Die Klassengesellschaft existiert nach wie vor. Erfahrungen aus dem Arbeitermilieu sind selten – aber es gibt sie hin und wieder doch noch.
Marco Ott hat dieser Tage seinen ersten Roman vorgelegt. »Was ich zurückließ« erzählt die Geschichte eines Arbeiterkindes.
De Lapuente: Herr Ott, Sie glänzen dieser Tage mit Ihrem Erstlingswerk »Was ich zurückließ«. Etwas verknappt beschrieben: Ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt geht hinaus in die Welt. Ist es eine feindliche Welt, in die Sie als »Proletarier« hinausgingen?
Ott: Ich würde die Welt, in die ich hinausgegangen bin, nicht zwingend als »feindlich« bezeichnen. Vielmehr würde ich der bildungsbürgerlichen Welt, in die ich gestrebt bin, eine große Blindheit attestieren was soziale Unterschiede angeht – und einen Starrsinn, was kulturelle Bewertungskriterien betrifft. Ich erinnere mich an meine Eignungsprüfung am Literaturinstitut Leipzig, die ich auch in meinem Buch beschreibe, in der ich für meine damalige Lektüre Hermann Hesses belächelt wurde. »Den liest man doch in seiner Jugend und nicht mit Anfang zwanzig«, wurde mir gesagt. Stellt sich die Frage, wer bereits in seiner Jugend Zugang zum Literaturkanon hat, und wer sich einen Überblick mühsam selbst erschließen muss, durch autodidaktische Funde. In Situationen wie diesen finden soziale Ausschlüsse statt, wird Selektion nach sozialer Herkunft betrieben. Damit wurde ich konfrontiert. Natürlich wurde ich damals nicht genommen, das war sicher einer der Gründe.
»Kulturelles Kapital und Bildungsabschlüsse sind nicht gleichbedeutend mit sozialem Aufstieg«
De Lapuente: Ich muss zugeben, dass mich Ihr Buch berührt hat – wie Sie bin ich ein Arbeiterkind. Ihre Beschreibungen kamen mir vertraut vor. Sind Sie nun angekommen in unserer »schönen neuen Welt«, in der es durchaus ein Makel sein kann – ich empfinde das bis heute so –, Eltern zu haben, die »nur« Arbeiter sind?
Ott: Man könnte meinen, ich wäre angekommen: Ich studiere im Master am Literaturinstitut Hildesheim, ähnele meinen Kommilitonen in Auftreten und Kleidungsstil. Aber kulturelles Kapital und Bildungsabschlüsse sind nicht gleichbedeutend mit sozialem Aufstieg, weil man diese auch zu verwerten wissen muss, mithilfe anderer Ressourcen wie Geld und sozialer Kontakte. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Unterschiede zu so manchen Leuten, mit denen ich gerade in Seminaren sitze, deutlich zutage treten: Eine einflussreiche Person wird ihnen im entscheidenden Moment eine Tür öffnen, sie werden das Einfamilienhaus oder die Eigentumswohnung ihrer Eltern erben. Da kann ich mich noch so abstrampeln. Ich sehe mich in Anlehnung an die Philosophin Chantal Jaquet als Klassenübergänger, einer Person, die aus ihrem Herkunftsmilieu heraus gestrebt, auf dem Weg aber irgendwo steckengeblieben und nirgendwo angekommen ist. Ich arbeite weiterhin in prekären Jobs, weil mir das Beziehungsnetz in den Kulturbetrieb fehlt – und ich darüber hinaus mit den Leuten fremdle.
De Lapuente: Wollen Sie mitteilen, was für prekäre Tätigkeiten Sie schon hatten oder haben?
Ott: Schon zu Schulzeiten habe ich Prospekte ausgetragen, später in Berlin dann Flyer verteilt, als Küchenhilfe und Servicekraft gearbeitet, als Aufbauhelfer bei Veranstaltungen und Konzerten, dann lange Zeit als Fahrradkurier. Heute arbeite ich neben dem Studium zum Mindestlohn als Zusteller bei der Post, der Kreis schließt sich und dreht sich unaufhörlich weiter.
De Lapuente: Fühlen Sie sich denen, die aus »besseren Haushalten« kommen, unterlegen?
Ott: Früher tat ich das ganz sicher. Und das war ich ja auch: In mehrfacher Hinsicht war ich denen, mit denen ich bei Eignungsprüfungen um die wenigen Plätze konkurriert habe, unterlegen. Ich habe es oben schon beschrieben. Mittlerweile sehe ich es als Privileg, nicht privilegiert aufgewachsen zu sein. Ich habe nicht nur eine Welt kennengelernt, sondern mehrere, das erweitert den Horizont. Aber ich möchte es auch nicht romantisieren: Ich habe das Gefühl, schon mehrere Leben gelebt zu haben, manchmal fühle ich mich des Lebens müde.
»Wiedereingeführte Bürgergeld-Sanktionen sind Armenhass«
De Lapuente: Sie sagen, Sie sehen es als Privileg. Erfüllt Sie das auch mit Stolz? Pride also, wie man heute sagen würde? Einen Pride-Monat für Arbeiterkinder gibt es jedoch nicht. Ist das keine Identität, in dieser an Identitätsdebatten so reichen Zeit?
Ott: Die Herkunft aus einer Arbeiterfamilie ist keine Identität, auf die man sich mit Stolz berufen könnte. Genau so wenig wie Klassismus im Übrigen eine Diskriminierungsform ist. Es führt zu nichts, auf individueller Ebene Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft zu verhandeln, die Ursachen von materiellen Ungleichheiten müssen auf struktureller Ebene benannt und für eine Verbesserung ökonomischer Verhältnisse gekämpft werden. Es geht ja nicht um Chancengleichheit, sondern um die Überwindung eines Wirtschaftssystems, das diese Ungleichheiten erst hervorbringt.
De Lapuente: Empfinden Sie Deutschland als Elitengemeinwesen? Und damit als eine Klassengesellschaft?
Ott: Die Ressourcen hierzulande sind ungleich verteilt, und es wird wenig bis gar nichts dafür getan, damit sich daran etwas ändert. Die Reichen werden immer reicher, die soziale Schere geht immer weiter auseinander. Seit ein paar Jahren erlebt der Begriff Klassengesellschaft eine Konjunktur – das ist nur folgerichtig, denke ich. Aus dezidiert linken Debatten ist er natürlich nie wirklich verschwunden.
De Lapuente: Sie erwähnen an einer Stelle auch Charles Bukowski. Der hat in seinen Büchern seine ganze Verachtung für die Eliten zum Ausdruck gebracht. Ich muss sagen: Bukowski war mein Gott – er sagte übrigens exakt denselben Satz über John Fante. War es das, was Sie an Bukowski mochten? Und ertappen Sie sich auch immer wieder bei der Verachtung dieser oft so selbstgerechten Klasse?
Ott: Bukowski war für mich eine Art Ventil für den Druck, den das Ausüben prekärer Jobs bei mir ausgelöst hat. Seine Figuren kultivieren eine No-Fucks-Given-Einstellung, die mich angesprochen hat und die ich beim Lesen zelebriert habe. Weil sie in Widerstand zu einer ausbeuterischen Arbeitswelt getreten und kompromisslos für sich eingestanden sind.
De Lapuente: Sie waren – und sind? – wie er Faktotum. Ist es diese Lebenserfahrung in vielen Jobs, schlechten Arbeitsgelegenheiten, in den Wirren des Arbeitsmarktes, die heute vielen Politikern – man möchte fast sagen: allen Politikern – abgeht?
Ott: Zum sozialen Hintergrund der Bundestagsabgeordneten gibt es Zahlen, die ich gar nicht heranziehen brauche, weil die getroffenen Entscheidungen und verabschiedeten Gesetze für sich sprechen. Wer Bezahlkarten für Geflüchtete einführen will und diese nun auch für Bürgergeld-Empfänger fordert, wie neulich ein Abgeordneter der CDU, der hat keinen Bezug mehr zur Lebensrealität des Großteils der Bevölkerung. Ein anderes Beispiel: Wenige Tage, nachdem die Bürgergeld-Sanktionen wiedereingeführt wurden, weil wegen des sogenannten Haushaltslochs ganz dringend Geld eingespart werden musste, genehmigte sich die Bundesregierung drei neue Luxus-Hubschrauber. Da ging es ja nie um die paar hundert Millionen Einsparungen, das war reine Symbolpolitik oder anders ausgedrückt: Armenhass.
»Ich erlaube mir den Stolz auf mich selbst nicht«
De Lapuente: Sie sprechen sich klar für die Verbesserung ökonomischer Verhältnisse aus. In der heutigen Debattenkultur definiert man das Progressive so gut wie gar nicht mehr so. Es geht um Identität, Sprachsensibilisierung, Einhegung von Gedanken, die verletzend sein könnten. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr?
Ott: Ich sehe Ihren Punkt, Herr De Lapuente, aber ich möchte diese Entwicklung gar nicht abwerten. Sie sollte jedoch noch weiter gehen und nicht an diesem Punkt stehen bleiben: Niemandem ist geholfen, wenn eine Person ihre Privilegien checkt. Im nächsten Schritt geht es ums Teilen dieser Privilegien. Und dann vielleicht darum, dass diese Privilegien gar nicht erst ungleich verteilt werden.
De Lapuente: Nochmal zurück zu Ihrer Situation. Didier Eribon schrieb von der Sprachlosigkeit, die ihn befiel, wenn er zurück nach Reims kam. Bei Ihnen liest man das ähnlich. Betreten Sie immer noch ein fremdgewordenes Land, wenn Sie »nach Hause« zurückkehren?
Ott: Meine Mutter und ich haben eine gemeinsame Ebene gefunden, auf der wir uns einander angenähert haben. Das hat auch mit meinem Buch zu tun. Vergangenen Sommer haben wir einen Kurzurlaub gemacht, ich habe ihr mein Manuskript zu lesen gegeben und wir haben uns intensiv darüber ausgetauscht. Ich habe großen Respekt für meine Mutter: Sie hat meine Sichtweise unserer Geschichte respektiert und anerkannt – das ist alles andere als selbstverständlich. Mittlerweile freue ich mich aufrichtig, sie zu sehen und zu besuchen. Aber zu so einer Annäherung gehören immer zwei Parteien, es müssen beide wollen. Mit meinem Vater und mir gestaltet es sich schwierig.
De Lapuente: Zum Abschluss, Herr Ott. Sie haben vorhin Stolz oder Pride in Bezug auf Ihre Herkunft abgelehnt. Sind Sie denn wenigstens auf sich selbst stolz, weil Sie ausgebrochen sind aus der Enge des Arbeitermilieus, die es ja nun tatsächlich gibt?
Ott: Ich erlaube mir den Stolz auf mich selbst nicht, weil dieser »Erfolg«, ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, viel zu hart erkämpft werden musste. Zum Ende schreibe ich in Bezug auf meinen Lebensweg: »Ich habe bekommen, was ich wollte, aber letztlich ist die Freude darüber ausgeblieben. Der Weg ist zu steinig gewesen.«
Marco Ott, geboren 1993 in Dinslaken. Studiert derzeit Literarisches Schreiben in Hildesheim. Mit einem Auszug aus seinem Debüt »Was ich zurückließ« wurde er 2021 zur AutorInnenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin eingeladen. Seine Texte erschienen in Zeitschriften und Anthologien.
“Die” tun so, als würden “die” uns bezahlen, und wir tun so, als würden wir arbeiten!
No-Fucks-Given ist die schöne neue Zukunft!
😁😁😁
Es ist alles eine Frage des einzelnen Menschen, wie er mit seiner Herkunft umgeht.
Ich kann mein Aufwachsen in der Bildungsgesellschaft auch als Geschenk sehen und damit locker umgehen.
Oder ich werde als Arbeiterkind ein Parvenü, der sich entsprechend aufführt.
Ich habe den Bezeichnung “Parvenü” immer als Neidbegriff jener verstanden, die als was Besseres behandelt werden möchten, ohne das begründen zu können, außer dass sie das so gewöhnt sind.
‘Parvenü’ ist abwertend. Da bemüht sich jemand, ein Spiel mitzuspielen, das er nicht beherrscht.
Und weil er das weiß, ist er besonders heftig dabei und wirkt damit lächerlich.
Wenn ich aus ärmeren Verhältnissen komme, dann habe ich Pech gehabt. Dann kann ich mich nur bemühen mein Talent, letztlich meine Arbeitskraft den Reichen zur Verfügung zu stellen, mit dem Effekt, dass sich die Reichen durch meine Arbeit noch mehr bereichern. Was aber auf meiner individuellen Hoffnung gründet der Armut zu entfliehen und teilzuhaben am Wohlstand.
Letztlich ist es dieser Mechanismus der Zwänge, der den menschlichen Fortschritt antreibt. Was keineswegs nur dem Kapitalismus eigen ist. Denn selbst Leonardo da Vinci sah sich gezwungen sein Talent den Reichen und Mächtigen anzubieten. Voraussetzung zum Fortschritt ist also das Vorhandensein von Reichtum. Und Reichtum ist das Ergebnis von Ausbeutung von Mensch und Natur.
Da Vinci hat im Feudalismus gelebt, Kapitalismus IST Feudalism, nur umbenannt. Genau genommen sind wir im Kapitalismus immer noch Sklaven, denn wenn wir unsere Arbeitskraft nicht verkaufen, können wir auch nicht leben, der Sozialstaat war da eher die Ausnahme.
Im Feudalismus war nur derjenige frei, der Land besaß und seine Familie selbst ernähren konnte, die unterste Schicht waren die Tagelöhner/Lohnsklaven.
Es ist ausschließlich dem Öl, als billige Energiequelle und der Ausbeutung ander weniger entwickelter Länder zu verdanken, dass die Lohnsklaven sich genug leisten könnten, um ihre Fesseln nicht zu spüren.
Für die goldene Milliarde werden Umwelt und Milliarden von Menschen ausgebeutet.
Kapitalismus ist ein Pyramidenschema, kann also logischerweise nicht auf Dauer funktionieren.
Da muss man doch mal die Frage stellen, ob der sogenannte Fortschritt überhaupt etwas Gutes sein kann.
Man kann das ein wenig umformulieren: eine Gesellschaft muss einen gewissen Überschuss (‘Reichtum’) produzieren, um sich mit mehr als nur dem unmittelbaren Überleben beschäftigen zu können (‘fortzuschreiten’). Die Kernfrage ist die nach der Akkumulation und der Verteilung dieses Überschusses. Wäre das anders gelöst, könnte und würde sich wohl auch die Art des ‘Fortschritts’ ändern.
Oh! Er stellt die Systemfrage!
Hochachtung!
Weiter so! Das ist es, was Dich von den allermeisten Schreiberlingen unterscheidet!
Aber als Wechsel der Klassen würde ich es nicht bezeichnen, wenn man in dieser Gesellschaft “aufsteigt”. Der ärmste Bauer in Hinteralbanien, der nur eine Kuh und eine Ziege besitzt und “ausbeutet”, zählt für mich immer noch nicht zu den Ausbeutern, selbst der reichste Produzent von literarischen Texten ist immer noch kein Angehöriger der Ausbeuterklasse, Ein wesentliches Merkmal der jetzigen Gesellschaftsformation ist ja gerade, daß der Anteil am gesellschaftlichen Nutzen eines Menschen (“Leistung”)von seinem Einkommen (“Verdienst”) total entkoppelt ist. Nur mal so als Beispiel die lebenslange Armut eines Karl Marx gegen die jährliche Milliardenapanage einer von Klatten.
“Erfüllt Sie das auch mit Stolz? Pride also, wie man heute sagen würde? ”
“Sie haben vorhin Stolz oder Pride in Bezug auf Ihre Herkunft abgelehnt. ”
Ehrlich gesagt, mir geht das langsam gehörig auf die Nerven. Da wird gehyped, supported, gecanceled und performed im deutschen Blätterwald, was das Zeug hält. Ist die eigene Sprache nicht mehr gut genug, um sich auszudrücken? Ist man “besser”, wenn man mit Anglizismen um sich wirft? Seid ihr darauf auch noch stolz? Was genau trägt das jetzt zum besseren Verständnis bei? Ein Zeichen guter Sprachkenntnisse ist das jedenfalls nicht. Oder geht es darum gar nicht, sondern eher um’s “feeling”?
Und für Alle mit fehlenden Englischkenntnissen übernimmt man inzwischen einfach die Wortübersetzung ins Deutsche. Da “macht” etwas “am Ende des Tages” Sinn, denn sinnvoll zu sein wäre einfach zu popelig.
Das mußte jetzt mal…..
Ich sehe es im Prinzip genauso. Wobei ich im konkreten Fall es etwas anders lese. Mehr so ironisch im Bezug auf Bewegungen, die in dieser Weise, und das auch immer in Denglish, irgendwas mit Stolz verkünden. Stolz auf die Art, wie man Sex betreibt zum Beispiel.
Nun ja, wird auch in Englisch nicht besser
nützliche Idioten.
intelligente, tatkräftige und willensstarke Menschen aus proletarischen Familien, die sich vom “proletarischen Mief” der Arbeiterklasse emanzipieren, werden vom bürgerlichen elitären Kapitalismusbetrieb gern genommen.
sie dürfen Ideen liefern, sich abrackern und ganz selten für frisches Blut sorgen, aber wenn’s ums Geld und Einflusspositionen geht, sind und bleiben sie die “nützlichen Idioten”.
im Bereich der abhängigen Beschäftigung kommen sie immer zuletzt an die Troege zur Resteverwertung, in der Selbstständigkeit verhindert der fehlende Zugang zu Kapital meist den Durchbruch zum Erfolg am Markt.
da darf man sich dann maximal und gnädiger Weise aufkaufen lassen., um dann zuzusehen wie die Ideen verwurstet und pervertiert werden.
Alternative heißt Scheitern wegen zu dünner Kapitaldecke oder vegetieren in prekären Nischen.
Eins habe ich vergessen, man kann sich sich natürlich auch im Kultur/Medienzirkus prostituieren, oder wenn man tatsächlich außer Langweiligkeit und psychopatischen Deformationen nichts zu bieten hat, ein anales Hochschlafen in einer Parteistruktur erwägen.
warum haben während Corona die Künstler geschwiegen und die Medienleute gelogen?
Ich hatte es einfacher als der Autor. In meiner Eltern-Generation gab es noch einen gewissen Aufstiegswillen, der die eigenen Kinder einschloss (“unser Kind soll es einmal besser haben als wir”), und ich hatte keine Weich-Wissenschaft studiert, sondern Ingenieurwesen.
Da kam es nicht auf “Stallgeruch” oder auf das eloquente Nachplappern von Worthülsen an, sondern man musste sich mir harter angewandter Mathematik rumschlagen. Nach dem Vordiplom war die Hälfte der Leute rausgeprüft, auch die mit “Stallgeruch”.
Im Berufsleben merkte ich dann hier und da, nicht so richtig dazuzugehören und nicht über die “Soft Skills” zu verfügen, die Andere schon von zu Hause mitbrachten. Und auch privat blieb ich ähnlich wie der Autor ein “Wanderer zwischen den Welten”.
Aber man wird so zum geübten Beobachter, der nicht so fest wie Andere in einer Filterblase steckt.
Neben dem individuellen Schicksal hat die Sache auch einen volkswirtschaftlichen Effekt:
Die Leute, die man in den vergangenen Jahrzehnten ausgegrenzt und nieder gehalten hat, fehlen nun plötzlich als Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Aber das läuft wohl in allen degenerierenden Gesellschaften so. Nicht nur im alten Rom, auch im neuen Rom auf der anderen Seite des Atlantik haben sie darin einige Jahre Vorsprung vor Deutschland bzw. Europa.
Die Leute fehlen nicht aufgrund der Ausgrenzung sondern als Folge mangelnder Vermehrung.
Der Fehler liegt darin, dass man die nicht gefördert hat, sondern den Aufstiegswillen.
Der bedeutet Besitz und Verzicht auf Kinder.
Das mag zutreffen. Wenn ich nur von mir selbst ausgehe, dann war der gewollte Verzicht auf Vermehrung aber nicht dem Aufstiegswillen (mit dem beschriebenen Tausch materiellen Wohlstands gegen Nachwuchs) geschuldet, sondern der näheren Bekanntschaft mit vielen Mitmenschen. In diese Gesellschaft wollte ich niemanden ungefragt hineinsetzen.
@ who_cares
Danke sehr. Gute Beobachtung die mit meiner übereinstimmt.
@who_cares: So ähnlich auch hier. Zuwanderer, der Physik studiert hat. Im Studium hatte ich genau gar keine Berührung mit Leuten, die sich wegen der Herkunft für etwas besseres hielten, und wie bei Ingenieuren war Mathematik der Filter, nicht Standesdünkel (oder Abwesenheit davon).
Naja, ich sage mal so, in den 60er bis 80er Jahren waren die Türen der Bildungsinstitute weit geöffnet, da konnte auch ein Arbeiterkind Gymnasium oder Hochschule. Nachwuchs wurde gebraucht, die Türen waren offen und die Bücher wurden von der Schule gestellt. Da hatte der Aufstiegswille der Eltern wie auch der Kinder eine Chance.
Heute ist Bildung etwas, dass man sich leisten können muss. Das nicht jeder bekommt und wenn dann eher in mangelhaftester Form, siehe Pisa, ausser das Geld ist da.
Das wirkt sich zwangsläufig auf den Arbeitsmarkt von heute aus.
@who_cares?
Sehr treffend: „Privat blieb ich ein Wanderer zwischen den Welten.“ Danke.
Vielleicht habe ich aufgrund meiner sozialen Herkunft einen Kampfgeist im Beruf entwickelt, mit dem ich das erreichen konnte, was ich wollte.
Herr Ott ist gescheit und hat Bourdieu gelesen und verstanden. Wer also die gesellschaftlichen Strukturen kennt, kann sie beobachten und gezielt an sich arbeiten, um das notwendige soziale Kapital zu erlangen. Die Bücher von Bernhard Roetzel sind überall erhältlich und im Internet finden sich Zusammenfassungen und Beschreibungen der wichtigen Werke des bildungsbürgerlichen Kanons. Niemand wird fragen, wie genau der Schneetraum im Zauberberg endet, die grobe Kenntnis des Traumes oder auch nur das Wissen, dass Hans Costorp in Davos war, dürfte für eine normale Konversation ausreichen.
Das wesentliche Problem von Herrn Ott könnte jedoch weniger seine Abstammung sein, sondern vielmehr die Tatsache, dass er noch kein Ziel im Leben gefunden hat. Ein älterer Student muss nicht zwangsläufig prekäre Arbeiten ausführen, insbesondere dann, wenn er weiß, was er den Rest seines Lebens machen will. Aber vielleicht hat Herr Ott nun seine Rolle als aufstiegsgehindertes Arbeiterkind gefunden. Diese Rolle dürfte ihm Einladungen selbst in die feine Buchhandlung von Robert Eberhardt sichern, denn auch die bessere Hamburger Gesellschaft liebt den Schauder der Realitätskonfrontation, wenn sie bei Champagner und Canapees über das triste Leben in Dinslaken aufgeklärt wird.
Es ist doch eine gute Einsicht, dass ihm der Aufstieg keine Freude gebracht hat.
Er ist den Gesetzen der Gesellschaft gefolgt. Als nonkonfirmistischer Aussteiger hätte er vielleicht mehr Spaß gehabt. Ein Buch hätte er auch darüber schreiben können.
“denn auch die bessere Hamburger Gesellschaft liebt den Schauder der Realitätskonfrontation,”
Wow ! treffend beobachtet und formuliert. Klasse ! Ist das vielleicht auch der Antrieb des Kriegstourismus nach Kiew ? Der wohlige Schauer beim Klang der Sirenen und der sicher nicht zuletzt für die ganzen Außen – und KriegsministerINNEN erregende Gedanke, dass sich ganz in der Helden und Orcs abschlachten ?
OK wird schon wieder off topic, aber das denke ich halt manchmal. Das so manche dieser Lichtgestalten ein Ventil gefunden hat ihren Männerhass auf Putin und die Russen zu kanalisieren.
Schließlich ist es ja meist so, bei aller Überlegung und intelligenten Raffiniertheit im Handeln und Planen, der eigentliche Handlungsantrieb entspringt ja meist niedersten Instinkten.
Der offizielle Ständestaat wurde abgeschafft, der inoffizielle bzw. informelle blieb. Allerdings wird es wohl in allen Gruppen, auch den vermeintlich egalitären, unterschiedliche Grade des persönlichen Status in der entsprechenden Hierarchie geben.
Eine mögliche Erklärung für die unterschiedliche Konditionierung beginnt schon in frühester Kindheit mit dem Modell-Lernen in der Familie, der Sozialisation in derselben und dem Umfeld. Hier werden schon bewusst/unbewusst Normen, Wertungen, Rollenbilder, Meinungen und Verhaltensweisen angelegt, die einen meist ein Leben lang begleiten. Es ist schon hilfreich dies zu erkennen und noch hilfreicher, nicht damit zu hadern. Falls die nötige Lernbereitschaft vorhanden ist, kann ein entsprechendes Verstehen den eigenen geistigen Horizont sogar enorm erweitern. Stichworte: Akzeptanz und Toleranz.
Als jemand, der den umgekehrten Weg gegangen ist, Akademikereltern/Ausbildungsberuf kann ich nur sagen: Auch dieser ist nicht ohne Tücken und erfordert einiges an Anpassung.
Im Übrigen ist auch ein stinknormaler Ausbildungsplatz meist nicht ohne “Aufnahmeprüfung” (Praktikum) zu haben, und wer sich dumm anstellt, weil Papi ihm halt nicht schon als kleinen Buben einen Akkuschrauber in die Hand gedrückt hat, muss dann halt länger als Praktikant durch die Betriebe ziehen, bis er das Fehlende aufgeholt hat. Da kann man sich auch nicht darauf berufen, dass es statt Werkbank und Akkuschrauber nur Bücher im elterlichen Haushalt gab.
Des Weiteren kenne ich genug Menschen in meinem Umfeld, die sich nach erfolgreicher Ausbildung noch einen Studientraum erfüllt haben, und dann, wegen besserer Bezahlung, doch in den Lehrberuf zurückgekehrt sind. Ebenso Akademiker, die kaum mehr verdienen, als jemand mit Ausbildung und regelmäßig fluchen, dass sie nicht eine Ausbildung in einem der derzeit gefragten technischen Lehrberufe gemacht haben, sondern sich trotz abgeschlossenem Studium und jeder Menge Schulden von BaFöG und Studienkrediten weiterhin mit prekären Jobs durchschlagen müssen.
Dass an der Uni nur Kinder reicher Leute studieren, kann ich nach einigen Jahren Studium ohne Abschluss nicht bestätigen. Der Studijob war eher die Regel denn die Ausnahme. Demgegenüber sehe ich junge Arbeiter, die schon gut verdienen, obwohl sie noch bei den Eltern wohnen, ein paar Jahre sparen können, und die dann bereits ein Auto haben und eine Familie gründen und relativ gut leben, während der gleichaltrige Studi noch im Studiwohnheim mit schlecht bezahlten Jobs an der Uni an seiner immer noch fern liegenden Karriere bastelt.
Die akademische Ausbildung ist in vielen Fällen keineswegs ein Zuckerschlecken, sondern auch mit jahrelanger Büffelei und entbehrungsreichem Leben am Rande der Armutsgrenze verbunden. Demgegenüber haben Lehrberufe durchaus Vorteile, und ein junger Mensch, der sieht, wie in seinem sozialen Umfeld die etwas älteren Azubis bereits über ein Einkommen verfügen und konsumieren können, will hier natürlich mit halten und sich nicht jahrelang in Themen versenken, zu denen seine Kumpels keinen intellektuellen Zugang haben, während er gemeinsame Aktivitäten absagen muss, weil ihm dazu das Geld fehlt. Das sind allerdings Probleme, die nicht auf der Seite des Akademikermilieus liegen. Es wäre mal wichtig, auch das zu problematisieren, denn es wäre durchaus wünschenswert, wenn mehr Künstler, Ärzte, Manager, Politiker und Juristen mit Wurzeln im “Arbeiter”-Milieu geben würde.
Egal was man macht, wenn man davon profitieren kann, was die eigenen Eltern machen, ist man fast immer im Vorteil, zumal die Eltern das meistens gut finden, und daher unterstützen. Wenn man was anderes machen will, fühlen sie sich oft zurückgesetzt oder empfinden das Kind als “undankbar”.
Der gesellschaftliche Nutzen buchstabiert sich eben hierzulande ausschließlich in Geld, als dem Ausdruck von Wert als abstraktem Reichtum. Woher jemand den hat, spielt kein Rolle. Durch Lohnarbeit kommt man nicht zu Reichtum, sondern dadurch, dass man für Lohn arbeiten lässt. In diesem Sinn sind Kapitalisten arbeitslos. Wer einfach nur nicht arbeitet gilt hierzulande ja nicht als arbeitslos bzw. als Arbeitsloser. Arbeitslose sind Leute die auf Lohnarbeit angewiesen sind aber keine bekommen.
Genau und auch folgendes kann ich unterschreiben.
Das sollten sich auch die Woken, Feministen und sonstige Bürgerrechtler hinter die Ohren schreiben.
Genau. Es ging nie um die Einsparung an sich. Es ging drum populistisch vor einer Wählerklientel gut dazustehen, die einen Armenhass pflegt. Die sich überheben dadurch, dass sie andere ins Elend stürzt. Das ist schon extrem ekelhaft.
Auf die Herkunft aus einer Arbeiterfamilie könne man nicht
stolz sein ?
O, doch ! Sehr sogar !
Die eingebildeten akade -mischen Schnösel ohne Boden-haftung sind doch zum Kotzen.
In Mao’ s China mussten die Studenten im Sommer raus auf die Felder zum Ernteeinsatz.
Das hilft gegen die Abgehoben-
heit der Elfenbeinturmbewoh -ner.
Stolz sein auf etwas, wo man nichts dafür getan hat? Sie meinen wohl Hochmut!
Ein Arbeiter köne auf seine Herkunft,
auf seine Klasse nicht stolz sein ??
Das wäre nicht Stolz, sondern Hoch- mut. ? ?????????????? ??? ??? ??? ???
Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht.
Das wichtigste was man dabei lernt ist, dass Bildung, Intelligenz, Verstand ,Weisheit, Klugheit nicht nur verschiedene Begriffe sind, sondern tatsächlich ganz verschiedene Dinge, die fast nichts miteinander zu tun haben.
Ebenso erkennt man, das die bürgerliche kulturelle Bildung für den größten Teil derer, die sie erhalten haben nichts als Statussymbol ist, ohne in der Tiefe verstanden zu werden. Ich habe bis in EU-Kreise hochintelligente aber gleichzeitig absolut dumme Menschen kennengelernt (es gab das schöne Wort Fachidioten dafür, das sind die, die sich für alles missbrauchen lassen, siehe auch Corona-Ereignis) Das es leider auch bei den von den Kommunisten als Hoffnungsträger gesehenen Proletariern nicht viel besser aussieht ist tragisch. In allen Schichten tauchen immer wieder Menschen auf, die man tatsächlich so bezeichnen kann, entfalten aber keine Breitenwirkung. Im Gegenteil es scheint da eine Art Schutzmechanismus zu geben in allen Parteien, in den Medien. Jeder der durch den Besitz einer gesunden Mischung der genannten Dinge also Intelligenz, Weisheit, Selbstreflexion usw. verfügt wird früher oder später erkannt und von der Meute rausgemobbt.
Und so delirieren sie alle zusammen, sich gegenseitig verachtend aber vereint in Neid, Gier, Dummheit, Hass weiter dem Abgrund entgegen.
Die Kommentare hier strozen vor selbstherrlicher Überheblichkeiten. Da werden stereotypen über den Arbeiter als Grund für vermeintliches scheitern konstruiert. das liest sich z.t. wie die kommentarspalten auf rechten seiten, wenn es um Muslime geht. nicht schön.
was beim Interview auffällt ist, dass vor allem das materielle hervorgehoben wird. aber dem Arbeiter sind “Bezahlkarten” für Sozialhilfeempfänger egal. Er geht ja arbeiten. Viel wichtiger sind Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. und was ich als maßgeblich halte, für eine gesunde Gesellschaft in der die Schichten miteinander agieren können, ist eine solide Chance der Bildung. Etwas was in den 20’er die Arbeiterbewegung erkannt hat. Bildung und Freizeit auf einem Niveau das den Mensch zu einem kulturwesen macht, ist der Schlüssel für eine solidarische Gemeinschaft, in der Gemeinsamkeiten und vor allem auch das soziale entwickelt werden können. diese Bewegung fehlt und wird auch von den “Aufsteiger” nicht erkannt. Das fokusieren auf Armut und asozialen Verhalten hilft der bourgeoisie beim niederhalten des Arbeiter. Solange die die Schulbildung in ihrer Hand haben, wird sich auch nichts daran ändern.