Wilhelm Domke-Schulz: »Wenn ich den Begriff WIEDERVEREINIGUNG schon höre!«

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Die Bundesrepublik 2024 ist immer noch ein Land, in dem das einstige Westdeutschland den Ton angibt.

Wenn Wilhelm Domke-Schulz als Deutscher vorgestellt wird, interveniert er: Er sei Ostdeutscher. Und das sei was völlig anderes. Aus dieser Warte könne er die Ostukrainer sehr gut verstehen.

Roberto De Lapuente hat sich mit dem Regisseur und Autor Wilhelm Domke-Schulz über die DDR, die Ukraine und das heutige Deutschland unterhalten.

Wilhelm Domke-Schulz, Jahrgang 1956, studierte Dramarturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen “Konrad Wolf” in Potsdam-Babelsberg. Er arbeitete zunächst als freier Dramaturg für Spiel- und Dokumentarfilm in Berlin, Potsdam und Leipzig. 1991 machte er sich als Produzent selbstständig und ist seither domke-schulz-film. Zugleich ist er als Hochschuldozent für Medienwissenschaft tätig. Domke-Schulz produzierte bisher über siebzig Filme in Eigenregie, vor allem Reportagen und Geschichtsdokumentationen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie künstlerische Dokumentarfilme wie etwa “Life at a Standstill: A Middle East Diary” (preisgekrönt in Chicago 2003) oder “Krimreise” (ausgezeichnet 2018 in St. Petersburg).

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93 Kommentare

  1. Das beste Interview seit langem.
    “Wenn Wilhelm Domke-Schulz als Deutscher vorgestellt wird, interveniert er: Er sei Ostdeutscher. ”
    Ossi-Nationalismus wäre aber genauso blöd wie Wessie Nationalismus.
    Immerhin weiß Domke-Schulz ein paar sachliche Unterschiede in der Sozialisation anzugeben.

      1. Ist genau dasselbe. Nationalisten möchten diesen Unterschied gerne machen, damit sie weiter Nationalisten bleiben können, denn Patriotismus – gut, Nationalismus – böse. Es handelt sich um eine moralische Unterscheidung. In beiden Fällen ist es Parteilichkeit für die eigene Nation und die macht dumm, weil es sich um ein interessiertes Vorurteil handelt, das der parteiliche Mensch an alle Gegenstände, über die er nachdenkt heranträgt.

        1. Ich möchte doch jetzt endlich mal wissen, was eine Nation ist. Das ist ja in unserer Weltgegend eine sehr beliebtes und wichtiges Wort. Sehr vielfältig politisch einsetzbar, weil es vor allem geeignet ist, Debatten um genügend zu essen, ausreichenden Schutz vor Kälte und Hitze, Unterstützung in Notfällen und Möglichkeiten der Beteiligung am sozialen Leben zu vermeiden.
          Die Liste der 193 Mitglieder der UN verstärkt meine Zweifel. Gleiches Stimmrecht für alle Staaten in der Größe zwischen 300.000 und 1,42 Mrd. Menschen? Sitzungsprotokolle? Gremien? Es scheint außer der Anfrage: “Wir möchten Mitglied werden” keinerlei Bedingungen für den Verein und die Beitrittskandidaten zu geben.
          Nation ist ein Gebilde, das sich als solche präsentiert und durchsetzt, d.h. von anderen, die sich auch für Nationen halten, als solche anerkannt wird. Und? Interessiert mich als Merkmal meiner eigenen Existenz nicht im geringsten.
          Ich kann ziemlich präzise sagen, was meine Heimat ist: ein Teil des mitteleuropäischen Mittelgebirgsstreifens zwischen dem 10 und 12 Längengrad und dem 49sten und 52 Grad nördlicher Breite. Ich ginge da nur sehr ungern weg. Die meisten dort lebenden Menschen sprechen einen deutschen Dialekt mit örtlichen Besonderheiten, die zu Zeiten einer Vielzahl von Kriegen und Wanderungen eingeflossen sind. Nationalsprachen sind politische Konstrukte einer geschichtlichen Phase in der es manchen christianisierten Nachfahren der Weströmer gelang, dort die Oberhand zu gewinnen. Es wäre eine Lüge zu behaupten, ich verstünde im Wirtshaus einen Sprecher ausgeprägten norddeutschen `Platts´ oder den Bewohner eines Alpentals in Tirol. Es gibt eine ganze Reihe von Nationen, die nicht über eine gemeinsame Landesprache verfügen, sondern über mehrere und damit ganz gut zurechtkommen.
          Ich meine das ernst: Kein Mensch hat mich oder andere jemals gefragt, welchen Pass wir den gerne hätten. Man hat ihn uns aufgenötigt und ohne Umzuziehen werde ich ihn nicht los. Na und?!?!
          Es mehren sich die Anzeichen, dass die an manchen höheren Schulen noch gelehrte deutsche Hochsprache als allgemeine Verkehrssprache nicht mehr lange überleben wird und in der Nachfolge der lateinisch lesenden und sprechenden gebildeten Stände des Mittelalters, die Nationalsprachen durch eine neue Art des Pidgin-Englisch abgelöst werden. Kann ja sein, dass man das nicht will. Ob man dann ein Nationalist ist, ein altertümelnder Volkssprachler oder ein global verkehrender Mensch, der je nach Bedarf einen Schnellkurs “Englisch für Meteorologen”, “Spanisch für Landwirtschaftstechniker” oder “Chinesisch für IT-Techniker” macht, wird sich herausstellen.
          Ich wüsste gar zu gern, was eine Nation ist. Dann könnte ich mich entscheiden, welcher ich mich zugesellen will. So bleibe ich einfach da, wo ich mich leidlich auskenne, mich mit den meisten Menschen verständigen kann, die Verkehrsschilder zügig erkennen und nicht allzu viele Decken brauche, um nachts nicht zu erfrieren. Um mich zu vertreiben, in die Emigration zu zwingen, müsste man schon gehörige Unterdrückungsmaßnahmen gegen mich entfalten. Gehen oder Bleiben – das ist eine persönliche Entscheidung. Man kann dafür natürlich Gründe suchen, finden, sammeln – wenn man will. Und?

    1. Hallo Miss Helga Information
      Ist das ein Zeichen der Heimatverbundenheit, dass deine Gesinnung, wie ich sie wahrnehme, der
      Farbe des Felseneilands in der Nordsee entspricht. Ich hoffe nicht.

  2. Wenn man mal ein Fazit zieht nach 34 Jahren.
    Dank Westgeld gabs eine schnellere Angleichung an den Westen, soweit das Positive. Das Negative, die Wirtschaft wurde geschreddert und die Eigenständigkeit ging verloren.
    Ohne wäre es langsamer gegangen, wie zb in der Tschechei zu sehen. Aber man könnte eine eigene Politik machen. Die sähe btw erheblich anders aus.
    Osxit mit der DMark – würde ich befürworten.

  3. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen hat der Autor präzise analysiert:

    Der Westdeutsche denkt ideologisch, will sein System der Welt aufzwingen, denkt mehr emotional als rational!

    Der Ostdeutsche denkt analytisch, das hat er gelernt. Der denkt pragmatisch, denn Ideologien nutzen nur, wenn sie den Menschen nutzen.

    Hinzu kommt, die Ostdeutschen sind im gewissen Sinne „deutscher“ geblieben als die Westdeutschen. Diese wurden im Zuge der amerikanischen Besatzung kulturell völlig amerikanisiert.
    Das passierte den Ostdeutschen nicht. Die SU bestimmt zwar die Außenpolitik (wie im Westen die USA), der sowjetische, kulturelle Einfluß war aber beschränkt. Die Sowjetsoldaten waren in ihren Kasernen eingesperrt, hatten kaum Kontakt zur Bevölkerung. Man traf sich mit viel Wodka zu offiziellen Anlässen und lernte die Sowjets als warmherzige, gute Menschen kennen, leider mit Hang zum Alkoholismus. Wer in der SU studieren durfte, lernte die Russen als warmherzig und sehr friedliebend kennen und schätzen.

    Dahingegen benahmen sich die US-Soldaten in Westdeutschland schlecht, es gab zahlreiche Übergriffe, Vergewaltigungen westdeutscher Frauen, besonders durch traumatisierte GIs, die aus Vietnam zurückkehrten.

    Der positive deutsche Patriotismus wurde in der DDR mehr gepflegt als im amerikanisierten Westdeutschland. Deshalb kann im Osten die AfD eher an deutschen Patriotismus anknüpfen, nachdem die westdeutsche Luxuslinke antideutsch einfärbte

    1. Das Problem ist nur, daß “der Ostdeutsche” seit dem Anschluß vor allem durch die Medien westdeutsch sozialisiert wird. Das konnte die Elterngeneration der “gelernten DDR-Bürger” in den 90er Jahren noch ein wenig ausgleichen, aber es ist ideologisch schon ein deutlicher Unterschied bei dieser Generation festzustellen.

      Und die Elterngeneration, von der ich rede, ist vergleichsweise klein, da vor allem Frauen im entsprechenden Alter seit Anfang der 90er massenhaft in den Westen geflohen sind, weil vor allem ihnen die Arbeitsplätze und damit die Existenz weggebrochen waren.

      Ostdeutschland hat heute ein extremes demografisches Problem. Genau genommen sogar zwei. Überalterung und Frauenmangel! Japan leidet an massiver Überalterung, China wegen der Ein-Kind-Politik an Frauen. In Ostdeutschland kam/kommt beides zusammen. Und das ist eben keine Folge der “kommunistischen Mißwirtschaft”, wie die westdeutsch Ideologie behauptet, sondern des vom Westen organisierten wirtschafltichen Zusammenbruches in den 90er Jahren.

      Bis 1990 haben die Frauen in der DDR nämlich Kinder bekommen! Mehr als im Westen zu der Zeit! Ab da brach es komplett ein. Frauen zogen im Massen weg und die geblieben waren, haben für Jahre fast keine Kinder mehr bekommen. Um die Jahrtausendwende sah die “Alterspyramide” im Osten Deutschland aus wie ein Weihnachtsbaum. Obern unter der Spitze der bekannte Einbruch wegen des 2. Weltkrieges. Aber unten fiel es auf eine schmalen “Stamm” zusammen.

      Das muß man sich klar machen: Das “beglückende Ereignis der Wiedervereinigung” bewirkte in Ostdeutschland einen Bevölkerungseinbruch, der um ein Vielfaches schlimmer war als der im 2. Weltkrieg!

      1. Wobei gerade die nach oder um 1990 geborenen Kinder ein besonderes psychisches Traume erlebten. Hat man doch ihren Eltern die Identität und Geschichte weggenommen. Damit fehlte ein wesentliches Element der Erziehung.

    2. “Hinzu kommt, die Ostdeutschen sind im gewissen Sinne „deutscher“ geblieben als die Westdeutschen. ”
      Oh je. Und das hältst du wohl für “gut”? Amerikanisiert oder “deutsch geblieben” ist vergleichbar mit der Wahl zwischen Pest und Cholera.

      “der sowjetische, kulturelle Einfluss war aber beschränkt.” Na klar. Deshalb steht auch heute noch im Osten in jeder größeren Stadt eine kleine bis mittelgroße Stalinallee rum. Und die Kulturhäuser sind bestimmt auch eine ganz authentische Erfindung aus Ostdeutschland. Ach ja. Und als Chrustschov an die Macht kam, war es plötzlich aus mit den Arbeiterpalästen. Dann kam die Platte – alles authentische DDR Erfindungen und keinesfalls russischer Kulturimperialismus.

      Und die Geschichte von den bösen GIs und den netten Russen hört sich auch nach Propaganda an.
      “Der positive deutsche Patriotismus wurde in der DDR mehr gepflegt als im amerikanisierten Westdeutschland.” Völliger Humbug der wieder mal von der strunzdummen Unterscheidung zwischen bösem Nationalismus und gutem Patriotismus lebt. Es gibt keine positiven deutschen Patriotismus – alles die gleiche nationalistische Scheiße und von die war im Westen Alltag. Zu sagen die Wessis waren weniger parteilich für Deutschland, weil sie amerikanisiert wurden, ist Humbug.

      “Deshalb kann im Osten die AfD eher an deutschen Patriotismus anknüpfen, nachdem die westdeutsche Luxuslinke antideutsch einfärbte.” Oh Mann. Jetzt müssen auch noch die Handvoll Antideutschen den Kronzeugen dafür spielen, dass es im Westen angeblich keinen Nationalismus gab. Meine Güte. Da siehst du mal was aus diesem angeblich guten “deutschen Patriotismus” geworden ist – Afd-Anhänger. Das spricht ja zweifellos für ihn. Oder doch nicht?

      1. Bleib mal auf den Teppich!
        Wie du wissen solltest, wurden die Stalinalleen im Zuge des 20. Parteitages umbenannt.
        Die Platte war eine praktische Bauweise, die – siehe Berlin-Mitte – auf das Bauhaus zurück geht. Wer einst in Marzahn einziehen durfte, konnte sich glücklich schätzen in absoluter sozialer Sicherheit ein sehr bescheidenes Glück genießen zu dürfen. Werktätige aus Frankreich und Griechenland konnten von solchen Zuständen nur träumen!
        Die Kulturhäuser waren eine großartige Sache. Künstler wurden in der DDR sogar staatlich alimentiert, sollten natürlich regimetreu sein, wie jetzt in Westdeutschland auch, allerdings ohne jede staatliche Unterstützung. Leute wie Castorf, ostdeutsches Urgestein und Regimekritiker, war mit der Stasi auf Du und Du. Die nahm doch niemand mehr ernst, gerade weil es soviele IMs gab.
        Patriotismus ist ganz grundsätzlich nichts schlechtes. Selbst französische Trotzkisten singen beim Fußballgucken die Marseillaise. In Vietnam findest du soviel Nationalflaggen wie nirgendwo sonst und man ist stolz die Amis besiegt zu haben, wenngleich unter ungeheuerlichen Kosten und Verlusten.
        Nur das Deutschland der Judenmörder hat Probleme mit einen positiven Patriotismus und unterstützt bedingungslos den zionistischen Genozid (was man ja nicht sagen darf – Staatsräson).
        Das davon die AfD profitiert ist glasklar, zumal die Linke völlig versagt hat, ihr Klientel verraten hat und Kriege unterstützt!

        1. “Wie du wissen solltest, wurden die Stalinalleen im Zuge des 20. Parteitages umbenannt.”

          Willst du damit sagen, dass man einer Sache nur einen anderen Namen geben muss und schon ist sie auch was anderes? Wird Sie zum authentisch deutschen Kulturprodukt, weil sie umbenannt wurde? Wenn du recht schaust, war das eine Abrechnung mit dem stalinistischen Personenkult und der ging halt auch von Russland bzw. Chruschtschow aus. Was der große Bruder macht, darf dann natürlich der kleine “ganz eigenständig” nachvollziehen.

          Die Platte war eine praktische Bauweise, die – siehe Berlin-Mitte – auf das Bauhaus zurück geht.

          Erzähl mir doch nix. Welche Bauhausmeister genau, hat denn die Platte in der DDR eingeführt. Wenn man eifrig sucht und etwas erfinderisch ist, kann man bestimmt Bezüge herstellen. Die Platte wurde eingeführt nachdem Chrustschow am 7.Dezember 1954 auf der Allunionskonferenz eine Rede gegen die aufwendige stalinistische Architektur gehalten hat.
          https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/wie-chruschtschow-den-stalinismus-niederriss-3600115.html

          Ende 1954 findet in Moskau der Allunions-Baukongress statt. Am letzten Tag, am 7. Dezember, tritt Chruschtschow ans Mikrofon. Was folgt, ist eine historische Rede. Der Parteichef rechnet mit der bisherigen Baupolitik ab. Sein Auftritt ist der Versuch, die Grenzen der Kritik am alles dominierenden Josef Stalin auszuloten. Ein Balanceakt. Chruschtschows Abschlussrede wird zum Auftakt der Entstalinisierung – und zum architekturtheoretischen Manifest für die sowjetische Nachkriegsmoderne. Die Rede beeinflusst die Architektur des 20. Jahrhunderts, wie es sonst nur Vordenker der Moderne geschafft haben, etwa Walter Gropius 1919 mit seinem Bauhaus-Manifest oder Le Corbusier 1943 mit der Charta von Athen.

          Nicht Ricola, nicht die Moderne – nein, Chrustschov wars. Noch mehr Belege, du positiv patriotischer Ostdeutscher, der den sowjetischen Kulturimperialismus noch nicht mal mitbekommen hat:

          Einen wesentlichen Grund für die fast absolute Dominanz, die die Plattenbauweise in der DDR erlangte, sah Hannemann in der „Erhebung des industriellen Bauens zur Staatsdoktrin“.61 Dies geschah allerdings erst auf sowjetischen Druck, in dirigistischer Weise, gegen heftige Widerstände und aus einer Position des zeitlichen und technologischen Rückstandes gegenüber der Entwicklung in den westlichen Industrieländern. Es war die Revision jener ebenfalls schon auf sowjetischen Druck hin erfolgten baupolitischen und ästhetischen Wende, die der unmittelbaren Nachkriegsmoderne das Urteil gesprochen und die Leitbilder der „schönen deutschen Stadt“ und der „nationalen Tradition“ zu bindenden Paradigmen erhoben hatte. Die „16 Grundsätze des Städtebaus“, die 1950 wie mosaische Gesetzestafeln von der DDR-Delegation um Bauminister Lothar Bolz aus Moskau heimgetragen und vom Ministerrat legislativ verabschiedet wurden, waren ein Gegenentwurf zur Charta von Athen.

          https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/1478/2/Text.pdf

          Die Kulturhäuser waren eine großartige Sache.

          Ein paar kulturelle Errungenschaften hatte der Westen auch zu bieten. Ist das ein Argument gegen den amerikanischen Kulturimperialismus? Nein, ist es nicht. Und genauso wenig ist es ein Argument gegen den sowjetischen Kulturimperialismus, dass Kulturhäuser eine großartige Sache waren. Das bestreite ich auch gar nicht.
          Merkwürdig finde ich nur, dass ihr bei anderen das Brett vorm Kopf seht, aber euer eigenes nicht bemerkt. Und das ist die Dummheit die der Patriotismus produziert. Die Kulturhäuser kamen nun mal aus Russland. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
          https://www.mpg.de/311515/forschungsSchwerpunkt

          Je nach Größe wurden die Siedlungen der Sowjetunion ab den 1920er-Jahren mit unterschiedlichen Typen kultureller Institutionen ausgestattet: Kulturpaläste in Großstädten, Kulturhäuser in Kleinstädten und größeren Landgemeinden sowie Klubs in den kleineren Dörfern. Häufig wurden Kulturhäuser und Klubs in oder anstelle von ehemaligen Kirchen untergebracht.

          Selbst französische Trotzkisten singen beim Fußballgucken die Marseillaise.

          Und die französischen Trotzkisten sind der Inbegriff der Moral? Die haben etwas an der Waffel, wenn sie die Nationalhymne singen.

          Nur das Deutschland der Judenmörder hat Probleme mit einen positiven Patriotismus

          Ach das ist nett. Ich gehöre also zum Deutschland der Judenmörder, weil ich deinen “positiven Patriotismus” kritisiere? Wie “positiv” der ist hast du ja hiermit vorgeführt. Mich in die Schublade “Judenmörder” zu packen, darunter machst du es nicht.

          1. Nu bleib mal auf der Platte oder dem Teppich oder was immer.
            Als ich das erste Mal in Kairo war, sah ich da einen Bau, den ich für eine Kopie Ostberliner Bauten gehalten hätte. Nur war das ein Hilton-Hotel, gebaut von US-Architekten. Du kannst auch quer durch die USA solche Plattenbauten finden, industrielle Fertigbauweise halt.

            Was den Nationalismus/Patriotismus angeht, kommen mir Texte von Tucholsky, Ossietzky, Heine in den Sinn. Alles Nationalisten? Gimme a break.

            1. Hast du überhaupt gelesen, was ich geschrieben habe und hast du die Links angeklickt. Verstehst du ich kenne mich in der Materie ein bisschen aus. Dein “Argument” ist. “Ey Alter, ich habe da mal ein Hilton-Hotel in Kairo gesehen, das hat auf mich irgendwiewie Ost Börlin ausgeschaut.”

              Du merkst ja noch nicht einmal, dass du mich bestätigst. Chruschtschow hat die stalinistische Architektur nicht zuletzt der Systemkonkurrenz mit dem Westen wegen über den Haufen geworfen und das unterstellt, dass auch der Westen das industrielle Bauen voran gebracht hat. Steht oben sogar in dem Zitat: “Dies geschah allerdings erst auf sowjetischen Druck, in dirigistischer Weise, gegen heftige Widerstände und aus einer Position des zeitlichen und technologischen Rückstandes gegenüber der Entwicklung in den westlichen Industrieländern.” Also musst du dich nicht wundern, dass es auch im Westen moderne Hochhäuser gibt, die auf den ersten Blick nach Ostbörlin ausschauen. Ich vermute du meinst dieses: https://www.tui.com/hotels/ramses-hilton-19910/hotelinformation/

              Klick mal drei Bilder weiter. Der Innenraum wäre Chruschtschow zu verschnörkelt und zu teuer gewesen. westlich dekadent. Gar nicht mehr so Ostbörlin.

              Das relativiert alles in keiner Weise, dass das industrielle, serielle Bauen kurz “die Platte”, von Chruschtschow quasi dekretiert wurde.

              “Alles Nationalisten?” Ich befürchte ja, aber das wäre zu prüfen. Einfach mal den Moralismus weglassen und fragen, ob es sich um Denker handelt die für Deutschland Partei ergreifen.

        1. War das so unpraktisch?

          Die Platte gab es auch in Frankreich. Sie geht auf Bauhaus-Architektur zurück und Bauhaus war Dessau.
          Auch Kulturhäuser sind einfach praktisch. Darin fanden Betriebsfeste, Kulturabende und Jugendweihen statt und da wurde Deutsch, sehr selten Russisch, gesprochen.
          Russisch war da nur der übermäßige Alkoholkonsum und die unsäglichen Wodka-Trinksprüche mit „den Freunden!“ (so bezeichneten DDR-Bürger die Sowjets, können Wessis nicht wissen)

          1. Mein Reden!

            Davon ab, gab es industriellen Wohnungsbau auch im Westen. Ob das nun “Platten” waren oder das anders realisiert wurde, ist unerheblich. Und die Probleme waren dieselben wie im Osten, also die “Ghettoisierung” von Menschen, etwa in Kamp Lintfort, Köln:

            https://www.spiegel.de/fotostrecke/plattenbau-west-die-weissen-riesen-von-kamp-lintfort-fotostrecke-23971.html

            Und Kulturhäuser mögen heute unbekannt sein, “früher” waren sie allgegenwärtig! Volkshäuser, Tanzpaläste, “Trinkhallen”, große Kneipen…. Das waren auch im Westen beliebte Treffpunkte, bevor das Fernsehen die abendliche Kultur im Freien ersetzte.

            1. Also, ich kenne einen jungen prekären Westdeutschen der wohnt jetzt im Prenzi in der Platte, die noch preiswert ist. Er sagt sie sei sehr praktisch, nur die alten DDRler sterben aus und Migranten ziehen ein. Wenn das auch ein Wessis sagt…….

          2. Klar gab es die Platte auch im Westen, auch in der BRD. Aber in der DDR gab es Sie, weil Chruschtschow sich von der stalinistischen Architektur abgewandt hat. Dafür mag es auch gute Gründe geben. Aber nicht wegen der Gründe wurde sie in der DDR eingeführt, sondern weil Chruschtschow es so gewollt hat. Nicht zuletzt wegen der Systemkonkurrenz mit dem Westen.
            “und da wurde Deutsch gesprochen” Ach in der DDR wurde tatsächlich deutsch gesprochen und nicht russisch? Wenn das mal nicht für die kulturelle Eigenständigkeit von Ostdeutschland spricht. Dann gab es wahrscheinlich im Westen auch keinen amerikanischen Kulturimperialismus, weil dort – ratet mal – auch deutsch gesprochen wurde.

            1. Also ich bin in der DDR geboren, aber daß Chruschtschow die Platte in der DDR verfügt hätte, ist selbst mir neu. Ich weiß, daß in der DDR einiges unsinnigerweise durchgedrückt wurde wie der bekloppte “Rinderoffenstall”.

              https://de.wikipedia.org/wiki/Rinderoffenstall

              Aber industrieller Wohnungsbau wurde in der DDR schon direkt nach dem Krieg verfolgt. Am Anfang etwa mit der “Großblockbauweise”, wo ganze Wandelemente aus Ziegeln (oft Trümmern der Städte), Mörtel und Beton in Schalungen vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt wurden. Da war die Stahlbetonplatte die logische Fortsetzung.

              https://www.stadtwikidd.de/wiki/Gro%C3%9Fblockbauweise
              https://de.wikipedia.org/wiki/Q-Serie_(Wohnbautyp)#QP
              https://de.wikipedia.org/wiki/P2_(Plattenbautyp)
              https://de.wikipedia.org/wiki/WBS_70

              Auch die “Chruschtschowka” in der SU war mitnichten die “Erfindung der Platte”, sondern eher eine stark vereinfachte Bauform der grundsätzlich bereits bekannten Plattenbauten, aber auch Ziegelbauten um mittels Einsparung möglichst schnell und billig zu bauen.

              1. “Also ich bin in der DDR geboren, aber daß Chruschtschow die Platte in der DDR verfügt hätte, ist selbst mir neu.”

                Ja dann mach die halt mal schlau – verdammte Hacke. Offenbar reicht es nicht in der DDR geboren worden zu sein. Auch für Ostdeutsche ist der Nürnberger Trichter noch nicht erfunden worden. Die müssen sich schlau machen, wie alle anderen auch. Ein paar Links habe ich angegeben.

                Chruschtschow hat das industrielle Bauen verfügt, in Absetzung von den teuren Arbeiterpalästen stalinistischer Architektur, die zwar nett anzuschauen sind, und beweisen dass der Sozialismus mit den Arbeitern anders umzugehen gedenkt die aber einfach nicht die vorhandene Wohnungsnot behoben haben. Und auch in Konkurrenz zur “westlichen” Moderne.

                “Auch die “Chruschtschowka” in der SU war mitnichten die “Erfindung der Platte”,”

                Es geht auch gar nicht darum, wer die Platte erfunden hat, da gibt es sicher viele Väter und Mütter, sondern warum die Platte ab einem gewissen Zeitpunkt praktisch allgegenwärtig war in der DDR und zumindest den Wohnungsbau einer ganzen Nation absolut beherrscht hat. Und der Beginn in Abkehr vom stalinistischen Zuckerbäckerstil war eben oben genannte Rede. Im Prinzip war also die g e s a m t e Baugeschichte der DDR ein kulturimperialistischer Export aus Russland. Ja ich weiß, für gelernte Ostdeutsche eine harte aber trotzdem Wahrheit.

                Also wer sich über die Amis mokiert, der soll das ruhig tun, aber nicht, wenn er den Kulturimperialismus der Russen gleichzeitig nicht kennen will.

                1. Ähm… lies mal die verlinkten Artikel! Die Großblockbauweise begann in der DDR Anfang der 50er, da lebte Stalin noch und Chruschtschow hatte nichts zu sagen.

                  Diese Einstellung, in der DDR wäre alles nur auf Befehl des “Großen Bruders” geschehen, ist lächerlich.

                  https://www.hof.uni-halle.de/publikation/das-andere-bauhaus-erbe-leben-in-den-plattenbausiedlungen-heute/

                  https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/bauhaus/291454/in-der-wohnmaschine/

                  Ich hoffe, du erklärst jetzt nicht auch noch das Bauhaus für eine Befehlsempfangsstelle Chruschtschows?

                  1. “Die Großblockbauweise begann in der DDR Anfang der 50er,” Wann die Großblockbauweise (das ist höchstens der Vorläufer der Platte) “begann” ist doch wurscht. Die Frage ist: Wann wurde die Platte denn DDR weit zum Standard? Jedenfalls nicht Anfang der 50er!

                    Das Bauhaus wurde 1933 geschlossen. Wusste gar nicht dass die DDR damals schon existiert hat, denn die Behauptung war ja, dass die Platte eine eigenständige kulturelle Leistung der DDR war. Dazu muss man dann aber die Weimarer Republik kurzerhand in die DDR eingemeinden. Nochmal: Es ist ein Unterschied, ob in einer Hochschule für Gestaltung mit industriellem Bauen experimentiert wird, oder ob das industrielle Bauen vom Chef einer Weltmacht dekretiert wird, als die Weise wie zukünftig das Bauen im gesamten Ostblock vor sich zu gehen hat. Und das war nunmal russischer Kulturimperialismus. Der Versuch das abzustreiten und mit dem Bauhaus anzukommen, legt bloß Zeugnis für deinen Ossi-nationalismus ab.

            2. Du überschätzt die Macht des ukrainischen Bauernsohnes, später in Stalino aufgewachsen, auf die DDR gewaltig.
              Wer hat dir denn das mit den sowjetischen Kulturimperialismus erzählt? Für mich hörst du dich an wie ein westdeutscher Trotzkist, vielleicht mal MG, der keine Ahnung vom Leben der normalen Menschen in der DDR hat…..also linksradikaler Besserwessi?

              1. Du darfst das natürlich nennen wie du willst Kulturimperialismus oder sowjetischer Einfluss auf die DDR-Kultur. Aber die Fakten leugnen kannst du nicht und die Fakten stehen oben. Ich glaube nicht, dass ich die Rolle Chruschtschows überschätze. Du dagegen hast von seiner Rolle noch nicht einmal gewusst. Ich zitiere gern nochmal, was unter Fachleuten Konsens ist:

                “Ende 1954 findet in Moskau der Allunions-Baukongress statt. Am letzten Tag, am 7. Dezember, tritt Chruschtschow ans Mikrofon. Was folgt, ist eine historische Rede. Der Parteichef rechnet mit der bisherigen Baupolitik ab. Sein Auftritt ist der Versuch, die Grenzen der Kritik am alles dominierenden Josef Stalin auszuloten. Ein Balanceakt.

                Chruschtschows Abschlussrede wird zum Auftakt der Entstalinisierung – und zum architekturtheoretischen Manifest für die sowjetische Nachkriegsmoderne. Die Rede beeinflusst die Architektur des 20. Jahrhunderts, wie es sonst nur Vordenker der Moderne geschafft haben, etwa Walter Gropius 1919 mit seinem Bauhaus-Manifest oder Le Corbusier 1943 mit der Charta von Athen. Nicht nur das Bauen in der Sowjetunion verändert sich danach radikal, sondern die Architektur überall im Ostblock. Weg vom Zuckerbäckerstil, hin zu uniformen, einfachen Wohnbauten.”

                Du hast nicht e i n Argument. Stattdessen stellst du dich breitbeinig hin: Ich bin der Ossi und als Ossi hab ich die Weisheit mit Löffeln gefressen und ein Besserwessi hat mir gar nichts zu sagen. Der kann noch so viel Belege anbringen, dann hab ich trotzdem Recht, weil ich bin der Ossi und du der Wessi. Wer ist hier der Besserwisser? Und wer ist hier der analytische Denker?

                “der keine Ahnung vom Leben der normalen Menschen in der DDR hat”

                – Siehst du, das ist Ossi-Nationalismus, der wie jeder Nationalismus dumm macht. Ich kenne die “normalen Menschen” aus der DDR so ungefähr seit bald 34 Jahren, weil ich dort wohne. Du verlangst jedoch einen DDR Geburtsausweis dafür, dass man sich ein Urteil über die DDR bilden darf. Du beanspruchst der DDR-Checker zu sein, obwohl du bei vorliegendem Thema, wie sich herausgestellt hat nicht die geringste Ahnung hast. Und als “gelernter Ossi” (Wenn ich das schon höre muss ich kotzen) darfst du Wessis sagen, dass sie das Maul zu halten haben, wenn es um Ossiland geht. Und warum, weil der Ossi einfach der bessere Menschenschlag ist. Der kann analytisch denken und so. Also du bist eindeutig ein Nationalist, sogar in der moralischen Weise, dass du dein Ossitum dem Wessitum als überlegen ansiehst.

    3. @ Freedomofspeech
      18. September 2024 um 12:16 Uhr

      Kann Ihnen weitgehend zustimmen, insbesondere hier …
      “Hinzu kommt, die Ostdeutschen sind im gewissen Sinne „deutscher“ geblieben als die Westdeutschen. Diese wurden im Zuge der amerikanischen Besatzung kulturell völlig amerikanisiert.”

      Ja, so überraschend das klingt, aber es stimmt. Als ich 1980/90 viel in der DDR umhergefahren bin, hatte ich exakt diesen Eindruck. Klar, dass das im Hinblick auf ein Wahlverhalten zu Gunsten der AfD auch heute noch eine Rolle spielt!
      Ostdeutschland ist deutscher als Westdeutschland.

      … und …

      “Der positive deutsche Patriotismus wurde in der DDR mehr gepflegt als im amerikanisierten Westdeutschland. Deshalb kann im Osten die AfD eher an deutschen Patriotismus anknüpfen, nachdem die westdeutsche Luxuslinke antideutsch einfärbte”

      Die bewusste Zersetzung des deutschen Patriotismus´ in Westdeutschland im Zuge der “Umerziehung” (reeducation), also der Installation von US-freundlichen Politikern, Journalisten, Hochschullehrern sowie diversen transatlantischen Netzwerken hat auf subtile Art mehr zerstört als das plump-autoritäre Vorgehen der Sowjetunion in der DDR.

      Ob sich Rotarmisten in den 40 Jahren zwischen 1949 und 1989 nun besser oder schlechter benommen haben als die US-Soldaten im Westen? Ich glaube, da sind Antworten recht spekulativ.
      Sicher ist allerdings, dass 1945 und 1946 auch die Soldaten der US-Armee in ganz erheblichem Maße an gewaltsamen Übergriffen und Vergewaltigungen beteiligt waren.

      1. Die bewusste Zersetzung des deutschen Patriotismus´ in Westdeutschland im Zuge der “Umerziehung”

        Wenn es nur so gewesen wäre. Ich habe von einem zersetzen Patriotismus gar nicht bemerkt. Im Gegenteil. Nationalismus allüberall.

        Selbst der “positive Patriotismus” war ein sozialistisches P r o d u k t. Die sozialistische Nation hat sich eben nur inhaltlich von der kapitalistisch westdeutschen unterschieden. Aber die Vorstellung zu pflegen, das Deutschtum hätte im Refugium Ostdeutschlands authentischer überlebt, ist parteilich romantisch nationalistischer Nonsens.

        1. @ Krim
          18. September 2024 um 19:48 Uhr

          Ich denke mal, Sie sind nicht über 90 oder 95 Jahre alt, sodass Sie wirklichen deutschen Nationalismus vermutlich selber nie kennen gelernt haben … !
          Was Sie als “Nationalismus” bezeichnen, das ist der ganz normale Patriotismus, der bis etwa vor 25 Jahren in den meisten Ländern allgemein üblich war.
          Der Patriot liebt sein Land, was ja absolut normal ist.
          Der Nationalist glaubt hingegen in einem objektiven Sinne, dass das eigene Land höherwertiger ist als andere Länder.

          Zur Reeducation gilt dieses Buch als ein wichtiger Einstieg:
          Caspar von Schrenck-Notzing: “Charakterwäsche. Die Re-education der Deutschen und ihre bleibenden Auswirkungen”
          (Erstausgabe 1965)

          Auf dieser Seite, die ich ansonsten nicht kenne, fand ich zufällig eine etwas ausführlichere Buchbeschreibung:
          https://kraut-zone.de/buchkritik-charakterwaesche-die-re-education-der-deutschen-und-ihre-bleibenden-auswirkungen-caspar-von-schrenck-notzing/

          1. Nochmal: Inhaltlich ist Patriotismus und Nationalismus absolut dasselbe. Der Unterschied ist ein rein moralische Unterscheidung, die sich Nationalisten/Patrioten ausgedacht haben, damit sie ihre Parteilichkeit zur eigenen Nation weiter pflegen können. Also wird der böse Nationalismus vom “guten” Patriotismus geschieden. Und weil sie die Guten sind, sind sie Patrioten. Es ist aber immer die gleiche Nationalistische Scheiße. Parteilichkeit mit der Nation macht dumm und ist dumm.

            “Der Patriot liebt sein Land, was ja absolut normal ist.” Blödheit ist auch normal! Meine Güte, weil etwas “normal” ist, ist es doch nicht jeder Kritik enthoben. Parteilichkeit im Denken produziert Ideologie, falsche Gedankengebäude. Ganz einfach. Wie kann man denn ein Land lieben? Die Mehrzahl der Leute kennt das Land ja noch nicht einmal komplett. Mann kann einen oder mehrere Menschen lieben, man kann den Blick aus dem Fenster lieben. Wer behauptet sein Land zu lieben lügt. Er liebt nicht sein Land, sondern erklärt sich prinzipiell mit der Herrschaft einverstanden. Das ist deshalb blöd, weil sie ihm bloß schadet. z.B. Hyperschallraketen in seiner Nachbarschaft aufstellt, die Magneten für andere Hyperschallraketen sind.

            Der Patriot glaubt auch sein Land sei höherwertig, würde er sonst behaupten es zu lieben. Oder hast du mal einen Patrioten gehört der gesagt hat. Im Vergleich zu anderen Ländern ist mein Land zwar die letzte Müllhalde, aber ich liebe die Müllhalde eben.

            1. Überall wo linke, antikoloniale Bewegungen die Macht übernommen haben (z.B. Kuba und Vietnam) war das ein Produkt nationaler Unabhängigkeitsbewegungen. Das heldenhafte Volk Vietnams zog für ein freies, unabhängiges Vietnam in den Krieg gegen die US-Aggression. Der Kommunismus diente Onkel Ho nur als starke Organisationsform. Buddisten, Caodaiisten, Geschäftsleute, die Bauern vor allen (Vietnam ist Reisbauernland) kämpften mit den Kommunisten gemeinsam für die Sache der nationalen Unabhängigkeit. Sie siegten trotz gewaltiger Opfer, mußten dann aber Krieg gegen die Mörderbande der Roten Khmer führen. Diese Mörder wurden vom Westen unterstützt. Der grüne Ministerpräsident von BaWü war damals Mitglied einer kleinen maoistischen Gruppe, die die Khmer Rouge unterstützte.
              Ich bin für die Gleichheit der Nationen, nicht für deren Abschaffung. Ich kämpfe für den RESPEKT vor der nationalen und kulturellen Vielfalt der Nationen der Welt. Wenn das so ist, dann muß man auch einen gesunden, progressiven deutschen Patriotismus akzeptieren, so wie französische Linke ihren Patriotismus auch für normal erachten.

              Das es die sehr patriotischen Vietnamesen besser machten als ihre kubanischen Freunde war Doi Moi, die Wirtschaftsreform mit der Einführung einer sozialistischen Marktwirtschaft, zu verdanken. Seitdem kannst du dich vor Händlern in den Straßen von Hanoi nicht retten und ALLES kaufen

              1. “Ich bin für die Gleichheit der Nationen, nicht für deren Abschaffung.” Und noch ein Erbe der DDR, die die Nation immer hochgehalten hat und noch ein Grund von ihr nichts zu halten. Eine Nation ist nichts weiter als die Organisationsform der Staatsgewalt, um mit ihresgleichen Konkurrieren zu können und zwar nicht zuletzt im K r i e g. Nationen sind Kriegsmonster – nichts weiter. Und deshalb müssen die auch abgeschafft werden. G l e i c h e Kriegsmonster sind immer noch Kriegsmonster. Und Arbeiter sind nichts weiter als Futter für den Fleischwolf dieser Kriegsmonster im Frieden wie im Krieg. Im Frieden sind sie Ausbeutungsmaterial im Krieg Kanonenfutter. Heldenhaft ist das nicht, nur schädlich und dumm.

  4. Danke für das interessante Gespräch und was die Nähe von Ex-DDR-BürgerInnen zu Russland angeht, die verstehe ich durchaus 😉

    Sind nicht während der Zeit der sowjetischen Besatzung in der Ex-DDR auch verwandtschaftliche, und sogar familiäre bzw. eheliche Beziehungen, mitsamt Nachkommen aus beiden Nationen, gewachsen?

    Und nun soll man mit diesen Menschen sprichwörtlich “spinnefeind” sein?

    Ja, spinnen wir im “Westen” eigentlich?

    Ich stelle mir, als Westdeutscher der nahe der deutsch-französischen Grenze lebt, immer mehr vor wie es denn wäre wenn eine Frau Le Pen in Frankreich an die Macht käme, und wir dann eben auch unsere verwandtschaftlichen, familiären und ehelichen Beziehungen nach dem nahen Frankreich kappen sollten, insofern Deutschland dann eben – auf Druck anderer Länder – feindlich zu dem Le-Pen-Frankreich eingestellt werden sollte.

    Ja, spinnen die denn im “Westen” würde sich da mancher “Ostdeutsche” dann fragen…..

    Nur mal so als Gedankenspiel, dass geht ja x-beliebig mit jeder anderen Ex-Besatzungsnation in Deutschland…..um zu sehen wie dämlich die Ausgrenzung anderer Nationen in 2024 ist, wo doch vielfältige, auch globale, Beziehungen unter Familien und Verwandten bzw. Nachkommen existieren……

    Gruß
    Bernie

    PS: Apropo “Carolabrücke” mein Schwager war mal in Dresden – weis nicht wie lange das her ist, aber er behauptet immer noch steif und fest, dass die im Osten doch “alles Geld vom Westen” bekommen haben und die Infrastruktur doch relativ neu wäre – ist der einer Lüge aufgesesssen oder waren das die berühmten “Potekimsche Dörfter” die “die Treuhand” ihm da einst präsentiert hat?

    Wäre doch mal interessant, da näher nachzuforschen….., 😉 Gerade jetzt 😉

    1. Also familiäre Beziehungen zwischen Sowjet- und DDR-Bürgern waren doch eher die Ausnahme. Und die sowjetischen Soldaten wurden auch sehr von den Deutschen abgeschirmt. Und ja, in der DDR hat man die Rote Armee durchaus und zu Recht als Besatzungsarmee angesehen. Aber die Menschen wurden eben auch gesehen, ganz im Gegensatz zu Westdeutschland, wo man gewissermaßen das alte Nazi-Feindbild vom “russischen Untermenschen” nach 1945 beibehalten hat. Wozu ja auch gehörte, alles als “die Russen” zu bezeichnen, auch wenn in der SU 100 Völker lebten. Also auch Ukrainer, Kasachen, Weißrussen, Balten, Tadschiken, Usbeken….

      Geht halt nix über ein Feindbild, das von möglichst wenig Realität durch Kontakt mit dem “Feind” getrübt wird.
      Was ich als den Hauptunterschied von Ost- und Westdeutschen sehe, ist die in der DDR erlernte Fähigkeit, das eigene System zu hinterfragen. Die Eigenpropaganda in der DDR durch gedrillte Parteifunktionäre war derart schlecht, daß jeder mit einem IQ über Zimmertemperatur merkte, daß da was nicht stimmt. Man lernte in der Schule, wie es sein soll, und merkte auf Arbeit, daß das nichts mit der Realität zu tun hatte. Daraus entstand dann der eigene DDR-Humor. Beispiel:

      Was sind die vier Hauptfeinde des Sozialismus?
      Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

      Oder

      Was ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis?
      Marx – und Murks.

      Außerdem durfte man nicht alles offen sagen, weshalb man in der DDR automatisch lernte, zwischen den Zeilen zu lesen und zu sprechen. Vieles, etwa im Kabarett, wurde nur auf der Bühne nur angedeutet und im Kopf des Zuhörers zu Ende gedacht. Daher kommt diese Kritikfähigkeit vieler Ostdeutscher.

      Westdeutsche dagegen sind meist völlig kritikfrei – also dem eigenen System gegenüber. Und sie wurden 1990 ja auch noch mit dem “Zusammenbruch des Kommunismus” in dieser Ansicht bestärkt. Allerdings denke ich, daß viele von ihnen dennoch ein ungutes Gefühl haben, das ihren Umgang mit Ostdeutschen prägt: Sie wissen, daß wir Ossis beide Systeme aus eigenem Erleben kennen und vergleichen können! Sie können das logischerweise nicht, da sie das sozialistische System nur aus der Westpropaganda kennen. Ich als Ossi hatte schon oft das Gefühl, einen alten SED-Parteisekretär vor mir zu haben, wenn ein Wessi vom Kapitalismus schwärmte. Und wir haben auch ganz direkt erlebt, wie die übelsten Charaktere aus der DDR im Westen wiederum Karriere machten. Wenn wir Ossis dann also einen Wessi vor uns haben, der so tut, als wäre er in der DDR ganz sicher im Widerstand gewesen, dann sagen wir uns im Stillen, “Mein lieber Scholli! DU wärest sicher der Erste gewesen, der in die SED eingetreten wäre, um Karriere zu machen!”

      Und zum Geld… naja…. Sicher ist viel Geld (vor allem Steuergeld) in den Osten geflossen. Aber das Meiste eben auch sehr schnell wieder zurück. Manchmal direkt, wenn etwa die Bremer Vulkanwerft das für die übernommene ostdeutsche Werft bekommene Treuhand-Geld im Westen einsetzte. Aber vor allem, das, was im Osten davon aufgebaut wurde (übrigens zu 99% von ostdeutschen Arbeitern!), gehört ja Westdeutschen! Durch die Treuhandpolitik wurden vor allem Großbetriebe im Osten liquidiert und mittlere an Westdeutsche verschenkt. Selbst wenn Ostdeutsche Bewerber da waren, ging der Zuschlag fast immer in den Westen. Das ARD-Magazin “Monitor” wäre damals um ein Haar Eigentümer der Filmfabrik Wolfen (ORWO) geworden! Die hätten von der Treuhand glatt den Zuschlag bekommen, wenn sie sich nicht vorher geoutet hätten. Dazu brauchten sie nur einen geborgen dicken Mercedes, ein Firmenschild (am WDR-Gebäude!!) und selbstbewußtes Auftreten! Ab Ende wurde das Werk liquidiert.

      So lief das damals! Am Ende der ganzen Privatisierungsorgie (mit erfundenen “Altschulden” beschleunigt) gehörte das ehemalige “Volkseigentum” an Betrieben, Grundstücken, Häusern etc, zu 85% Westdeutschen und zu 10% Ausländern. Nur 5% blieben in ostdeutschem Besitz. Und damit fließen natürlich auch die Gewinne (und viele damit verbundene Steuern) meist in den Westen ab, und müssen dann wieder durch Subventionen in den Osten geschafft werden, damit hier noch sowas wie “Wirtschaft” stattfinden kann. Deshalb fließt noch immer Geld hierher. Nur den Abfluß will keiner sehen…
      Wir Ossis wissen das! Wißt ihr Wessis das auch? 🙂

      Hier wurde reihenweise Überlebensfähiges plattgemacht, weil es die westdeutsche Konkurrenz störte. Die technische Glas Industrie Ilmenau etwa! Konkurrenz von Schott. Tausende Arbeitsplätze in strukurschwacher Region in Thüringen – und damals hochmodern. Weg! Kalisalz Bischofferode! Hochprofitabel! Weg, weil es die BASF-Konkurrenz in Skandinawien belieferte! Und so weiter!

      Aber wehe, Brandt Zwieback schließt das Werk im Westen (Hagen) zugunsten seines neuen Werkes im Osten (Ohrdruff)! Weltuntergang! VW baut die “Gläserne Manufaktur” in Dresden für diesen lächerlichen Phaeton. Wer arbeitet dort am Band? Wessis! Die haben die ganze Woche über im Dorint-Hotel übernachtet und sind am Wochenende nach Hause gefahren! Gabs da keine qualifizierten Ossis?

      Und so weiter….

      Die Geschichte ist endlos!

      Zum Schluß wieder ein Witz. Diesmal aus dem Kabarett (ostdeutsches natürlich).

      “40 Jahre haben sie uns über den Sozialismus belogen. Wer konnten denn da ahnen, daß sie uns über den Kapitalismus die Wahrheit gesagt haben?”

      Lesestoff zu den “Altschulden”

      https://www.tagesspiegel.de/meinung/schulden-ohne-suhne-1233985.html

      1. Danke für die interessante, und ausführliche, Antwort aus “ostdeutscher” Perspektive.

        Ich sag ja nicht, dass die Ex-DDRler massenhaft Russen/-innen geheiratet haben, aber es hat doch sicher manche familiäre Bindungen gegeben? Oder?

        Mir ging es ja nur darum wie dämlich die Hetzerei gegen Russland ist – man stelle sich selbiges vor es würde sich auf einmal ein anderes – ehemaliges – Besatzungsland von Deutschland als “der böse Feind” entpuppen – nach über 40 Jahren?

        Wären da die Westdeutschen nicht ähnlich drauf wie manche “Ossies” die eben familiäre Bande nach Russland haben? Und überhaupt? Was tut des Vierte Reich (Deutschland 2024) eigentlich für einen Spaltkeil zwischen Deutsche treiben die ins ehemalige “Freundes-” und nun bald “Feindesland” ausgewandert sind?

        Meines Erachtens überaus unsinnig in der heutigen globalisierten Welt, wo es deutsche Einwanderer bis nach Japan bzw. China gibt, neue, bzw. alte, Feindbilder wieder aufzuwärmen…..;-)

        Gruß und vielen Dank
        Bernie

        1. Aber gern!

          Und ja, sicher hat es solche Verbindungen gegeben. Öfter als in den Westen, logischerweise. Aber dann eher im Bereich von diplomatischem Personal, in der Wissenschaft und so. Reisefreiheit gab es ja in der DDR kaum., Auch nicht in den Osten. Man brauchte eine Ferienplatz oder nahm an organisierten Reisen teil. Individuell lief da wenig. Und so gab es auch wenig private Kontakte.

          Aber ja, es gab solche Fälle. Beispielsweise die bekannte Schauspielerin Mariam Agischewa (In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte), Tochter eines 1938 vor den Nazis nach China geflohenen jüdischen Österreichers und einer Tatarin, geboren in der VR China und aufgewachsen in der DDR, wo der Vater an der Humboldt-Uni einen Lehrauftrag für Sinologie (Chinakunde) hatte.

          Ich muß immer grinsen, wenn Westdeutsche sich über das “besondere Verständnis Ostdeutscher für Russland” wundern, wo wir doch angeblich so sehr unter “den Russen” zu leiden hatten. Und sich das dann mit der besonders langen Wirksamkeit “stalinistischer Propaganda in der DDR” erklären. 34 Jahre nach der Einheit und 70 Jahre nach Stalins Tod…. jo… sicher doch!

          😉

          Daß es damit zu tun haben könnte, daß wir die russischen Menschen besser kennen und außerdem gelernt haben, Propaganda zu erkennen, also auch westliche, kommt für sie nicht in Frage.

          1. “[….]Daß es damit zu tun haben könnte, daß wir die russischen Menschen besser kennen und außerdem gelernt haben, Propaganda zu erkennen, also auch westliche, kommt für sie nicht in Frage[….]”

            Yo, da scheine ich wohl eine Ausnahme bei den Westdeutschen zu sein, denn mir ist das nichts Neues 😉

            Gruß
            Bernie

      2. “Daher kommt diese Kritikfähigkeit vieler Ostdeutscher.” Ich muss dir leider sagen, dass ich von der Kritikfähigkeit der Ostdeutschen nicht beeindruckt bin. Besonders bei der Auflösung der DDR waren sie alle geil auf DM und egal was man ihnen erzählt hat, den Westen wollten sie sich nicht vermiesen lassen. Jetzt ist das Gejammer groß.

        “Und wir haben auch ganz direkt erlebt, wie die übelsten Charaktere aus der DDR im Westen wiederum Karriere machten.” Das gab es auch umgekehrt, wie mir aus ostdeutschem Mund versichert worden ist.

        “Hier wurde reihenweise Überlebensfähiges plattgemacht, weil es die westdeutsche Konkurrenz störte. ” So geht Kapitalismus, den die Ossis ja unbedingt wollten. Konkurrenz wird ausgeschaltet. Was ist übrigens der Skandal, dass etwas plattgemacht wurde, obwohl es profitabel war? Also obwohl die Ausbeutung der Arbeiter wunderbar funktioniert hat. Also geht die Ausbeutung in Ordnung, wenn sie in Ossiland vor sich geht?

        1. “Jetzt ist das Gejammer groß.”
          Zurecht weil man uns die DM wieder weggenommen hat. 😉

          “Konkurrenz wird ausgeschaltet. ”
          Klar. Allerdings hätte man auch eine Übergangsregelung machen können wegen der besonderen Umstände.

          Man sollt nicht vergessen, was da passiert ist war zum finanziellen Nachteil aller Deutschen. Der gemeine Westdeutsche hat das nur nicht auf dem Schirm, leider.

          Grundstücke für 1 DM verschenkt, dann ausgeschlachtet und weiterverkauft,…
          DM -> EUR dürfte uns so ziemlich ein Drittel des Vermögens gekostet haben bis jetzt.

    2. “…aber er behauptet immer noch steif und fest, dass die im Osten doch “alles Geld vom Westen” bekommen haben und die Infrastruktur doch relativ neu wäre…”

      Doch, das stimmt im Prinzip schon. Aber der Osten hat dafür mit harter Währung bezahlt: Mit Menschen. Allein im Jahr nach der Wende ging 1 Mio arbeits- und leistungswillige Leute nach dem Westen. Vor allem Handwerksbetriebe, die sich zu der Zeit immer mehr mit türkischem, griechischem, italienischem Personal über die Runden schleppten, haben diese Leute aufgesaugt wie ein trockener Schwamm. Der Westen hat sich mit dem stetigen Zuzug von Deutschen aus der ehem. DDR einige Jahre lang deutsch verjüngt! Die Leute fehlen heute in Mitteldeutschland, was man an allen Ecken und Enden merkt.

  5. Ich finde es gut, dass Herr De Lapuente als Westdeutscher immer mal wieder auch den Kontakt zu Ostdeutschen sucht und sich als aufmerksamer Zuhörer zeigt.

    Ich habe das Interview mit Interesse, teils mit Zustimmung, teils aber auch mit Verwunderung gehört.

    Herr Domke-Schulz war beim Mauerfall immerhin schon 33 Jahre alt und hatte seinen Platz in der DDR-Bewusstseinsindustrie gefunden. Das Interview zeigt leider, wie sehr er in seiner Jugend doch linientreu indoktriniert worden war und selbst heute noch in ewiggestrigen Mustern befangen ist. Obwohl er zugibt, dass auch er über eine Ausreise über Ungarn nachgedacht hat, unterscheidet ihn doch viel von den Bürgerrechtlern und Dissidenten jener Zeit. Ich möchte ihm jetzt nicht Unrecht tun, aber ich habe zumindest nichts darüber gefunden, dass er viel mit DDR-Bürgerechtlern kooperiert hat.

    Bemerkenswert die Szene, als De Lapuente widerspricht und an Willy Brandt erinnert. Was Domke-Schulz über angeblich vollständige Eltenkontinuität im Westen nach 1945 sagt, ist praktisch eins zu eins SED-Propaganda. Gewiss, es gab Globke und auch andere, die nach 1945 in Amt und Würden blieben, doch ist entscheidend, dass sie eben nicht mehr NS-Politik betrieben. Und Antikommunismus ist ja nun wirklich kein nationalsozialistisches Alleinstellungsmerkmal! Domke-Schulz vertritt hier wirklich sehr verkürzte, einseitige und ideologisch bedingte Klischeebilder von Ost- und Westdeutschland und offenbart zudem verblüffend geringe Kenntnisse über den Westen des Landes.
    Gut, dass De Lapuente hier widerspricht.

    Was Domke-Schulz über die höhere Kritik- und Denkbereitschaft in Ostdeutschland sagt und über das in der ehem. DDR stärker verbreitete analytische bzw. dialektische Denken und das etwas andersartige Denken im Westen, ist hingegen wirklich interessant und da dürfte einiges dran sein.

    35 Jahre(!) nach der Wende dürfte die Ost-West-Spaltung in den Köpfen der jüngeren Generationen längst verschwunden sein. Nur für einen älteren Menschen wie Demke-Schulz mag das noch ein Thema sein, weil er die “Auslöschung” von DDR-Aspekten bedauert. Dass er den Begriff “Wiedervereinigung” ablehnt, hängt mit seinem vollständigen Mangel an Patriotismus und seiner letztlich doch erstaunlich stark ausgeprägten DDR-Identität zusammen. Vermutlich vertrat er (unausgesprochen) jenes obskure Konzept einer “Sozialistischen Nation”, was ja einen ganz anderen Sinn ergibt als der Begriff “Nation”.
    Nun gut, die Gedanken sind frei.

    Gewiss hat er damit recht, dass der Prozess der Wiedervereinigung nach 1990 schlecht und unfair gelaufen ist. Stichwort: “Treuhand”. Da haben sich im Westen viele gesundgestoßen, haben andere über den Leisten gezogen und viel Vertrauen missbraucht. Allerdings ist das nun doch schon über 30 Jahre her und ständiges Zurückschauen hift auch nicht weiter.

    Domke-Schulzes Gedanken zum Ukraine-Komplex hört man indessen mit Gewinn.

    1. Nun, viele AfD Wähler im Osten sind der DDR verbunden und die AfD-Ost versteht das zu nutzen!
      Der Höcke ist natürlich ein Westimport, was für das kleine Thüringen nicht untypisch ist, hat immer vom Zuzug gelebt.
      Wenn Sie sich mehr für die Ostmentalität interessieren, sollten Sie öfters „rüberfahren“
      Übrigents, hören sie mal der älteren Schwester von Gysi zu. Dann verstehen sie auch warum Ossis einen ungezwungerenen Umgang mit der AfD haben. Vielleicht verstehen Ossis auch die deutsche Geschichte besser?

      Ich fürchte aber die mentalen Unterschiede zwischen Ost und West umfassen ALLE Parteien, nur das Ossis eben ungezwungener, offener, pragmatischer und analytischer denken. Alte dialektische Erziehung!

      1. Der Höcke ist natürlich ein Westimport, was für das kleine Thüringen nicht untypisch ist, hat immer vom Zuzug gelebt.

        Nicht nur der Höcke! Praktisch die gesamte Führungsebene der AfD ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, westdeutsch!
        Das war in der Vergangenheit bei den Naziparteien im Osten (NPD etc.) übrigens ganz genauso!
        Holger Apfel bspw. 1970 in Hildesheim geboren.

        1. Krah ist ein ehemaliger CDUlern aus Dresden. Du kennst das alte Dresden, das Modrow einst regieren mußte. Krah wurde selbst in der AfD geschmäht, weil er außenpolitisch ganz vernünftige Ansichten hat. Kluge Ossis ecken überall an!

          1. Krah hat aber auch jede Menge Unsinn erzählt, so wie “Vogelschiss”-Gauland. Auch ein Ex-CDUler, diesmal aus Hessen. Aber bezeichnend ist hier immer, daß mit den seltsamen Ansichten dieser Leute kaum einer Probleme hat, so lange sie in der “richtigen” Partei sind. So wie auch mit den Wählern in Ostsachsen immer alles in Ordnung war, so lange die mit 60 bis 80 Prozent CDU gewählt haben. Jetzt wählen sie AfD (was soll der enttäuschte Konservative auch sonst wählen? SPD?), und plötzlich sind dieselben Menschen ein Problem und “die Demokratie in Gefahr”!

            1. Ich hab ja nur gesagt, außenpolitisch liegt er gar nicht so falsch.
              Das er seinen jungen Fans „Hey, sei stolz ein Deutscher zu sein“ zuruft finde ich auch nicht so prickelnd. Was ruft „die Linke“ den Jungen zu, die noch an 2 Geschlechter glauben und eine normale Familie gründen wollen?

      2. “nur das Ossis eben ungezwungener, offener, pragmatischer und analytischer denken.” Kommt aber drauf an wo sie sind und wen sie vor sich haben. Da gibt es auch das Gegenteil, dass man sein Maul hält, alte DDR-Tugend, rumdruckst und nach alter Ossimanier hintenrum versucht seine Ziele zu erreichen, Es gibt solche und solche. Man darf auch Domke-Schulz und Frau Gysi nicht für den Normalfall nehmen. Die Analytiker gab es auch im Westen.

    2. Die “Wiedervereinigung” war eine Uebernahme. Das sage ich Dir als “Westdeutscher”.

      Bananen und Begruessungsgeld. Die grenznahen Aldis und Lidls leerkaufen war dann wichtiger. Da sind die Ossis eingefallen wie die Heuschrecken. “Wir hatten ja nuescht!” Dafuer hat man sich das Staatsvermoegen abluchsen lassen.

      1. @Gilbert

        Ja, die DDR wurde vereinnahmt und sozusagen übernommen.
        Trotzdem handelte es sich – Gott sei Dank – um eine Wiedervereinigung.
        Der Begriff “Wiedervereinigung” ist ja nicht nur dann anzuwenden, wenn alles fair und gut abläuft. Da beide Teilstaaten bis 1945 zu einem Staat gehört hatten, ist das Wort auch passend

        1. Oder um einen Anschluss. Ist doch tatsächlich der treffendere Begriff, der viel besser das tatsächliche Geschehen beschreibt, indem die BRD die Maßstäbe gesetzt hat,

          1. @ Krim
            18. September 2024 um 19:59 Uhr

            Ja, auch das Wort “Anschluss” passt.

            Es ist aber egal, auf welche Weise eine Wiedervereinigung erfolgt. Jedenfalls IST sie erfolgt.

        2. Auf den Globus gab es schon vor der Deutschen andere Wiedervereinigungen. Vergleichen wir mal sehr kurz die vietnamesische Wiedereinigung von 1976 mit der deutschen.
          Natürlich hat der in nationalrevolutionären Befreiungskrieg siegreiche Norden Vietnams den Süden übernommen, also die, die mit den Amis kollaborierten und kopulierten. Die Familien haben sich versöhnt aber die Gräber der Verräter sind verwaist. Aber zahlreiche Vietnamesen, die im Befreiungskrieg im Süden gekämpft hatten, dann in den Norden fliehen mußten, kehrten in ihre alte Heimat zurück….ein kleiner Unterschied….man muß auch mal über den kleinen deutschen Tellerrand hinausschauen können…

        3. “Vereinigung” impliziert eine gewisse Gleichheit und Gleichwertigkeit derer, die sich vereinigen.

          Wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Part seine staatliche und wirtschaftliche Organisation und deren Eigentumsverhältnisse zugunsten derer des anderenen Parts vollkommen aufgeben muss, dann ist das keine gleichberechtigte Vereinigung sondern eine einseitige Übernahme.

    3. “Herr Domke-Schulz war beim Mauerfall immerhin schon 33 Jahre alt und hatte seinen Platz in der DDR-Bewusstseinsindustrie gefunden. Das Interview zeigt leider, wie sehr er in seiner Jugend doch linientreu indoktriniert worden war und selbst heute noch in ewiggestrigen Mustern befangen ist.”

      Aha… Ich sehe hier vor allem einen Ostdeutschen, der die Zeit der “Wiedervereinigung” und der anschließenden Zerstörung der ostdeutschen Wirtschaft in den 90er Jahren als damals 33jähriger schon sehr bewußt erlebt hat, und daher eine absolut verständliche Aversion gegen die damals als Eroberer in den Osten einfallenden Westler hat. Und der wird seine Einstellung auch nicht ändern. Nicht weil es “ewiggestrig” ist (was ist das überhaupt?), sondern weil die damals gelegten Grundlagen bis heute fortwirken!

      Westdeutsche Eliten haben sich damals alles im Osten unter den Nagel gerissen. Und sie herrschen immer noch. Indirekt darüber, daß immer noch das Meiste im Osten seitdem Westdeutschen gehört und ganz direkt, indem die Führungspositionen in Wirtschaft, Bildungswesen, Justiz und Verwaltung bis heute von Westdeutschen besetzt sind!

      Das gesamte Rektorat der TU Dresden bspw. besteht aus Wessis! Und das kann ja nun nicht daran liegen, daß es unmöglich war, in den letzten 34 Jahren qualifiziertes Personal aus dem Osten heranzubilden, oder? nein, das sind gefestigte Strukturen, Filz, Seilschaften.
      Um zu verstehen, wieso der Osten so ist, wie er ist, muß man wissen, wie er entstand. Und da ist die DDR-Vergangenheit keine ausreichende Erklärung! Wie Domke-Schulz völlig richtig erklärte, wurde damals alles, was “DDR” war, systematisch vernichtet, und durch eine Art westdeutsche Kolonialherrenkultur ersetzt. Sicher sind das alles Deutsche”. Aber vom Denken her eben nicht. Die Mauer in den Köpfen vor allem Westdeutscher ist höher denn je!

      Wir haben im Osten tatsächlich eine Elitenstruktur wie in einer britischen Kronkolonie des 19. Jahrhunderts, wo alles von Wichtigkeit von Briten besetzt war und Einheimische nur untergeordnet und als Befehlsempfänger existierten, und ansonsten zu arbeiten und die Schnauze zu halten hatten. Und “die da oben” bleiben genauso unter sich, wie “wir hier unten”.
      Wir können jetzt natürlich warten, bis niemand von damals mehr lebt und hoffen, daß sich dadurch etwas ändert, aber das wird nicht funktionieren.

      Ps: Als 2008 der Lausitzer Sorbe Stanislaw Tillich Ministerpräsident in Sachsen wurde, war er der erste Ostdeutsche in dieser Funktion! Die CDU machte Werbung mit “Der Sachse”. Peinliche Anbiederei, denn nachdem zuvor 17 Jahre lang nur Wessis regierten (MP, Minister etc.) war der ganze Freistaat Sachsen westdeutsch beherrscht.

      1. Der Fachausdruck für die von Dir beschriebene Verfahrensweise heißt “Binnenkolonialisierung”. Also die Herstellung einer kolonialistischen Herrschaftsstruktur (und auch Ausbeutungsstruktur! die ist nämlich das Ziel der Herrschaft) über Teile des eigenen Landes, die sich durch irgendwelche Merkmale von anderen Landesteilen abgrenzen lassen.

        Leider gab es bei den Ossis fast niemanden, der Kolonialismuserfahrung hatte und diese Prozesse einordnen könnte, so kam es auch nicht zum organisierten Widerstand. Ganz im Gegensatz zur Westseite übrigens, wo die Kontinuität der Kolonialisierungserfahrung (bspw. in Form von Ausbeutung von Entwicklungsländern) weit über das 3. Reich hinausreicht und sozusagen zum täglichen Broterwerb gehört.

    4. „35 Jahre(!) nach der Wende dürfte die Ost-West-Spaltung in den Köpfen der jüngeren Generationen längst verschwunden sein.“
      Das ist leider nicht so. Ich lebe in einer Universitätsstadt.Und da sind überwiegend die Studentinnen und Studenten jeweils unter sich. West für sich und Ost für sich…Selten,das die regionale Herkunft keine Rolle spielt….wenn es um die Befürwortung von Stipendien geht, lehnen die (West)-Professoren die Anträge von Ost-Studis fast immer ab!
      Da ich im Mainfränkischen Sprachgebiet Thüringens aufgewachsen bin, werde ich oft für einen „Wessi“ gehalten. Selbst Professorinnen haben sich schon mir gegenüber sehr abfällig über ihre Studis aus Sachsen geäußert, die es wagten, mit ihrem sächsische Dialekt zu sprechen…
      Freunde aus der Nähe von Dresden haben drei Töchter und sieben Enkelkinder…Alle pflegen ihren Dialekt.Auch aus Trotz über die permanente Hetze von West-TV -Macher über „die Sachsen“ und deren Dialekt…

      1. Über die Schwaben und Bayern und Hessen… wird auch hergezogen, wenn sie Dialekt sprechen.
        Kommt auch drauf an wo sich die Unistadt befindet. Wenn da Dialektsprecher von außerhalb kommen, wirst du immer in eine Schublade gesteckt.

      2. Ich las mal, dass von 120 ostdeutschen Hoch – und Fachhochschulen 100 durch importierte Rektoren geführt werden. Das von dir beschriebene, kannst du dann auch im Osten haben. Die MediendenKonglomerate sowieso und wenn ein einzelner Solitär auffällt, wie die Berliner Zeitung, wirft schon mal der Verfassungsschutz ein wachsames Auge drauf.
        Ähnlich in der Justiz, Wirtschaft und Verwaltung.

        Kleine Episode am Rande. Die Tochter einer Bekannten aus Süddeutschland, war nach mühevoll bestandenem juristischem Examen mehre Jahre arbeitslos und hing als erwachsene Frau bei den Eltern ab. Niemand wollte sie anstellen und um sich selbstständig zu machen, war sie wohl zu träge und und unfähig. Bis der Anschluss kam und sie mühelos als Richterin in einer durchaus attraktiven Ostdeutschen Stadt angestellt wurde. Noch Jahre später, wenn ich sie bei der Mutter traf, beklagte sie ihr trauriges Schicksal, im Osten leben zu müssen und mit was für furchtbaren Menschen, unter was für grauenvollen Zuständen sie das erleiden müsse. Eine Frau, die eigentlich jeden Tag dem Schicksal auf Knien danken müsste, dass es ihr diese Chance gab.

        Aber im Interview wird das schon exakt benannt – eine große Mehrheit hat sich dagegen entschieden, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und dafür, die persönliche Würde gegen Westmark zu tauschen. Muss man dann akzeptieren und die Behauptung, man habe das nicht wissen können, akzeptiere ich nicht. Man konnte, wollte aber nicht.

    5. Die Vorteile des Sozialismus zu erkennen, heisst also linientreu indoktriniert?
      Könnte es nicht sein, dass Sie in ihrer Denkweise westlinientreu limitiert worden sind?

  6. Ich bin ein großer Fan von Wilhelm Domke-Schulz sowohl von seinen Filmen als auch von seiner Haltung. Habe praktisch alle Videos von Ihm mit Dirk Pohlmann usw. auf Drushba FM auf You tube gesehen. Ganz großes Kino. Alle Mann /eine Frau dort sind allesamt sehr bemerkenswerte Persönlichkeiten mit Haltung.

  7. Das über stülpen vom Neoliberalismus hat bis heute seine Opfer auf beiden Seiten. Das die DDR so extrem ‘vergewaltigt’ wurde, können wir heute nicht mehr ändern. Aber wir können etwas aus beiden Teilen etwas mitnehmen, kämpfen für ein besseres gerechteres D.
    Der Neoliberalismus nimmt nur und gibt nichts zurück, ausser Krümmel.
    Russland und seine Politik, könnte auch ein Modell für D sein, das benötigt jedoch einen unerschrockenen politischen Willen. Die Oligarchie ist eigentlich kein Problem, solange diese unter der politischen Kontrolle ist und nicht umgekehrt.
    Was viele leider nicht wahrnehmen möchten, die USA und D ist eine riesige Baustelle, anstatt sinnlose Umverteilung durch Kriege, wäre die Umverteilung der “1%tigen” von oben nach unten angesagt.

  8. Apropo “Wiedervereinigung….” bei einem YouTube-Kanal erfuhr ich neulich, dass es Deutschland, und die Deutschen als Nation, erst seit 1871 gibt. Stimmt das?

    Begründet wird das unter anderem damit, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wohl eher ein Flickenteppich von Völkern war von denen sich keineswegs alle als “Deutsche” identifiziert haben sollen sondern sich eher mit den jeweiligen Fürstentümern, die Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren, als Untertanen identifiziert haben.

    Tja, das erklärt denn doch einiges über die Aggressivität des Deutschland von 2024…..man ist eben doch noch, im Vergleich zu anderen Nationen, z.B. Großbritannien oder den USA, eine relativ junge, und ehrgeizige, Nation….. 1871 is ja noch nicht so lange her;-)

    Trotz 2 verlorener Weltkriege nichts dazugelernt im ehemaligen Deutschen Kaiserreich…preußisch-militaristischer Prägung *daumenrunter* *augenroll*

    Zynische Grüße
    Bernie

    1. @ Bernie

      Sorry, aber da muss ich einfach ein paar Zeilen einwerfen.

      Die Vorstellung, dass es 1871 überhaupt erstmals ein deutsches politisches Gebilde gegeben hätte, ist wirklich falsch! Ein deutsches Königtum nebst einem dazugehörigen Königreich gab es schon im Jahre 910, also vor über tausend Jahren.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:HRR_10Jh.jpg
      Es wurde gebildet durch den politischen Zusammenschluss von mehreren deutschen Stammesherzogtümern, z.B. Sachsen, Bayern, Franken.
      Auch in Urkunden des Jahres 1033 taucht der Begriff “regnum teutonicum” (d.h. „deutsches Königreich”) auf.

      Selbstverständlich gab es vor 1871 auch schon Deutsche i.S. des Nationenbegriffs – natürlich wie überall mit allerlei Dialektvarianten und regionalen Unterschieden.

      Das “Heilige Römische Reich Deutscher Nation” war lediglich die Fortentwicklung bzw. Degenerationsform des oben erwähnten deutschen Königreiches des frühen Hochmittelalters. Diese Bezeichnung “Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation” taucht auch erst Ende des 15. Jahrhunderts auf und galt bis 1806, als der letzte Kaiser auf napoleonischen Druck hin in Wien die Kaiserkrone niederlegte.

      Von Degeneration kann man deshalb sprechen, weil es dem König bzw. später dem Kaiser in Deutschland – im Gegensatz zu den Herrschern in England und Frankreich – nie gelang, sich dauerhaft gegen die mächtigen Fürsten des Reiches durchzusetzen, wodurch sich die Herrschaftsgebiete dieser Fürsten allmählich immer mehr verselbständigten und die Nationalstaatsbildung misslang. Dieser Prozess der Verselbständigung der Fürstentümer war infolge der kaiserlichen Niederlage im Dreißigjährigen Krieg 1648 abgeschlossen.
      Das zweite Reich, also das wilhelminische, versuchte an das erwähnte erste Reich anzuknüpfen.

      Trotzdem existierten über diese Zeit hinweg natürlich die Begriffe “Deutschland” und “Deutsche”; Sie finden das beispielsweise bei Grimmelshausen (“Simplizissimus”) um 1668 oder bei Goethe (“Wilhelm Meister”) um 1794.

      1. @Wolfgang Wirth

        Danke für Ihre vielen wirklich hilfreichen Hinweise 😉

        Ich dachte mir ja gleich so was – tja, YouTube-Kanal eben *augenroll*

        Wir Älteren sollten uns lieber in entsprechende Literatur einlesen, wie Sie es getan haben 😉

        YouTube Kanal *daumenrunter**kopfschüttel*

        LG Bernie

      2. @ Wolfgang Wirth und Bernie:
        Nur kurz, weil ich keine Zeit habe. Ich hätte schon sehr viel dazu zu sagen.
        Das erste deutsche Königreich der Ottonen war ja quasi auch schon ein Vielvölkerstaat, viel mehr noch dann das “Heilige Römische Reich”. Deswegen und auch weil vieles im Mittelalter sehr anders war, kann man das “erste” deutsche Reich meiner Ansicht nach nicht als Vorläufer des Zweiten sehen, dass ja dann ein richtiger Nationalstaat war. Ja, es gab schon mal ein “deutsches Reich”, aber der Name ist hier fast die einzige Gemeinsamkeit.
        Ich würde sogar sagen, dass das Wilhelminische Reich eine schlimme Fehlkonstruktion war, unter der wir heute immer noch leiden. Aber das sprengt jetzt leider den zeitlichen Rahmen.

        1. @ Two Moon

          Sie haben natürlich recht, dass das Reich der Ottonen und Salier im Mittelalter kein moderner Nationalstaat war, selbst die moderne Bezeichnung “Staat” passt nur mit Bauchschmerzen, weshalb man eher von einem “Personenverbandsstaat” spricht.
          https://de.wikipedia.org/wiki/Personenverbandsstaat

          Andererseits galt das natürlich ebenso für ALLE anderen Vorläufergebilde moderner Nationalstaaten – also Frankreich, England, Spanien usw. Überall war der Anteil von Minderheiten und auch teils anderssprachigen Völkerschaften nicht so niedrig. In Frankreich gilt dies etwa für die Bretonen, die Aquitanier, die Okzitanier. Hinzu kam, dass auch die Dialekte und landsmannschaftlichen Unterschiede noch ausgeprägter waren als heute.

          Da diese Verhältnisse also überall galten, stellte das mittelalterliche deutsche Reich aber zunächst – bis etwa 1400 / 1500 keine Ausnahme dar.

          Der Sonderweg begann im Grunde im späten Mittelalter, weil es – wie bereits weiter oben erwähnt – den Königen/Kaisern dieses – ich sage mal – protodeutschen Raumes nicht gelang, eine Zentralmacht aufzubauen und die Fürsten klein zu halten.
          In England war das der Krone gelungen – wenn auch nach einer ganzen Reihe von kriegerischen Konflikten – und auch in Frankreich und Spanien bauten die Monarchen die königliche Zentralmacht zuungunsten des Hochadels stetig aus. Mit diesem Prozess der Zentralisierung gingen auch schon in der frühen Neuzeit die Vereinheitlichung des Rechtswesen, der Schriftsprache und einiger kultureller Muster einher, und es bildete sich dort bereits vor 1700 eine Art Nationalstaat heraus.

          Obwohl sich politische Landschaft in Deutschland ab etwa 1230 aus Sicht der Krone zunehmend ungünstig entwickelte, kam es dennoch zu Entwicklungen, die den spezifisch deutschen Charakter dieses seltsamen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verstärkten:

          1. Der Anteil nichtdeutscher Territorien innerhalb des Reiches nahm nach 1250 (Tod Friedrich II) stetig ab und beschleunigte sich 1648 noch einmal deutlich, weil dann auch die Niederlande und die Schweiz formal ausschieden.

          2. Die Sprachentwicklung vom Mittelhochdeutschen zum frühen Neuhochdeutschen vollzog sich trotz der lange Zeit bestehenden Unterschiede zwischen Norddeutschland (niederdeutsch) und Süddeutschland einschl. Österreich (oderdeutsch) und trotz der politischen Zersplitterung relativ einheitlich.

          Anders ausgedrückt: Auch die politische Zersplitterung und die Verhinderung der Nationalstaatsbildung durch die Niederlage des Kaisers im Dreißigjährigen Krieg konnten eine fortschreitende kulturelle Vereinheitlichung nicht verhindern.

          Der Zusatz “deutscher Nation” im Namen des Herrschaftsgebildes entstand also keineswegs zufällig. Der Umstand, dass schon um 1500 von einer deutschen Nation die Rede war, spricht doch für sich. Es existierte also bereits in dieser Zeit das Bewusstsein dafür, dass es hier in Mitteleuropa eine Nation gab, die sich eindeutig von anderen Nationen, etwa den Franzosen, Italienern oder den slawischen Völkern im Osten unterschied.

          1871 wurde in Deutschland nur nachgeholt, was in England und Franreich schon im 17. Jahrhundert gelungen war.

          1. @ Wolfgang Wirth:
            Ich kann Ihnen in der Ablaufbeschreibung erst einmal grob zustimmen.
            Ich würde einige Dinge aber anders interpretieren. Dazu habe ich einige Thesen experimenteller Art entwickelt, aber die auszuführen habe ich wieder nicht die Zeit, vielleicht später einmal. Nur ein paar Schlagworte dazu:
            – Deutschland ist eine Fehlkonstruktion
            – Es ist nicht eigentlich Deutschland, sondern immer nur das “preußische Reich” gewesen.
            – Das Charakter der deutschen Völker (ich sage bewusst nicht ‘Volk’) ist nicht passend für einen großen Zentralstaat (ähnlich z.B. auch die Italiener)
            – Die Bewohner des alten Herzogtums Niederlothringen, also Flamen, Niederländer, Rheinländer, Luxemburger, Lothringer, Pfälzer teilweise sogar Wallonen, unterschieden sich ursprünglich kaum voneinander, jedenfalls weit weniger als sie sich von Sachsen oder Bayern unterschieden. Die oben genannten wären also viel eher eine “natürliche” Nation als das heutige Deutschland.
            – Dieser Geist des preußischen Reiches hat Deutschland nie ganz verlassen und das sehr zu seinem Nachteil.

            1. @ Two Moon

              Hmm, Sie kommen da ja mit einigen recht … sagen wir mal … anregenden Thesen.

              Ich erlaube mir mal, da Sie offenbar ebenfalls geschichtlich interessiert sind, ein paar Anmerkungen.

              Sie schreiben:
              “Deutschland ist eine Fehlkonstruktion.”

              Was meinen Sie damit genau? Doch wohl nicht, dass Deutschsein an sich ein Fehler wäre.
              Vermutlich zielen Sie auf die Problematik, dass Deutschland wegen seiner Größe und Mittellage einerseits stärker als fast alle einzelnen Nachbarn ist, andererseits aber immer zu schwach war, eine echte Hegemonialstellung einzunehmen.

              In diesem Sinne war die Niederlage Deutschlands und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg – der bekanntlich von Deutschland eben nicht wirklich gewollt worden war – ein Unglück. Deutschlands Stärke – und das meinen Sie wahrscheinlich – wurde unserem Land durch ihr schieres Vorhandensein zum Verhängnis, weil es unwillentlich die Frontstellung der Nachbarn hervorrief und mal wieder die britische Politik der “balance of powers” aktivierte.

              Ja, vielleicht wäre ein preußisch dominierter norddeutscher Staat und ein österreichisch dominierter süddeutscher Staat (Donauföderation) nach 1870 besser gewesen? Zumindest hätte dies vermutlich nicht die britische Feindseligkeit bewirkt, die das große wilhelminische Deutschland rasch auf sich zog.

              Andererseits kann man einem Volk aber nicht den Wunsch absprechen, in einem Staat vereinigt zu leben. Und dieser Wunsch ist ja nun nicht erst 1871 auf preußischen Druck hin entstanden, sondern wuchs schon nach der französischen Revolution im Gefolge des anwachsenden deutschen Nationalbewusstseins (z.B. Heinrich v. Kleist) und war dann bei der bürgerlichen Revolution von 1848 schon ziemlich stark entwickelt und ausgeprägt. Übrigens durchaus gegen den Willen von Friedrich Wilhelm IV von Preußen.

              “Es ist nicht eigentlich Deutschland, sondern immer nur das “preußische Reich” gewesen.”

              Ja, da ist was dran. Allerdings wollte Wilhelm I das zunächst gar nicht, denn König von Preußen zu sein, war ihm bekanntlich zunächst wichtiger als der Kaiser des Deutschen Reiches zu werden. Er fürchtete ein Aufgehen Preußens in Deutschland. Nun ja, in gewisser Weise ist dann allerdings Deutschland in Preußen aufgegangen.
              Es war Bismarck, der in diese Richtung drängte, wohl auch, um den Nationalliberalen von 1848 entgegenzukommen und ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

              “Das Charakter der deutschen Völker (ich sage bewusst nicht ‘Volk’) ist nicht passend für einen großen Zentralstaat (…)”

              Nein, hier kann und mag ich nicht folgen.
              Unterschiedliche Stämme und Dialekte gibt es doch in fast jedem großen Land, das ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Hier von verschiedenen “Völkern” zu reden, halte ich persönlich für falsch.

              Okay, vor 400 Jahren, vielleicht auch noch vor 300 Jahren waren die Unterschiede zwischen den Niederdeutschen im Norden und den Oberdeutschen im Süden in sprachlicher, religiöser und teils auch kultureller Hinsicht wirklich noch so groß, dass man da mit gewissem Recht von zwei ähnlichen, aber doch auch etwas verschiedenen Volksgruppen sprechen könnte.
              Diese Unterschiede haben sich aber schon im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert mit dem wachsenden gedanklichen und wirtschaftlichen Austausch und mit der modernen Verkehrstechnik immer mehr abgeschliffen, und zwar auch schon VOR 1871.

              Hinzu kam, dass mit der Festigung und auch Bejahung des französischen Nationalstaats durch die Franzosen (schon im 18. Jahrhundert) den Deutschen ihre eigene Identität immer bewusster wurde und das Fehlen eines deutschen Nationalstaats vielerorts beklagt wurde. Nur die Fürsten wollten das nicht.

              “Dieser Geist des preußischen Reiches hat Deutschland nie ganz verlassen und das sehr zu seinem Nachteil.”

              Nun, ich verstehe ja, dass Sie als weit im Westen lebender Westdeutscher keine allzu große Preußenliebe kennen. Ihre Vorfahren sind ja 1815 ungefragt zu Preußen gemacht worden bzw. vereinnahmt worden.

              Für mich sieht Preußen allerdings nicht ausschließlich negativ aus. Man übersieht leicht die positiven Entwicklungsimpulse dieses interessanten Staates. Allerdings bin hier befangen, denn ich bin sozusagen ein Preuße.

              An dieser Stelle ein Literaturtipp: Kennen Sie “Der Stechlin” von Theodor Fontane?
              Da erfährt man viel über Preußen, das Gute wie das Schlechte.

              1. @Wolfgang Wirth:
                Zunächst einmal möchte ich Ihnen danken, dass sie sich die Zeit genommen haben auf meine hastig hingeworfenden Zeilen eine ausführliche Antwort zu schreiben. Ich werde nun versuchen zumindest ein paar meiner Thesen besser auszuformulieren. Ich betone aber noch einmal, dass dies experimetenelle Thesen von mir sind, die erst einmal keinerlei Gültigkeitsanspruch haben.

                Auf diese Thesen bin ich gekommen als ich mir Gedanken darüber gemacht habe wieso sich Deutschland seit seiner Gründung 1871 mehrfach in so extrem üble Situationen geritten hat. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und nun könnte es schon wieder sein, dass sich eine ähnliche Katastrophe anbahnt.

                “Deutschland ist eine Fehlkonstruktion.”
                Erst mal, Nein, deutsch sein ist natürlich kein Fehler. Ich bin ja selber so deutsch wie man nur sein kann. Mutter aus dem äußersten Osten, Vater aus dem äußersten Westen. Allerdings weiß (es ist natürlich schon mehr als Wissen) ich dadurch auch wie extrem die Mentalitätsunterschiede in Deutschland sind.
                Was ich ja eigentlich versuche durch meine obige These ist: Das deutsch sein zu retten vor all dem Ungemach, dass diesem Staat widerfahren ist und das dieser Staat auch selber angerichtet hat, also das deutsch sein zu trennen vom Schlechten des deutschen Staates, beziehungsweise der Drahtzieher in demselben und deren Geist. Wobei man natürlich auch den einzelnen deutschen Einwohner nicht ganz frei von Verantwortung lassen kann. Man kann nicht alles nur auf irgendwelche bösen Eliten schieben.
                Meine These ist aber eben, dass es den deutschen Völkern besser ergangen wäre, wenn sie sich anders aufgeteilt hätten.

                Vermutlich zielen Sie auf die Problematik, dass Deutschland wegen seiner Größe und Mittellage einerseits stärker als fast alle einzelnen Nachbarn ist, andererseits aber immer zu schwach war, eine echte Hegemonialstellung einzunehmen.

                Ja, meine Gedanken sind ein wenig ähnlich. Die Mittellage auf der Nord-Süd- wie auf der Ost-West-Achse war und ist ein großes Problem. Man hängt immer mitten im Schlamassel, hier geht alles durch, was die Himmelsrichtung wechseln will. Und da ich eine Hegemonialstellung grundsätzlich nicht für wünschenswert halte, denke ich dass mehrere kleinere deutsche Staaten die bessere Lösung gewesen wären. Die wirklich großen und mächtigen Staaten sind doch immer auch diejenigen wo es einem großen Teil der Bevölkerung sehr schlecht geht (USA. Indien, China, Russland…). Sieht man dagegen die Schweiz, Österreich, Luxemburg, die Niederlande oder Belgien (welches gerade Deutschland im kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf überholt hat), alles Gebiete aus dem “ersten” deutschen Reich, dann fällt auf, dass diese doch ein deutlich besseres Schicksal haben.
                Das, was heute Deutschland ist, hätte sich, so denke ich, besser in mehrere kleinere Staaten aufgeteilt, die einen Verteidigungsbund ohne eine Dominanzmacht wie Preußen hätten bilden können. Zumindest der eher protestantische Nordosten und der eher katholische Südwesten hätten getrennt bleiben sollen. (Der Protestantismus kommt ja eigentlich auch nur in Ländern mit rein germanischer Bevölkerung vor, während der Südwestteil Deutschlands im Ursprung auch stark keltoromanisch geprägt ist.)

                Aber statt dessen hat sich Preußen einfach so viel einverleibt, wie es kriegen konnte und dieses Gebilde dann Deutschland genannt.
                Ja, ich weiß, was hätten sie denn tun sollen? Es war die Zeit der Nationalstaaten. Wirtschaftlich und machtpolitisch musste man sich irgendwie in Europa behaupten und dann gab es ja auch noch die große nationale Bewegung. Ändert aber nichts daran, dass so wie man Deutschland dann konstruiert hatte, es auch zum Schlechten bestellt war.

                Durch die berauschenden Siege des preußischen Militärs, durch den enormen wirtschaftlichen Aufschwung in letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, wurde das ganze Land mehr und mehr vom preußischen Geist durchdrungen. Eine siegestrunkene Großmannssucht und Hybris breiteten sich über das Land, was zur Überschätzung im ersten Weltkrieg führte und dann in einen grauenhaften Absturz mündete. Aus heutiger Sicht übersieht man leicht, dass der erste Weltkrieg insgesamt gesehen die größere Katastrophe war (nicht nur in Deutschland) als der zweite Weltkrieg, auch wenn Letzterer mehr an Toten und materieller Zerstörung hatte.

                Nicht nur “Deutschlands Stärke”, wie Sie meinen wurde unserem Land zum Verhängnis, sondern vor allem die stolze Hybris des militaristischen, preußischen Geistes.

                Andererseits kann man einem Volk aber nicht den Wunsch absprechen, in einem Staat vereinigt zu leben.

                Wollten sie denn das wirklich? Wollten sie wirklich preußisch dominiert sein? Ja es gab diese bedeutende, nationale Bewegung in deutschen Ländern, von der ich nicht so viel halte. Nachdem man früher eher regionale und/oder religiöse Identitäten hatte, die in der Zeit der Aufklärung verblassten, haben sich dann die idealistischen Geister das Nationale auf die Fahne geschrieben.
                Wollten die deutschen Völker wirklich preußisch dominiert sein? Das einfache Volk auch? Nicht nur begeisterte Studenten und Teile der gebildeten, bürgerlichen Schicht? Viele Fürsten wollten es nicht. Ludwig II. musste mit Zuckerbrot und Peitsche dazu gebracht werden, die anderen süddeutschen Fürsten wollten lieber mit Österreich zusammen usw. Die Rheinländer wollten jedenfalls auch nicht preußisch werden.
                Aus heutiger Sicht sieht man das vielleicht etwas verzerrt, weil einem die Saga von einheitlichen, deutschen Vaterland über 4 Generationen in den Knochen steckt. Aber damals war das wohl nicht so eindeutig.

                “Das Charakter der deutschen Völker (ich sage bewusst nicht ‘Volk’) ist nicht passend für einen großen Zentralstaat (…)”
                Ich denke es hatte einen Grund warum es im “ersten” deutschen Reich keine große Zentralmacht gab (auch schon nicht wirklich in seinem Anfängen), der in der Mentalität der Völker liegt. Ähnlich wie die Italiener tendieren die Deutschen von Natur aus eher dazu unabhängig zu sein. Sie machen lieber ihr eigenes, kleines Ding, als sich zu einer großen Macht zusammenzuschließen, sich einer großen Zentralmacht zu unterwerfen. Das Ausleben der eigenen Individualiät ist hier wichtiger als möglichst in einer großen, schützenden Macht geborgen zu sein. Daher die Kleinstaaterei, daher haben sie es nie zugelassen, dass einer der Kaiser die große Zentralmacht erlangte. Die Kleinstaaterei wurde dann aber natürlich zu extrem.
                Darüber hinaus halte ich aber ein Nationalgefühl zu einem so großen Land auch für ein wirkliches Problem. Ein Wir-Gefühl, eine Verbundheit mit der Bevölkerung und mit der Region in der man lebt, ist etwas Natürliches und Sinnvolles, es ist regelrecht körperlich spürbar. Aber ein Nationalgefühl auf ein so großes Land mit einer solch riesigen Bevölkerung bezogen, kann nur abstrakt sein und damit problematisch. Das Nationalgefühl selbst ist dann auch sentimental und idealistsich, mit all den Problemen, die sich aus solchen Stimmungslagen ergeben.

                Die ersten Zentralstaaten haben sich ja so richtig erst in der Zeit des Absolutismus gebildet. Aber nur in Frankreich ist das einigermaßen gut gelungen. Sie erwähnen zwar auch Spanien und Großbritannien, doch die haben Teile ihrer Gebiete brutal unterjochen müssen, und müssen sie teilweise bis heute mehr oder weniger zwingen im Staat zu bleiben (Baskenland, Katalonien, Schottland).

                Und warum haben sich die Niederlande, Belgien, Luxemburg, die Schweiz und Österreich aus dem deutschen Reich verabschiedet? Die waren zumindest mal genauso deutsch wie der Rest vom deutschen Reich. Und heute werden sie als durchaus sehr eigene Kulturen wahrgenommen, denn sie sind am Ende nicht unter preußischen Einfluss geraten.
                Ich denke es wäre gut gewesen, wenn auch andere Regionen in deutschen Gebieten die Möglichkeit gehabt hätten ihr eigenes Ding zu machen und ihre eigene Kultur auszuformen. Statt dessen sind sie in das preußische-deutsch Korsett gezwungen worden. Das ist uns heute nur nicht mehr bewusst, weil wir seit 4 Generationen oder länger schon darin leben.

                Die Region, in der ich lebe, liegt am Dreiländereck D/NL/B. Bis zum ersten Weltkrieg war es sogar ein 4-Ländereck (Falls Sie das nicht kennen, einfach mal nach “Neutral-Moresnet” suchen, sehr interessant). Es gab hier früher sehr reiche menschliche, kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen über die Grenzen hinweg, auch weil die Sprache, bzw. die Dialekte in den drei Ländern sehr ähnlich waren. Durch den ersten Weltkrieg ist das alles zerstört und zerrissen worden. Nun wächst es seit ein paar Jahrzehnten wieder zusammen, hat aber noch immer nicht die damalige Intensität erreicht.
                Es gab hier eben die sehr mächtige Grenze des Deutschen Reiches, doch zwischen den Menschen auf beiden Seiten gab es eine solche Grenze damals nicht, weil die ja schon von alters her immer nah beinander wohnten, als es noch nicht die starren Nationalstaatsgrenzen gab und sie sich entsprechend ähnlich waren.

                “Dieser Geist des preußischen Reiches hat Deutschland nie ganz verlassen und das sehr zu seinem Nachteil.”

                Ich sehe Preußen auch nicht nur negativ. Es hat seinen eigenen, bedeutenden Charakter und wäre es klein geblieben wie zu Fritzens Zeiten, hätte das auch in weitgehend gute Zeiten münden können. Doch es ist nicht klein geblieben.
                Auch sind mir die heutigen Preußen, also Bandenburger und Berliner von der Mentalität her gar nicht unsympathisch.
                Aber als sich der preußisch-militaristische Geist ab 1871 über das ganze deutsche Land legte, hat er etwas Krudes und Maßloses bekommen.

                Wenn man sich die letzten Wahlergebnisse der Weimarer Republik ansieht, dann hat die NSDAP vor allem in den protestantischen und noch mehr in den altpreußischen Gebieten die meisten Stimmen bekommen, besonders Ostbrandenburg, Pommern und Ostpreußen (55-60%), während die katholischen Rheinländer meist noch das Zentrum vorgezogen haben. In der Wahlregion Köln-Aachen hat die NSDAP es sogar als einzigem Wahlkreis nie geschafft stärkste Partei zu werden, nicht mal 1933! Auch wenn das Zentrum erzkonservative Socken waren und bei der Machtübernahme Hitlers auch keine rühmliche Rolle spielten, so sagt dieses Wahlergabnis doch einiges aus über die verschiedenen Mentalitäten im damaligen Deutschland.

                “Der Stechlin” habe ich mal teilweise als Film gesehen. Schien mir damals interessant, aber ich war noch zu jung das wirklich zu verstehen und habe außer der melancholischen Stimmung alles vom Inhalt vergessen.

                So, jetzt fallen mir langsam die Augen zu, aber ich habe zumindest mal einen Teil meiner Gedanken dazu aufschreiben können. Das sind noch lange nicht alle Aspekte. Vielleicht kann ich die über die Zeit Stück für Stück mal anbringen.

                1. @ Two Moon
                  21. September 2024 um 3:00 Uhr

                  Vielen Dank für Ihren langen und interessanten Text. Hoffentlich sind sie jetzt nicht übermüdet und konnten noch halbwegs genug schlafen.

                  Ich muss gestehen, dass Ihre Gedanken mich wirklich nachdenklich gemacht haben.
                  Ja, ich glaube, ich kann Ihnen in weiten Teilen zustimmen: Kleinere Länder haben es keineswegs schlechter und das 20. Jahrhundert wäre mit einem selbständigen Preußen und Bayern wohl friedlicher gewesen.

                  Gleichwohl würde ich nicht von “deutschen Völkern” sprechen. Allein schon die gemeinsame Sprache widerspricht dem doch.

                  Aber die Geschichte ist nun mal gekommen, wie sie gekommen ist. Im Gefolge von 1871 sind Fakten geschaffen worde, die bis heute wirken und nicht rückgängig zu machen sind. Sie haben Eigendynamik entwickelt (z.B. im Hinblick auf die Zurückdrängung der Dialekte und die Verbreitung des Hochdeutschen).

                  Der Drang zum deutschen Nationalstaat war im 19. Jahrhundert eine starke Kraft.
                  Ob es hätte anders kommen können? Ja, vielleicht, wenn Ludwig II sich verweigert hätte.

                  Die deutsche Geschichte hat etwas Tragisches. Rolf Peter Sieferle meinte in seinem kleinen klugen Buch „Finis Germania“ (2017), es gäbe auf der welt zwei tragische Völker: die Juden und die Deutschen. Da ist was dran. Nun gut, die Indianer hätte er auch nennen können.

                  Eine sehr schwere Frage ist auch, inwieweit das Scheitern des Zweiten Reiches um 1870 herum wirklich schon absehbar war oder nicht?
                  Man neigt oft dazu, bei der Betrachtung der Geschichte die inzwischen bekannte Fortentwicklung sozusagen auch für die damaligen Zeiotgenossen als vorhersehbar zu bezeichnen. So, als habe es ja gar nicht anders kommen können. Das halte ich für einen Irrtum. Die Geschichte ist offen – und sieht nur im Rückblick wie eine alternativlose Abfolge aus.
                  Egal, genießen wir die Gegenwart, denn Leben ist jetzt.

                  Ich danke Ihnen für diesen interessanten Austausch.

                  Gruß

    2. “von denen sich keineswegs alle als “Deutsche” identifiziert haben sollen” – Du kannst das politische Bewusstsein im Feudalismus nicht mit heutigen Verhältnissen vergleichen. Das Reich war im Großen und ganzen eine Organisation, die das Heer also die Verteidigung nach außen organisiert hat. Daran sind auch viele Adelstitel angelehnt. Der Herzog war z.B. ein Heerführer. Der Markgraf war der Herr über die Mark, was Grenze bedeutet. Die Steuern an das Reich waren Nach den Lasten geordnet, die die Adligen zum Heer beizusteuern hatte. Die Überschüsse waren klein und eine Rüstung kostete ein Vermögen. Also das ganze Adelssystem war danach aufgebaut wer, wieviel zur Landesverteidigung beisteuern konnte. Der Adel war der Kriegerstand. Das hat sich dann später mit dem Handel und dem Geld modifiziert.

      Aber nach dem gesagten ist klar, dass das Reich überhaupt nicht für jeden von Belang war. Für die Bauern war der Grundherr maßgebend. Für Handwerker die Zunft und die Stadtverwaltung usw. Das ist wie gesagt mit heute gar nicht vergleichbar, wo man von der Wiege bis zu Bahre in praktisch jeder Lebensäußerung von den Erlaubnissen und Geboten des Staates abhängt.

  9. Spannend, kannte Domke-Schulz nicht.

    Ein DDR-Gewächs mit Medienausbildung, das die Marxsche Perspektive (trotz Kritik an der Herrschaftspraxis der DDR) bis heute beibehält und deshalb nach einigen im ÖRR untergebrachten Filmen/Dokus offenbar kaum noch Veröffentlichungsmöglichkeiten hat und zunehmend auch Produktionsschwierigkeiten (auf seiner Website nachzulesen). Zeitlich hängt das mit seinen Dokus über den Maidan und Antimaidan sowie den Donbass zusammen.

    Um noch weiterhin publik zu sein, hat Domke-Schulz keine Berührungsängste, auch nicht zu esoterischen Kreisen. Dass er von einem Journalisten der Springerpresse kritisiert wird, ist keine Überraschung, die Kritik von der JungleWorld kann ich noch nicht einordnen.

    https://domke-schulz-film.de/produktionen/
    https://www.youtube.com/watch?v=HKm9hhyZyQQ
    https://www.youtube.com/watch?v=VvUBE_Uz9WA&t=5148s
    https://www.arte-magazin.de/wagner-netzwerk-jewgeni-prigoschin/
    https://jungle.world/artikel/2020/06/propaganda-dokuform

    1. “Um noch weiterhin publik zu sein, hat Domke-Schulz keine Berührungsängste, auch nicht zu esoterischen Kreisen.”

      Da haben Sie bei mir einen wunden Punkt getroffen. Ganz ehrlich, ich verstehe auch nicht wieso sich ein Dirk Pohlmann mit UFO`s abgibt, ja von mir aus, unidentifizierte Flugobjekte, Wetterphänomene, alles schön und gut, aber an Aliens oder eine Regierungsverschwörung um die Außerirdischen Erstkontakt von uns Menschen geheim zu halten, zu glauben sprengt auch mein Verständnis von Alternativen Medien. Dass ist mir als Wissenschaftsinteressierten auch zu suspekt. Ich schalte dann wenn es um UFO`s geht einfach ab. Auf der anderen Seite bei Geopolitik finde ich Pohlmann trotzdem eine Institution. Meine Meinung zu Pohlmann ist wirklich ambivalent. Auf der einen Seite ein Journalist ohne Abstriche wie ich ihn mir in der MSM wünschen würde (der alle Schweinereien der Regierung treffend beschreibt und skrupellos aufdeckt), aber auf der anderen Seite ein astreiner UFO-loge, und da hört es nun mal mit meinem Verständnis auch bei mir auf. Vor allem weil ich meine, die Wissenschaftlichen Dimensionen und die aktuellen Wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch die Ausmaße des Universums zu kennen, soweit es eben mein Verstand zulässt.

      Beim Thema Universum sollte man am besten immer mit sehr kleinen Süppchen anfangen habe ich mir sagen lassen.

    2. Die Jungle.world ist doch der „linke Teil“ der Antideutschen. Außer Unsinn darf man da nichts erwarten.
      Wenn du es rechts-links-antideutsch und migrationskritsch willst, dafür ist „Bahamas“ zuständig…
      Es ist eine Ehre von der Jungle.world zerrissen zu werden, da macht man was richtig!

        1. Aber in linken Berliner Kulturkreisen wirst du als Bahamas noch besser akzeptiert als AfD. Bahamas ist sozusagen eine Tarnung wenn die als Rechter noch bei der TAZ arbeiten willst.
          Jungle.world dahingegen kann Sprungbrett zur FAZ sein…..

  10. Ich grüße ALLE ostdeutschen Klassenbrüder (und natürlich auch die Schwestern), unabhängig von Verband und Partei (denn wir fragen Euch nicht nach Verband und Partei seit ihr nur ehrlichen Kampfs mit dabei)

    Mit Silly „Die verlorenen Kinder“, eines meiner Lieblingslieder

    https://www.youtube.com/watch?v=gMGGKHzUemA

    Ich muß jetzt weg, versuchen Wessis zu bekehren!

    1. Wozu bekehren? Von den Vorzügen ostdeutscher Klassenbrüder?
      Ich dachte es gibt nur ein Proletariat und das solle sich unabhängig von der Nationalität vereinigen.

      1. Nein, es gibt ein chinesisches, deutsches, französisches, russischen, amerikanisches Proletariat. Das spricht Mandarin, Deutsch, Französisch….
        Es bringt nichts darüber zu streiten ob die soziale oder nationale Identität den Vorrang hat, es gibt einfach Nationen. Der Sozialstaat ist bekanntlich im Rahmen von Nationen organisiert. Der entstehende supranationale EU-Staat ist reaktionär. Sollte es jemals, bevor die Menschheit im Chaos versinkt, nochmals zu proletarischen Revolutionen kommen, finden diese im Rahmen von Nationalstaaten statt. Die Weltrevolution ist ein schöner, unrealistischer Traum, mehr nicht.
        Die lieben jungen Revolutionäre des ollen Trotzki sind für diese elementare Erkenntnis vielleicht einfach ein wenig zu jung.

        1. Welcher Identität du den Vorzug gibst ist klar. Das Kapital ist international tätig und kennt bekanntlich kein Heimatland. Die andere Klasse soll jedoch vorzugsweise gespalten sein in Nationen. Und das ist ein Fehler, weil sie sich dadurch klein machen lässt. Die Gemeinsamkeiten der Arbeiterklasse liegen auf der Hand. Die internationale Zusammenarbeit des Proletariat ist schlicht eine Notwendigkeit und dass du das für einen Traum hältst, zeigt bloß wo du stehst.

          1. “Die internationale Zusammenarbeit des Proletariat ist schlicht eine Notwendigkeit”

            Das ist eine Binse. Aber wo siehst du Ansätze dafür? Ich sehe keine die erfolgversprechend wären. Viel ergiebiger ist doch: Wie dem global agierenden Kapital Paroli geboten werden kann. Und da spielen Staaten im globalen Klassenkampf eine wichtige Rolle.

  11. Es ist sinnlos, mit umerzogenen, amerikanisierten Westdeutschen einen Diskurs über politische Themen zu führen; zumal zu deren Umerzogenheit eine gehörige Portion Unerzogenheit und Ungezogenheit dazukommen.

    “In Ostdeutschland leben Deutsche, in Westdeutschland aber mehrheitlich deutschsprachige Amerikaner.” Zitat: Margarita Simonjan, Rossija 1, 29.01.2023

    1. Nein, es ist nicht sinnlos. Es ist notwendig!
      Aber ja, im Zuge dieses Miteinanderredens müssen sich wohl die meisten Westdeutschen von liebgewordenen “Gewißheiten” verabschieden. Das ist kein einfacher Prozeß.

      Aber das geht! Ostdeutsche mit DDR-Vergangenheit haben das schon zweimal geschafft! Erst haben sie sich von der DDR lösen müssen, und dann, aus der Erfahrung der 90er Jahre vom Trugbild der “Demokratie” und der “Brüder und Schwestern im Westen”.

      Aktuell ist das Trugbild von der “Meinungsfreiheit” dran. 😉

    2. Hallo Armin,

      ich bin “Westdeutscher” und muss Ihnen leider vollumfänglich Recht geben: Es ist schier sinnlos, ein vernüftiges Gespräch zu beginnen und seit “Corona” ist es ganz schlimm. Da sagte letzt eine Studienkollege allen Ernstes zu mir: “Die Bomben auf den Irak sind etwas ganz anderes, als die Bomden Russlands, die jetzt in der UA fallen.” und meinte damit weniger schlimmes Morden (USA) und ganz schlimmes Morden (RU). Das ist wie eine Gehirnwäsche, die an vielen “Wessies” vollzogen wurde seit Ende des WK II. Viele verweigern sich – wider besseres Wissen- dem Diskurs.

  12. Manchmal kommt’s mir vor als wäre das Forum eine einzige DDR-Nostalgie-Kaffeefahrt für rüstige Rentner, die sich zwar an die guten Zeiten im Osten noch erinnern können, die schlechten jedoch einfach vergessen oder verdrängt haben.

    1. Ich bin Rheinland-Pfälzer. Aus Ihnen spricht genau die Arroganz, die eine der Ursachen für diese “Nostalgie” ist. Die irrige Überzeugung, dass die – mittlerweile katastrophalen – Zustände in der BRD besser seien, als die der ehemaligen DDR. Das dies eben nicht so ist, zeigt sich an Ihrer eigenen Wahrnehmung und Ihren eigenen Worten .

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