»Ist Minneapolis nach dem Mord an George Floyd eine wirtschaftlich gleichberechtigte Stadt geworden?«

Black Live Matters
The All-Nite Images from NY, NY, USA, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Hat die Administration Trump tatsächliche das Ende der woken Ideologie eingeleitet? Es gibt berechtigte Zweifel.

Roberto De Lapuente hat mit der amerikanischen Professorin Catherine Liu gesprochen.

 

De Lapuente: In Deutschland spricht man davon, dass die Identitätspolitik in den USA durch die Regierung Donald Trumps ein Ende gefunden hat. Dabei haben amerikanische Unternehmen schon vorher DEI-Regeln beendet. Ist Trump wirklich für die Abwicklung identitätspolitischer Agenden verantwortlich?

Liu: Universitäten werden jetzt möglicherweise auch deswegen untersucht, weil sie DEI weiterhin als Kontrollmechanismus einsetzen. Die Identitätspolitik ist zwar geschwächt, aber sicherlich nicht tot. Identitätspolitik ist eine mächtige Ideologie, die Liberale nicht so leicht aufgeben werden. Tatsächlich kann man beobachten, dass bestimmte Fraktionen der Liberalen sich noch stärker auf Identitätspolitik konzentrieren, obwohl die stille, konforme Mehrheit möglicherweise Zweifel an der Umsetzung einer identitätspolitischen Agenda hat, die unternehmerisch und sprachlich eingreift.

»Hat DEI die Kinderarmut unter Afroamerikanern verringert?«

De Lapuente: Hat die Identitätspolitik denn nichts verbessert?

Liu: Die Fragen, die gestellt werden sollten und schwer zu beantworten sind, sollten lauten Erstens – Ist Minneapolis nach dem Mord an George Floyd eine wirtschaftlich gleichberechtigte Stadt geworden? Und zweitens – Welche Vorteile hat DEI den schwarzen Menschen außerhalb der Welt der Angestellten gebracht? Wurde die Kinderarmut unter Afroamerikanern verringert, während die Zahl der afroamerikanischen und afrikanischen Studenten in Harvard, Yale und Princeton gestiegen sein könnte? Ohne klare Antworten auf diese Fragen werden selbst die Liberalen, die am stärksten hinter DEI stehen, nicht in Scharen herbeiströmen, um die Agenda der Angestellten in den Führungsetagen großer liberaler Organisationen zu verteidigen. Angeblich gibt es Boykotte gegen Unternehmen, die ihre DEI-Initiativen aufgegeben haben, aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob die Macht der Verbraucher hier etwas bewirken kann.

De Lapuente: Die Amerikaner scheinen das »Ende der Wokeness« gelassen zu nehmen. Was ist mit den Tugendpächtern los, Catherine? Wieso schreien die nicht lauter? Sind die USA vielleicht woke-müde?

Liu: Die Menschen sind und waren der von der DEI auferlegten Sprachkontrolle überdrüssig, und es gab eine Menge externer Konformität, interner Widerstand, als sie auf ihrem Höhepunkt war. Das Problem ist, dass es, wie ich bereits erwähnt habe, Teile der Linken gibt, die sich stark dafür einsetzen. Vivek Chibber hat vor einigen Wochen einen neuen Podcast mit dem Titel »The End of Wokeness« über Confronting Capitalism veröffentlicht und wurde von linken Professoren wie William Clare Roberts scharf kritisiert. Auf X begnügten sich einige Leute damit, »Fuck Chibber« zu schreiben – andere bezeichneten ihn als Pädophilen. Das waren die alten Versuche der Einschüchterung und Auslöschung. Der Podcast war meiner Meinung nach eine milde Kritik. Aber der Wahnsinn im Internet zeigte, dass nicht jeder bereit ist, offensichtlich unpopuläre und antilinke Positionen aufzugeben. Sie wollen immer noch die tugendhaftesten Menschen sein, die es je gab – und greifen Andersdenkende an. Ich selbst veröffentlichte »The Left Won’t Let Go of Woke« und herzliche Linke auf X forderten mich auf, mich umzubringen.

»Weder Antisemitismus noch Rassismus sind Probleme an US-Universitäten«

De Lapuente: Erst kosteten DEI-Regeln Betrieben nicht viel Geld. Aber dann sorgten sie für Unfrieden in den Belegschaften – und die woken Politkommissare spalteten das Personal: Ist das woke Unternehmertum nur eine gescheiterte Marketing-Strategie?

Liu: Es war eine Marketingstrategie. Ich glaube nicht, dass sie gescheitert ist. Die Regenbogenfahnen mit den integrierten ukrainischen Farben sind in einigen Gebieten immer noch weit verbreitet. Ich glaube nicht, dass Liberale und woke Linke zugeben werden, dass es sich um eine Marketingstrategie handelte, aber die Konzernbosse geben sie aus Gründen auf, die mir nicht klar sind.

De Lapuente: Glauben Sie, dass es wieder einfacher werden wird in den USA, gewisse Aussagen zu treffen, die bisher sofort pathologisiert und auch kriminalisiert wurden?

Liu: Ich denke, die Menschen fühlen sich freier, ihre Ablehnung darüber auszudrücken, wie die DEI Gelder und Macht missbrauchte, um nichts zu produzieren, dass der »sozialen Gerechtigkeit« ähnelte, von der die Manager dachten, sie sei das Endziel der Unterwerfung unter Sprachregeln. Ich denke, wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir die Meinungsfreiheit erreicht haben. Und dann gibt es immer die Liberalen, die sagen, dass man einfach nur trumpistisch ist. Sie verstehen nicht, dass sie das Trump-Phänomen mit ihrem eigenen repressiven Autoritarismus hervorgebracht haben.

De Lapuente: Dass DEI jetzt abgetragen wird: Führt dieses abrupte Ende nicht dazu, dass die Wokeness in einigen Jahren wieder mit größerem Feuereifer Wiederauferstehung feiern wird?

Liu: Die Liberalen und Demokraten stecken in echten Schwierigkeiten: Die liberalen Institutionen knicken unter der rechten Wokeness ein. Walter Benn Michaels schrieb darüber im Damage Magazine. Für Benn Michaels beschwört die rechte Wokeness das Gespenst des Campus-Antisemitismus herauf, um Debatten und Kritik an Israel zu unterdrücken. Er setzt dies mit dem Einsatz von Rassismus gleich, um abweichende Ansichten über den Liberalismus auf dem Campus anzugreifen. Er argumentiert, dass weder Antisemitismus noch Rassismus Probleme an amerikanischen Universitäten sind. Ich stimme dem zu.

»Die Demokraten wollen weiterhin keine Massenpolitik machen«

De Lapuente: Die Demokraten waren in den letzten Jahren die Tugendpächter. In Deutschland vernimmt man wenig von ihnen. Wie verarbeiten sie gerade ihre Wahlniederlage? Und sind sie weiterhin die Partei woker Ideen? Oder lassen sie ab von dieser Strategie?

Liu: Die jüngste Bezeichnung für die Demokraten verwendet den Begriff »Abundance« [Anm. d. Red.: Das meint so viel wie »Fülle«], wie der moderate Ezra Klein es nennt, um über progressive Ambitionen zu sprechen. Ich habe sein Buch noch nicht gelesen, aber ich habe das Gefühl, dass Klein und andere demokratische Apparatschiks keine Ahnung haben, wie sehr die Menschen die Partei hassen und sich von ihr verraten und im Stich gelassen fühlen. Das Interview auf Pod Save America mit den Leitern der Kamala-Harris-Kampagne hat wirklich gezeigt, dass die Demokraten-Führung es vorzieht, sich auf Fokusgruppen, Big Data und Umfragen zu verlassen, um zu versuchen, Siege von ein paar tausend Stimmen oder weniger zu erringen. Sie wollen keine Massenpolitik machen. Sie haben keine Ahnung, wie die Mehrheit der Amerikaner lebt.

De Lapuente: Ihr Buch machte deutlich, dass Wokeness keine linke Idee ist, weil sie den Klassenkampf nicht auf dem Plan hat. Sehen Sie eine Entwicklung in den USA, die nach der Wokeness vielleicht doch wieder mehr Klassenkampf in den Fokus rücken könnte?

Liu: Während Trump 1.0 wurde viel mehr über die Notlage der Arbeiterklasse diskutiert. Im Moment scheinen die Liberalen so erschüttert zu sein, dass sie sich nicht mit sozialen Fragen befassen können. Die Maske der Tugendhaftigkeit wurde den Demokraten durch ihre unerschütterliche Unterstützung Israels entrissen. Ich weiß, dass es in Deutschland fast illegal ist, Israel zu kritisieren, aber sagen wir einfach, dass die Demokraten die Unterstützung der unter 30-jährigen Wähler auf eine Weise verloren haben, wie es noch nie zuvor der Fall war. Sie waren nicht in der Lage, eine alternative Außenpolitik zur imperialen Maschinerie zu entwickeln, und sie sind eher bereit, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen als ihre republikanischen Kollegen.

De Lapuente: Identitätspolitik baute ja vor allem auf Empfindlichkeiten. Hat Donald Trump, der durchaus auch empfindlich gegenüber Kritik ist, diese Kultur der Wokeness adaptiert?

Liu: Trump ist ein Spielplatzrüpel mit dem Vokabular eines Kleinkriminellen. Natürlich ist er empfindlich gegenüber Kritik und nachtragend. Was haben die Demokraten diesem Gangstertum entgegenzusetzen? Bürokratie! Weil sie nicht den kriegerischen Kampfgeist der 1930er-Jahre aufbringen können, der den Regulierungsstaat aufgebaut hat. Seit Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt wurde, hat jeder amerikanische Staatsmann eine Rolle bei der Zerstörung des Staates gespielt, den Franklin Delano Roosevelt aufgebaut hat. Die Regierung war zu FDRs Zeiten mit idealistischen jungen Technokraten besetzt. Der Verwaltungsstaat wuchs und wuchs im 20. Jahrhundert, aber er verlor seine Orientierung. Regierungsbehörden wurden zu Ausbildungsstätten für Lobbyisten in genau den Branchen, die sie eigentlich regulieren sollten. Wenn der Verwaltungsstaat nicht in der Lage ist, der Macht der Kapitalisten und Oligarchen entgegenzuwirken, hat er seine Daseinsberechtigung verloren. Wir beobachten die Zerstörung einer hegemonialen Form des amerikanischen Liberalismus. Wir sehen den Aufstieg einer Gangsterregierung, eines Gangsterkapitalismus, und für die Menschen, die in diesem Krieg zwischen den brahmanischen Liberalen und der gangsterhaften merkantilen Rechten gefangen sind, gibt es keine guten, sondern nur schlechte Ergebnisse, aber zumindest scheint eine Seite authentischer zu sein als die andere.

 

Catherine Liu ist seit fast dreißig Jahren als Professorin tätig. Sie promovierte am Graduate Center der City University of New York, arbeitete an der University of Minnesota und ist Professorin für Film- und Medienwissenschaft an der University of California, Irvine. Sie hat über Kritische Theorie, Populismus, Anti-Intellektualismus in der akademischen Welt, Psychoanalyse, Klassenbildung und Marxismus geschrieben. Sie interessiert sich für das Scheitern des Liberalismus und das Fortbestehen des Historischen Materialismus als eine Form der Politik und Kritik.

Ähnliche Beiträge:

12 Kommentare

    1. The Last Internationale spielen demnächst wieder in Deutschland (also auch bei mir um die Ecke) und ich kann jedem empfehlen, da hin zu gehen, das sind richtig gute Musiker. Anders als die zwei Songs es vermuten lassen, gibt es da nicht nur traditionelle Protestsongs sondern die zwei lassen es auch richtig krachen.

  1. Wokeness hat nichts damit zu tun wie man sich gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Kultur, etc. gerechter Weise verhält. Elternhaus und Erziehung schon!
    Die Wokeschissten sind mit ihren aufgepfropften, unehrlichen, Verhaltensregeln in der Realität oftmals die schlimmsten Rassisten überhaupt!

    1. Richtig. Die selbsterklärten „social justice warriors“ haben einen umgekehrten Rassismus zum Leitbild erhoben, der darin gipfelt, die Weißen (die immer noch so genannt werden dürfen, während die anderen „Menschen mit Farbe“ sind) aufzufordern, sich jetzt mehrere Generationen lang „zurückzuhalten“ mit Karriereambitionen, bis die entsprechenden Positionen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft „gerecht verteilt“ seien. Das ist purer Rassismus im Namen des angeblichen Antirassismus.

      Dazu passt auch die Eigenbezeichnung der „Black Lives Matter“-Bewegung, dich sich als Gerechtigkeitsbewegung ansieht. Aber was soll „gerecht“ daran sein, nur schwarze Leben zählen zu lassen? Was ist mit nicht genannnten Latinos? Asiaten? Und erst recht mit Weißen? Und so weiter. Warum also nicht „ALL Lives Matter?

      Letztlich hatte diese ganze „Bewegung“ ihren Höhepunkt rund um den Präsidentschaftswahlkampf von Joe Biden, von dessen Kampagne diese ganze „Bewegung“ instrumentalisiert wurde, um ihn, den Lobbyisten aller Steuerhinterzieher Amerikas (Delaware), als „Freund der Schwarzen“ zu inszenieren, bis hin zu solch schwachsinnigen Aktionen wie dem andauernden Hinknien von Sportlern vor Sportveranstaltungen (sogar in der Formel 1) und der Radikalisierung der Bewegungen in den USA, wo 2020 ganze Städte zu „No Go Areas“ wurden, in denen die Polizei nichts zu sagen hatte und massenhaft Geschäfte geplündert wurden. Als der damalige Präsident Trump die Nationalgarde schicken wollte, wurde das empört zurückgewiesen und als Wahlkampfmaterial mißbraucht. Daß die Garde nach dem Sieg Bidens dann doch kam, und für Ordnung sorgte, wurde in den Medien jedenfalls nie gemeldet.

      Vor diesem Hintergrund ist es auch kein Wunder, daß ausgerechnet jetzt die Wokistenbewegung massiv bekämpft wird. Daß sie nie echt war, ist zumindest den Konservativen unter den US-Wählern in den letzten Jahren sehr bewußt geworden, weswegen sie auch Trump gewählt haben. Das Pendel schlägt jetzt um, und die, die es angestoßen haben, jammern….

      1. only black lives matter hiess die bewegung, ja? gehts noch dümmer? die wokeisten/moralisten bewegung wird von superscharfen aus-dem-keller-kritiker überhaupt nicht bekämpft, dafür fehlt euch das intellektuelle handwerkszeug, sondern LGBTQ. aber hat schon mancher gemeint er verbessere die welt mit einem kommentar auf overton!

        1. Jedenfalls agierte dieser Verein so, bis sein korruptes Führungspersonal aufflog:

          https://www.washingtonexaminer.com/news/2162671/black-lives-matter-leader-accused-of-siphoning-off-10-million/

          Halt das übliche Personal im Dunstkreis der Democrats.

          Ich muss dabei an Michael Ballweg hierzulande denken, der gerne als rechts geframet wird, und dem sie ja eben nichts in Richtung Korruption nachweisen können, obwohl alles probiert wird.

          Wurde hier ja gut berichtet.

        2. das einzige, was erreicht wurde, ist, dass dieser ACT gedroppt wurde, sogar Nemo hat seine Haare rot gefärbt und macht jetzt „Rap“ anstatt „Transen-Pop“ oder sowas, die Offiziellen und Zuckerbergs dieser Welt haben diesen Moralismus weggepackt! Derweil die Transleute vom Staat und den Rechten (im Moment müsste mal wohl richtigerweise sagen ist gerade dasselbe) fertig gemacht werden um ihr Mütchen zu kühlen. Ich kann echt nicht aufhören mit dem Applaudieren, diesen Moralisten habt ihrs richtig gegeben, denen fällt garantiert nichts mehr ein womit sie ihre „Werte“ bewirtschaften können.

      2. Es ist wie mit den Kassieren beim Discounter die einem einen schönen Tag wünschen (müssen, auch wenn ihnen gar nicht danach ist) oder mit den s.g. Leitbildern die überall rumhängen und an die sich keiner hält.
        Wie absurd das alles ist zeigt sich hier, ich muss immer wieder dran erinnern
        https://www.rnd.de/panorama/kieler-restaurant-zum-mohrenkopf-warum-ein-schwarzer-gastronom-sein-lokal-nicht-umbennen-will-IP4ZSRMOHFCCXLAFCPNBBZWCGY.html

        Wie absurd das ist zeigt sich auch wenn selbst Juden die nicht nach Netanjahus Pfeife tanzen zu Antisemiten erklärt und ausgeladen werden.

        Ein Asylheim im Nobelviertel der Woken geht natürlich auch nicht., die wollen unter sich bleiben.
        Das sind alles Pharisäer

        Oh, e gibt sicherlich noch viele solcher Beispiele.

      3. „Die selbsterklärten „social justice warriors“ haben einen umgekehrten Rassismus zum Leitbild erhoben… Das ist purer Rassismus im Namen des angeblichen Antirassismus.“

        Nicht zum Leitbild, sondern zur Religion!
        Heilige Werte gelten absolut, daran darf nie gezweifelt werden (komisch…woher kommt mir das nur so bekannt vor?)

        >Wir neigen dazu, heilige Objekte zu identifizieren, etwa einen Felsen oder einen Baum, bei traditionellen Religionen vielleicht eine Person oder einen Fluss; etwas ist uns heilig. Dann umkreisen wir das heilige Objekt, beten es an, bringen ihm Opfer dar. So haben Religionen immer funktioniert. Während die formalen Religionen auf dem Rückzug sind, haben wir nun diese neuen moralistischen Religionen. Zum Beispiel der Kampf gegen Rassismus. Ein sehr guter Zweck. Aber wenn der Kampf gegen Rassismus zum Mittelpunkt eines religiösen Kults wird, entsteht diese extreme Politik. Und das sind die Universitäten seit Jahrzehnten. Sie sind im wesentlichen Kulte um den Kampf gegen Rassismus.<
        Jonathan Haidt

        Religionen sind Mittel zur Bindung und Organisation menschlicher Gruppen. Sie etablieren ein Schema von Werten und Normen, an dem sich Menschen gemeinsam orientieren können. Dies trägt wesentlich dazu bei, ihr hochgradig kooperatives Zusammenleben zu ermöglichen.

        Moral und Religionen binden und blenden, was zu Verzerrungen der Wahrnehmung führt.
        Die Wahrnehmung der Gläubigen blendet alles aus, was sich nicht in ihr Schema einfügt, zum Beispiel Argumente, Fakten und Statistiken, die das saubere Gut-Böse-Schema in ein differenzierteres Bild verwandeln und damit relativieren würden. Dies ist entscheidend: Heilige Werte gelten absolut. Sie lassen keine Abwägung verschiedener Standpunkte oder Kosten-Nutzen-Rechnungen zu. Sie zwingen ein Denken auf, in dem es nur Gut und Böse, Richtig und Falsch, Freund und Feind gibt. So werden Außenstehende schon bei kleinen Verletzungen der heiligen Werte zum »Nazi«.

        Critical Social Justice gehört zu den negativen Religionen, die nicht etwas anbeten oder verehren, sondern primär etwas ablehnen und bekämpfen.

        Es gibt ein lesenswertes Buch, dass sich mit dieser Thematik auseinandersetzt: "Im Schatten guter Absichten". 'Natürlich' fand sich kein Verlag…daher selfpublisher bei amazon.
        https://www.homoduplex.de/der-rassistische-antirassismus-kritik-einer-massenhysterie/

  2. Mir kommt es so vor, als sei der Wokismus nur die neueste Spielart einer eigentlich ziemlich verständlichen Erscheinung, solange es Klassengesellschaften gibt: Angehörige der Oberschicht oder oberen Mittelschicht – bzw. solche, die es werden wollen, über höhere Bildung -, denen die Ungerechtigkeit der Welt auf den Magen geschlagen hat, und die unbedingt was tun wollen.

    Robespierre und seine Kumpels waren meist Anwälte, die sicher nicht am Hungertuch nagten, Marx entsprang auch einer Anwaltsfamilie, Engels war Unternehmersohn. Und so könnte man ewig weitermachen, und insbesondere Studentenbewegungen gehören hier rein, wo am klarsten zu sehen ist, dass hier bloß die Eliten von morgen sich bemerkbar machen, Prinzenaufstände sozusagen.

    Das klingt selbst nach einer identitätspolitischen Argumentation, die sich gegen den Wokismus wendet: euer Einklagen von Sprachregeln und Achtsamkeit und was nicht alles ist Ausdruck eurer privilegierten Stellung. Genau so ist es aber eben. Und so verstehe ich auch Frau Liu. Vielen Dank für das Interview. Ihr verlinkter Beitrag gefällt mir auch sehr.

    Ist doch klar, dass die Nichtprivilegierten von so einem Gehabe, das höchstens die therapeutischen Bedürfnisse dieser Privilegierten mit schlechtem Gewissen bedient, nichts halten. Linke mit so einem biographischen Hintergrund waren früher mal empathischer und weniger egomanisch. Vielleicht, nein sicher, spiegelt sich darin auch Elitenverfall.

    Da nun aber die Führung einstmals progressiver Vereine im Westen überwiegend von diesem Menschenschlag gekapert ist, fällt die ehemalige Linke für Bemühungen um eine bessere Welt praktisch völlig aus. So ist die Lage.

  3. Die Fragen, die gestellt werden sollten und schwer zu beantworten sind, sollten lauten Erstens – Ist Minneapolis nach dem Mord an George Floyd eine wirtschaftlich gleichberechtigte Stadt geworden?

    „gleichberechtigt“ und „wirtschaftlich“ haben i.d.R. nichts miteinander zu tun, die Phrase deutet eher in Richtung „Gleichstellung“, das wiederrum ist aber die Abschaffung von gleichen Rechten, zu Gunsten gleicher Ergebnisse. Das was die Radfems heutzutage praktizieren und viele leider nicht durchschauen.

    Mich würde auch mal interessieren, ob das nun wirklich ein Mord war, m.W. hatte Floyd eine Überdosis inne und bekam vorher schon kaum noch Luft. Die Polizei hat sich ganz sicher nicht optimal verhalten, andererseits muss man immer bedenken, dass die jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, die Waffen der Gegenseite ausgesprochen locker sitzen und Floyd m.W. groß und stark war. Aus dem Fernsehsessel heraus moralisch zu sein, ist ziemlich einfach…

    Wurde die Kinderarmut unter Afroamerikanern verringert,

    Das ist nicht zu erwarten, es gibt ziemlich eindeutige US-Statistiken, dass die meisten schwarzen Kinder ohne Väter aufwachsen. Der Grund ist mir nicht bekannt, evtl. weil es sonst keine Stütze gibt oder sowas. Wenn es nur einen Verdiener gibt, würde ich nicht davon ausgehen, dass die Restfamilie ein normales Einkommen-Durchschnittslevel erreicht.

    während die Zahl der afroamerikanischen und afrikanischen Studenten in Harvard, Yale und Princeton gestiegen sein könnte?

    Was spielt das für eine Rolle, außer für Rassisten? Sollte man nicht nach Leistung gehen?

    Ansonsten ist das Interview gut und erklärt ganz gut die Stimmungslage, so weit ich das von hier aus einschätzen kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert