
Das FBI und die National Guard haben das Spezialgeschäft für Extraterrestrisches der Natchez-Brüder durchsucht und alles Verdächtige beschlagnahmt, nicht aber das scharfe Fernglas, das Manuel bestellt hat. Manuel will den Brüdern helfen, dem auf die Spur zu kommen. Außenminister Tom Powder, zunehmend besorgt über die Kriegspläne und den Zustand des Präsidenten, trifft sich mit Linda, dessen Frau. Manuel hackt sich in eine Database des FBI ein und stellt fest, dass es eine Datei über ihn gibt. Dann geht er mit dem neuen Fernglas zur Area 51, wo er eine Moderatorin des Senders FUC entdeckt, die in einem schwarzen Jet verschwindet.
Das Spezialgeschäft für Extraterrestrisches in Rachel, Nevada, sah aus, als sei die komplette Besatzung einer fliegenden Untertasse hindurchgetrampelt, die von einem Planeten mit achtfacher Erdschwerkraft stammte. Die Regale lagen umgekippt auf dem Boden. Ein paar Dutzend DVDs mit der Autopsie des Roswell-Aliens waren auf dem neonfarbigen Vinylboden verstreut. Der Arm der lebensgroßen Pappfigur von Captain James Tiberius Kirk war abgeknickt und die Notrationen für Schiffbrüchige auf Weltraummission lagen aufgerissen und zerbröselt zwischen leeren Vitrinen, in denen bis an diesem Morgen noch Röntgenbrillen, Infrarotsender und Schutzwesten gegen Alphastrahlen gewesen waren. Auch der Schrank mit den halb-automatischen Gewehren war leer.
Aber vermutlich waren die Besucher keine Außerirdischen gewesen. Es sei denn, man hielt Washington, D. C., für eine Besatzungsmacht von einem fremden Stern; eine Ansicht, die in dieser Gegend allerdings relativ weit verbreitet war.
Emmanuel Goldstein starrte das Chaos mehrere Minuten lang mit offenem Mund an, trat dann vorsichtig durch die Tür und watete durch einen Berg aus mondsteinfarbigen Schokoriegeln zur Kasse. Tim war nicht da. Tony stand mit finsterem Blick hinter dem Tresen. Er sah zum Fürchten aus. »Was ist denn hier passiert?«, fragte Manuel.
»Die Feds«, antwortete Tony, mit der Miene eines klingonischen Schiffszahnarztes, kurz bevor er den Bohrer ansetzt. »Das FBI und die National Guard.« Dann brach es aus ihm heraus. »Diese Hurensöhne, diese Drecksäcke, diese verfickten …« Er ballte beide Fäuste. »Sind heute Morgen gekommen. Sogar mit Durchsuchungsbefehl. Sonst treten sie eigentlich bloß die Tür ein.«
Manuel war immer noch fassungslos. »Was haben die denn gesucht?«
»Alles Mögliche«, sagte Tony. »Sie haben alle Nachtsichtgeräte, Ferngläser und Spurenleser beschlagnahmt. Alles, was benutzt werden könnte, um die Area auszukundschaften. Und sie haben alle Kopien des Akte-X-Videos mitgenommen.«
»Das Akte-X-Video?«, fragte Manuel.
»Die Folge, in der das Flugzeug beinahe ins World Trade Center fliegt«, erläuterte Tony. »Die stehe auf dem Index, haben sie gesagt.« Er schüttelte den Kopf. »Zwölf Kopien! Weißt du, was die im Einkauf kosten?«
Manuel mochte es kaum glauben. Plötzlich fuhr er zusammen. »Mein Gott«, sagte er. »Mein Fernglas! Das sollte doch heute geliefert werden! Deswegen bin ich hier!«
Jetzt grinste Tony endlich wieder. »Keine Sorge. So dumm sind wir auch wieder nicht«, sagte er. »Komm mal mit.«
Manuel folgte ihm zu einem Hügel aus Sweatshirts mit dem Aufdruck »Roswell 1947 – Dallas 1963 – New York City 2001«, die Tony beiseiteschob. Dann kniete er sich hin, zog einen Schraubenzieher aus seiner Hosentasche und klopfte auf den Boden. Und noch einmal. Ein paar Minuten passierte gar nichts. Dann ächzte der Boden und zwei der hölzernen Dielen klappten nach oben. In der Luke stand Tim.
»Sind die Feds weg?«, fragte er.
Tony nickte. »Klar«, sagte er. »Alles ok?«
»Wenn ich eines von diesen verdammten Arschlöchern erwische …«, knurrte Tim, »dann …« Dann wuchtete er sich hoch. Mit der linken Hand umklammerte er ein militärgrünes Fernglas mit schwarzen Schutzkappen vor den Linsen. Als Manuel es ihm abnahm, merkte er erst, wie schwer es war.
»So, und jetzt die Pumpguns«, sagte Tim.
Manuel schielte runter in den Keller. Dort lagen, sauber aufgereiht, die besseren Stücke des extraterrestrischen Waffenlagers. »Wieso haben die Hunde dich eigentlich nicht erschnüffelt?«, fragte er Tim. »Die hatten doch Hunde, oder?«
»Ich war nicht hier.« Tim grinste. »Von hier aus führt ein Gang nach – ist ja egal.« Er kletterte wieder herunter und fing an, die Maschinengewehre zu Tony hochzureichen.
Manuel merkte erst jetzt, wie sehr er zitterte. Wenn Tony und Tim ins Visier des FBI geraten waren, dann stand auch er garantiert unter Beobachtung. Die riesige Satellitenschüssel auf dem Dach seines Trailers war nicht zu übersehen.
Nachdenklich guckte er den beiden zu, wie sie schwitzend die halbautomatischen Waffen hochwuchteten. Seine Eltern hatten ihm beigebracht, nie wegzulaufen. »Wir sind fünftausend Jahre lang fortgerannt«, hatte sein Vater ihm erklärt. »Jetzt ist Schluss. Vor uns ist nur noch der Pazifik.« Dann hatte er ihm den Arm um die Schulter gelegt. »Ethel und Julius Rosenberg«, hatte er gesagt, »sind auch nicht weggelaufen.«
Manuel war in Thousand Oaks geboren, einer Kleinstadt im südlichen Kalifornien. In der Grundschule war er das einzige jüdische Kind gewesen. Ein fröhliches Kind. Bis Arnold Martensen in seine Klasse kam. Arnold kam aus Idaho, war einen Kopf größer als Manuel und er erzählte allen, Juden hätten Hörner.
Manuel tat so, als interessiere ihn das nicht. Bis Arnold und zwei andere Jungen ihn nach dem Unterricht abpassten, weil sie seine Hörner sehen wollten. Das war, begriff er, der Moment, vor dem ihn sein Vater gewarnt hatte. Wenn er jetzt weglief, konnte er ebensogut ins offene Meer rennen. Er würde kämpfen wie die Rosenbergs. Er ging auf Arnold los und boxte ihm mit aller Kraft in den Bauch.
Er kam erst wieder zu sich, als er im Mount Sinai Hospital in Los Angeles lag, mit sechs Stichen auf der Stirn. Erst eine Woche später wurde er entlassen. Arnold war von der Schule verwiesen worden und die anderen Kinder hielten nun respektvollen Abstand. Vielleicht hatten sie auch bloß Angst vor seinen Hörnern. In den Sommerferien zogen die Goldsteins nach Santa Barbara.
Während er Tony und Tim beim Arbeiten zusah, fühlte er sich wie damals, als er Arnold vor dem Schultor herumlungern sah. Allerdings wusste er inzwischen, dass Julius und Ethel Rosenberg auf dem elektrischen Stuhl gelandet waren.
»Als das FBI das ganze Zeug mitgenommen hat«, sagte Manuel, »haben die das eigentlich quittiert? Oder irgendeinen Hinweis auf ihre Identität dagelassen?«
Tony ließ die Uzi sinken, die er gerade in den Schrank stellen wollte, und sah ihn verblüfft an. »Tatsächlich hat mir einer der Männer seine Visitenkarte gegeben«, sagte er. »Wieso?«
»Ich dachte mehr an so etwas wie einen Dienstausweis«, erklärte Manuel. »Noch besser wäre eine Kreditkarte, aber die haben ja wohl nichts bezahlt.«
Tim räusperte sich. »Das Kartenlesegerät«, sagte er. Manuel sah ihn fragend an. »Wir haben einen Magnetleser, der alle Kreditkarten scannt, die sich im Umkreis von zehn bis zwölf Fuß befinden.«
Manuel wollte lieber nicht wissen, wofür die Brüder dieses Gerät brauchten. »Guckt doch mal nach, was das Ding in den letzten Stunden gespeichert hat«, drängte er.
Tony ging zum Tresen und öffnete eine fast unsichtbare Schublade direkt unter der Kasse. Er griff hinein, zog einen Chip heraus und gab ihn Manuel. »Du kannst den doch mit deinem Computer auslesen, oder?«, fragte er. Tony sah langsam zufriedener aus. Manuel würde das schon machen. Auf den Professor war Verlass. Auch wenn er manchmal ein bisschen verrückt wirkte.
Ihre Hände waren unbeschreiblich schön. Lange Finger mit zarten Muskeln und sanfter weißer Haut. Ovale, rosafarbene Nägel mit hellen Halbmonden. Die Hände einer Fee. Tom Powder musste sich anstrengen, sich auf das zu konzentrieren, was er sagen wollte, so sehr bezauberten ihn ihre Hände. Und das durfte nicht sein. Sie war die Frau eines anderen. Des Präsidenten sogar. Er sollte sie überhaupt nicht anstarren. Er war hier, um mit ihr zu reden. Nur deshalb hatte er sie in dieses kleine Restaurant gebeten, das ein gutes Stück von Foggy Bottom entfernt lag, in einer abgelegenen Seitenstraße. Abgelegen genug, so dass keiner sie hier sehen konnte. Er traute niemandem mehr. Abgesehen von ihr. Obwohl er nicht einmal genau wusste, warum. Er kannte sie schließlich kaum.
Wieder sah er sie an und musste der Versuchung widerstehen, ihre schmetterlingsgleichen Hände in die seinen zu nehmen. Dann wich sein Lächeln der dunklen Miene, die er in letzter Zeit oft an den Tag legte. »Die Lage ist ernst«, sagte er zu ihr. »Sehr ernst sogar. Diese Wahnsinnigen im Pentagon sind dabei, einen Flächenbrand zu entfachen. Den Dritten Weltkrieg. Irak, Iran, Korea – es geht um die ganze asiatische Landmasse. China, Japan … Ich bin mir nicht sicher, ob der Präsident weiß, welche Ausmaße das noch annehmen wird.«
Linda sieht so traurig aus, dachte er. Warum bloß? »Ich bin mir nicht sicher, was der Präsident überhaupt weiß«, sagte sie. »Oder was er eigentlich will. Ich habe in letzter Zeit immer häufiger das Gefühl, dass ich mit einem Fremden verheiratet bin.«
»Wolfstetter führt eine Liste mit allen uns feindlichen Ländern«, sagte Powder. »Sechzig Länder stehen auf der Liste, und … » Er unterbrach seinen Satz, als der Kellner kam. Wer wusste schon, für wen der in Wirklichkeit noch arbeitete. Der Kellner brachte Lammnüsschen mit Schalotten für ihn und einen Krabbencocktail mit Avocadocreme für Linda. Linda nahm eine der rosafarbenen Krabben mit ihren schlanken Fingern, dippte sie in die grüne Avocadocreme und steckte sie zwischen ihre dunkelroten Lippen. Der Anblick machte ihn schwach.
»Mit ist noch nicht einmal klar, wann das alles angefangen hat«, sagte Linda. »Aber wenn ich zurückdenke, dann muss es irgendwie mit seinem neuen Berater zu tun haben, mit diesem Albert Rave.« Sie verzog das Gesicht. Dann lächelte sie wieder, als ihr Blick auf Powder fiel. Er sah so stattlich aus. Sie wünschte, sie könnte sich an ihn anlehnen und alle Sorgen vergessen. Aber das ging natürlich nicht.
»Und die innenpolitische Lage ist noch viel dramatischer«, nahm er angestrengt den Faden wieder auf. Bloß nicht von ihrem Anblick ablenken lassen. »Jetzt, wo Benito Giovanni nicht mehr Bürgermeister von New York ist, arbeitet er als Sicherheitsberater für das Weiße Haus. Er hat ein gigantisches Überwachungsprogramm für ganz Washington ausarbeiten lassen. Wenn Sie wüssten, was er alles kontrolliert! Die Mall und das Regierungsviertel wurden natürlich als Erstes flächendeckend mit Kameras ausgestattet. Als Nächstes sind New York, Chicago und Los Angeles dran.« Er schnitt ein Lammnüsschen an. Er merkte erst jetzt, wie hungrig er war.
Sie nickte. »Am Anfang dachte ich, mit diesem Rave würde es endlich besser«, sagte sie. »Das ging ohnehin nicht mehr so weiter mit der ewigen Sauferei. Gesundheitlich war er am Ende. Als er mit dem Joggen anfing, war ich zunächst erleichtert. Aber er wird immer merkwürdiger und merkwürdiger. Und dauernd trinkt er dieses rosa Zeug. So eine Art Vitamingetränk, das er palettenweise in einem Kühlschrank direkt neben dem Bett lagert. Er ist zwar jetzt nicht mehr andauernd betrunken, aber ganz normal ist er auch nicht.« Sie seufzte. »Es ist manchmal fast so, als ob er von Stimmen in seinem Kopf kontrolliert würde. Und ich sehe ihn kaum noch.«
Powder nickte und nahm tröstend ihre Hand in seine. Ganz kurz nur. Dann griff er wieder nach Messer und Gabel und zerteilte das nächste Lammnüsschen. Aber sie hatte es geschehen lassen und sogar gelächelt. »Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste«, sagte er und lenkte das Gespräch wieder in eine andere Richtung. »Es gibt ein neues Amt, das sie Amt für Strategischen Einfluss nennen. Die haben Computerprogramme, mit deren Hilfe sie digitale Profile jedes Amerikaners erstellen können, mit Kreditkartenabrechnung, Krankenstand und allen anderen Infos. Sie können sogar private E-Mails nach Stichworten durchsuchen und alles herausfiltern, was ihnen verdächtig erscheint. Weiß der Präsident eigentlich über all das Bescheid?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Linda und dippte die nächste Krabbe in die Avocadocreme. »Er spricht manchmal im Schlaf«, fügte sie hinzu. »Aber da nuschelt er bloß. Das ist kaum zu verstehen. Sowieso schlafe ich inzwischen meist auf der Couch, weil …«
»Und wussten Sie, dass Giovanni geheime Pläne für Internierungslager hat ausarbeiten lassen?«, fuhr Powder unbeirrt fort. Er hatte nun aufgehört, zu essen. »In Alaska und in North Dakota. Und, ich glaube, in Nevada. Und zwar nicht bloß für Ausländer, sondern auch für Amerikaner. Die Blaupausen liegen schon seit einem Jahr fertig in der Schublade. Es gab sie also schon vor dem 11. September. Wenn es darauf ankommt, könnten diese Lager in vier Wochen hochgezogen werden. Lager für eine halbe Million Dissidenten. Mindestens. Er hat sogar einen Trupp Navajo-Bauarbeiter engagiert, die darauf spezialisiert sind, Holzbohlen in vereiste Böden zu rammen. Indianer, die Lager für Amerikaner bauen! Ist das nicht ironisch?«
Linda nickte. »Und seit Neuestem lässt Rave ihn andauernd Ansprachen proben!« Nun war auch sie mit dem Essen fertig. »Rave hat im Ostflügel sogar ein eigenes Fernsehstudio einrichten lassen, eine Attrappe natürlich. Und die Reden lassen sie ihn auswendig lernen. Früher haben sie Tafeln hinter der Kamera hochgehalten, von denen er abgelesen hat. Aber damit waren sie nicht mehr zufrieden. Was ist er? Ein dressierter Zirkusaffe oder der Präsident?«
»Ich habe mir überlegt, das mit den Lagern der Presse zu stecken. Aber ich weiß nicht, an wen ich diese brisante Information weitergeben soll«, fuhr Powder fort. »Außerdem muss ich aufpassen – ich stehe bei denen sowieso auf der Abschussliste. Mir ist neulich ein Journalist aufgefallen, der eine interessante Geschichte über dieses Amt für Strategischen Einfluss geschrieben hat. Gilligan heißt der. Aber er ist plötzlich weg. Seit ein paar Wochen nun schon. Jedenfalls liest man nichts mehr von ihm und ans Telefon geht er auch nicht. Und einfach so in der Redaktion anrufen, das will ich nicht. Das wäre zu auffällig.«
»Es klingt vielleicht verrückt«, sagte sie und sah ihm nun direkt in die Augen, »aber ich habe manchmal das Gefühl, als ob ich in einem Film mitspiele, ohne es zu wissen. Sie wissen schon, einer dieser gruseligen Science-Fiction-Filme, in denen alle Charaktere schon tot sind oder von einem anderen Stern kommen. Ohne dass die normalen Menschen etwas davon mitkriegen … hört sich das sehr verrückt an?«
Er lächelte mitfühlend, aber war sich nicht ganz sicher, wovon sie eigentlich sprach. Dann schob er den Teller zurück. »Fragen Sie den Präsidenten doch mal, was er von all diesen Dingen weiß«, sagte er. »Aber ganz unauffällig.«
Als sie aufstand, hätte er einfach nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu umarmen, aber er tat es nicht. Sie stand ruhig da, wartete ein paar Sekunden ab, lächelte noch einmal und drückte dabei ihre Handtasche an die Brust. »Wir sollten in Verbindung bleiben«, sagte sie.
»Unbedingt«, antwortete er. Er nahm ihre Hand in seine und küsste ihre Fingerspitzen. Noch Stunden später wurde ihm ganz schwindelig, wenn er daran dachte.
Manuel Goldstein starrte auf den Bildschirm seines Computers, auf dem unendlich viele grüne Zahlenreihen durcheinanderliefen. Er hatte beschlossen, heute das neue Programm auszuprobieren, das Amy ihm geschickt hatte. Bisher hatte er noch gezögert. Was, wenn das FBI ihn aufspürte? Oder die NASA?
Aber das war eine Gelegenheit, vor der er nicht fliehen durfte. Die Kreditkarten, die einige Bundesbehörden an ihre Mitarbeiter ausgaben, waren codiert. Das hatte Amy ihm erklärt. Mit der richtigen Zahlenkombination konnte er in die Datenbank des entsprechenden Mitarbeiters einbrechen und von dort aus in den Zentralrechner gelangen. Zumindest gelangte er an die Vorgänge, zu denen der Betreffende Zugang hatte. Der besagte Code sollte der Behörde ermöglichen, zu überprüfen, ob ein Angestellter dienstliches Geld für private Zwecke missbrauchte. Diese Form der Überwachung stellte eine Sicherheitslücke dar und es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis das FBI das merkte. Solange es diese Lücke gab, musste er sie also nutzen.
Amys Programm glich eine 16-stellige, ständig wechselnde Zahlenkombination so lange mit der ebenfalls 16-stelligen Kreditkartennummer ab, bis die beiden Konstellationen zusammenpassten. Aber selbst mit Manuels schnellem G4 dauerte das einige Minuten. Er nahm sich eine der grauen Tassen und schenkte sich einen Kaffee ein. Dann setzte er sich wieder vor den Computer und wartete ab.
Noch während er den ersten Schluck nahm, hörten die grünlich blinkenden Zahlenkombinationen auf, durcheinanderzulaufen. Eine 16-stellige Nummer blieb auf dem Bildschirm stehen.
»Access granted«, stand darunter.
Manuel wusste, dass er jetzt nur wenige Minuten Zeit hatte, bis er entdeckt würde. Das FBI hatte garantiert ein Sicherheitsprogramm, das unautorisierte Zugriffe registrierte. Der Kreditkarteninhaber hieß Jeremiah Smith. Special Agent Smith, FBI, zuständig für innere Sicherheit, zugeteilt zur Area 51. Wobei das FBI natürlich nicht »Area 51« schrieb, sondern »Groom Lake Military Facility«, den offiziellen Namen der Militärbasis.
Was tat Special Agent Smith so den ganzen Tag? Zuletzt hatte er einen Bericht über Tony und Tim verfasst, den Manuel überflog. »… zeigen diese Beispiele, dass zwar hinreichend verdächtiges Verhalten der Natchez-Brüder zu beobachten ist, im Vordergrund scheint jedoch das kommerzielle Interesse …«
Digital angeheftet an die Akte Natchez war eine Datei, die den Titel »Besucher im Spezialgeschäft für Extraterrestrisches« trug. Manuel öffnete sie und gleich der erste Name auf der Liste war seiner.
»Emmanuel Goldstein«, fing der Bericht an, »ist an der University of Berkeley, CA, immatrikuliert, hält sich aber im Graubereich der Groom Lake Military Facility auf. Es wird vermutet, dass er Aufzeichnungen über die Aktivitäten dort anfertigt. Zu welchem Zweck, hat sich noch nicht restlos erschlossen. Es ist nicht auszuschließen, dass er für eine ausländische Regierung spioniert. Wahrscheinlich für einen Geheimdienst der ehemaligen Sowjetunion oder Kuba. Wir empfehlen …«
Die glaubten, er sei ein kubanischer Spion? Manuel holte kopfschüttelnd Luft und blickte auf die Uhr. Schon elf Minuten war er nun im Zentralrechner des FBI und konnte jeden Moment rausfliegen. Er überlegte eine Sekunde und klickte ein paar Seiten weiter bis ans Ende seiner Akte. Dort wurden weitere »Kontaktpersonen« aufgeführt.
»Goldstein hält per Internet Kontakt zu Personen, die ihm Informationen liefern und mit denen er sein Vorgehen abspricht«, hieß es da. »Darunter ist auch ein Individuum mit dem Usernamen WarriorKahless, der das World Trade Center im Rahmen …«
Schlagartig wurde sein Bildschirm schwarz. Erst nach einigen Sekunden begann er wieder zu flimmern und vor Manuels Augen erschienen die Worte »Access denied«.
Das war’s. Er war aus dem System geflogen. Nun war die Kreditkartennummer gesperrt. Es hatte keinen Sinn, es noch einmal zu versuchen. Das würde ihn nur noch mehr gefährden.
Ihm wurde ein wenig unbehaglich beim Gedanken, dass das FBI womöglich doch das Signal zurückverfolgen könnte, trotz Firewall und wechselnder IP-Adresse. Zur Sicherheit zog er auch noch das Ethernet-Kabel aus dem Computer, obwohl das bei einem abgeschalteten Gerät nicht viel Sinn machte. Dann beschloss er, nach draußen zu gehen. Bald würde es dunkel werden und er wollte doch noch einmal das neue Fernglas ausprobieren.
Um überhaupt etwas sehen zu können, musste er ein gutes Stück den Hang des Tikaboo Peak hochklettern. Er hatte schon ein paar Mal versucht, mit dem neuen Fernglas einen Blick auf das Militärgelände zu erhaschen, und tatsächlich lieferte es, wie von den Natchez-Brüdern versprochen, gestochen scharfe Bilder. Nur hatte sich in den letzten Tagen in der Area nicht viel Bemerkenswertes abgespielt. Das einzig halbwegs Interessante, das er hatte beobachten können, waren die fensterlosen Janet-Boeings gewesen, die Arbeiter aus Las Vegas in die Area brachten. Ihre Zahl schien sich in den letzten Monaten mindestens verdoppelt zu haben.
Aber heute war es anders. Er sah Menschen in Uniform zwischen den Hangars stehen und gestikulieren. Dazu eine blonde Frau, die sich ein wenig abseits hielt. Sie schien zu rauchen und trug einen dunkelblauen Hosenanzug. Manuel war sich sicher, dass es sich um die gleiche Frau handelte, die er schon vor einigen Wochen gesehen hatte. Wenn er nur endlich ihr Gesicht sehen könnte!
Er drehte das Fernglas noch ein klein wenig schärfer. »Dreh dich um, Mädel«, flüsterte er dabei. Sie rührte sich nicht. Sie stand eine volle Minute einfach so da, ihr Gesicht dem Hangar zugewandt, und rauchte. Erst als sie ihre Zigarette auf dem Boden austrat, tat sie ihm den Gefallen und wandte sich in seine Richtung.
Manuel glaubte, sein Herz müsse stehenbleiben. Das war nicht möglich. Es war die Fernsehmoderatorin. Eine sehr blonde, sehr prominente, sehr konservative Fernsehmoderatorin, die in dem Flugzeug gesessen hatte, das ins Pentagon gerast war. In den Medien hatte es damals viele Geschichten über sie gegeben. Auch deshalb, weil ihr Ehemann Wahlkampfmanager des Präsidenten in Florida gewesen war. Ihr Bild hatte sich bei Manuel eingeprägt und bei Millionen von anderen Amerikanern natürlich auch.
Manuels Herz raste. Wieso war sie hier? Er ließ das schwere Fernglas für eine Sekunde sinken. Als er es wieder ansetzte, war sie weg.
Er ließ seinen Blick langsam über die Area wandern. Da war sie wieder! Sie schlenderte auf einen der Hangars zu, blieb kurz stehen und nahm wieder einen Zug von einer Zigarette. Dann sah Manuel wieder diesen vollkommen schwarzen, fensterlosen Jet, dessen unglaubliche Flugmanöver er schon im Winter beobachtet hatte. Langsam und ruckartig rollte der schwarze Vogel aus dem Hangar heraus und blieb auf dem Rollfeld stehen. Die blonde Moderatorin trat ihre Zigarette aus. Aus dem schwarzen Nichts glitt eine Tür auf und eine Treppe wurde wie von Geisterhand heruntergelassen. Die Moderatorin betrat die Treppe und verschwand in dem Jet.
Manuel wartete noch eine Stunde, aber es geschah nichts mehr. Als er im Trailer ankam, war es bereits dunkel. Er klemmte das Ethernet-Kabel wieder an und schrieb eine Nachricht an JEdgarH.
»Melde dich bei mir. Ich muss unbedingt mit dir reden.«
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Goldstein soll seine fettigen Wurstfinger offenbar nur von Linda lassen, sofern ich das bisher richtig einordne.
>>Sie rührte sich nicht. Sie stand eine volle Minute einfach so da, ihr Gesicht dem Hangar zugewandt, und rauchte.<>Er klemmte das Ethernet-Kabel wieder an und schrieb eine Nachricht an JEdgarH.
»Melde dich bei mir. Ich muss unbedingt mit dir reden.«<<
Zum Glück muss ich nicht andauernd mit Danny und seiner dreibeinigen Katze reden.
„wie von Geisterhand heruntergelassen“ – wenn doch wenigstens nicht immer wieder dieselben Worthülsen ausgesch*ssen würden. Da findet man ja mehr Wortschatz in den Service-Unterlagen von Kofferheulen der siebziger Jahre.