Synodaler Weg in Deutschland: »Von allen guten Geistern verlassen – vor allem vom Heiligen Geist«

Papst Leo XIV.
Edgar Beltrán, The Pillar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Seit einem halben Jahr ist Robert Francis Prevost nun Papst Leo XIV. In Deutschland hat man ihn sofort zum synodalen Anpacker erklärt – dabei meinte sein Synodalitätsbestreben stets etwas völlig anderes als das, was deutsche Bischöfe an Synodalität schaffen wollen.

Roberto De Lapuente fragte den römischen-katholischen Autor und Journalisten Michael Hesemann. Er hat die erste Biographie des neuen Papstes geschrieben: »Leo XIV. – Papst und Brückenbauer«.

 

De Lapuente: Herr Hesemann, war Robert Francis Prevost ein Kardinal, den Sie vor dem Konklave als papabile auf dem Notizzettel hatten?

Hesemann: Ganz ehrlich gesagt: nein. Er stand weder bei mir noch bei einem anderen Vaticanista auf dem Zettel. »Noch nicht lange genug Kardinal, noch dazu Amerikaner – keine Chance!«, hätte es geheißen.

De Lapuente: Die Medien berichteten von der Wahl des neuen Papstes mit gewisser Überschwänglichkeit: Prevost, der sich Leo XIV. nannte, stehe für den synodalen Weg – offenbar glaubte man, Leo XIV. würde den Kurs der deutschen Bischöfe begehen. Haben sich diese deutschen Stimmen, die jetzt übrigens viel ernüchternder klingen, in ihrer Einschätzung so sehr getäuscht an jenem Abend des 8. Mai 2025?

Hesemann: Als er auf der Loggia des Petersdomes erschien, sprach Leo XIV. zwar von einer »synodalen Kirche«, aber nicht vom deutschen »Synodalen Weg«. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe – auch wenn das in Deutschland kaum jemand wahrhaben wollte. Der »Synodale Weg« war von Anfang an eine Totgeburt. Er ging davon aus, dass am deutschen Katholizismus die Kirche genesen müsse. Die Weltkirche hat aber ganz andere Prioritäten, als sich von den Deutschen eine neue Sexualmoral diktieren zu lassen. Und die Entscheidung Johannes Pauls II., das endgültige »Nein« zur Frauenordination, wird in diesem Jahrhundert auch niemand revidieren, zumal Johannes Paul II. gerade und ausgerechnet von Papst Franziskus heiliggesprochen wurde. Der meinte übrigens zum deutschen Synodalen Weg sinngemäß: Warum eine zweite evangelische Kirche in Deutschland schaffen, es gibt doch schon eine! Auch Leo scheint mehr daran interessiert zu sein, das katholische Profil seiner Kirche zu schärfen, als sie übermäßig dem Zeitgeist anpassen zu wollen.

»Wenn die deutschen Bischöfe jede Mahnung aus Rom ignorieren, kommt es zum Schisma«

Wer ist Robert Francis Prevost?

De Lapuente: Was meint der Papst denn konkret, wenn er von der Synodalität spricht?

Hesemann: Ende Oktober 2025 hat Papst Leo ausführlich über seine Vision einer »synodalen Kirche« gesprochen: »Helft uns im Hinhören auf den Heiligen Geist, im Dialog, in Geschwisterlichkeit und in Parrhesia zu verstehen, dass wir in der Kirche – vor allen Unterschieden von Geschlecht und Aufgaben – dazu berufen sind, gemeinsam auf der Suche nach Gott zu voranzuschreiten und die Gesinnung Christi in uns zu hegen. Helft uns, den kirchlichen Raum zu erweitern, damit er kollegial und einladend wird.« Der deutsche »Synodale Weg« ist das genaue Gegenteil davon: Ein Projekt einer amtskirchlichen Elite, die von allen guten Geistern, vor allem aber vom Heiligen Geist, verlassen ist und sich allein am Zeitgeist orientiert, wobei er die Gläubigen befremdet, deren Werte und deren Glauben er mit Füßen tritt.

De Lapuente: Ein Schisma steht immer wieder als drohendes Szenario im Raum wegen dieser verschiedenen synodalen Prämissen. Sehen Sie einen solchen Bruch zwischen Rom und deutschen Bischöfen in der Zukunft als wahrscheinlich an?

Hesemann: Wenn diejenigen deutschen Bischöfe, die momentan jede Mahnung aus Rom ignorieren, nicht endlich aufwachen und den Ernst der Lage erkennen, wird es dazu kommen – auch wenn es geradezu fatal für die Kirche in Deutschland wäre. De facto hat man sich ja bei der DBK schon von der Weltkirche getrennt und auf einen deutschen Sonderweg gemacht. Rom wird alles versuchen, ein Schisma zu verhindern. Aber auch in Deutschland selbst werden die Gräben immer tiefer, mit geradezu tragischen Folgen.

De Lapuente: Wir erklären Sie sich überhaupt diese unterschiedliche Wahrnehmung des Katholizismus hierzulande, der immer beliebiger wird und sich dem Zeitgeist zu unterwerfen nur allzu bereit scheint?

Hesemann: Eine Institution kann nicht 2.000 Jahre lang erklären, die geoffenbarte Wahrheit zu verkünden und dann plötzlich behaupten, man habe sich geirrt. Die Humanwissenschaften in Ehren, aber ihre Deutungen sind kein Maßstab für die Kirche. Glaubwürdigkeit entsteht nicht dadurch, dass man sein Fähnchen – oft genug in Regenbogenfarben! – nach dem Wind hängt, sondern dass man Rückgrat zeigt und gegen einen Irrweg ankämpft. Dass man anders ist und nicht mit den Wölfen heult. Die Krise der Kirche ist leider selbst verschuldet: Von Mietlingen mit Mitra, denen der Applaus der Medien und das Geld der Politik wichtiger ist als die Lehren des Katechismus, der Glaube der Amtsbrüder oder das Seelenheil der Gläubigen – vielleicht weil sie selber nicht mehr glauben oder einfach, weil sie zu satt sind in ihrem kirchensteuerfinanzierten Apparat, dem es längst am Feuer der Neuevangelisierung fehlt, weil er sich selbst genügt und glaubt, Gott nicht mehr zu brauchen.

»Es wird versucht, den neuen Papst für die eigene Sache zu vereinnahmen«

De Lapuente: In Ihrem Buch zu Leo XIV. greifen Sie auch die berühmte Prophezeiung auf, die wir als Malachias-Weissagung kennen. Demnach sei der jetzige Papst der letzte Bischof von Rom. Muss man damit rechnen? Oder kann man diese Weissagung als Indikator schismatischer Tendenzen interpretieren?

Hesemann: Prophezeiungen sind natürlich immer »cum grano salis« zu lesen, schon weil sie per definitionem an allererster Stelle Warnungen sind. Zudem gibt es auch für Malachias verschiedene Lesarten. Was kann er gemeint haben? Kommt der jüngste Tag während des leoninischen Pontifikats? Wird Rom zerstört, durch einen Krieg oder eine Naturkatastrophe, muss der Sitz des Papsttums verlegt werden? Oder wird es unter Leo neu definiert, etwas nach einer Wiedervereinigung mit den Ostkirchen? Wir wissen es einfach nicht, sind aber gut beraten, achtsam zu sein.

De Lapuente: Sie schreiben auch, dass dieses Pontifikat einen neuen Anfang bedeute: Was ist denn dieses Neue am Pontifikat Leos XIV.?

Hesemann: Robert Francis Prevost ist der erste globale Papst, einer, der auf drei Kontinenten etwa gleich lang gelebt und noch dazu Vorfahren aus vier Kontinenten hat. Nun will er zunächst einmal die unter Franziskus stark polarisierte Kirche wieder vereinigen, was hoffentlich auch die Deutschen mitmachen. Und dann will er sie mit neuer Kraft als »missionarische Kirche« in die Zukunft führen. Das ist ein mutiges Programm. Er versucht, alle im Boot zu halten, indem er jeder Seite, Konservativen wie Liberalen, das eine oder andere »Zückerchen« bietet. Hier lässt er die tridentinische Messe wieder zu, dort segnet er einen Eisberg. Sein Stil ist dabei immer versöhnlich, konziliant. Sein gewinnendes Wesen lässt ihm die Herzen zufliegen. Er kann zuhören, ihm sind die Menschen wichtig. Er hat also großes Potenzial, dieser Papst aus Amerika. Und es könnte ihm gelingen, der Kirche neuen Schwung zu verleihen, eine ganze Generation, die bislang glaubensfernste der Geschichte, neu für das Evangelium zu begeistern.

De Lapuente: Ich sprach bereits die Medienberichterstattung jenes Abends an, als man Robert Francis Prevost zum Papst wählte. Der Medienrummel war enorm. Sie thematisieren auch die Medialisierung des Papsttums: Was stößt Ihnen da besonders übel auf?

Hesemann: Sicher die Politisierung des Papsttums, der Personenkult, der Sensationalismus und der Skandalismus. Vor allem aber, wie versucht wird, den neuen Papst für die eigene Sache zu vereinnahmen. Das war schon bei Franziskus so, als ein deutscher Vatikanist ihm eine Biografie andichtete, die mit der Realität wenig zu tun hatte und ihn als den Reformer verkaufte, den sich deutsche Linkskatholiken erhofft hatten. So wurden falsche Erwartungen genährt, die natürlich enttäuscht wurden, als sich herausstellte, dass auch Franziskus »nur« katholisch war.

»Man projiziert unrealistische Hoffnungen in den Papst«

De Lapuente: Mir fiel auf, dass die deutschen Medienanstalten sehr einseitig die Begeisterten auf dem Petersplatz befragten bzw. nur jene zu Wort kommen ließen, die beispielsweise ihre Hoffnung auf die Frauenordination setzten. Deutsche Medienleuten stellten damit den Zuschauern eine römisch-katholische Kirche vor, die offenbar tief im Mittelalter stecke und nun einen radikalen Erlöser brauche. Nimmt man Ihrer Meinung in Rom wahr, wie deutsche Medien Stimmung gegen den Katholizismus machen?

Hesemann: Ja, das ist ein gutes Beispiel für das, was ich eben sagte. Man schafft sich einen Papst nach dem eigenen Wunschbild, auf den man völlig unrealistische Hoffnungen projiziert, die dann natürlich unweigerlich enttäuscht werden. Und dann heißt es schnell: Auch dieser Papst »liefert« nicht. In Rom hat man das natürlich mitbekommen und ziemlich befremdet darauf reagiert. Begreifen wir doch endlich mal: Der Papst ist katholisch und das ist auch gut so! Das Papstamt ist Dienst an der Kirche und an Christus. Damit sollte es eigentlich gegen jeden Populismus immun sein, auch wenn heutzutage Päpste eher als Popstars verkauft werden.

De Lapuente: Johannes Paul II., so erklären es manche, sei der erste Pop-Papst gewesen, also der erste Bischof von Rom, der ein Stück weit Popkultur war. Können die, die nach ihm in dieses Amt kommen, nochmal zurücktreten von dieser – nun ja, ich nenne es mal – »Profanisierung des Amtes«?

Hesemann: Nun, die Überhöhung des Papstamtes begann eigentlich schon unter Pius IX., der 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil das oft missverstandene Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit – in Glaubensfragen und nur, wenn er »ex cathedra« spricht – verkündete. Das war eine Gegenreaktion auf den Bedeutungsverlust des Papsttums nach dem Untergang des Kirchenstaates, als der junge italienische Staat den Nachfolger Petri zum »Gefangenen des Vatikans« degradierte. Sein Nachfolger, Leo XIII., machte das Papsttum daraufhin auch zu einer politischen Autorität, formulierte etwa die kirchliche Soziallehre neu, suchte den Dialog mit der Wissenschaft und etablierte die Kirche als Friedensmacht. Dabei nutzte er erstmals die damals neuen Medien, Foto, Tonaufnahmen und sogar Film und erreichte damals viele Gläubige. Pius XII., zum »engelgleichen Hirten« stilisiert, war der erste pontifikale »Popstar«, zu dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Massen pilgerten. Von dem Moment waren das Papsttum und die Medien untrennbar verbunden, jeder größere Auftritt eines Pontifex ein mediales Weltereignis. Johannes Paul II., der große Charismatiker, hat das natürlich perfektioniert. War es eine »Profanisierung des Amtes«? Nicht unbedingt, aber ganz sicher stand es zunehmend im Spotlight. Das wird sich im Medienzeitalter auch nicht mehr rückgängig machen lassen, wie wir ja sahen, als etwa der eher uncharismatische Paul VI. oder der eigentlich scheue Intellektuelle Benedikt XVI. das Petrusamt innehatten. Doch wir dürfen natürlich nie vergessen, dass nicht der Papst, sondern Christus das Oberhaupt der Kirche ist. Darum ist ja auch jeder Papst in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt. Er ist und bleibt der Diener, nicht der Herr!

 

Michael Hesemann,1964 geboren, wurde vor allem durch seine Forschungen zu bibelarchäologischen Themen bekannt. Die „Huffington Post“ bezeichnete ihn als „einen der wichtigsten Religionsgeschichtler der Welt“, das „Wall Street Journal“ als „Religionsgeschichtler, der dem Vatikan bei der Datierung von Reliquien hilft“. Seine 31 Bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller.

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