»Im Ruhestand bin ich nach meiner Beisetzung«

Einsamkeit im Alter
Quelle: Pixabay

 

Immer mehr Menschen sind in unserer stark vereinzelten Gesellschaft von Einsamkeit betroffen. Gerade Ältere leiden besonders darunter, denn es ist für sie in der Regel schwierig, sich daraus zu befreien.

Elke Schilling, Gründerin des Vereins »Silbernetz«, hat ein Buch über Strategien gegen Einsamkeit im Alter geschrieben.

Roberto De Lapuente sprach mit Elke Schilling.

 

De Lapuente: Sie befassen sich mit Einsamkeit – genauer gesagt: Mit der Einsamkeit älterer Menschen. Sind in der heutigen Zeit nicht viele Menschen verschiedener Altersgruppen einsam?

Schilling: Vor zwei Jahren sprach mich ein Literaturagent an. Er meinte, es würden gerade viele Bücher zu Einsamkeit veröffentlicht, jedoch nicht ein einziges zur Alterseinsamkeit. Er meinte, ich wäre die Richtige dafür. Ansonsten denke ich, hat es Einsamkeit schon immer gegeben. In unserer Leistungsgesellschaft ist das als Defizit jedoch zum Tabu geraten.

De Lapuente: Was macht Alterseinsamkeit anders als die Einsamkeit in anderen Lebensphasen?

Schilling: Einsamkeit kann jeden treffen, egal wie viele Jahre gelebt wurden. Mit dem Übergang aus dem Erwerbsleben in den sogenannten »Ruhestand« gehen für viele Menschen die Menge der Alltagsbegegnungen zurück. Es wird sehr viel aufwendiger, neue Kontakte zu schließen. Wenn also Ältere in die Einsamkeit fallen, ist es für sie oft schwieriger, den sich öffnenden Teufelskreis zu verlassen.

»Alten Menschen wird öffentlich kaum Wahrnehmung geschenkt«

Elke Schillings Buch: Ab heute im Handel!

De Lapuente: Höre ich heraus, dass Sie das Wort »Ruhestand« nicht mögen?

Schilling: In der Tat – es unterstellt stereotyp, dass Menschen im Alter nichts mehr beizutragen haben. Ganz persönlich sehe ich mich im Ruhestand nach meiner Beisetzung.

De Lapuente: Weshalb ist es schwieriger, im Alter neue Kontakte zu knüpfen?

Schilling: Wie gesagt, die durch Erwerbsleben gegebenen Begegnungen entfallen meist und je älter ein Mensch wird, desto mehr seiner lebenslang bestehenden Beziehungen gehen verloren. Parallel kann sich die eigene Mobilität und Kontaktbereitschaft vermindern. Tiefe Trauer über den Verlust eines Lebenspartners kann ebenfalls Einsamkeit auslösen. Einmal in die Falle geraten, kann die Erfahrung selbstverstärkend wirken. Und: Alten Menschen wird öffentlich kaum noch Wahrnehmung und Wertschätzung geschenkt.

De Lapuente: Gibt es nicht genug Angebote für Senioren? Sind die nicht niedrigschwellig genug?

Schilling: Niedrigschwellig heißt für mich barrierearmer Zugang sowohl zu Angeboten als auch zu Informationen über Angebote. Es gibt mancherorts relativ viele Angebote für Ältere. Aus unterschiedlichen Gründen wissen jedoch etwa ein Drittel der Älteren nicht einmal, was es für sie geben könnte. Und Barrierearmut ist weder im öffentlichen Raum noch in den Informationsweisen des öffentlichen Lebens konsequent umgesetzt. Nur ein Beispiel: Lebenswichtige Kontakte, Telefonnummern könnten auf den Teletextseiten der öffentlich-rechtlichen TV-Sender stehen. Die werden tatsächlich aus jahrzehntelanger Gewohnheit heraus von den Älteren gelesen. Stattdessen wird bei Informationssendungen auf die Internetseite des jeweiligen Senders verwiesen. Weit über 5 Millionen, mehrheitlich Ältere, haben jedoch keinen Internetzugang, damit auch keinen Zugang zu mitunter lebensnotwendigen Informationen und Dienstleistungen.

De Lapuente: Würden Sie sagen, dass Gewohnheit im Alter zum Problem wird?

Schilling: Ich denke, starre Gewohnheiten und unbearbeitete Ängste sind in jedem Alter ein Problem.

»Es braucht unübersehbare Kampagnen gegen Einsamkeit«

De Lapuente: Haben Sie den Eindruck, dass die (Kommunal-)Politik überhaupt ein Auge für dieses Dilemma hat?

Schilling: Zum Jahresende 2023 hat die Bundesregierung ihre erste Einsamkeitsstrategie veröffentlicht. Das ist ein guter Start. Wenn dazu eine entsprechende Finanzausstattung kommt, ist viel Veränderung möglich. In Kommunen ist es eine Frage der politischen Prioritäten und der Finanzausstattung, ob das Dilemma wahrgenommen und ihm wirksam begegnet wird. Der sogenannte Altenhilfeparagraph des SGB XII bietet die gesetzliche Grundlage dafür. Obwohl das von Fachverbänden schon lange gefordert wird, ist er leider keine Pflichtaufgabe der Kommunen und seine Umsetzung demzufolge nicht finanziell abgesichert. Also: Augen sind da schon einige …

De Lapuente: Was muss man sich denn unter einer erfolgreichen Einsamkeitsstrategie vorstellen? Wie müsste die Gesellschaft ausgerichtet werden, damit ältere Menschen weniger einsam sein können?

Schilling: Ich würde es nicht auf Ältere beschränken. Resilienz gegen das ganz normale gelegentliche Einsamkeitsempfinden kann schon von Kind an entwickelt werden. Ansonsten sind Wahrnehmung und Wertschätzung der Vielfalt älterer Menschen und ihrer sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebenserfahrungen aus meiner Sicht eine Grundvoraussetzung. Es braucht unübersehbare Kampagnen wie die englische »Campaign to End Loneliness«, um das Thema Einsamkeit mit gesichertem Wissen und nachhaltigen Angeboten in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und das Tabu aufzulösen. Eine Informationspolitik, die barrierearmen Zugang zu Information und Beteiligung für Ältere ermöglicht. Wahrnehmung und Reflexion von Altersstereotypen in Bezug auf sich selbst und andere, sowie von struktureller und institutioneller Diskriminierung Älterer und eine öffentliche Diskussion dazu sind dringend notwendig. Die Liste ist erweiterbar.

De Lapuente: Sie sind Gründerin des »Silbernetz« – was leistet der Verein?

Schilling: »Silbernetz« ist ein bundesweites Angebot per Telefon »zum einfach mal Reden«. Unser Silbertelefon mit der Rufnummer 0800 4 70 80 90 steht täglich von 8-22 Uhr für Menschen über 60 zur Verfügung. Dazu kommen die Silbernetz-Freundschaften, wo regelmäßig Ehrenamtliche den ihnen vermittelten Älteren anrufen und die Silberinfo, mit der wir gegen die Informationsarmut Älterer vorgehen. Über Weihnachten und Jahreswechsel sind wir rund um die Uhr erreichbar, weil dann Einsamkeit am schmerzlichsten empfunden wird. Diese Angebote sind vertraulich, anonym und kostenfrei für die Anrufenden. In den fünf Jahren unserer Existenz haben wir mehr als 550.000 Anrufe erhalten.

»Ein Gespräch kann ein Geschenk für beide Seiten sein«

De Lapuente: Man findet »Silbernetz« ja im Internet. Aber wie Sie schon sagten, viele ältere Menschen sind gar nicht online. Welche Wege schlagen Sie sonst noch ein, um das Projekt Angebot für ältere Einsame sichtbar zu machen?

Schilling: Am wirksamsten ist tatsächlich das Fernsehen. Immer, wenn ich dort über das Silbernetz berichten konnte und während des Interviews die Rufnummer auf meinem T-Shirt lange genug zum Mitschreiben sichtbar war, schnellten die Anrufzahlen in die Höhe. Fernsehen ist für viele Ältere das am einfachsten zu nutzende Medium – und Rundfunkgebühren müssen alle zahlen. Arztpraxen und Tageskliniken erleben die Einsamkeit ihrer Patientinnen und Patienten und geben gern unsere Rufnummer an sie weiter.

De Lapuente: Wird das Angebot rege angenommen?

Schilling: Jeden Tag sind es rund 220 verschiedene Ältere, die das Gespräch mit uns suchen, einige davon täglich – für die sind wir Ersatz für Familie, weil sonst niemand mehr da oder erreichbar ist. Bis zu 30 Menschen rufen an jedem einzelnen Tag zum ersten Mal an. Nach Fernsehberichten können das schon mal bis zu 500 am gleichen und den folgenden Tagen sein. Ich hoffe sehr, es gelingt uns auch weiterhin, mit dem stetig wachsenden Bedarf Schritt zu halten.

De Lapuente: Wir leben ja grundsätzlich in einer sozial kalten Zeit. Was meinen Sie, sollten sich jüngere Menschen einfach mal trauen, ältere Menschen, von denen sie meinen, sie seien einsam, anzusprechen? Kann so ein bisschen Smalltalk für Einsame schon hilfreich sein?

Schilling: Dem »grundsätzlich« möchte ich widersprechen. Es sind oftmals die Rahmenbedingungen, die soziale Annäherung erschweren. In unseren gentrifizierten Großstädten können sich kaum noch unterstützende Nachbarschaften entwickeln und überall, auch auf dem Land verschwinden die Orte, wo man sich einfach so begegnen kann. Smalltalk auf der Treppe kann einen ersten Kontakt ermöglichen. Dann geht es um Interesse und Achtsamkeit, um die Bereitschaft, den anderen wahrzunehmen und das zu zeigen. So mancher Ältere geht nur deshalb zu Hauptgeschäftszeiten einkaufen, weil dann das Gefühl, ganz allein zu sein, nachlässt. Und wenn sich dann noch die Möglichkeit zu einem freundlichen Gespräch ergibt, kann das ein Geschenk für beide Seiten sein.

 

Elke Schilling ist die Gründerin von Silbernetz, einem Telefonangebot für ältere einsame Menschen. Von 1994 bis 1998 war sie in Sachsen-Anhalt Staatssekretärin für Frauenpolitik und hat freiberuflich als Organisationsentwicklerin und Mediatorin gearbeitet. Als Seniorenvertreterin für Berlin-Mitte engagierte sie sich von 2011 bis 2018 ehrenamtlich.

Mehr Informationen zu »Silbernetz« finden Sie hier: Klick.

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21 Kommentare

  1. Um ehrlich zu sein, ich fürchte mich schon seit Jahren vor dem Rentenbeginn. Zum Glück für mich, kann man heute wegen “Fachkräftemangel” auch länger arbeiten.
    Für mich ist der größte Negativfaktor des Rentnerlebens – wenn man keine Kinder und Enkel hat – dass man plötzlich nur noch von Gleichaltrigen umgeben ist, wenn überhaupt. Alle Jüngeren sind bei der Arbeit und haben nur begrenzt Zeit, während man selbst jeden langen Tag tot zuschlagen hat.
    Durch den sich ständig verschärfenden Geldmangel hat man auch gar nicht mehr die Möglichkeiten, sich am sozialen Leben zu beteiligen und neue Menschen kennen zulernen.

    1. Was mich angeht: Angst vor der Rentenzeit hatte ich nie, vielmehr war ich am Ende des Arbeitslebens ziemlich ausgelaugt. Die Arbeitswoche hatte allerdings auch nicht immer nur fünf Tage und 38 Stunden …

      Für mich begann die Rente schon vor über sieben Jahren. Mehr als ein Jahr habe ich gebraucht, um mich zu erholen. In dieser Zeit habe ich außer Essen, Schlafen und Spazierengehen nicht sehr viel unternommen. Jetzt genieße ich die Rentenzeit!

      Allerdings bin ich ein Mensch, der gut allein sein kann und will; »allein« zu sein ist etwas anderes als »einsam« zu sein. Noch bin ich körperlich fit (toi toi toi) und kann alles machen, was ich will, nicht zuletzt dank einer Rente in der sog. Durchschnittshöhe, von der ich keine Miete zahlen muss, sondern nur Hausgeld für die Eigentumswohnung.

      Habe heute Morgen mein Solomotorrad geputzt, nachdem das gestern auf einer größeren Eifelrunde ziemlich viel Streusalz schlucken musste. Irgendein Hobby, also etwas, was einen beschäftigt, sollte man schon haben. Viel Zeit zum Lesen zu haben, auch zum intensiven Musikhören, empfinde ich ebenfalls als Geschenk.

      Man lebt nicht um zu arbeiten. Es sollte eher andersherum sein.

  2. Gründe für Vereinsamung:
    Die Vorstellungswelten und die Einstellungen haben sich im Zuge eines neuen Zeitgeistes soweit geändert, dass Gespräche, die man braucht, um aus der Einsamkeit heraus zu kommen, immer schwieriger werden.
    Das findet sich im politischen Bereich, wo man als Anhänger einer Entspannungspolitik von Brandt und Bahr sich heute beschimpfen lassen muss als “Putinversteher”.
    Wenn heutige relativ junge Politiker in Regierungsverantwortung davon reden, man dürfe sich in seinem politischen Handeln (Krieg in der Ukraine eskalieren) nicht einschüchtern lassen, durch die Gefahr eines Atomkrieges, dann empfindet man schlicht Entsetzen angesichts solcher suizidaler Relitätsblindheit. Zumal, wenn man in Jahrzehnten gelebt hat und aktiv war, wo es die vordringliche Sorge (zu Recht) deutscher Politiker war, den Einschlag sowjetischer Atomraketen auf Deutschland durch geschickte Diplomatie zu verhindern. Wer heute zu friedenstiftender Diplomatie aufruft, der wird diffamiert. Sogar vom Bundeskanzler (als “Engel aus der Hölle”).

    Im privaten Bereich wird man ausgegrenzt, wenn man sich kritisch äussert, zu einer anstehenden Hormonbehandlung eines Transgender-Enkelkindes. Man darf mit den Enkelkindern keine Unternehmungen (Ausflüge, … ) mehr machen. Und das angesichts eines eigenen Kindes, das man zu einem rational denkenden Menschen erzogen hat, und das heute als Mathe- und Physiklehrer arbeitet. Die eigene Frau tut natürlich alles, was verlangt wird, nur um die Enkelkinder sehen zu dürfen.

    Die meisten “Ruheständler” in meinem Bekanntenkreis haben sich in Fragen der Politik und der Wokeness einfach angepasst, sie haben ihre früheren Überzeugungen aufgegeben und hoffen so, als “jung” zu gelten, indem sie jede Mode mitmachen. Ich kann dies nur als würdelos bezeichnen.

    Die wachsende Intoleranz und die Meinungsdiktatur in unserer Gesellschaft leisten einen großen Beitrag zur Vereinzelung und zur Einsamkeit.
    Dazu kommt, dass generell ältere Menschen in unserer Gesellschaft keine Achtung und keinen Respekt geniessen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Kabarettist (ich glaube es war ein Österreicher) dazu aufforderte darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre über 70 Jahre alte Menschen zu töten, als Migranten abzuschieben.
    Ich habe es in den letzten Jahren ein einziges Mal erlebt, dass mir ein junger Mensch, wohl aufgrund meiner grauen Haare, seinen Sitzplatz in der U-Bahn anbot. Und dies war ein junger Syrer.

    1. Ich, 82, kann dem Gesagten nur voll zustimmen. Wenn ich allerdings meine Jugendzeit überdenke komme ich leider auch zu dem Schluss dass ich seinerzeit mich viel zu oft dem damaligen Zeitgeist anpasste obwohl ich nicht dem Mehrheitsverhalten meiner Altersgenossen entsprach – konnte zB. mit passiven Fans für Fussball, POP-Stars etc. nichts anfangen. Ferner konnte ich nicht begreifen wie man sein gesamtes Arbeitsleben mit Routinearbeiten verbringen kann, kein Bedürfnis nach aktiver Krealtivität bzw. Veränderung von Missständen hat.
      Den Großeil meines Arbeitslebens verbrachte ich als Organisator/Systemanalytiker in grossen Industrieunternehmen, “think out of the box” hat mich dabei auch geleitet obwohl dies manchmal negativ in Beurteilungen diffamiert wurde mit der Formulierung “setze sich auch über seinen Aufgabenbereich ein” – trotzdem, würde ich alles noch mal so machen – war eine aufregende und spannende Zeit. Wenn ich allerdings Altergenossen aus “normalen” Verhältnissen heutzutage davon erzähle habe ich manchmal das Gefühl die glauben ich spinne mir meine damaligen Erlebnisse, auch mit bekannten Persönlichkeiten, zusammen – soviel Sachen kann doch ein Einzelner nicht erlebt haben..

    2. Ach, ein junger Syrer? So, so…

      Weil hier auf dem Land die Busverbindungen nicht so toll sind, und auch aus Kostengründen, habe ich mir seit längerem wieder angewöhnt in meiner näheren Umgebung per Analter zu fahren. Dabei ist mir aufgefallen, daß – in Relation zur deutschen Bevölkerung – der Ausländeranteil an Leuten, die Tramper mitnehmen, erstaunlich hoch ist. Gefällt mir gut. So kommt man zwanglos und sozusagen zufallsgeneriert mit Leuten aller Art ins Gespräch. Sehr hilfreich, um Vorurteile abzubauen…….

  3. Daß mit der Einsamkeit,
    ist nicht daß Haupt-Problem sondern die Alters Armut bei 1000€ Rente im Monat bin ich bestimmt Obdachlos oder in einer Massen Unterkunft mit ganz vielen Sozialen Kontakten.

    Da sind mal wieder Wohlstands-Verwahrlosungs-Soziolog*Innen unterwegs und versuchen die Bürger hinter die Fichte zu führen.

  4. Ein wichtiges Thema.
    Freundschaften und Kontakte sind dann intensiver, wenn man zusammen etwas Neues, Wichtiges und Besonderes erlebt oder bewältigt hat. Deshalb sind ja die Jugendfreundschaften die intensivsten, die teils sogar noch gepflegt werden, obwohl man sich längst auseinander entwickelt hat. In der Jugend ist eben vieles noch neu, und der Aufgaben/Herausforderungen gibt es viele.

    Vergleichbare Situationen, in denen man gemeinsam etwas Neues erlebt oder bewältigt, werden im Leben immer seltener. Das liegt auch daran, dass für Ältere vieles eben nicht mehr neu ist. Deshalb sind die Kontakte, die der ältere Mensch knüpft – und das betrifft schon Menschen ab 45 oer 50 Jahre – nur selten so intensiv und persönlich wie die Kontakte von früher.

    Um so wichtiger wird dann neben alten Freundschaften oft die Verwandtschaft, mit der man zwar nicht unbedingt die Interessen teilt, dafür aber Lebenserfahrungen und Erinnerungen. Wohl dem, der hier die Kontakte gepflegt hat – leider nimmt zu ihrem eigenen Schaden die Zahl derjenigen zu, die das nicht tun bzw. jahrelang nicht getan haben. Wenn heute von der Einsamkeit älterer Leute gesprochen wird, dann betrifft das in einem hohen Maße jene Menschen, die – aus was für Gründen auch immer – wenig in ihre Verwandtschaft eingebunden sind. Und in besonderem Maße trifft es dann jene Menschen, denen die eigene Selbstverwirklichung in ihrern jungen und mittleren Jahren über alles ging, sodass sie die Kontakte bewusst vernachlässigt oder abgebrochen haben. Daneben gibt es natürlich auch ältere Menschen, die durch Pech und Schicksalsschläge wenig Verwandtschaftskontakte haben.

    Ich denke mal, dass es ältere Menschen heute schwerer haben als vor 30 oder 60 Jahren. Das liegt nicht nur daran, dass es heute – wie erwähnt – mehr kinderlose Rentner gibt und dass der Familienzusammenhalt schwächer geworden ist (dies auch auch wegen der gestiegenen beruflichen und räumlichen Mobilität), sondern auch daran, dass sich die Veränderungen der Lebenswelt beschleunigt haben.

    Natürlich gab es auch für einen 70-Jährigen im Jahre 1970 viel Neues und er mag manches nicht mehr verstanden oder abgelehnt haben, doch war das Neue verglichen mit heute weniger oder es betraf kleinere Teile der Gesellschaft. Wer heute auch nur zehn Jahre bestimmte Neuerungen ignoriert, der befindet sich schon halb in einer anderen Welt. Auch das erklärt die Smartphones mancher Rentner.

    Ich wage die Vermutung, dass das Thema “Einsamkeit im Alter” in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird und immer mehr ältere Menschen betreffen wird. Die heutige Lebensweise der jüngeren und mittleren Jahrgänge lässt das stark vermuten:

    – hohe Zahl virtueller/digitaler Kontakte zulasten echter analoger Kontakte/Unternehmungen;
    -> geringere Intensität der Kontakte, häufigerer Wechsel, geringer entwickelte soziale Kompetenz (z.B. Empathie)

    – geringer gewordene soziale Verwurzelung in Vereinen, Kirchengemeinden, Nachbarschaftsgruppen oder sonstigen Organisationen
    -> größere Mühe, neuen Leuten zwanglos zu begegnen und sie kennen zu lernen

    – hohe räumliche und berufliche Mobilität
    -> weniger intensive Kontakte zu Nachbarn und Kollegen

    – zurückgehende Pflege des Verwandtschaftslebens und der Familienfeste
    -> schwach entwickelte Kontakte selbst zu näheren Verwandten wie Geschwister, Tanten, Cousins – teils sogar zu den eigenen Eltern

    – Ein-Kind-Familien oder Kinderlosigkeit
    -> wenig oder keine jüngeren Verwandten im Alter

    – Anspruchshaltung; Mühe, Kompromisse einzugehen, “Mittelpunkt-Macke” mancher verwöhnter Menschen
    -> Nachteile für das Pflegen und Fortentwickeln von Freundschaften

    Die Liste dürfte unvollständig sein.
    Da werden sich manche, die heute 30 oder 50 sind, noch wundern …

  5. Ja die Menschen wurden eingepfercht in einem langen anhaltenden Narrativ.
    https://de.rt.com/meinung/194266-alexander-dugin-auf-ins-neue-mittelalter/
    Die Ghettoisierung von Metropolen sorgt dafür, das die Unmenschlichkeit ihren Weg einhergeht.
    Das WWW als Ausgleich, jeder Kunde bezahlt für seine ‘sozialen Medienkontakte’.
    Wer das Internet als das Mass der Dinge darstellt, sollte es verstaatlichen, nur wer verfügt schon über ein eigenes Netz? Der Hamster im Rad oder doch Dugin?

  6. “Ganz persönlich sehe ich mich im Ruhestand nach meiner Beisetzung.”

    Den Spruch hänge ich mir doch glatt eingerahmt über die Couch!
    Spitze! 👌🏼👍
    Wobei ich der Meinung bin, daß zumindest in den Städten niemand einsam sein MUSS. Nur haben die meisten Senioren nicht gelernt, daß Ensamkeit lebensgefährlich im echten Wortsinne ist, und auch nicht, wie man sie erkennt und sich daraus befreit. Wenn man dies nämlich schon im Arbeitsleben praktizieren würde, käme es zu einem massiven Rückgang der Entsolidarisierung zwischen den Werktätigen – und da das ja wohl nicht im Interesse der Unternehmen sein dürfte…. Hier haben wir also eine systembedingte Ursache und Grundlage von Alterseinsamkeit.

  7. Da hab ich doch mal was:
    https://www.youtube.com/watch?v=3aB_Dij1uFw
    Das sind also mehrere Folgen.
    Gemeinschaften- das klingt erstmal gut, doch kostet der Eintritt auch etwas.
    Und man selber sollte wenigstend einigermaßen gemeinschaftskompatibel sein.
    Immerhin sind eben z.b. eigene Kinder, wenn sie weltweit sich auf und davon machen,
    keine sonderlich große Hilfe, wenn es ans Küche-Renovieren geht oder sonstige Balance-Akte auf Leitern anstehen.
    Also man holt ja nicht wegen jedem Pipi den Handwerker.
    Einsamkeit bedeutet konkret: nicht mehr wie früher voller Kraft und Selbstvertrauen alles machen zu können.
    Dazu das weite Feld moderner Technik: geradezu gezwungen wird man.
    Laufend ploppt was Neues auf, was ich vielleicht gar nicht wissen will.
    Eine ältere Dame in meinem Umfeld wurde derart von Betrügern abgezogen-
    weil sie als künftige Gewinnerin angesprochen wurde, und den Fake nicht erkannte.

  8. Wer es nicht schafft, sich für Olympia zu qualifizieren, muss ja den Linienbus nehmen (wo vorhanden), um Kontakte im Alter aufrecht zu erhalten. Nur klappt das mit der Wildwasserfahrt im Wackeldieselungetüm dann nicht mehr. Oder die Gesundheitsökonomen zwingen die Leute an Rollatoren, nachdem sie tüchtig verängstigt wurden, um ja nicht mehr am Straßenverkehr teilzunehmen. Hat man die schon mal aus dem SUV- Getümmel eliminiert. Ein Dreiradfahrrad kann aber ein Gehschwacher besser gebrauchen- da steht aber der dynamische Schnösel Gesetzgeber vor und verteilt Fahrkarten für den ÖPNV, die aber, s.o., niemand braucht. Wer dann aufmuckt kommt ins Heim mit der Schnellablebegarantie.

  9. Das Thema „Einsamkeit“ in einer anwachsenden Gesellschaft ist wichtig, zweifelsohne. Doch bitte nicht so anzusprechen. Als seien alle Einsamen Angehörige der Gesellschaftsgruppen, die sich, wie irgendwelche Abgeordnete in irgendwelchen Einrichtungen, eine Pension oder Rente erdient/erschleimt/ergaunert haben. Schon mal einen einsamen Menschen unter einer Brücke schlafen gesehen? In einem reichen Land wie diesem?

    Ein mit einem in die Nase gerammten Stab verletztes Kind fühlt sich genauso allein und verlassen, wie seine in einem Seniorenheim isolierte Großmutter, die ohne Kontakt zu irgendwem hilflos verreckt. Nur, damit eingebildet Hochnäsige sich ihre Hintern von Massagesitzen in Dienstwagen in Bewegung setzen lassen können.

    Soziopathische Kapitalisten, die derzeit die Welt regieren, arbeiten auf Totalisolation aller Individuen hin (kann man bereits z. B. im „Herder-Lexikon“ aus den 50-er Jahren nachlesen), das ultimative „divide et impera“. Selbständige – im Denken, im Handeln, im wirtschaftlichen Tun – sind denen ein Dorn im Auge. Für Selbständige gibt es keine Rente, sondern nur den Tod, wenn sie nicht mehr arbeiten können.

    Donald E. Knuth ist nun 86 Jahre alt, meint irgendwer, dass der nicht „ins Internet kommt“?

    Es mag unter „Älteren“ Leute geben, die „keine Ahnung“ vom Internet haben.
    Etwa genauso viele gibt es in der „jungen Generation“, die sich Spotify ins Ohr spülen lassen, pausenlos auf Fon-Monitore starren und dort sinnfrei in „Spielen“ herumklicken“ oder „chatten“, also Texte, die vor grammatikalischen und Rechtschreibfehlern nur so strotzen, gepaart mit sogenannten „Emojiis“, blöden Bildchen, deren Bedeutungsgehalt nicht aus ihren sinnentleerten Fratzen hervorgeht, untereinander austauschen, während sie im Straßenverkehr(!) auf per „App“ gemieteten Rollern herumgurken.

    Von wegen „Digital Natives“ – das sind die Youngsters, die unhinterfragt sämtlichen Datenerfassungen in Programmen („Apps“) zustimmen und obendrein ihre Bankdaten noch an der Kasse eines Supermarkts per Handy an alle interessierten Behörden weiterleiten.

    Digital Naives wäre die passendere Bezeichnung.

    Die Frage ist doch eher: Weshalb weigern sich „Ältere“, den „Jüngeren“ bei ihrem Eigenschutz zu helfen?

    „Über Weihnachten und Jahreswechsel sind wir rund um die Uhr erreichbar, weil dann Einsamkeit am schmerzlichsten empfunden wird.“
    Mein aufrichtiges Beileid für alle, die so empfinden.
    Für mich sind Weihnachten und Silvester mittlerweile die besten Tage, da ich an diesen meine Ruhe habe, weil alle mit sich selbst beschäftigt sind und demzufolge mich in Ruhe lassen. Wenn im Sommer der Bundestag pausiert, das ist auch eine gute Zeit, dann verbrechen die Typen nichts weiter.

    Und um mal eine Frage zu stellen, die in diesem Interview nicht gestellt wurde: Worüber wird denn in den täglichen 220 Anrufen gesprochen? Wird darin bloß „getröstet“, beschwichtigt, um das Revolutionspotenzial auf einem möglichst niedrigen Level zu halten? Oder wird über Organisationsmöglichkeiten gesprochen, wie sich isolierte Individuen gegen diese brutale Herrschaft des Großkapitals und die „dümmste Regierung aller Zeiten“ zur Wehr setzen können?

  10. Es ist nicht Aufgabe der Politik, von Soziologen und Psychologen herausgefundene Defizite älterer Menschen zu beweinen, sondern soziale Leistungen in einer Höhe zu gewährleisten, die weiterhin Teilhabe ermöglicht. Ansonsten ist es Angelegenheit jedes einzelnen Menschen, sich zu entscheiden, was er mit dem Geld anfängt. Nicht jeder entscheidet sich für einen Rollator, genau so wenig wie sich jeder für eine Corona-Impfung entschieden hat. Es gibt jede Menge z. T. kostspielige Hilfsmittel und medizinische Apparate, die niemandem helfen, außer ihren Herstellern.
    Manche ältere Menschen beharren auf ihrem Recht, sich sinnend peu à peu aus dem Leben zurückzuziehen. Es ist ja nicht unbedingt eine wünschenswerte Entwicklung im Alter von 70 + x pubertäre Schlachten auszutragen. Oder heißt das Hochleistungsziel jetzt “Unverhofft mitten aus dem Leben gerissen – Unsere Karolin geb. 23. Februar 1924 gest. 14. Januar 2024. So gerne hätte sie ihren 100sten noch erlebt.”
    Weder Pubertiere noch Alte haben Lust auf ein fremdbestimmtes Leben. Nur Kinder sind bei ihren ersten Schritten auf wohlmeinende und -wollende Unterstützung angewiesen. Ich wehre mich nach Kräften gegen jede zu frühe Unterstützung. Folgende Antwort ist hilfreich: “Danke für ihr Angebot. Sie können sich sicher sein, bei Bedarf werde ich auf ihr Hilfsangebot zurückkommen.” Fast immer lachen dann 2 Leute.
    Jeder Erwachsene – auch der alte – hat zu seiner eigenen Lage irgendetwas beigetragen. Alles kann er nicht auf böse Eltern schieben. Einsamkeit ist nicht selten die Folge einer jahrelang gepflegten Unausstehlichkeit, die manchmal sogar Züge von Bösartigkeit enthielt und bei Menschen mit zunehmendem Alter oft sogar noch wächst. Die Vereinsamung kann dann die bedauerliche Folge des Umgangs mit anderen Menschen sein. Dem ist selten abzuhelfen. Es gibt ja die Vermutung, dass Alte auch gerne uneinsichtig, starrsinnig werden.
    Allen, die versuchen ihre eigene Lebenslage als älter werdende Menschen einzuschätzen, empfehle ich Simone de Beauvoirs Buch “Das Alter”. Ich fand es sehr hilfreich.

    1. Könnte eine interessante Lektüre sein. Kann mir allerdings nicht vorstellen, dass man bei Beauvoir einen positiven Bezug, ausgerechnet zum leistungsmoralischen und in Gold geschmiedeten Leitspruch aller untertänigen Dummköpfe finden kann.

  11. Ein wichtiger Satz von Christa Meist:

    “Jeder Erwachsene – auch der alte – hat zu seiner eigenen Lage irgendetwas beigetragen.”

    Eigenverantwortung!

    Insofern spüre ich angesichts solcher sicher gut gemeinten Angebote wie jenem von Frau Schilling auch eine gewisse Ambivalenz.

    Ich bin etwas allergisch gegen professionelle Betreuungsangebote. Es hat so eingerissen, dass sich alle möglichen Organisationen – egal ob staatlich oder nicht – um alle möglichen Gruppen von “Benachteiligten” kümmern.

    1. @ Wolfgang Wirth
      Meine Skepsis gegenüber wissenschaftlich begründeten Hilfsangeboten ist sprunghaft gestiegen, als ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf das Wort “Sozialmarkt” gestoßen bin. Zu einem Markt gehören Professionen und die staatliche Kontrolle der Ausführenden mit Hilfe von Papierbergen. Auf dem Sozialmarkt konkurrieren mittlerweile Tausende “gelernter Helfer” als Einzelselbständige um den Verkauf ihrer Hilfsleistungen beim Aufräumen, dem traditionellen Frühjahrs- oder Herbstputz., dem Einkaufen, der Begleitung zu einem Besuch beim Arzt, beim Arbeits- oder Rentenberater, beim Spaziergang nach einem schweren Sturz, der Beförderung zu einem privaten Termin, der einem am Herzen liegt, dem Wecken eines Schulschwänzers, dessen Eltern auf der Arbeit sind, wenn er aufstehen soll… . Mit “Klar helfe ich meinem Nachbarn, wenn er mich darum bittet und ich kann es leisten” ist nichts verdient. Auf dem Land hilft im persönlichen Umfeld der Nachbar in aller Regel noch. In der Anonymität der Städte so gut wie nicht mehr. “Hilfe” verlangt eine soziale Grundkompetenz, die fast verschwunden ist: Offen um Hilfe bitten, und sich dafür bedanken. Wer das nicht mehr kann, ist dem übergriffigen Staat und den Märkten ausgeliefert.
      Dass die Erfindung neuer Bedürftiger daran etwas ändert, glaube ich eher nicht.

  12. “Eigenverantwortung” ist ein Konzept, das überhaupt nichts gegen Vereinsamung beizutragen hat, im Gegenteil. Steckt ja schon im Wort.

    Gegenseitige Verantwortung, Verantwortung füreinander ist gefragt.

    1. @ Bernd Neves

      “Gegenseitige Verantwortung, Verantwortung füreinander ist gefragt.”

      Gut, da ist die Eigenverantwortung meines Erachtens mit enthalten.

    2. @ Bernd Neves
      So verstehe ich das Wort “Verantwortung” nicht. Verantwortung schließt Haftung ein. Das ist ja das Schwierige an den gegenwärtig in Verantwortung stehenden Politikern: Sie haften nicht. In keinster Weise. Wir leben in feudalen Zuständen. Einziger Unterschied: Nicht der HERR hat die Brüder ermächtigt, sondern die Macht des großen Geldes.
      Nachbarschaftliche, mitmenschliche Hilfe ist mit einem unmittelbaren Dialog zwischen den handelnden, den gebenden und annehmenden Menschen verbunden, der keiner Verrechtlichung bedarf und schon gar nicht der Vermarktlichung im Interesse der Sozialkonzerne.
      Für mich steht im Zentrum mitmenschlicher Beziehungen die persönliche Autonomie, d.h. die Entscheidungsfähigkeit und die persönliche Wahl zwischen unterschiedlichen Handlungsalternativen. Diese Autonomie steht allen Menschen zu. Außer denjenigen, die gemeinhin als “Schutzbefohlene” aus Gründen, die in der Person liegen, nicht entscheidungsfähig sind. Das trifft aber auf die wenigsten Hilfsbedürftigen zu. Es liegen Welten zwischen dem Rollstuhlschieber, der dem Bekannten des Sitzenden über dessen Kopf hinweg Auskunft zur Verfassung erteilt, und einem Rollstuhlschieber, der in seinem Tun innehält, weil der Sitzende plaudern will – evt. mit jemandem den der Schieber gar nicht kennt. Vielleicht hört der Schieber sogar höflich weg. Es kann auch sein, dass Schieber und Geschobener miteinander plaudern, weil sie Freunde sind. Dann wäre ihnen vielleicht sogar ein Rollstuhl lieber, der es erlaubt, dass sie ins Gesicht ihres Mitmenschen schauen können, so wie das bei Beförderungsmitteln für Kinder der Fall sein sollte.
      Ich bekräftige das zum Schluss: Mitmenschlicher Dialog und sich daraus ergebende Hilfe ist etwas anderes als ein “Sozialmarkt”.
      Öffentlich gemachte, auf Blättchen und in Seniorenbroschüren dargestellte Hilfsbereitschaft schützt eher die Anbieter vor Vereinsamung als diejenigen, die diagnostisch als vereinsamt klassifiziert werden.

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