Wahrheit als Kreativmasse

Fake News-Schriftzug
GDJ, CC0, via Wikimedia Commons

Hat die Kritik an der Maßnahmenpolitik während der Pandemie endlich im Mainstream begonnen? Oder wird Aufarbeitung nur simuliert?

Darüber und über andere Themen haben Roberto De Lapuente und Marcus Klöckner gesprochen.

 

De Lapuente: Lieber Marcus, spreche ich mit einem Umstrittenen, wenn ich dich zum Gespräch bitte?

Klöckner: (lacht) Was weiß ich! Heute kleben doch so genannte Qualitätsmedien jedem das Etikett »umstritten« an, der auch nur ein halber Mikrometer von den unantastbaren Wahrheiten des Mainstreams abweicht. Du siehst das ja gar gerade in der – wie kann man das noch nennen? Okay, mal im Sinne der Diplomatie freundlich in Anführungszeichen gesetzt – »Berichterstattung«: Ulrike Guérot – umstritten. Sarah Wagenknecht – umstritten. Daniele Ganser – umstritten. Wolfgang Wodarg – umstritten. Stefan Homburg – umstritten! Sogar Winnetou – umstritten! Wobei die Damen und Herren – von good ol‘ Winnetou mal abgesehen – nicht ein halber Mikrometer von den »Wahrheiten« des Mainstreams abweichen, sondern eher mit dem »Panzer« durch die Büros der bundesstaatlich geprüften Wahrheitsbeauftragten brettern.

»Scholz gibt den Bundespanzler«

De Lapuente: Dafür müssten sie eigentlich vom Mainstream geliebt werden, schließlich gelten Panzerfahrten heute als total chic – und friedfertig …

Klöckner: Da machst du einen Punkt. Panzer, Waffen, Uranmunition: Bei Begriffen dieser Art hat das Juste Milieu heute Tränen der Freude in den Augen. Ja, Panzerfahren steht ganz hoch im Kurs. Aber wenn es „die Falschen“ machen, passt es halt auch wieder nicht.
Da wir über Panzer reden: Gab es da nicht auch vor kurzem ein Bild von unserem allseits geschätzten Bundeskanzler vor einem Panzer?

De Lapuente: Vor? Nein, sogar auf einem Panzer. Einer seiner Amtsvorgänger ließ sich kniend in Warschau fotografieren. Und Scholz gibt den Bundespanzler …

Klöckner: Stimmt, Du hast recht. Auf dem Panzer. Was leben wir in einer irren Zeit!

De Lapuente: Du arbeitest ja Corona auf, besser gesagt: Die Corona-Maßnahmen. Wer das tut, galt bis neulich als umstritten. Mittlerweile üben sich darin auch die sogenannten Qualitätsmedien. Bist du jetzt als Kritiker arbeitslos?

Klöckner: »Üben sich« – die Formulierung gefällt mir. Wohlwollend müsste man jetzt sagen: Übung macht den Meister. Da aber »noch kein Meister vom Himmel gefallen ist«, wäre die Anweisung: Übt mal fleißig weiter.

Da Lapuente: Aber?

Klöckner: Ehrlich gesagt: Wenn ich über die »Qualitätsmedien« rede, dann ist mir nicht nach Wohlwollen. Nach dem faschistoiden Verhalten, das in der Pandemie zu beobachten war, wäre es vielleicht besser, der mediale Mainstream würde gar nichts mehr machen. Am besten auch nicht »üben«, schon gar nicht die Aufarbeitung der Coronamaßnahmen. Zumindest ein Teil dieser Journos hat genug Unheil angerichtet. Für sie sollte gelten: Finger weg vom Laptop, Stift aus der Hand, Mikro aus, Kamera weit weg. Und dann sollen sie irgendetwas machen, bei dem sie keinen Schaden anrichten können. Vielleicht alle Folgen der »Kinder von Bullerbü« auswendig lernen – in 27 Sprachen, damit es möglichst lange dauert.

»Vom Grundsatz alles richtiggemacht?«

De Lapuente: Immerhin hat man dich und dein Buch in der »Kulturzeit« bei 3sat gesehen. Und diesmal warst du nicht der böse Bube, sondern die Stimme der Vernunft. Es bewegt sich doch was. Vielleicht langsam, okay. Aber die Erzählung bröckelt doch mittlerweile.

Klöckner: Bröckelt? Die Erzählung von der Zombieapokalypse ist doch schon längst in sich zusammengefallen. Allerdings ist zu bestaunen, wie Top-Hammer-bums-Experten im Verbund mit Politkern und Journalisten Stahlhelmchen tragend gegen die Realität kämpfen. Tenor: »Ja, Fehlerchen wurden gemacht, aber wir wussten es nicht besser. Grundsatz war richtig.« Wäre das nicht so traurig, könnte es lustig sein. Ganz absurdes Theater! Aber um den Spaß mal beiseite zu lassen: Vor unseren Augen sind Menschen alleine in den Altenheimen und Krankenhäusern jämmerlich verreckt. Mir ist unter anderem folgender Fall bekannt: Eine Frau hatte neun Kinder auf die Welt gebracht und hatte was weiß ich wie viele Enkelkinder. Im gesegneten Alter musste sie ins Krankenhaus. Niemand durfte sie besuchen. Sie ist alleine im Krankenhaus verstorben. Kinder und Jugendliche wurden regelrecht durch den Scheiß-Maskenzwang und viele andere Maßnahmen geknechtet, gequält und vielleicht einige ihrer schönsten Lebensjahre beraubt.

De Lapuente: Begründet damit, dass sie die Haupttreiber der Pandemie waren …

Klöckner: Genau! Und Arbeitnehmer standen vor der Wahl: »Impfung« oder Job weg! Andere mussten sich jeden Morgen einen Stab von irgendjemand in die Nase schieben lassen, weil: Es könnte ja theoretisch sein, dass da einer »test-positiv« ist – was auch immer das eigentlich bedeutet. Angespornt durch Politik, Medien und Expertentum sahen sich Teile der Bevölkerung berechtigt, als Hobby-Docs Impfdruck auf ihre Mitmenschen aufzubauen. Und das ist jetzt nur mal ganz grob beispielhaft aufgeführt, was passiert ist. Und da kommen einige und sagen: »Vom Grundsatz alles richtiggemacht.« Das Irre daran ist: Die glauben vermutlich auch noch tatsächlich, dass ihnen das jemand abkauft. Und ja, der Kulturzeit-Beitrag war sehr mutig. Die große Ausnahme im Mainstream.

»Zombiejournalismus steht hoch im Kurs«

De Lapuente: Nochmal zu meiner Frage: Bist du jetzt als Kritiker arbeitslos?

Klöckner: Nicht so ganz. Es geht doch schon eher in die gegenteilige Richtung. Es bedürfte  locker einer ganzen Armada, um auch nur einen Bruchteil dessen analytisch aufzuarbeiten, was die Lumpenintellektuellen im Propagandafunk unserer Zeit täglich zum Besten geben. Und nein, nur für den Fall, dass du fragst: nun ja, was eigentlich? Rauswürgen? Klar, ich weiß, zwei Mal rauswürgen ist mindestens einmal zu viel, weil: Wiederholung im Ausdruck, schlechter Stil. Aber guter Stil, schlechter Stil, das ist heute eh egal. Schau Dir nur mal den aktuellen Spiegel-Artikel zu Ulrike Guérot an.

De Lapuente: Da haben wir es wieder, der erste Satz des Artikels lautet: »Die umstrittene Politikwissenschaftlerin …« – die Umstrittenheit ist zum Teil ihrer Berufsbezeichnung geworden, scheint es.

Klöckner: Ja, denn so versteht auch noch der dümmste Leser, dass nach Ansicht des objektiven Gesinnungsjournalismus niemand Sympathien für Guérot hegen darf. Der Spiegel teilt seinen Lesern mit: Guérot »stilisiert sich zum Opfer«. Dann der Höhepunkt: Sie »gefiel« sich in der Rolle als Kritikerin der Maßnahmen. Ergo: Spiegel-Redakteurin Swantje Underberg zeichnet Guérot als eine eitle Person, die – so die Schlussfolgerung zu der die Leser gelangen dürfen –, rein aus »Ego-Gründen« ihren Mund gegen die Coronapolitik aufgemacht hat. In dem Artikel kommen nicht einmal Stimmen zu Wort, die Guérot unterstützen oder wenigstens den »Fall« anders einordnen. Wie gesagt: Stilfragen sind heute bedeutungslos. Und Zombiejournalismus steht hoch im Kurs.

Relotius-Presse spricht über Plagiate

De Lapuente: Auch Haltungsjournalismus genannt. Wenn ich das Wort »Haltung« höre, zucke ich zusammen, es klingt für mich nach Kasernenhof.

Klöckner: So etwas führt am Ende noch dazu, dass eine »schöne Lynchmob- oder Stimmungsstory« verwässert wird. Allgemein gesprochen: So etwas ist innerhalb von Weltanschauungsredaktionen nicht so gerne gesehen. Das alte Journalistenmotto von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein »Sagen, was ist« ist toll. Aber eben aus der Zeit gefallen.

De Lapuente: Offenbar ist diese Art des »Journalismus« aber erfolgreich. Die Spiegel-Auflage ist immer noch sehr viel niedriger als vor 20 Jahren – aber 2021 ist sie leicht gestiegen. Offenbar wollten mehr Menschen umfangreich über Corona informiert werden. Mir sagte neulich übrigens jemand, er sei politisch interessiert und auch gut informiert, denn er gucke jeden Abend die »Tagesschau«. Ich habe herzlich gelacht – bis ich merkte, der meinte das ernst.

Klöckner: »Umfangreich über Corona informiert«? Ich hoffe, Du meint das nicht ernst. jedenfalls gilt: Angst sells. Große Panikstory in den Medien: Und die Einschaltquoten schießen durch die Decke.

De Lapuente: Wir sprechen hier übrigens von der Relotius-Presse. Ganz schön frech, dass ausgerechnet sie im Fall von Ulrike Guérot von Plagiaten spricht. Wobei Relotius ja gar keine Fußnoten falsch ausgewiesen hat, wie man das Guérot unterstellt – nein, er hat sie schlicht erfunden …

Klöckner: Das ist aber etwas ganz anderes. Was Guérot gemacht hat, ist schlimm, was Relotius gemacht hat, ist es nicht.

De Lapuente: Ach was? Haben dich die Relotiaden also auch seelisch ergriffen?

Klöckner: Absolut. Ich übe mich eifrig fleißig im Doppelstandard. Es ist doch so: Guérot steht eben auf der »falschen« Seite. »Falsche« Meinung, »falsche« Sicht. Bei Relotius war das anders. Er hatte Stories abgeliefert mit dem »richtigen« Dreh, der »richtigen« Sicht. Wen interessieren da Fußnoten?

»Sagen, was sein soll«

De Lapuente: Fußnoten sind nur bei denen wichtig, die die falsche Meinung …

Klöckner: Wenn du die Funktionsweisen des Spitzenjournalismus unserer Zeit verstehen willst, musst du in der Lage sein, Doppelmoral zur obersten Leitlinie zu machen. Sprich: Nawalny in Russland in Haft? Ganz, ganz schlimm! Eine Schande für die Demokratie! Assange, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, in Haft? Kein Problem. Da geht der Rechtsstaat eben seinen Gang. 500.000 an Hunger gestorbene irakische Kinder – durch Sanktionen der »Guten«? Klar, ist nicht so schön, aber lieber Themenwechsel. Brutal von russischen Soldaten Gemeuchelte? Genau, darüber gilt es zu reden! Keinen Millimeter zurück. Barbaren! Notfalls Weltkrieg. Die gute, zivilisierte Welt muss sich jetzt erheben: Das sagt sich leicht vom Sofa aus. Putin? Kriegsverbrecher! Obama, Bush und Konsorten? Friedensnobelpreis! Wohltäter der Menschheit! Und jetzt stell Dir mal vor, Guérot wäre in der Pandemie im Lager der Hardcore-Maßnahmenbefürworter gewesen. Stell dir vor, sie hätte sich mit ihrem Bekanntheitsgrad, ihrem symbolischen Kapital für die »Impfung« eingesetzt, bei Illner und Co. über die Grundrechtsdemonstranten hergezogen. Da würden mit ziemlicher Sicherheit vermeintliche Plagiate keine Rolle spielen. Dann wäre sie nicht »umstritten«. Es ist so offensichtlich.

De Lapuente: Du sprichst die Doppelmoral an, die ja gewissermaßen zur Präambel unserer westlichen Wertegemeinschaft geworden ist. Wir scheinen ohne sie nicht mehr auszukommen. Nochmal zum Motto des Spiegel »Sagen, was ist«, das man sich offenbar von Ferdinand Lasalle geklaut hat, der meinte, dass es die revolutionärste Tat sein, zu sagen was ist. Revolutionär ist der Spiegel diesem Sinne nach sicher nicht. Das Motto sei aus der Zeit gefallen, meintest du: Hast du denn ein passenderes Motto zur Hand?

Klöckner: Das Motto für Journalisten lautet heute: »Sagen, was sein soll«. Oder anders gesagt: Als Edelfeder muss man heute in der Lage sein, Realitäten den redaktionellen weltanschaulichen Überzeugungen unterzuordnen. Dann entsteht ganz großes zeitgenössisches Journalisten-Kino. Der Spiegel hatte, wie du schon sagst, mit Kreativreporter Relotius einen Top-Mann an der richtigen Stelle. Unverständlicherweise haben sie ihn vom Hof gejagt. Wenn es eben zu offensichtlich wird, dass im Qualitätsjournalismus die Wahrheit eher Kreativmasse ist, dann passt das manchen Redaktionen auch nicht. Der Schein soll ja schon gewahrt bleiben. Wobei: Noch nicht einmal mehr das gilt heute noch. Wie gesagt: Wir leben einer irren Zeit. Aber sie ist unterhaltsam. Immerhin.

De Lapuente: Beim Spiegel kommt man jedenfalls dem nach, was der ehemalige stellvertretende Spiegel-Chefredakteur während der Corona-Zeit empfahl: »Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen« – damals waren Ungeimpfte gemeint. Muss ich dir nicht sagen, dein Buch heißt ja so. Heute zeigt der Spiegel gerne mit dem Finger auf alles, was nicht auf Linie ist. Ich habe ständig den Eindruck, dass der Mainstream eine Schicksalsgemeinschaft entwirft, deren Aufgabe es ist, all jene zu diskreditieren, die nichts vom betreuten Denken halten. Die Corona-Aufarbeitung scheint mir auch nur so ein betreuter Vorgang zu sein. Täusche ich mich?

Klöckner: Betreuter Vorgang? Schöne Formulierung. Und leider inhaltlich auch richtig. In Sachen Aufarbeitung gilt es nun gut aufzupassen. Nichts ist damit getan, wenn Lauterbach zurücktreten sollte. Das ist, gewiss unabdingbar, aber ändert nichts am Grundproblem. Aufarbeitung heißt nicht, ein paar Leute aus dem Amt zu entfernen und hier und da »Tschuldigung« zu säuseln. Genausowenig wird es mit einem Untersuchungsausschuss getan sein, der etwa zu zehn Prozent kritisch »Missstände« anspricht. Nein, 110 Prozent – alles drunter wäre der blanke Hohn für die Opfer des Maßnahmenwahnsinns und die Demokratie.

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8 Kommentare

  1. Bitte kein Weiter so, begrabt lieber alle Hoffnungen.

    In der Rückschau wird Corona ein Highlight der Lichtblicke sein. Gemütlich und Hygge im Homeoffice und Solidarisch mit den Mitmenschen.

    Was uns bevorsteht ist die Nukleare Vernichtung aller Menschenrechte und einer Welt wie wir sie kennen, die Zeitrechnung beginnt von Neuem.

    Glück und Freiheit genießen Sie Ihre restliche Zeit!

  2. Aufarbeitung ist halt auch eine finanzielle Sache. Man stelle sich vor in vielen Regionen würden sich ‚gleichgesinnte zusammentun‘ und eine ‚Massenklage‘ gegen Korrupte Politiker und kriminellen Unternehmen einreichen? Welchen Effekt hätte das auf die Justiz und Staat?

  3. Gut, dass Herr Klöckner die Wahrheit gaaaanz genau kennt und nicht einfach nur ein Buch verkaufen will. Sonst käme man möglichreweise auf den schmutzigen Gedanken, dass „betreutes Denken“ kein Privileg des Mainstreams ist.

  4. Zitat:
    Kinder und Jugendliche wurden regelrecht durch den Scheiß-Maskenzwang und viele andere Maßnahmen geknechtet, gequält und vielleicht einige ihrer schönsten Lebensjahre beraubt.

    Mein Kind hat derzeit alle 2 Wochen eine Erkältung, wahrscheinlich eine Folge der Massnahmen.

  5. Meine geimpften Mitmenschen haben ein beneidenswert kurzes Gedächtnis und staunen ehrlich, wenn ich sie an Dinge erinnere, die sie noch vor kurzer Zeit zu mir und über mich und andere nicht geimpfte Menschen geäußert haben sollen. Das erinnert mich an vieles, was ich über gesellschaftliche Verdrängung selbst in meinem Leben erlernt habe.

    Nur „Fehlerchen“ einzugestehen, ist grundlegende Voraussetzung dafür, seine eigene Einfalt in Zeiten der Pandemie nachträglich ertragen zu können!

  6. „Lumpenintellektuelle“, sehr schön zurückgeschossen und es beschreibt einen Sascha Lobo auch inhaltlich sehr passend! 😀

    Und lasst die Medien doch einfach ihr Ding machen. Wer sein Vertrauen in sie verloren hat, der kriegt das auch nicht durch ein paar vielleicht sogar ehrlich gemeinte Aufarbeitungsversuche wieder zurück. Im Stil bleiben sie wie sie sind und treten damit immer mehr Menschen und Gruppen auf die Füße. Klima, Ukraine… können sie dann ja auch irgendwann mal aufarbeiten. Bis dahin haben sie dann bereits wieder neue Themen, die sie genauso lumpenhaft bearbeiten werden. Das Karussell dreht sich ewig weiter und wer einmal ausgestiegen ist wird kaum wieder aufsteigen.

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