»Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Gegenwart«

Alexander Wendt
Bild: Alexander Wendt

Der Journalist und Autor Alexander Wendt kritisiert den Einfluss und den Überlegenheitsgestus einer sogenannten »Moralelite«.

Roberto De Lapuente sprach mit ihm über sein neues Buch.

 

De Lapuente: Herr Wendt, Sie haben ein Buch über die Verachtung geschrieben, mit der die Moraleliten die Gesellschaft bedrohen. Für die gibt es viele Namen – Woke zum Beispiel. Sie vermeiden diese Bezeichnung weitestgehend. Warum?

Wendt: Der Begriff oder vielmehr die Selbstbezeichnung »woke« verschleiert und verharmlost das Wesen dieser Bewegung, die ich in meinem Buch beschreibe. Er stammt ursprünglich, so die Argumentation ihrer Vertreter, aus der Umgangssprache von Schwarzen in den USA; stay woke bedeutete demnach, sich wachsam gegenüber Rassismus und anderen sozialen Ungerechtigkeiten zu zeigen. Diese Wachsamkeit gegen empörende Zustände schreiben sich die Mitglieder der Moralelite zu, um dann einen Zirkelschluss zu vollführen: Wir – und zwar exklusiv wir – kritisieren das Böse in der Welt. Folglich ist alles, was wir angreifen, auch tatsächlich bösartig, folglich sind wir die Vertreter des Guten. Woraus wiederum folgt, dass jeder, der uns und unsere Methoden in Frage stellt, zur Seite des Bösen gehört, und deshalb gar nicht das Recht besitzen sollte, an der öffentlichen Debatte teilzunehmen. Der Vorwurf an alle Kritiker lautet deshalb nicht, faktisch unrecht zu haben, sondern über keine moralische Legitimation zu verfügen. Dieses Denkmuster läuft auf eine andere, nämlich dieser Selbsterhöhungspirouette angemessene Wortbedeutung hinaus: Wir sind die Erwachten, diejenigen also, die bessere, tiefere und vor allem moralischere Einsichten haben als der Rest der Gesellschaft. Uns steht deshalb das undiskutable Recht zu, diese Gesellschaft auf den richtigen Pfad zu führen. Dieses Herrschaftsmodell hatte als erster Jean Jaques Rousseau in seinem »Gesellschaftsvertrag« ausbuchstabiert: ein Komitee von Weisen, das sich keiner Wahl stellen muss, steuert alle anderen, denen es an ausreichender Erkenntnisfähigkeit mangelt, und bestraft die Abweichler. Rousseau, dem ich in meinem Buch einen längeren Abschnitt widme, halte ich für den intellektuellen Stammvater der Erwachten, oder, wenn Sie so wollen, für den Ur-Woken.

De Lapuente: Warum haben Sie sich speziell für die Bezeichnung der »Wohlgesinnten« entschieden?

Wendt: Neben »die Erwachten« verwende ich tatsächlich öfters die Formulierung »die Wohlgesinnten«, abgeleitet von den Eumeniden aus Aischylos »Orestie«. Die Bezeichnung »Wohlgesinnte« erhalten Alekto, die unermüdliche Verfolgerin, Megaira, die Zornige, und Tisiphone, die Vergeltende, dort erst am Ende des Stücks. Bis dahin treten sie bekanntlich als Erinnyen auf, als Rachegöttinnen, als Furien. Diese Doppelgesichtigkeit, fand ich, passt ganz gut zu der Selbstwahrnehmung der Erwachten und der Art, wie sie tatsächlich ihre Machtansprüche durchsetzen. Ich benutze den Begriff also auf ähnliche Weise und zu einem ähnlichen Zweck wie Karl Heinz Bohrer ehemals die Wendung vom »guten Hirten«.

»Diejenigen, die sich im Innern solcher Denkgebäude befinden, halten sich nicht für wahnsinnig«

De Lapuente: Sie haben viele Vorfälle zusammengetragen, die die Debatten und Denkweise dokumentieren, in denen sich die Wohlgesinnten verstricken. Spontan dachte ich an Wahnsinn. Sind diese Kreise wahnsinnig?

Wendt: Es ist eine Falle, einem Denksystem Wahnsinn zu diagnostizieren, und daraus zu folgern, das offensichtlich Irrationale und in sich Widersprüchliche darin müsste dieses System ziemlich leicht wieder zu Fall bringen. Geschlossenen Denksystemen mit starker Unterscheidung zwischen der eigenen Gruppe und den Verachteten anderen, haftet immer etwas Wahnhaftes an. Von außen und aus der historischen Entfernung lassen sich bei allen Unterschieden im Detail diese wahnhaften Züge solcher Überzeugungsgebäude gut erkennen, ob nun bei der Ketzer- und Hexenverfolgung, dem jakobinischen Terror, dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus. Beim Antisemitismus in all seinen Facetten handelt es sich um ein extrem langlebiges Wahngebilde. Es muss also etwas geben, das ein solches System stabilisiert. Diejenigen, die sich im Innern solcher Denkgebäude befinden, halten sich nicht nur nicht für wahnsinnig, sondern für gut begründet. Den Intelligenteren fallen die Widersprüche durchaus auf, allerdings verfügen gerade diese Leute auch über alle notwendigen Ressourcen, um offensichtliche Widersprüche wegzuerklären.

De Lapuente: Haben Sie ein Beispiel parat?

Wendt: Einige dort merken vermutlich, dass es irgendwie nicht zusammenpasst, kollektive Zuschreibungen aufgrund der Hautfarbe anzuprangern, und gleichzeitig allen Weißen eine kollektive Schuld für Sklaverei und Kolonialismus anzudichten. Aber beides lässt sich erst einmal getrennt voneinander begründen, anschließend folgt die Synthese. Denn über beidem wölbt sich wie eine große Kuppel das Bewusstsein, damit etwas unbezweifelbar Schlechtes zu bekämpfen, nämlich den schuldigen Westen. Mit der Generalformel: aber es dient doch dem Guten lassen sich nahezu alle Störgefühle zum Schweigen bringen. Der Begriff »wahnsinnig« bezieht seinen Sinn aus der rationalen Betrachtung, die ihrerseits auf die Wirksamkeit von Argumenten baut. Geschlossene, manichäische Glaubenssysteme richten sich aber nicht an den Polen wahr und falsch aus, oder besser: konsistent und inkonsistent, sondern an den Polen Gut und Böse. Darin, selbst das Widersinnigste für gut und damit vernünftig zu erklären, liegt für viele Wohlgesinnte übrigens auch ein großer Reiz. Von George Orwell stammt der schöne Spruch: »Manche Ideen sind so absurd, dass nur Intellektuelle daran glauben.«

»Mit der Formel: aber es dient doch dem Guten, lassen sich nahezu alle Störgefühle zum Schweigen bringen«

De Lapuente: Würden Sie sagen, dass die Ansätze der Wohlgesinnten nicht zu weniger Ausgrenzung führen, sondern – im Gegenteil –, das Repertoire an Ausgrenzungspotenzial noch erhöhen?

Wendt: Das ist sicherlich der Fall. Die demonstrative Verachtung einer urbanen, neolinken und identitätspolitisch ausgerichteten Meinungs- und Deutungselite gegen die »deplorables«, die »Erbärmlichen«, also alle ohne Universitätsabschluss in Geisteswissenschaften, alle, die nicht über ihr Pronomen und ihr »weißes Privileg« nachsinnen, alle, denen Begriffe wie »cis« und »postkolonial« nichts sagen, diese Verachtung erzeugt natürlich eine Gegenverachtung. Diese Verachtung von neolinks oben nach unten äußert sich vor allem im Ausspielen von kulturellem Kapital. Also der Definitionsmacht darüber, welche Themen Gewicht haben sollen und welche nicht, wer an der gesellschaftlichen Debatte teilnehmen darf, und wer davon ausgeschlossen werden muss. Die kulturelle Verachtung – das ist eine These meines Buches – strapaziert das soziale Gewebe heute stärker als die altbekannte materielle Ausbeutung, die natürlich auch immer noch existiert. Die Gegenreaktionen der »deplorables« fallen oft eruptiv und mitunter gewalttätig aus, etwa bei den Protesten der französischen Gelbwesten oder den Trucker-Demonstrationen in Kanada. Das dient dann den Wohlgesinnten wiederum als schlagender Beweis, dass man diese Leute gar nicht erst anhören darf, sondern gut daran tut, sie mit aller Macht aus der gesellschaftlichen Arena zu drängen.

De Lapuente: Betreiben die Wohngesinnten Antirassismus – oder doch nur Rassismus mit fortgeführten Mitteln?

Wendt: Es handelt sich in der Tat um die Fortsetzung des Rassismus mit neuen Mitteln. Zum einen haben wir es mit einer schlichten Umkehrung des alten Musters zu tun, wenn Ibram X. Kendi in »How To Be An Antiracist« feststellt: »Das einzige Mittel gegen Diskriminierung in der Vergangenheit ist Diskriminierung in der Gegenwart, das einzige Mittel gegen Diskriminierung in der Gegenwart ist Diskriminierung in der Zukunft.« Damit spricht er sich unmissverständlich für eine Fortsetzung des Rassismus unter gegenteiligem Vorzeichen aus. Er entwirft ein direktes Gegenbild zu Martin Luther King, der für eine Gesellschaft kämpfte, in der Hautfarbe nicht mehr bei der Beurteilung einer Person zählen sollte. Dazu kommen noch neue Feinheiten dieses Neorassismus, der die ganze Welt in weiße Unterdrücke und nichtweiße Unterdrückte teilt: Etwa, dass in diesem Dogma Amerikaner mit asiatischen Wurzeln als »weißennah« gelten, mit der Begründung, sie seien wirtschaftlich zu erfolgreich, und damit »angepasst«.

»Die Wohlgesinnten haben mit der klassischen Linken nichts zu tun«

De Lapuente: Sie sprechen den Wohngesinnten – zu Recht, wie ich meine – ab, politisch links zu stehen. Wie würden Sie in kurzen Worten darlegen, warum diese Leute eben nicht links sind?

Wendt: Die klassische linke Weltanschauung zielte bei allen Unterschieden in ihren einzelnen Strömungen auf die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten. Der Einzelne sollte kein »geknechtetes, verächtliches Wesen« mehr sein, wie es im Kommunistischen Manifest hieß. Die Praxis sah dann später etwas anders aus. Aber zunächst einmal war das der ideelle Ausgangspunkt: die Betrachtung sozialer Verhältnisse. Im Glaubenssystem der Wohlgesinnten findet eine völlige Verdrängung des Materiellen durch die Kategorien Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht statt, also durch Identitätsfragen. Das gefällt den Eigentümern einiger großer Plattformen durchaus. Bei Amazon etwa gibt es so genannte »Affinity Groups«, also von dem Konzern geförderte Gruppen für schwarze Mitarbeiter, für Latinos, für schwule Beschäftigte, für Übergewichtige – aber interessanterweise bis vor kurzem keine Gewerkschaft. Das änderte sich erst 2020, als der gefeuerte Arbeiter Chris Smalls – übrigens schwarz – eine Amazon-Gewerkschaft gründete, die der Konzern bis heute erbittert bekämpft. Smalls geht es gar nicht um die Ausrufung der Revolution. Sondern beispielsweise um arbeitnehmerfreundlichere Pausenzeiten, und zwar für alle, unabhängig von Herkunft und Gewicht. Die klassische Linke träumte außerdem von einer Aufhebung aller antagonistischen Widersprüche, sollte ihre Ordnung irgendwann siegen. Für die Erwachten setzt sich – siehe Kendi – der Kampf der Nichtweißen gegen die weißen Unterdrücker dauerhaft fort. Er lässt sich nie befrieden, auch durch kein noch so oft wiederholtes Schuldbekenntnis, sondern höchstens dadurch, dass der Westen als Ganzes untergeht. Drittens, und das ganz grundsätzlich: Verächtlich auf sozial Schwächere herabzuschauen und sogar zu spucken: das scheint mir der genaue Gegenentwurf zu den klassischen linken Ideen zu sein.

De Lapuente: Sie sprachen dennoch vorhin von »neolinks«: Verunglimpft diese terminologische Annäherung nicht die Ideen der ursprünglichen Linken? Sollte man nicht penibel darauf achten, diese Leute nicht mit der Linken zu titulieren?

Wendt: Eine der zentralen Thesen meines Buchs lautet ja: dieses Phänomen, das ich beschreibe, hat mit der klassischen Linken nichts zu tun. Es steht ihr sogar diametral entgegen. Aber es verwendet linkes Dekor in Begriffen und Symbolen. Etwa den Begriff »Befreiung«, der jetzt aber nicht mehr die Befreiung der Arbeiterklasse wie im 19. Jahrhundert meint, sondern beispielsweise die »Befreiung« des Nahen Ostens von den Juden unter der Flagge des Postkolonialismus. Oder den Terminus »Unterdrückung«, wobei in der neuen Lehre die Weißen des Westens pauschal als Unterdrücker gelten, also auch der Stahlarbeiter in Michigan und der Autobauer in Wolfsburg, und der »globale Süden« als unterdrücktes Subjekt, einschließlich der Hamas oder korrupter Regime in Afrika. Die Regenbogenflagge, entworfen von dem Künstler Gilbert Baker 1979 in San Francisco als Symbol der Schwulenbewegung und damit Teil der Bürgerrechtsbewegung, die damals schon die ersten wichtigen Erfolge erreicht hatte, dient heute als autoritäres Herrschaftssymbol.

De Lapuente: Wie meinen Sie das?

Wendt: Unter dieser Fahne stellen die Wohlgesinnten beispielsweise die Naturwissenschaft in Frage, wenn sie jeden, der darauf besteht, es gebe nur zwei biologische Geschlechter, bedrohen wie die Autorin Joanne Rowling oder die Philosophin Kathleen Stock, die tatsächlich von ihrer Universität vertrieben wurde. Dass der »Antirassismus« der Wohlgesinnten in Wirklichkeit stark rassistische Züge trägt, habe ich ja schon ausgeführt. Die sogenannte Kapitalismuskritik der Erwachten läuft, wenn man sie näher betrachtet, auf den Versuch hinaus, den Kapitalismus durch eine Art Feudalgesellschaft zu ersetzen, in der nur einer Elite alle Ressourcen zur Verfügung stehen sollen, während die Normalbevölkerung dem »Degrowth« unterworfen werden soll, also einer gezielten Wohlstandsverminderung. Die Tatsache, dass diese Ideologie sich linke Begriffe und Symbole aneignet, immunisiert sie bisher sehr erfolgreich gegen Kritik aus Medien, Wissenschaft und generell aus dem linksliberalen Bürgertum. Dort funktioniert der Reflex immer noch hervorragend: kommt jemand mit dem Regenbogenfähnchen in der Hand, redet von »Marginalisierten« und den Unterdrückten der Welt, erstirbt in diesem Milieu jeder Widerstand. Folglich gilt jede Kritik dann automatisch als »rechts«, »rassistisch«, »homophob« und so weiter. »Neolinks« bezieht sich also auf diese Praxis, linkes Vokabular zu plündern, um in dessen Schutz etwas ganz anderes durchzusetzen.

»Die Moralelite verwendet Moral nicht als Maßstab für sich selbst, sondern als Waffe gegen andere«

De Lapuente: Der Untertitel Ihres Buches lautet: »Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht – und wie wir sie verteidigen können«. Ist das der Ansatz der Verteidigung: Darauf zu achten, wie wir diese Moralelite bezeichnen?

Wendt: Hier muss ich etwas zu dem Begriff »Moral« in Moralelite sagen. Moral hat ja zunächst einmal für die meisten einen positiven Klang, jedenfalls in seiner ursprünglichen Bedeutung, wie Kant sie in seinem kategorischen Imperativ prägte. Seine Forderung lautete: stelle nur Regeln für die Allgemeinheit auf, unter denen du selbst leben willst. Genau das tun die Wohlgesinnten nicht: sie fordern für sich absolute Deutungsmacht, und sprechen sie anderen ab. Sie geben vor, gegen Unterdrückung zu kämpfen, unterdrücken und schikanieren aber andere, sobald sie die Gelegenheit dazu haben – beispielsweise an vielen Universitäten. Sie reden weißen und oft nicht gutbezahlten Arbeitern ein, sie müssten ihre angeblichen Privilegien überprüfen, nehmen aber ganz selbstverständlich Privilegien für sich selbst in Anspruch. Sie verwenden Moral also nicht als Maßstab für sich selbst, sondern als Waffe gegen andere. Sie verhalten sich amoralisch, indem sie die Stabilität der Gesellschaft durch Retribalisierung zerstören.  Genau hier ist die Moralelite am besten angreifbar. Diese gewaltige Kluft zwischen Deklaration und tatsächlichem Verhalten sollte also eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung mit dieser Bewegung spielen.

De Lapuente: Sie stellen ja auch Moralelite und Bürgergesellschaft gegeneinander. Die Wohlgesinnten erwecken gerne den Eindruck, dass sie die Bürgergesellschaft sind, also die Mehrheit. Politiker und Konzerne greifen auf deren Weltbild zurück. Warum ist das so? Weshalb lassen die Machteliten diese Fanatiker nicht links – besser rechts – liegen?

Wendt: Nun, wie oben schon ausgeführt: die Verdrängung klassischer sozialer Themen ist vielen Großunternehmen sehr willkommen. Die Übernahme von Versatzstücke durch Unternehmen, etwa in Gestalt der mächtigen DEI-Abteilungen (Diversity, Equity, Identity) dient auch der Immunisierung gegen Kritik, etwa, wenn große Plattformen und Unternehmen der Finanzindustrie in der Unternehmenskommunikation bisweilen wie NGOs auftreten, die sich der Weltverbesserung widmen. Die Wohlgesinnten führen dem materiellen Kapital zusätzlich wertvolles kulturelles Kapital zu. Das hilft auch, Kunden und Märkte zu bedienen: denken sie an Unternehmen, die CO2-Ablassbriefe verkaufen, mit denen Angehörige des erwachten Bürgertums mit gutem Gewissen fliegen und große Häuser bewohnen können. Das ist inzwischen ein Milliardenmarkt mit hochzufriedenen Kunden, die gar nicht so genau wissen wollen, ob die Ausgleichsmaßnahmen irgendwo in Afrika oder im brasilianischen Regenwald tatsächlich so stattfinden wie versprochen.

De Lapuente: Für mich sieht es so aus, als führten die Wohlgesinnten einen viel tiefergehenden Kampf gegen Tradition, Kultur und auch Religion. Wollen diese Leute die Geschichte vergessen machen? Und entwurzeln sie damit nicht das Gemeinwesen?

Wendt: Bei Orwell heißt es: wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Gegenwart, wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Zukunft. Nach der Logik der Erwachten ist es unumgänglich, die Geschichte umzuschreiben, um beispielsweise jeden Hinweis darauf zu entfernen, dass es Sklaverei und Kolonialismus in allen Erdteilen gab. Für die Erzählung vom schuldigen Westen dürfen nur Sklavenhandel und Kolonialismus des Westens übrigbleiben. Die Vorstellung der Erwachten besteht wie auch in den meisten Erlösungsideologien darin, zumindest die gesamte westliche Welt in einen Zustand zu transformieren, den Rousseau, siehe oben, in seinem »Gesellschaftsvertrag« entwirft: eine Elite, der allein die Deutungsmacht zusteht, führt den Rest, die Herde. Um das zu erreichen, muss zwangsläufig die Idee des emanzipierten Bürgers verschwinden. Die ist allerdings im Westen kulturell tief eingebettet. Sie beginnt, wie ich in meinem Buch beschreibe, nicht erst im 18. Jahrhundert. Natürlich würde die Zerstörung alles Hergebrachten die Gesellschaft entwurzeln. Genau darin besteht ja das Ziel. Ein Nebenaspekt liegt auch darin, dass die Erwachten mit Kultur generell wenig bis nichts anfangen können. Ihre Schriften, etwa von Ibram X. Kendi und Robin DiAngelo sind intellektuell erbärmlich, die Gendersprache, mit der wir es in Deutschland zu tun haben, von abstoßender Hässlichkeit. Wo immer der Einfluss der Erwachten sichtbar wird – ob in den Straßen Portlands, auf dem besetzten Campus der Columbia University oder Teilen Kreuzbergs – breiten sich Müll und Verwahrlosung aus. Zu dieser Bewegung gehört auch ein Vandalismus gegen Denkmale, seit einiger Zeit selbst gegen Bilder in Museen. Das bisschen woke Kunst – die es durchaus gibt – ist geradezu mitleiderregend dumpf. Etwa, wenn jemand ein Gemälde von Caspar David Friedrich »dekolonisiert«, indem er in einer Kopie eine weiße Figur darin durch eine schwarze ersetzt.

»Irgendwann entsteht eine Fraktion, die sich in ihrem Zerstörungsdrang kaum noch bremsen lässt«

De Lapuente: Würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass der Westen damit seine eigene »Kulturrevolution« hat – und es eine Frage der Zeit ist, bis sie so exzessiv wird, wie einst in China?

Wendt: Die Parallele zur chinesischen Kulturrevolution trifft insofern zu, da sie vor allem auf die Zerstörung der gewachsenen Kultur zielte, aber selbst nichts von Wert hervorbrachte. Das, was sich hier im Westen abspielt, wird nicht auf die Ermordung von Zehntausenden hinauslaufen wie damals unter Mao. Dort ging der Prozess von der allmächtigen Partei und dem Staat aus, hier im Westen dagegen von einer Elite in Universitäten, Medien, Unternehmen und NGOs. Das, was diese Bewegung bewirkt, ist nicht blutig, aber sehr wohl zerstörerisch, etwa, wenn sie den freien Gedankenaustausch an Universitäten offen angreift, aber noch mehr durch die Retribalisierung der Gesellschaft, in der irgendwann nur noch Identitätsgruppen gegeneinander um Ressourcen kämpfen würden. Die aktuell größte Gefahr sehe ich in einer extremen Strömung, die anders als der ursprüngliche Komplex der Wohlgesinnten aus einer radikal antimodernen Haltung heraus die technische Infrastruktur nicht nur rhetorisch, sondern praktisch angreift – etwa mit dem Anschlag auf die Stromversorgung des Tesla-Werks oder dem Versuch, die Fabrik zu stürmen. Hier beginnt möglicherweise etwas, was selbst die führenden Figuren dieser Bewegung nicht vorausgesehen haben, und was sie nicht wollen. Denn nicht allen, aber vielen dürfte klar sein, dass auch sie vom Funktionieren technischer Großsysteme abhängen. Aber so läuft es bei vielen Bewegungen mit Totalitätsanspruch: irgendwann entsteht aus ihr eine Fraktion, die sich in ihrem Zerstörungsdrang kaum noch bremsen lässt.

De Lapuente: Sie sprachen gerade auch von den Protestcamps an der Columbia University. In Ihrem Buch behaupten Sie ja, dass es die Wohlgesinnten sind, die im Zuge der Ereignisse in Israel und Gaza unangenehm auffallen: Sie würden teils gar antisemitisch auftreten. Nun habe ich den Eindruck, dass es gerade andersherum ist: Die Wohlgesinnten sind sehr proisraelisch und rufen immer sehr eilfertig, dass dies oder jenes Antisemitismus sei. Wie kommen Sie zu Ihrem Urteil?

Wendt: Wie ich dazu komme? Durch Anschauung. Durch die Betrachtung dessen, was sich an vielen amerikanischen Universitäten abspielt, also den Hochburgen der Wohlgesinnten, aber auch an Hochschulen in Deutschland und der Schweiz. Dort wird nicht nur mit dem Ruf: From the river to the the sea faktisch die Auslöschung Israels gefordert. Der Furor richtete sich auch immer stärker gegen Juden in den USA und in anderen westlichen Ländern. An der Columbia University wurde ein jüdischer Professor am Betreten des Campus gehindert. Der studentische Mob, unterstützt von vielen Lehrkräften, ruft jüdischen Studenten zu: Go to Poland. An der Humboldtuniversität wurde eine Diskussionsveranstaltung niedergebrüllt, an der eine israelische Richterin teilnahm. Für den Mob spielte es gar keine Rolle, wie ihre Position zur israelischen Regierung und dem Vorgehen im Gazastreifen lautete. Sondern nur, dass sie eine israelische Jüdin ist. An der Universität Hamburg wurde eine Referentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft krankenhausreif geschlagen. Judith Butler, die nun wirklich zu den zentralen Theoretikerinnen des ideologischen Komplexes zählt, über den wir hier reden, erklärte kürzlich in Paris den Mord an 1.200 Zivilisten in Israel am 7. Oktober 2023 zum »bewaffneten Widerstand«. Diesen Leuten geht es keine Sekunde lang um die Zivilisten im Gazastreifen. Wäre das der Fall, würden sie ihre Aufforderung zum Waffenstillstand an die Hamas richten, statt zu skandieren: We love Hamas.

De Lapuente: Mit welcher Motivation tun diese Leute das denn?

Wendt: Das zentrale Element ihres Überzeugungsgebäudes ist der Postkolonialismus: nach diesem Schema ist Israel der weiße »koloniale« Unterdrücker, die Hamas der edle Kämpfer für den stets gerechtfertigten »globalen Süden«. In dem Hass auf Israel kommt vieles zusammen: dieses Land steht für den Westen, den Kapitalismus, es ist erfolgreich. Und es erinnert durch seine Existenz an die Shoa, die nach Ansicht der Wohlgesinnten aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden soll oder zumindest stark umgeschrieben werden muss, da sie partout nicht in das Deutungsraster von weißen Unterdrückern und nichtweißen Opfern passt. Antisemitismus ist tatsächlich nur ein Teil dessen, was sich in Yale, Harvard, New York, Berlin und anderswo abspielt. Aber eben ein unübersehbarer Teil.

 

Alexander Wendt schrieb als Journalist für die Welt, den Stern, den Tagesspiegel, die Wirtschaftswoche und für Focus. Seit 2017 leitet er das Online-Magazin Publico.  Er lebt und arbeitet in München.

Ähnliche Beiträge:

45 Kommentare

  1. Sehr interessantes Interview, danke dafür!
    Zum Schluss als Sie auf Israel/Gaza/Antisemitismus zu sprechen kommen hätte ich mir eine weitere Vertiefung gewünscht. Es ist ja interessant, dass bei vielen, sagen wir, konservativen Intellektuellen mit denen ich in der Systemkritik und Gesellschaftsanalyse oft übereinstimme, just dieser Themenkomplex, sehr verschieden beschrieben wird. Darüber würde ich wirklich gerne mehr erfahren und mir eine echte Diskussion wünschen.
    Vielleicht lieber Roberto, können Sie da ja noch ein Anschlussinterview führen oder gar eine ganze Reihe zum Thema beginnen.
    Auf alle Fälle noch einmal herzlichen Dank!

    1. “Zum Schluss als Sie auf Israel/Gaza/Antisemitismus zu sprechen kommen hätte ich mir eine weitere Vertiefung gewünscht.”

      Bitte nicht!

      Das Interview war super, bis die Sprache auf Israel kam. Dass die Lebenssituation der Palästinenser unsagbar übel ist (und ganz besonders im Freiluftgefängnis Gaza), war auch schon den Linken zu PLO-Zeiten völlig klar.

      Israel ist auch ohne Wokeness eine völlig von religiös-moralischer Vergiftung betroffene Region. Die Enteignung der Palästinenser ist real, aber es wurde, anders als in Amerika und Australien, versäumt, nach der totalen Niederlage eine totale Vereinnahmung herbeizuführen. Israel selbst war zu klein und sein winziger Schatten machte die Reservate der Palästinenser nie unsichtbar. Stattdessen versucht Israel sie mit einer Knabberpolitik immer weiter zu verkleinern und dehnt die miesen und Abscheu erzeugenden Schlagzeilen damit ins Unendliche.

  2. Manchmal denke ich, dass dem Thema “Woke” oder “gender” mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als es das wert ist. Macht es nicht misstrauisch, dass die Empörung über “Woke” sowohl in den USA als auch bei uns vor allem vor allem von Rechten und von Boulevardmedien angefeuert wird. Die benutzen das, um nebenbei die “Linken” als lebensferne Spinner zu denunzieren und Linke in einen Kulturkampf zu locken, der mit dem Kernthema der Linken gar nichts mehr zu tun hat, nämlich für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der alle frei sind, nicht nur irgendwelche Spartensexualitäten. Das Thema “Woke” ist für mich abgenudelt und ich habe den Eindruck, dass auch die breite Öffentlichkeit mittlerweile müde abwinkt. Haben wir nicht drängendere Probleme?

    1. “…… dass die Empörung über „Woke“ sowohl in den USA als auch bei uns vor allem vor allem von Rechten und von Boulevardmedien angefeuert wird.”

      Und gerne auch mit dem Etikett (Kultur-)Marxismus vetrsehen wird.

    2. Das Aufblasen des Woke-Thema könnte direkt vom CDU-Wahlkampf-Team stammen. Die CDU ist für fast alles verantwortlich, was hier stinkt – aber mit Anti-Woke-Gender_Seife wäscht sie die Finger rein und schärft ihr “konservatives Profil”.

      1. Nee, da würde ich widersprechen. Die CDU macht da ja inzwischen eher mit. Sonst wären auch schwarz-grüne Regierungen gar nicht möglich. Die CDUler, denen das wirklich deutlich gegen den Strich geht, verabschieden sich Richtung AfD oder Werteunion oder ins innere Exil.

        Bedeutung beigemessen wird dem Ganzen von Leuten, die enger im akademisch gebildeten Milieu stecken, weil es dort wirklich epidemisch geworden ist. Da wird auch nichts aufgeblasen, das ist so fett wie es Wendt darstellt. Das Problem ist, dass dieses Milieu massiv ausstrahlt.

        Nehmen wir zum Beispiel die Führungsebenen der Gewerkschaften. Wie will man noch einen vernünftigen Streik für irgendwas führen, wenn die Belegschaften in diverse Identitätsgrüppchen zerhackt werden? Beispiel Gender Pay Gap: Wäre es nicht konsequent, wenn die Männer mal bei zwei Lohnrunden hintereinander aussetzten, damit die Frauen den Gap aufholen können? Klingt doch nach ner plausiblen Forderung, die genau in die woke Agenda passt. So, und jetzt versuche man mal, die männlichen Belegschaften für den Streik für so eine Forderung zu gewinnen, oder überhaupt als Mitglieder einer Gewerkschaft zu halten, die so etwas durchziehen möchte.

        In der woken Agenda unterdrücken die Arbeiter die Arbeiterinnen (siehe Gender Pay Gap). Die Forderung ist Umverteilung, aber nicht von oben nach unten. Das Kapital kommt in der woken Rechnung nicht vor. Ähnlich ist die umweltpolitische Agenda gestrickt: die breite Masse soll ihren Beitrag leisten, indem sie verzichtet, und das geeignetste Mittel dazu sind Reallohnsenkungen (z.B. durch Preissteigerungen, die nicht durch Lohnerhöhungen kompensiert werden).

        Wieso sollen die klassischen Arbeitgeber-Parteien CDU und FDP so was nicht unterstützen?

        1. “Gender-Pay-Gap”

          Gewerkschaften handeln immer einen allgemein gültigen Tarif aus. Typische Frauenberufe werden schlechter bezahlt und häufig bekommen männliche Angestellte, die ihren Lohn selbst verhandeln mehr.

          Umfassender, Herr Wendt spricht es an, ist aber die mit Klimarettung begründet breite Verarmung durch CO2-Abgaben, die dazu führt, dass die Menschen, die eh schon mustergültige CO2-Fußabdrücke haben, knappen Wohlstand verlieren, während Reiche, die die Abgaben nicht mal spüren, weiterhin jetten und auch ansonsten wie schon immer konsumieren plus ein E-Auto oben rauf.

    3. Niemand winkt müde ab. Das finde ich mächtig arrogant gegenüber denjenigen echten Opfern, denunzieren Jobverlust Hass etc, die daraus entstand.
      Fällt Ihnen das gar nicht auf?
      Ätzend und so einen Faschismus fördernd durch wegreden, ignorieren, desselben.

  3. Anscheinend kann sich Alexander Wendt nicht vorstellen, dass das Volk Israels von Anbeginn seinen Staat als Minorität entgegen der palästinensischen Majorität durchgesetzt hatte. Die dortige Freiheit, zwischen dem Fluss und der See, kennt auch das Recht auf militanten Widerstand gegen Besatzung und Vertreibung. Die Befreiung aus der Gewaltspirale aller dort lebenden Menschen, bedingt die Anerkennung dieser historischen Tatsachen. Wie “woke” war eigentlich die Ideologie einer nationalen jüdischen Heimstätte als einzig richtige Antwort gegen den europäischen Antisemitismus?

  4. “… ob nun bei der Ketzer- und Hexenverfolgung, dem jakobinischen Terror, dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus. Beim Antisemitismus in all seinen Facetten handelt es sich um ein extrem langlebiges Wahngebilde.”

    Hat der Autor bei seiner Aufzählung da nicht das aktuell vorherrschende Wahngebilde vergessen, nämlich den Liberalismus mit seinen diversen Ausprägungen? Auch diese Ideologie zeigt sich im “Überlegenheitsgestus” gegenüber anderen Ideologien und Kulturformen, vorgebracht von einer »Moralelite«, die mit “Werten” die Herrschaft des Kapitals begründet.

  5. Viel Gelaber um Identitäres und deren Symptome, aber kein einziger Hinweis auf die eigentliche Ursache, (fängt mit “K” an 😉 )des Verfalls, der westlichen Zivilisation.
    Schwaches Bild!
    Für mich wäre natürlich eine Befreiung, wenn wir den Staat Israel endlich loswürden!
    Aber, wie schon erwähnt, sind die Palästinenser auch nicht besser, da die Religiosität ja fast überall auf diesem Planeten die Probleme erst kreiert.

      1. Woke-sein ist aber ein Phänomen des US-amerikanischen Kapitalismus und breitet sich von dort in die Vasallen-Staaten aus.

        Die USA führen bekanntlich die “westliche Zivilisation”. Bloß wohin?

  6. Ich sehe das weitgehend genauso und bin auch genauso beunruhigt über die Sekte, die da die kulturelle Hegemonie übernommen hat (oder eher: die Sekte, in die sich das Milieu der kulturellen Eliten verwandelt hat).

    Beim Thema Palästina wird hier für mich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Erst mal verstehe ich ehrlich gesagt nicht, was hier unter Antisemitismus verstanden wird. Man könnte erst denken, Herr Wendt übernähme unkritisch die Netanyahu-Variante, bei der natürlich das Problem ist, dass der dahinter stehende radikale Zionismus genau so eine Herrenmenschen-Ideologie ist wie die, die der Autor kritisiert. Unser (bio-)deutscher Rechtsradikalismus scheint mir auch weniger ein Antisemitismus zu sein als blanker Islam-Hass (siehe Pegida). Die AfD-Leute werden ja nicht müde zu betonen, wie gut sie auf Israel zu sprechen sind; kein Wunder, regieren da doch ihre Brüder im Geiste. Deutscher Antisemitismus heute scheint mir wesentlich einer von Islamisten zu sein.

    Aber egal: Israel – nicht zu verwechseln mit der historischen Präsenz von Juden in Palästina -, ist ein neokoloniales Siedlerprojekt mit allem an Verabscheuungswürdigem, was bei Projekten dieser Art immer dazugehört: Man nimmt anderen ihr Land weg, und wenn sie sich wehren, schlachtet man sie ab. Hier haben die woken mit ihrer antikolonialistischen Diagnose einfach ausnahmsweise mal recht. Das Treiben der Hamas und anderer islamfaschistischer Gruppen wird dadurch natürlich in keiner Weise gerechtfertigt. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass die Hamas als brutaler Gegenpol zur moderaten Fatah von Netanyahu und seiner Clique hochgepäppelt wurde, damit man mit der Fatah keinen Kompromiss suchen muss, der dem israelischen Siedlungswesen Grenzen auferlegt hätte. Zur Wahrheit gehört auch, dass “From the river to the sea” eine Losung ist, der im Moment beide Konfliktparteien anhängen, um damit den Garaus des Gegners als politisches Ziel auszugeben. Der Ankläger des internationalen Gerichtshofs hat alles dazu gesagt, was es dazu zu sagen gibt. Ist der auch Antisemit?

  7. Das von Wendt gut beobachtete und beschriebene Phänomen lässt sich in Deutschland sehr gut auf eine Partei verdichten: Die Grünen. Ständig die Moralkeule schwingend, dabei ohne jede Scham die offensichtlich eigene Doppelmoral verleugnend und darauf bedacht, mit den eigenen Leuten die Bildungseinrichtungen, Medien und den öffentlichen-Dienst zu durchdringen und an deren vegane Fleischtöpfe zu kommen. Dabei sind sie so radikal, dass es fast schon zwangsläufig erscheint, dass am anderen Ende des politischen Spektrums in Form der AfD das nur vermeintliche Gegenteil erwächst. Wir müssen weg von derartigen Extremen. Hin zu einer Politik die den Menschen an sich in den Mittelpunkt stellt, nicht seine Hautfarbe, sexuellen Neigungen oder Geschlechterzuordnungen. Das sind durchaus alles wichtige Themen. Aber nicht die Entscheidenden. Wir alle leben „in Gesellschaft“, in diesem Land und auf diesem Planeten. Wir müssen die politische Reife entwickeln, die richtigen Konflikte zu erkennen und uns darum bemühen, diese so aufzulösen, dass für jeden einzelnen und jeden Staat erträgliche Existenzbedingungen bestehen. Vereinfacht gesagt: Wir brauchen mehr Willy Brandt und weniger Baerbock!

    1. Zustimmung. Leider ist nirgends ein Brandt in Sicht, dafür tummeln sich jede Menge Baerbocks, Strack-Zimmermanns und Pistolerii im Land…

  8. Wären die Menschen alle so wachsam, wie man meint zu sein, würden diese erkennen mit welchem Schwachsinn diese sich über Jahre hinweg auseinander setzen.
    Minderheiten waren früher mehr vorhanden als heute, heute hingegen ist die Zielsetzung das alle gleich werden. Der Zug fährt manchmal Umwege um sein Ziel zu erreichen.

  9. Danke für dieses wirklich lohnende Interview.

    Zu fragen ist, ob dieses bizarre Phänomen seinen Höhepunkt schon erreicht hat oder nicht?

    An und für sich ist ja gar nicht so selten in der Geschichte zu beobachten, dass Bewegungen oder Gedankengebilde, die allzu sehr den gesunden Menschenverstand, die Logik und die Bodenhaftung verloren haben, ab einem bestimmten Punkt in sich zusammensacken und verblüffend schnell kollabieren.
    Der Hexenwahn von Salem endete unerwartet plötzlich, auf Stalin folgte die Entstalinisierung, Senator McCarthy verlor seine anmaßende Machtstellung innerhalb von Tagen oder Wochen und auch im klugen Märchen “Des Kaisers neue Kleider” ist der absurde Spuk am Ende mit einem Schlag vorbei.

    Es mag aber auch sein, dass sich der Wahnsinn noch länger hinzieht und sogar noch steigert, weil bestimmte und durchaus unterschiedliche Profiteure des Unsinns noch mehr zum Zuge kommen wollen und überdies unkalkulierbare Prozesse der Eigendynamik eine Rolle spielen könnten. Wendt deutet letzteres ja auch an.

  10. Ersteinmal vielen Dank. Ein sehr interessantes und aufschlussreiches Interview.

    Nun einige Gedanken von mir dazu:
    1. Man kennt das aus der Geschichte, dass ‘Rechts Außen’ mit linker Symbolik daherkommt.
    Die NSDAP kam mit einer roten Fahne und im Gewandt eine sozialistischen Arbeiterpartei daher und verkündete nicht weniger als eine Revolution und die Befreiung von der Arbeitslosigkeit.
    “Arbeit macht frei” – Ein toller Slogan, wenn man beiseite lässt, dass dies dann sehr schnell Arbeitslager und KZ zu bedeuten hatte.

    2. “Die sogenannte Kapitalismuskritik der Erwachten läuft, wenn man sie näher betrachtet, auf den Versuch hinaus, den Kapitalismus durch eine Art Feudalgesellschaft zu ersetzen.”

    Das ist der einzige Satz im Interviews, den ich gefunden habe, der darauf hindeutet, woher die woke Bewegung kommt und was sie denn bezwecken will.
    Nicht zufällig ist es eine Finanz- und Wirtschaftselite wie sie sich u.a. beim WEF versammelt, die die woke Bewegung intensivst befördert.
    Ziel ist die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft, der Zusammenhalt von Familien und die Zerstörung jeglicher individueller Identität. Der Mensch soll sich in Zukunft über eine Chipkarte definieren und über die Markenartikel die er konsumieren darf. Mehr noch, der Mensch selbst soll sich als ein Objekt begreifen, dessen Wert einzig davon abhängt inwieweit er sich an den jeweiligen Markterfordernissen umzugestalten weiß.
    Und sehr geschickt benutzt man gerade die fortschrittlichen Errungenschaften des Bürgertums wie Toleranz, Emanzipation und sexuelle Aufklärung um jeglichen gesellschaftlichen Zusammenhalt an seinen inneren Widersprüchen ad absurdum zu führen.
    Wenn männlich und weiblich beliebig veränderliche Größen sind, dann sind auch keine stabilen sozialen Gemeinschaften im Sinne von Familie und bürgerlicher Gesellschaft mehr möglich.
    Ohne sozialen Zusammenhalt und Identität ist der bargeldlose Mensch ein taumelndes Wesen, das einzig dem Wohlwollen seiner kleinen Chipkarte ausgeliefert ist.

  11. Wer ist eigentlich mit den “Erwachten” oder “Wohlgesinnten” gemeint? Sind es m/w/d Politiker*innen der Grünen, mit ihrer regelrechten Anbetung technologischer Innovationen, oder sind es Studenten und subproletarische Aussteiger mit “radikal anti-moderner Haltung”. Wagenknechts “Die Selbstgerechten” ist da präziser.
    Was soll zudem der Bezug zu anti-kolonialistischen Haltungen und den Gaza-Protesten? Bei beiden kann ich gerade das nicht ausmachen, was die woke Szene vor allem kennzeichnet, – Überlegenheitsdünkel.

  12. »Die Moralelite verwendet Moral nicht als Maßstab für sich selbst, sondern als Waffe gegen andere«

    Das kann man sehr gut am Beispiel der Anklage des IStGH gegen die Hamas-Bosse und die beiden israelischen Politgrößen Netanjahu und Gallant zeigen. Was macht unsere aus Moralapostel bestehende Politikerkaste?

    Sie empört sich sich. Sie findet es schamlos und unbegreiflich, dass die Gewalttäter der einen Seite in einem Atemzug genannt werden mit den Gewalttätern der anderen Seite. Furchtbar und antisemitisch sei das! Und jetzt schon wird diskutiert, wie man den möglicherweise gegen Netanjahu erfolgten Haftbefehl als Mitglied des IStGH ignorieren kann. Motto: Moral ja gegen alle unsere Kontrahenten – aber nicht bei unseren Freunden!

    Moral hat ein Fundament: Ehrlichkeit. Ohne Ehrlichkeit gibt es keine Moral – nur Pseudomoral und Heuchelei.

    1. Moral ist immer Heuchelei und Doppelmoral wenn sie nur auf andere angewendet wird.
      Die Maxime lautet den auch, nur solche Regeln aufzustellen die man auch selbst bereit ist zu befolgen.
      Beim Exzeptionalismus ist hingegen das Gute schon allein deshalb gut, weil es die Guten tun.
      Das ist pragmatisch, praktisch, gut und bedarf keiner weiteren Begründung.
      Und wenn du das immer noch nicht verstehst, dann gehörst du eben nicht dazu.

  13. Genau deswegen erhalten wir auch null Informationen über die Kulturen, welche gigantische Höhlen mit identischen Kratzspuren, über 2000 Tonnen schwere Megalithen, und Pyramiden – auf auf fast allen Kontinenten hinterlassen haben…

  14. vielleicht bricht diese grassierende pseudo ideologie nicht so schnell zusammen. einiges spricht dagegen. die unterwanderung des gesamten bildungssystem über jahrzehnte. die komplexe finanzierung und lenkung vieler ngo‘s durch nichtoffizielle staatliche stellen und geheimdienste. das opportunistische verhalten aller organisationen, um nicht anzuecken (die sollen mir noch mal etwas über stasi und ddr erzählen, die, die sich vor vorauseilendem gehorsam und beim sabbern schon verschlucken – lächerlich) es ist eine komplexe front, bei der viele meinen, sie wäre nicht gefährlich. doch, leider ist sie es! 1. es gibt viele „schafe“, die glauben, die organisatoren haben gute, humanistisches im schilde. sie sind ein massiver beifang! 2. die ursprünglichen organisatoren versuchen sich gekonnt im nebel aufzuhalten. man wird ihrer nicht habhaft, kann sie nicht stellen und fühlt sich wie in einer „gummizelle“ „aufgehoben“. 3. das gelungene vertauschen der begriffe RECHTS und LINKS führt zu grössten verwirrungen in jeder argumentation oder diskussion. 4. das taktische futter wird von den deutschen think tanks, den stiftungen (pseudo) wissenschaftlich determiniert 5. die zunehmende physische und psychische gewalt gegen „laute“ andersdenkende, den grossteil der bevölkerung ausmachende, zeitigt immer tiefere spuren. man hofft, den wahn auszusitzen. wird es klappen? oder werden wir in lager kommen? immerhin wird unter antirussischer hatz mit blutunterlaufenen augen jeden tag an der kontaktlinie massakriert. rund tausend menschen werden dort jeden tag zerstückelt, zerschossen, erdolcht! und das unter dem jubel der woken! das sollte zu denken geben, zu welchen mörderischen untaten diese leute fähig sind! (Jubel der woken? ja – man sollte sich die äusserungen der „staats und parteiführung“ z.b. die der letzten tage von frau baebock in kiew anschauen … diese menschen haben vergessen, dass es nicht nur eine bringeschuld der deutschen gegenüber juden gibt, ohne die heutigen greultaten israels zu missachten, sondern eine mindestens so grosse den russen gegenüber. dort haben die deutschen 27 millionen menschen ermordet! und glauben sie mir – wenn es das wort „woke“ damals schon gegeben hätte, es wäre genutzt worden, mindesten in allen fragen der rassentheorie! )

  15. Der wievielte neu-rechte Beitrag zu “Wokismus” ist das jetzt eigentlich auf Overton? Ich erinnere mich an Rieveler und Bockwyt, letztere mit einer ganzen Artikelserie, aber es müssen dem Gefühl nach mehr gewesen sein.
    Allen gemeinsam ist vor allem, dass sie ihren “untersuchten” Gegenstand irgendwie nicht zu fassen kriegen, ihn nicht in wenigen Absätzen auf das Wesentliche hin charakterisieren können. Ihn nicht auf den Begriff bringen können, wie die Alten sagten. Daraus ergibt sich die Frage, ob’s an der Unfähigkeit der Autoren liegt oder – (!) – ob sie vielleicht über lose zusammenhängende Phänomene sprechen, die eigentlich gar kein Ganzes bilden. Ob sie also Dinge zusammenrühren, die ihnen womöglich allesamt aufstoßen, aber nicht unbedingt zusammen gehören.

    Wendt nun hat anscheinend “viele Vorfälle zusammengetragen, die die Debatten und Denkweise dokumentieren”. Wie hat er die wohl ausgewählt? Besitzt er einen unbestechlichen Wokeness-Indikator, der bestimmt, was dazu gehört und was nicht? Und wurden jemals politische Bewegungen – ist “Wokeness” überhaupt eine? – geisteswissenschaftlich anhand von “Vorfällen” charakterisiert?
    Wendt legt sich im Buchtitel immerhin auf eine Sache richtig fest: Die Woken “verachten NACH UNTEN”. Also sollten Sie in der sozialen Hierachie einigermaßen weit “oben” angesiedelt sein. Diese einzige fassbare Bestimmung wirft nun aber die Frage auf, weshalb Studentenproteste an us-amerikanischen und europäischen Universitäten, die sich in erheblichem Maße aus Migrantenkindern aus dem muslimischen Raum rekrutieren, als “woke” eingeordnet werden.
    Ob’s wohl einfach daran liegt, dass sie Alexander Wendt nicht passen?

    Weil wir gerade bei den Protesten sind: Lapuente fragt, wie Wendt zu seinem Urteil kommt, dass die Proteste “antisemitisch” seien. Wendt antwortet nicht etwa, er habe dazu länger recherchiert usw. sondern:
    “Durch _Anschauung_. Durch die _Betrachtung_ dessen, was sich an vielen amerikanischen Universitäten abspielt, also den Hochburgen der Wohlgesinnten, aber auch an Hochschulen in Deutschland und der Schweiz.”

    Das ist natürlich eine erstaunliche Antwort für einen lebenslang tätigen Journalisten: Wenn man die ARD einschaltet oder WELT-TV oder “Tichys Einblick” liest, wo Wendt gegenwärtig arbeitet, dann ist das so, als sei man direkt dabei und sitze gewissermaßen “in der ersten Reihe”. Womit beschäftigt sich dann eigentlich die Kommunikationswissenschaft und wozu bracht man angeblich “Medien-Kompetenz”? Man “betrachtet” doch einfach.

    Und nun gehen wir mal Wendts Beispiele durch.
    – Wendt hat “durch Anschauung” festgestellt, dass “an der Columbia University ein jüdischer Professor am Betreten des Campus gehindert wurde”. Ich habe durch Recherche festgestellt, dass dem israelischen Professor Shai Davidai am 22.4.2024 die zum Zugang nötige ID-Card von der Uni-Leitung gesperrt wurde, nachdem dieser Professor angekündigt hatte, einen Gegenprotest auf dem Rasen mitten unter den gegen den israelischen Massenmord Protestierenden abzuhalten (unter denen sich ebenfalls Juden befinden). Das Angebot, an einem anderen Ort der Uni “gegenzuprotestieren” schlug er aus.
    https://www.youtube.com/watch?v=TMs7gletYmY

    – Wendt hat durch “Anschauung” festgestellt, dass “der studentische Mob, unterstützt von vielen Lehrkräften” den jüdischen Studenten zuruft: Go to Poland. Ich habe durch Recherche festgestellt, dass am 21.2.2024 einer Gruppe zionistischer Studenten, die mit Israel-Fahnen vom Columbia-Campus abzogen, außerhalb des Geländes ein maskierter (!) Mann mit einer Palästina-Fahne begegnete. Der rief “Go back to Poland” und wurde von den Angesprochenen kein bischen konfrontiert. Wenn das nicht gestellt war …:
    https://x.com/Vagoish/status/1782056187074122159

    – Wendt: “An der Humboldtuniversität wurde eine Diskussionsveranstaltung niedergebrüllt, an der eine israelische Richterin teilnahm. Für den Mob spielte es gar keine Rolle, wie ihre Position zur israelischen Regierung und dem Vorgehen im Gazastreifen lautete. Sondern nur, dass sie eine israelische Jüdin ist.”
    Recherche: Es handelte sich um eine Richterin des Obersten Gerichts, die in dieser Funktion u.a. über “Frauenrechte” dozierte. Da haben sich einige Zuhörer eingeschaltet und gefragt, wie sie über Frauenrechte aus juristischer Sicht dozieren kann, während ihr Staat währenddessen massenhaft Frauen tötet.
    https://www.youtube.com/watch?v=W3QPeOmO9Kk

    – Wendt: “An der Universität Hamburg wurde eine Referentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft krankenhausreif geschlagen.”
    Recherche-Ich: Recherchen zufolge handelte es sich um die anwesende Frau des Referenten, die zufällig Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft war. Eine 26-jährige Frau geriet mit ihr in (politischen ) Streit, es kam zum Handgemenge, “Eine 26-jährige Somalierin aus der Gruppe soll ihre Gegnerin attackiert und ihr ins Gesicht geschlagen haben. Die 56-Jährige setzte sich zur Wehr, indem sie nach der 26-Jährigen trat und sie biss.” (T-Online)

    – Wendts “Anschauung”: “Judith Butler, die nun wirklich zu den zentralen Theoretikerinnen des ideologischen Komplexes zählt, über den wir hier reden, erklärte kürzlich in Paris den Mord an 1.200 Zivilisten in Israel am 7. Oktober 2023 zum “bewaffneten Widerstand”.”
    Laut AFP, die sich auf israelische Sozialversicherungsdaten stützen, stellte sich nach 2 Monaten heraus, dass 695 israelische Zivilisten am 7. Oktober ums Leben kamen. Dazu 373 israelische Soldaten und Polizisten.
    https://www.france24.com/en/live-news/20231215-israel-social-security-data-reveals-true-picture-of-oct-7-deaths

    Ob es wohl denkbar ist, dass Judith Butler in erster Linie wegen dieser Soldaten und Polizisten von “bewaffnetem Widerstand” sprach? Hat Herr Wendt überhaupt mitbekommen (“per Anschauung”), dass am 7. Oktober sechs (?) israelische Militärstützpunkte nahe dem Gaza-Streifen angegriffen wurden?

    – Wendt: “Diesen Leuten geht es keine Sekunde lang um die Zivilisten im Gazastreifen. Wäre das der Fall, würden sie ihre Aufforderung zum Waffenstillstand an die Hamas richten”
    Hamas hat am 6. Mai gerade einem ägyptisch-katarischen Waffenstillstandsvorschlag zugestimmt. Israel hat ihn abgelehnt. Wovon redet der Mann? Israel hat geschworen, den Krieg solange zu führen, bis die Hamas ausgelöscht ist (und die Bevölkerung deportiert ist).

    Zum Abschluss noch etwas vom Beginn dieses Interviews. Wendt behauptet, Rousseau sei der “intellektuelle Stammvater der Erwachten”, weil in seinem Vorschlag für einen “Gesellschaftsvertrag” angeblich “ein Komitee von Weisen, das sich keiner Wahl stellen muss, alle anderen steuert, denen es an ausreichender Erkenntnisfähigkeit mangelt, und bestraft die Abweichler”.
    Wendt muss m.E. über eine spezielle Rousseau-Ausgabe verfügen. In Rousseaus “Gesellschaftsvertrag” ist die Bevölkerung unmittelbar der Souverän und legt, ohne Zuhilfenahme von Vertretern, die Gesetze fest. Die Durchsetzung der Gesetze wird einer Regierung übertragen, bezüglich deren Natur sich Rousseau nicht deutlich festlegt. Sie könne monarchisch, aristokratisch oder demokratisch sein, was natürlich irritierend ist. Aber dies als ein völlig ungebundenes Kommittee der Erwachten zu interpretieren geht doch deutlich zu weit.

    P.S.
    @Overton: Ladet doch mal zur Abwechslung einen “woken” Autor zum Gespräch ein. Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte.

    1. @ Besdomny

      Sie haben sich über den Artikel geärgert und suchen nun alles zusammen, was man gegen ihn vorbringen könnte – doch sind das eher randliche Dinge.
      Sie versuchen, die Glaubwürdigkeit eines Autors durch den Nachweis (überprüft habe ich es nicht) von handwerklichen Fehlern zu unterhöhlen.

      Da Sie aber gleichzeitig gegen die grundsätzlichen Irrtümer, fanatischen Entgleisungen und autoritären Anwandlungen des woken Schwachsinns anscheinend überhaupt nichts einzuwenden haben bzw. diese zumindest überhaupt nicht problematisieren, wirkt Ihr Beitrag auf mich trotz seiner beträchtlichen Länge und Ihrer gewiss fleißigen Recherchen ziemlich blass.

      Wenn Kritik an der Wokeness für Sie “neu-rechts” ist, dann stehen Sie selbst – und offenbar auch die “Erwachten” – anscheinend für das faktische “neu-links” …
      Oder?

      Wie positionieren Sie sich denn dann zu De Lapuentes und Wendts deutlichen Worten, dass die “Erwachten”, die “Wohlgesinnten” in Wahrheit überhaupt nicht links sind?

      Interessant wäre insofern eine Erörterung von Ihnen, wieso Sie die “woke” Szene doch als links betrachten!

    2. Vielen Dank @ Besdomny!

      Das bestätigt mein im Verlaufe des Interviews zunehmendes Unwohl-Gefühl. Spätestens bei der Beantwortung der Frage nach dem “Antisemitismus der Woken” war mir klar, dass hier eine ganz linke bzw. rechte Nummer läuft. Sie liefern die Fakten zu meinem Gefühl.

      Ich frage mich natürlich, ob es wirklich sein muß, dass einer solchen Denkrichtung hier eine Plattform geboten wird. Es gibt doch ausreichend Seiten auf dieser Schiene.

    3. sie haben in vielen argumenten recht. unter anderem die „nichtfassbarkeit“ woken hintergrunds/führung. bitte entschuldigen sie die unzulässige verkürzung. aber anstatt zu eruieren, woran das wohl läge, verlassen sie das thema und kaprizieren sich auf den israel/palästina konflikt. einen der gordischen knoten dieser welt. aber da wiederum interessieren sie sich nur für die ergebnisse/erscheinungen., statt deren immer aktiv tätigen ursachen. (stellvertreterkriege u.a.) sie werfen anderen vor, über „anschauungen“ urteile zu fällen aber ihre auswahl ist höchst subjektiv. so wird das nichts. mich würde interessieren, wie sich das thema ausschliesslich in D gebärdet – ihrer meinung nach. rundumschläge nutzen niemandem, sie stehlen zeit. und woke autoren brauche ich nicht mehr, ihre substrate überfallen mich bei fast jeden blick in irgendwelche medien. im übrigen ganz im gegensatz zum öffentlichen leben. diese schere zwischen der wirklichkeit und dem offiziösem getute kenne ich sehr genau aus meiner alten heimat! bin ich also wieder zu hause? ja! und das ende habe ich schon einmal erlebt!

      1. sie haben in vielen argumenten recht. unter anderem die „nichtfassbarkeit“ woken hintergrunds/führung. bitte entschuldigen sie die unzulässige verkürzung. aber anstatt zu eruieren, woran das wohl läge, verlassen sie das thema und kaprizieren sich auf den israel/palästina konflikt.

        Pardon, aber ich kann nicht in einem Kommentar den (angeblichen) Gegenstand “Wokeness” befriedigend abarbeiten. Das bedürfte einiger Beschäftigung. Deshalb habe ich versucht, immanent zu kritisieren, also anhand einiger grundlegender Aussagen Wendts, ohne selbst positive Aussagen zum Gegenstand “Wokeness” zu machen.

        Wenn Sie meine Gedanken zur “Wokeness” hören wollen:
        Ja, es handelt sich dabei m.E. um thematisch nicht zusammenhängende Formen der Kritik am bisherigen “common sense”.
        Fangen wir wir vielleicht hiermit an:

        Bei Orwell heißt es: wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Gegenwart, wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Zukunft. Nach der Logik der Erwachten ist es unumgänglich, die Geschichte umzuschreiben, um beispielsweise jeden Hinweis darauf zu entfernen, dass es Sklaverei und Kolonialismus in allen Erdteilen gab. Für die Erzählung vom schuldigen Westen dürfen nur Sklavenhandel und Kolonialismus des Westens übrigbleiben. (Wendt)

        Wieviele negroide Chinesen oder Inder oder Russen gibt es denn genau, deren massenhafte Existenz auf den Sklavenhandel der Chinesen, Inder und Russen hindeutet? Wendt ist es doch gerade, der hier die Geschichte – nicht die deutsche – in einem Sinne umschreiben möchte, dass “alle irgendwie Dreck am Stecken hatten”.
        Wenn zig Millionen von Afrikanern als Sklaven in die Kolonien Englands, Spaniens und Portugals in Amerika verschifft wurden, so ist das doch ein qualitativer Unterschied zu vielleicht tausenden von Russen oder Südslawen, die nach ihrer Gefangennahme von den Osmanen als Galeerensklaven eingesetzt wurden. Beispielsweise.

        Wendt will also bewußt den Ursprung der “post colonial studies” nicht verstehen. Diese Studien gehen aus von den Schwarzen, deren Vorfahren nach Nordamerika verschleppt wurden und die zumindest bis 1964 Menschen zweiter Klasse waren.
        Die Geschichte bzw. Perspektive der Nachfahren der Sklaven von George Washington weicht aber nun einmal notwendigerweise ab von der angestammten Geschichte der Nachfahren von George Washington.

        Das ist also der erste Themenkomplex, der von den “konservativen” Kritikern dem großen Spektrum “Wokeness” zugerechnet wird: Die jahrhundertelang rassistisch Benachteiligten arbeiten – akademisch – ihre Geschichte und damit die Geschichte der (westlichen) Kolonialmächte auf. Völlig einleuchtend.
        Warum das einen ostdeutschen Autor so sehr beunruhigt bleibt mir ein Rätsel. Die ostdeutsche Geschichte wird doch (auch) als reine Repressions- und Opfergeschichte geschrieben.

        Der zweiten Komplex sind natürlich die “Aufarbeitungen”, die mit der Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen verbunden sind (und von denen manche auch mir über’s Ziel hinauszuschießen scheinen).

        Und der dritte Komplex betrifft das Klima und den Umgang mit der Natur. Der ist weniger historisch ausgerichtet.

        Diese Formen der Kritik spitzen deren konservative Gegner in den USA auf die demagogische Parole zu, dass der einzelne “heterosexuelle, weiße Mann” für alles verantwortlich gemacht werde. Das ist natürlich Unsinn, denn hier wird über die Geschichte und Gegenwart von Gesellschaften gesprochen und nicht über die Verantwortung von einzelnen Gesellschaftsmitgliedern.

        1. Allen gemeinsam ist vor allem, dass sie ihren „untersuchten“ Gegenstand irgendwie nicht zu fassen kriegen, ihn nicht in wenigen Absätzen auf das Wesentliche hin charakterisieren können.

          Also ich fand schon, dass Bockwyt den Gegenstand zu fassen bekommen hat und einen klaren Begriff davon hat und auch Wendt hat das Wesentliche richtig erfasst.

          Und wurden jemals politische Bewegungen – ist „Wokeness“ überhaupt eine? – geisteswissenschaftlich anhand von „Vorfällen“ charakterisiert?

          Das ist doch Quatsch. Wendt wird nach Beispielen befragt und gibt sie. Und klar ist Wokeness eine politische Bewegung. Sie will von gesellschaftlicher Diskriminierung betroffenen Gruppen Gleichbehandlung und mehr verschaffen, denn wie erläutert steht steht dahinter eine Ideologie, die besagt, dass Weiße per se von Natur aus Unterdrücker und Rassisten sind. Und das ist selbst wieder rassistisch. Steht alles im Artikel. Bockwyt sagt dasselbe. Die beiden liegen nicht weit auseinander.

          Man „betrachtet“ doch einfach.

          Natürlich ist nicht betrachten mit den Augen gemeint, sondern intellektuelle Betrachtung/Auseinandersetzung mit dem Geist – analysieren und Urteile, Schlüsse aus der Analyse ziehen.

          Ob es wohl denkbar ist, dass Judith Butler in erster Linie wegen dieser Soldaten und Polizisten von „bewaffnetem Widerstand“ sprach?

          Ich habe auch recherchiert.

          „Wir können unterschiedliche Ansichten über die Hamas als politische Partei haben. Wir können unterschiedliche Ansichten über den bewaffneten Widerstand haben“, so Butler. „Aber ich denke, es ist ehrlicher und historisch korrekter zu sagen, dass der Aufstand vom 7. Oktober ein Akt des bewaffneten Widerstands war. Es handelt sich nicht um einen terroristischen Angriff und auch nicht um einen antisemitischen Angriff.“ Vielmehr: „Es war ein Angriff gegen Israelis.“

          Es waren also nicht die israelischen Soldaten gemeint. Ein antisemitischer Angriff war es nicht, denn wie hier schon mehrmals geschrieben wurde. Man muss kein Antisemit sein, um als Palästinenser ein Feind Israels zu sein.

          „Diesen Leuten geht es keine Sekunde lang um die Zivilisten im Gazastreifen. Wäre das der Fall, würden sie ihre Aufforderung zum Waffenstillstand an die Hamas richten“

          Der erste Satz mag ja zutreffen. Über den zweiten bin ich aber auch gestolpert. Die Hamas führt gerade keinen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Oder muss man die Hamas zum Waffenstillstand auffordern, damit palästinensische Zivilisten im Gazastreifen geschont werden? Weil Israel dann aufhört den Gazastreifen anzugreifen? Wie Israel-affirmativ ist das denn?

          Wenn zig Millionen von Afrikanern als Sklaven in die Kolonien Englands, Spaniens und Portugals in Amerika verschifft wurden, so ist das doch ein qualitativer Unterschied zu vielleicht tausenden von Russen oder Südslawen, die nach ihrer Gefangennahme von den Osmanen als Galeerensklaven eingesetzt wurden. Beispielsweise.

          Mag ja sein, dass es ein qualitativer Unterschied ist.
          Trotzdem ist Sklavenhandel keine Spezialität des weißen Mannes oder der weißen Rasse. In der Antike und Spätantike war es z.B. üblich die unterworfenen Völker zu versklaven. Sklaverei war Ergebnis des Krieges zwischen Völkern. Die andere Qualität ist z.B. dass der Menschenhandel ökonomische Gründe hatte. Das Argument von Wendt stimmt, dass die Woken das Herrenmenschentum und die Unterdrückung zu einer Qualität der weißen Rasse der weißen Rasse machen. Was dann natürlich auch die Unterdrückung der Weißen rechtfertigt, denn man hält sie dann ja nur davon ab ihrer Unterdrückernatur nachzukommen.
          https://vorsehung.home.blog/sklaverei-im-alten-china/ Vielleicht gab es keine schwarzen Sklaven in China. Aber ist das denn besser?

          Warum das einen ostdeutschen Autor so sehr beunruhigt bleibt mir ein Rätsel.

          Vieleicht weil er sich nicht über seine Herkunft definiert?

          Bockwyt und Wendt haben schon einiges richtig erklärt, aber wenn es um Israel und Palästina geht, wird es irgendwie seltsam.

  16. Woke-Kritik liegt ja mittlerweile im Trend und ist garnicht mehr so gewagt. Leider unterteilt auch Herr Wendt m. E. in „wir“ und „die“: eine vernünftige bürgerliche Gesellschaft und die Moralelite. In dieses “die” wird dann bei aller berechtigten Kritik ganz viel mit reingerührt, was ihm in seiner bürgerlichen Weltanschauung nicht gefällt. Die mehr als angemessene Kritik an Israels Gazapolitik ist dann flux woker Antisemitismus und alles was die aktuelle Rolle „des Westens“ in der Welt hinterfragt, wird zu post-kolonialen Hirngespinsten. Die Schwulenbewegung der 1970er wird mal schnell mit dem aktuellen, teils aggressiven Transaktivismus gleichgesetzt.
    Diese Gleichsetzungen sind mir zu kurz gesprungen und ich frage mich, ob das hier nur die übliche konservative Gesellschaftskritik im woken Schläuchen ist.

    Im Übrigen ist das Orwell-Zitat falsch: Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.

  17. Jede Menge woker Grüppchen bei Amazon, aber keine Gewerkschaft. Wendt sieht hier einen Zusammenhang und liegt damit goldrichtig. Die Grüppchen gibt es mit Wohlwollen und Unterstützung des Managements, um die Gewerkschaft zu verhindern. Das ist des Pudels Kern.
    Überfällig wäre da die Feststellung, dass auf politischer Ebene dasselbe passierte. Die Neocons waren früher bei den Republikanern, aber diesen war klar, dass sie damit keine Wahlen mehr gewinnen würden. Trump markiert hier den Endpunkt. Dann gingen die Neocons eben zu den Demokraten. Hätte Clinton gewonnen, dann wären die USA in Syrien einmarschiert. Wobei Clinton dann argumentiert hätte, man sähe doch, wie schlimm dieser Assad ist, denn Deutschland habe eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Das am Rande, weil es gern übersehen wird, wie sehr diese Flüchtlingsaufnahme Clinton genutzt hätte. Die vorab schon als Wahlsiegerin galt.
    Aber es gab ein Problem: die Demokraten waren über Jahrzehnte der Hort der zeitweise sehr starken Friedensbewegung. Würden die still halten? Sie hielten still, all die Jahre, in denen die Demokraten sich systematisch zu einer Partei von Russenhassern entwickelten. Sie durften im Ausgleich dafür nun woke sein. Och ja, Antisemiten auch. Der eine Wahnsinn gesellt sich gern zum anderen. Hätte aber Clinton nicht im Wege gestanden.
    Auf das kam es an.

  18. Vor einiger Zeit habe ich mal ein paar Überlegungen zur Bedeutung der Vorsilbe “be-” angestellt. Diese Vorsilbe repräsentiert in aller Regel einen Wirkmächtigen der z. B. “Be”amte ernennt, Wirklichkeit zu “be”schreiben behauptet eine eigene Fähigkeit, diesezu erfassen. Wörter mit “be-” schließen ein passives Gegenüber ein. Jemand wird “beschenkt” repräsentiert etwas völlig anderes als ” Zu deinem Geburtstag schenke ich dir” . “Ich trete ein…” ist etwas anderes als “Ich betrete den Raum…”
    Wer von “Be”völkerung spricht, meint alle Menschen die sich eines Landes “bemächtigen”, kein Trugbild von gegebenen `Nationen´ oder überlegenen Beherrschern.
    “Befreiung” ist etwas anderes als “sich frei machen”. Nicht ohne Grund werden die Wirkmächtigen “Befreier” genannt, und diejenigen, die vergebens versuchen, sich frei zu machen “Terroristen”.

  19. Wenn ich mir, ohne die “vielen Beispiele” aus dem Buch zu kennen, nur das Interview so durchlese, müsste der Untertitel des Buches dann nicht genauer heissen: ‘Moralische Alternativen bedrohen die herrschende Moralelite’ – die sich selbst als demokratisch, gerecht, tolerant, divers, feministisch, anti-faschistisch, un-rassistisch, ökologisch nachhaltig, etc., als “die Guten” legitimiert?

    Der hier verachtete “Wokeismus” macht ja nicht viel mehr, als in der vorgegebenen Moral der wirklichen Elite ständig Heuchelei und instrumentelles Lügen zu entdecken, wobei deren ausgegebene Maßstäbe meistens geteilt und nicht angegriffen werden.

    – “Diskriminierung” von Frauen, “Farbigen”, von früher mal staatlich sanktionierten, abweichenden Geschlechtspräferenzen u.a., soll nicht (mehr) gesellschaftsfähig sein, wird in den öffentlichen Medien als “alltäglich” beklagt und der Rechtsstaat hat da bereits viele Neu-Regelungen auf den Weg gebracht, alte Reichs- und Nazi-Gesetze auch mal geändert oder an neue Formen der Lebensführung angepasst. “Woke” u.a. greifen das auf und haben noch viel mehr Ideen, welche Missstände da immer noch nicht entschieden genug geregelt sind.

    – Ähnlich bei den Klimagerechten. Die populären Touren industrielle Wachtumspolitik als umweltfreundlich zu verkaufen und auf jeden Scheiss ein grünes Ökolabel draufzubappen, fanden die, angesichts der üblen Umweltbilanzen, nicht mehr ganz so glaubwürdig, bestehen aber bis heute in ihrer moralischen Empörung darauf, dass die Politik sich schneller, verantwortlicher und glaubwürdiger für den Schutz der kapitalistisch konsumierten Umwelt einsetzen müsse. Die Politik zeigt begrenztes Verständnis, dankt für den einigenden moralischen Auftrag, verlangt aber auch jede Menge Verständnis dafür, dass mehr Wachstum die realistische und wichtigste nationale Lebensbedingung sein muss. Wer das immer noch nicht einsehen will und weiter mit Protesten nervt, wird eben als “Bedrohung” gesehen und abgeräumt.

    Was die “Wohlgesinnten”, Anti-Rassisten, Klima-Aktivisten, auch Querdenker u.a. … , sachlich gesehen gemeinsam haben, ist ihr unzufriedener Bezug auf die Legitimationen der wirklichen Moralelite, bei dem sie es für eine gelungene Kritik halten, der Mehrheits-Politik vorzuwerfen, dass die IHRE eigenen werte-bepinselten Ziele nicht anständig und konsequent genug umsetzt, vielleicht aus anderen korrupten Motiven auch nicht wirklich umsetzen will. Für solches waches Durchblickertum reicht es aus, überall nur die pure “Heuchelei” aufzufinden. “Wertebasierte Aussenpolitik”? – lachhaft!, denn sie diene ja in Wirklichkeit gar nicht den edlen Zwecken, an die man selber so gerne glauben möchte. Welchen sie dient wollen die Erwachten aber so genau auch wieder nicht wissen. Denen reicht es, den unerfüllten moralischen Anstrich so bierernst zu nehmen, dass sie auf wirkliche Erfüllung des Werteunsinns drängen. “Echte” Freiheit, “echte” Gerechtigkeit, “echte” Chancengleichheit und “echte” Demokratie sollen dann die echten Bringer sein, also der ganze bürgerliche Wertekatalog, dessen Kategorien als unhinterfraglich “gut” gelten sollen.
    Insofern ist die alternative “Moralelite” mit ihren “echt guten” Werten eine Konkurrenz um die Deutungshoheit mit der wirklichen bürgerlichen Moralelite. Über deren amtliche Ausschlussverfahren aus Öffentlichkeit und Kulturbetrieb hat overton ja bereits ausgiebige Beispiele gebracht von “Cancel Culture” durch Uni-Leitungen, Kultur- und andere Minister:Innen. Oder soll man die jetzt mit woken Aktivisten verwechseln, die sich gerne noch mehr moralische Punktesysteme für Gut und Böse ausdenken?

    An den Beschreibungen von Wendt trifft ja einiges zu. Anti-Rassisten und Anti-Faschisten haben über ihr “Das tut man aber nicht!” hinaus meistens keine gut begründete Kritik an Diskriminierung, Rassismus und Faschismus, drehen nicht selten rassistische Sichtweisen einfach um, so dass z.B. “Männer” eben schon “biologisch bedingt” die “Schweine” sind, dazu noch “muslimische” oder “weisse, alte”. Die Kritik solcher Fehler steht aber wenig zur Debatte, wenn Wendt seinerseits solche Dummheiten vornehmlich als Kennzeichen für eine “bedrohliche” Gefährdung ausmacht.

    Was ist das denn anderes als die demokratisch “wohlgesinnte” Ausgrenzung und Verächtlichmachung aus der Anschauung des Autors. “Wahnideen”, die sich “als solche nicht erkennen”, typisiert er in seiner demokratischen Abgeklärtheit natürlich nur in altertümlichem, religiösem Terror, Kommunismus und Nationalsozialismus, und bei “antisemitischen” “studentischen Mobs”, die seinen Anschauungen gegen den Strich gehen. Aus der Luft gegriffene Behauptungen, dass es den Uni-Protesten “keine Sekunde lang um die Zivilisten im Gazastreifen geht” liegen da natürlich nicht in einem Wahngebäude begründet, sondern geniessen den Status des anerkannten Moralgebäudes, nach dem jede Gedankenregung unter dem neuen Gesichtspunkt des “israel-bezogenen Antisemitismus” überprüft wird. Der besagt eben, dass israelische Politik nicht mehr sachlich beurteilt werden darf, sondern fordert bedingungslose deutsche Unterstützung für Israel, sonst ist man unversehens ein “Judenhasser”.

    Das soll mit ideologischem Wahn nichts zu tun haben. Aber schön, dass man mal über “Ausgrenzung” und “Verachtung von oben” durch die nervigen Woken geredet hat. Insta-Söder und die anti-woke Moralelite wird’s erfreuen.

    1. Sehr gut gesprochen und danke auch an Besdomny fürs “fact checking”! Ich bin froh hat jemand das nicht unwidersprochen stehengelassen.

      1. Verspäteten Dank zurück, auch für den Hinweis auf besdomnys fact-checking Beiträge, die ich erst nachträglich gelesen habe.

        Zu den “Fakten” um die Uni-Demos kann ich noch zwei Folgen bei “Jung und naiv” beisteuern, einerseits die Bundespressekonferenz,

        https://www.youtube.com/watch?v=P0rzSar85E0

        in der zu verfälschenden Medienberichten einiges richtig gestellt wird; zum Versammlungsrecht, dem polizeilichen Aktivismus von Uni-Leitungen und der Unterschriftensammlung von Lehrenden, die sich für das Stattfinden von Protest-Camps auf Uni-Gelände eingesetzt haben (und nur dafür).

        Zum anderen wird in einer längeren Folge mit F. Küppersbusch die deutsche und amerikanische Berichterstattung über die Protest-Camps an deutschen und amerikanischen Unis unter die Lupe genommen (zum Ende hin)

        https://www.youtube.com/watch?v=cskhfwwOtVY

        – und journalistisch für ziemlich unterirdisch befunden, weil die gewaltsamen Räumungen durch Unis und Polizeieinsätze mit dem Campen begründet werden, das maximal durch störende laute Gesänge von “River”-und Pro-Hamas-Parolen aufgefallen ist, die für Palästinenserfreunde verboten sind. Ein Polizeieinsatz gegen eine “Besetzung von Universitätsräumen” wird als dramatische Stürmung einer leer aussehenden Räumlichkeit gefilmt, die “Besetzung” soll sich der Zuschauer also mehr vorstellen.

        So wie offenbar den “Wokeismus” insgesamt, der seit einiger Zeit als neues “Gespenst” umgeht, auch wenn er sich binnen 40 Jahren tatsächlich, z.B. in Form des Femininums oder “Gendersterns”, von studentischen Ausschüssen in Richtung Schule und “Mitte der Gesellschaft” materialisiert hat.

        Auf der Suche nach einer Klärung für diesen lange unbekannten Begriff, etwa in der Amtszeit von Trump, war da nicht viel mehr zu finden, als was Autor Wendt selbst als ursprüngliche Bedeutung für ein Diskriminierungsbewusstsein der Farbigen* angibt, und sehr schwammige Ausweitungen des Begriffs auf Bereiche, die früher vielleicht unter (demokratischen) “Bürgerrechten” zusammengefasst worden sind, also Gleichberechtigungen, Anti-Diskriminierung, Frauenrechte, Schwulenrechte, etc.
        (* – bei wikipedia schon ungefähr seit den 1930er Jahren)

        Trump hat den Begriff auf seine Art über die “Black Lives Matter”, bzw. Anti-Rassismus-Bewegung und gegen sie erweitert, auf alles andere, das ihm in seinem Amerika auch nicht passte und so wurde daraus ein bunter Mix aus Anti-Rassismus, Sozialismus, Feminismus, Marxismus, Klimabewegung und Genderkram; also alles, was den guten christlich-nationalen Patrioten zum Schäumen bringt.

        Mittlerweile auch in Deutschland, wo sich Politiker an der Erfolgsmethode Trump zunehmend ein Vorbild genommen haben.
        Seitdem ist “woke” zum bequemen, schwurbeligen “Kampfbegriff” geworden, der es extrem erleichtert ohne irgendeine weitere Kritik zu sagen, dass Klimabewegung, Frauen- und sonstige neuartige Bürgerrechte nerven, stören und einfach Scheiße sind.

        In “Wokeness” sehe ich da eher einen Kunstbegriff, in dem von “AntiFa” und “vegan” bis zu (linker) “Zensurkultur” alles imaginär und eher rechtsdrehend zu einer schädlichen “Kultur-Bewegung” zusammengequirlt wird. So wie früher etwa, von seiner willkürlichen Logik her, der “jüdische Bolschewismus”, der noch an jeder Kleinigkeit in Mode, Kunst und Musik zur Überprüfung der Frage führte, ob die als “deutsche Kultur” durchgehen darf oder nicht.

        Wenn jedes Interesse in der Gesellschaft seine Verwirklichung nur noch in der Anerkennung als allgemein gültiges Recht sieht, geht es ohne Streitigkeiten um das Recht und die dazugehörige Moral natürlich nicht ab, das sehen die verschiedenen, sogenannten “Woken” genau so. Ohne staatliche Rechte auf Leben, freies Meinen und anerkannte “Gleichheiten” ist das kapitalistisch bestimmte Leben offenbar wenig erträglich und nur halb so schön.

        1. Hatte nur vernommen, dass anti-woke Aktivisten in den USA die Aermel hochgekrempelt haben und die Protestler persönlich verhauen und gedemütigt, bevor die Polizei dann das Camp abgeräumt und Protestler festgenommen hat. Offenbar ist aber das Feuer nicht gelöscht:

          https://www.theguardian.com/us-news/article/2024/may/28/ucla-academic-workers-strike-pro-palestinian-protests

          Würde gerne einen Artikel von Ihnen lesen da oben in dem Overton Magazin, Ihre Antwort hier habe ich nur dank glücklichem Zufall gefunden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert