»Kultivierter Niedergang hat auch seinen eigenen Reiz«

Bieberer Berg, Offenbach am Main
diba, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons

Kennen Sie Kaiserlei? Der Offenbacher Stadtteil beeindruckt durch charmanten Gewerbegebietscharakter – und gemordet wird dort nun auch.

Die Autoren Jonas Wollenhaupt und Klaus-Dieter Stork haben einen Offenbach-Krimi geschrieben. Roberto De Lapuente sprach mit Stork über Offenbach und gut versteckte Schönheit.

 

De Lapuente: Ihr habt einen Offenbach-Krimi geschrieben, Name: »Kaiserlei, mon Amour!« Ist Offenbach ein so kriminelles Pflaster?

Stork: Offenbach ist die sicherste und aufregendste Stadt in Hessen. Wo sonst hätten wir einen Krimi schreiben sollen?

De Lapuente: In Frankfurt.

Stork: Über was hätten wir da schreiben sollen? Über die langweilige Boutiquen-Bourgeoise vor der Kleinmarkthalle, die sich billigen Wein teuer verkaufen lässt? Über eine EZB, die unfähig ist die Finanzmärkte zu regulieren?  Oder über Banker im Nadelstreifen, die kein Hessisch verstehen? Einzig der geplante Fernbahntunnel wäre in der Tat ein Thema gewesen. Das wird ein köstliches Desaster. Der kommt aber erst 2041 – oder wahrscheinlich gar nicht. Also es ist noch viel Zeit, bevor Frankfurt ein Thema wird.

»Man fürchtet noch immer das Feeling auf dem Bieberer Berg«

Verschenken Sie doch einen Krimi zu Weihnachten! Vielleicht nicht irgendeinen, sondern diesen hier.

De Lapuente: Als Zugereister ist mir diese Hassliebe – oder ist es Hass? – zwischen Frankfurtern und Offenbachern ein Rätsel. Woher kommt das?

Stork: 1959 wurden die Kickers im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft beschissen. 1963 waren sie sportlich für die Bundesliga qualifiziert, wurden aber nicht aufgenommen. Der zuständige DFB hat seinen Sitz in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Noch Fragen? Aber hassen tun nur die Dummen und Beschädigten. Die Offenbacher warten gelassen mit der »Maabär« am Main.

De Lapuente: Mit wem?

Stork: Maabär – der historischen Figur aus unserem Krimi. Diesen Maabär gab es wirklich. Er war Gelegenheitsarbeiter auf Schiffen und Anlagen. Behauptete, dass er viele fast Ertrinkende aus dem Main gerettet habe. Mit einem kleinen Haken: er konnte gar nicht schwimmen.

De Lapuente: Die Kickers aus Offenbach sind ebenfalls Ertrinkende, die kaum schwimmen können – und freilich kommen sie auch in Eurem Krimi vor. Das ist nochmal so ein trauriges Kapitel der heutigen Stadt Offenbach. Einst Bundesligist und Pokalsieger, nun abstiegsgefährdet in der Regionalliga und an der Schwelle zur Fünftklassigkeit. Das ist auch ein Sinnbild für die Stadt: Muss man sich Offenbach denn als Ort des kultivierten Niederganges vorstellen?

Stork: Wenn im Waldstadion zu Frankfurt bei jedem Heimspiel 50.000 Fans hüpfen wie im Kindergarten und krakeelen: »Wer nicht hüpft, ist Offenbacher!«, dann  zeigt das doch, dass man (zurecht) noch immer das »Feeling auf dem Bieberer Berg« fürchtet. Und kultivierter Niedergang hat ja auch seinen eigenen Reiz.

»Der Größenwahn war noch immer In Frankfurt zu Hause«

De Lapuente: Haben Offenbacher einen Minderwertigkeitskomplex wegen des großen, des reichen, des erfolgreichen Nachbars?

Stork: Der Größenwahn war noch immer In Frankfurt zu Hause. Offenbach ist eine »stille Schönheit«. Sie wird in unserem Roman enthüllt. Mal schauen, wer dann neidisch ist.

De Lapuente: Was man in Eurem Krimi durchaus mitbekommt: Offenbach ist eine Stadt mit industrieller Geschichte – ein Ort, der mal viele Unternehmen teils von Weltruf vorweisen konnte, der heute aber viel Industrie verloren hat. Prägt diese heute in weiten Teilen demontierte Industrie die Stadt noch immer?

Stork: Die industrielle Geschichte aller Städte ist die Geschichte von Klassenkämpfen, würde Marx sagen. Da der schlechteste Verkehrsbund in Deutschland den Offenbachern mit der lahmen Straßenbahn 16 den Zugang zur Welt abschnitt, war die Krise vorprogrammiert. Doch jetzt gibt es vier S-Bahn-Linien, die durch die Stadt führen und zudem den neuen Stadtteil Kaiserlei. Offenbach ist wieder im Kommen!

De Lapuente: Bedeutet Offenbacher zu sein, immer auch das Gefühl zu haben, den Anschluss verloren zu haben?

Stork: Das ist völlig egal. Weil der Offenbacher ohnehin nicht nach Frankfurt fährt. Aber jeder Frankfurter, der sich zu benehmen weiß, ist natürlich in Offenbach willkommen.

»Wovor sollen die Offenbacher Angst haben?«

De Lapuente: Offenbach hat auf mich immer den Eindruck spröden Charmes gemacht. Was sehe ich nicht, was Ihr seht?

Stork: Den Offenbacher Migranten, der sich mit einem formvollendeten »korrekt Bruder« bedankt, wenn du ihm den Parkplatz frei machst. Den biodeutschen Markthändler, der dir am Wilhelmsplatz ausführlich die Bratwurst erklärt. Junge Männer und Frauen, die das Stadtbild verschönern und von Friedrich Merz noch nie was gehört haben. Und Parkanlagen, die nicht von Lifestyle-Linken und Lastenfahrrädern besetzt sind, sondern von normalen Grillfreunden, ob Veggie oder Second-Veggie, genutzt werden. Zu guter Letzt: Ein Rathaus, dass den Römer mit seiner brutalistischen Architektur um einiges überragt.

De Lapuente: Wie haben die Offenbacher eigentlich eure Kriminalisierung ihrer Stadt aufgenommen?

Stork: Offenbach wurde 977 erstmals urkundlich erwähnt. Wovor sollen die Offenbacher also Angst haben? Unser Krimi beschreibt ja, wie eine ehemals Frankfurter Kommissarin nicht nur Offenbach rettet, sondern auch heimisch wird. Was will der Offenbacher mehr, als den integrierten Frankfurter?

 

Klaus-Dieter „Kall“ Stork wurde 1961 nur 300 Meter vom Bieberer Berg geboren. Er studierte Soziologie, Sozialpsychologie, Politik und Pädagogik. Stork war Büroleiter und Persönlicher Referent des Kulturdezernenten in Frankfurt am Main sowie Fachbereichsleiter und Kulturmanager der Stadt Hanau.

Übrigens: Kommenden Mittwochabend lesen die beiden Autoren im Offenbacher Filmklubb. Schauen Sie doch vorbei!

Redaktion

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Die Redaktion unseres Magazins: Florian Rötzer und Roberto De Lapuente.
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2 Kommentare

  1. Aus Frankfurter Sicht wäre es korrekter von „Offebeschern“ zu schreiben, statt von Offenbachern.
    Unn wie iss des Verhältniss zu de Sachsehäuser? Wo doch die 16 aach dorsch Sachsehause fährt.

  2. Die krasse Trennung zwischen OF und FFM gibt es doch sowieso nicht mehr, seitdem die Mieten in FFM unbezahlbar geworden sind und die Leute deshalb nach OF ziehen müssen.
    Deshalb sind die Mieten dort jetzt genauso unbezahlbar geworden. Toll, ne?

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