »Aber ich glaube, es ist diese neue plutoniumbetriebene, hypersonare Superdrohne, die das Pentagon gerade entwickeln lässt. Die soll die Fernsteuerungstechnologie der Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers verbinden. Aber das ist ein hochgeheimes Forschungsprojekt und solche Fotos dürfte es eigentlich gar nicht geben.«

Manuel, der das Foto ebenfalls anstarrte, ließ seine Pommes sinken. »Das ist«, sagte er, »das Flugzeug, das ich über der Area 51 gesehen habe. Ganz genau das gleiche.«

»Area 51?«, fragte Kenny verwundert. »Ich dachte, die gibt es nur in Sci-Fi-Filmen.«

»Das denken viele«, antwortete Manuel. Er ließ das Foto nicht aus den Augen. »Wenn das diese getarnte Superdrohne ist, warum ist sie dann auf dem Film zu sehen?«

»Getarnt für Radar, du Vollidiot«, sagte Jason. »Sonst hättest du sie ja auch über der Area nicht sehen können.«

»Ich habe sie auch nicht für die komplette Dauer des Flugmanövers gesehen«, erklärte Manuel. »Jedes Mal, wenn sie sich querlegte, wurde sie unsichtbar.«

Jason stöhnte. »Unsichtbare Flugzeuge gibt’s nicht«, sagte er. Noch immer skeptisch, wandte er sich an den Fotografen. »Warum haben Sie das Foto nicht schon längst einer Zeitung angeboten? Oder dem Fernsehen? Das hätten sie doch für Tausende von Dollar verkaufen können?«

»Hab’ ich versucht«, sagte Kenny. »Ich hab’ einen Abzug an Associated Press geschickt. Daraufhin kriegte ich einen Anruf von einem Typ, der sagte, er sei AP-Redakteur. Wer ich überhaupt sei und was ich beim World Trade Center zu suchen gehabt hätte, wollte er wissen. Eine Stunde später kreuzten die Feds auf und haben alle Negative beschlagnahmt – oder zumindest dachten sie das. Ich bin ja nicht blöd. An die große Glocke hängen wollte ich das Ganze danach nicht mehr. Aber als ich vor ein paar Tagen zufällig Maureen getroffen habe« – er nickte Claudette zu – »und sie mir erzählte, dass sie für die New York Times arbeitet, dachte ich, das ist die Chance.«

Zufällig getroffen? Jason stöhnte innerlich auf. Sie hatte ihm erzählt, sie arbeite für die New York Times? Und seit wann nannte sie sich Maureen?

Manuel warf Jason einen triumphierenden Blick zu. »Haben Sie auch die beiden Boeings fotografiert?«, fragte er. »Vielleicht sogar, als die in die Türme eingeschlagen sind?«

»Aber selbstverständlich«, sagte Kenny. »Was glauben Sie denn?« Sofort holte er das nächste Foto aus der Mappe. Ein graue, schwere Verkehrsmaschine flog auf einen der Twin Towers zu. »Solche Fotos sind aber schon veröffentlicht worden«, sagte er.

Fotos aus dieser Nähe hatte Manuel jedoch noch nicht gesehen. Er starrte auf das Heck der Maschine. War auf dem Bild vielleicht die ominöse Fernsteuerungs-Markierung zu erkennen? Das Foto war zu unscharf und zu grobkörnig.

»Ich muss gehen«, erklärte Kenny nun. »Unsere Familie trifft sich in der St.-Pauls-Kirche zu einer Gedenkfeier. Ich lasse Ihnen die Abzüge da«, sagte er zu Claudette. Oder hieß sie doch Maureen?

Als Kenny gegangen war, sahen sich alle drei schweigend an. Manuel fand als Erster die Sprache wieder. »Noch zwei Guinness«, sagte er zu einem der Kellner. »Die brauche ich jetzt dringend. Was trinkst du?«, fragte er Jason.

»Machen Sie drei daraus«, sagte Jason. Als er Claudettes Blick sah, rief er: »Vier! Und noch ein paar Fritten.«

»Mit Mayonnaise«, ergänzte Claudette und lehnte sich vor. »Sollten wir nicht versuchen, in die Area 51 zu gelangen und diese Superdrohne zu finden?«

»Großartiger Einfall«, sagte Jason. »Und wenn wir schon mal da sind, vielleicht können wir die Drohne vielleicht auch gleich demontieren und die einzelnen Teile nach Nordkorea verkaufen. Oder noch besser an den Irak. Die können so was im Moment wirklich gut gebrauchen. Zahlen die eigentlich noch mit Dollar?«

»Die Area 51 ist ein hochgeheimes, schwer bewachtes militärisches Sperrgebiet«, erklärte Manuel. »Wir kämen nicht einmal in die Nähe, ohne sofort von den Cammo Dudes festgenommen zu werden.« Als er Claudettes Blick sah, ergänzte er: »Von der Militärpolizei.« Ihm fiel ein, dass er noch immer nicht wusste, wer diese Frau eigentlich war. »Woher wissen Sie das alles eigentlich?«, fragte er. »Und woher kennen Sie mich? Arbeiten Sie wirklich für die Times?«

»So ähnlich«, antwortete Claudette. »Sagen wir mal, ich gebe mir genauso viel Mühe, wichtige Leute in Washington zufriedenzustellen, wie die Kollegen bei der Times.«

»Wie meinen Sie das, zufriedenzu…«, hakte Manuel nach, als er die plötzliche Unruhe hinter sich bemerkte. Alle drei drehten sich um. Der Präsident war im Fernsehen zu sehen. Auf FUC. Seine Rede wurde in den Nachrichten wiederholt.

»Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte sich die Gedenkansprache des Präsidenten um eine Stunde verzögert, weil er sich an einer Brezel verschluckt hatte«, erklärte der Nachrichtensprecher. »Er wurde bewusstlos neben seinem Hund aufgefunden. Ein sofort herbeigerufener Arzt konnte ihn retten. Zur Stunde wird noch untersucht, ob es sich dabei um einen terroristischen Anschlag gehandelt haben könnte.«

»Was zum Teufel …«, sagte Manuel und drehte sich zu der rothaarigen Frau um, von der er glaubte, dass sie Maureen hieß. Doch sie war weg.

Danny Patrick Rose

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner dreibeinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.
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Ein Kommentar

  1. Die Rede ist ja von Zeug, was fliegen kann.
    »Jedes Mal, wenn sie sich querlegte, wurde sie unsichtbar.«
    Reichsflugscheibe, die ein erstmals im April 1945 erprobtes Manöver absolviert. Erprobungsstelle Rechlin, Testpilot Lohengrin Freiherr von Saudurchsdorf.
    Jaja, steht alles im Internet!

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