An Universitäten werden zunehmend Professorinnen und Professoren entlassen oder von hohen Ämtern degradiert, weil sie irgendwie stören. Aber wann stört ein Professor?
Darüber hat Roberto De Lapuente hat mit der Geographin Heike Egner gesprochen.
Heike Egner (*1963 in Heidelberg), Geographin, freie Wissenschaftlerin und Mediatorin. Studium Publizistik, Politikwissenschaft und Geographie in Mainz. Promotion und Habilitation in Geographie an der Universität Mainz. Vertretungs- oder Gastprofessuren in Frankfurt am Main, Kassel, München, Wien, Innsbruck. 2010-2018 Universitätsprofessorin für Geographie und Regionalforschung an der Universität Klagenfurt, wo sie 2018 überraschend entlassen wurde.
Ich habe dieses hochinteressante Interview heute morgen gesehen. Es macht durchaus sprachlos, was in der Hochschullandschaft vor sich geht. Studenten als Kunden? Interessanter Ansatz.
Ich kenne allerdings auch die andere Seite, wie Universitaeten und Professoren vor der Bologna-Reform agierten. Da bruestete sich der Herr Professor einer Ingenieurwissenschaft bei der Einfuehrung mit “Ich habe Durchfallquoten von 100%” also warum seid ihr hier? Zu vereinbarten Gespraechsterminen oder Sprechstunden erschien man einfach nicht. Man war eben nicht da und fertig. Sie benahmen sich wie Goetter und Studenten konnten dankbar sein, wenn sie sich ihrer annahmen. Ein Irrtum des Pruefungsamts in der Anmeldung fuer eine Pruefung hat mal eben ein ganzes Jahr Studienzeit gekostet, weil Herr Professor das nicht klaeren wollte (ist so passiert). Ich rede von den 80ern, also nicht von der Kaiserzeit.
Die aktuelle Entwicklung klingt ebenso furchtbar und ich hab im Moment keine Idee, wie man es besser machen kann. Die Bologna-Reform mag ihre Schattenseiten haben, an denen man arbeiten muss, jedoch ist die Moeglichkeit der internationalen Anerkennung, die es vorher nicht gab, ein Gewinn fuer die Europaeer und kann viele Tueren oeffnen, insbesondere in den Ingenieur- und Naturwissenschaften.
Es macht keinen Sinn, zu viele Akademiker haben zu wollen. Aber die Politik des Nichtsverdienertums laesst viele Eltern mit Sorge zurueck, dass ihre Kinder mit “normalen” Berufen niemals ihren Lebensunterhalt angemessen bestreiten koennen. Der Druck durch die Eltern kommt von einem Druck auf die Eltern.
Diese selbstherrliche Unkultur von Professoren kenne ich auch noch, aber auch schon damals war das ein Führungsproblem. Die wenigsten Professoren wussten (undbwahrscheinlich immer noch nicht wissen) um ihre Pflichten als Prüfer. Die Freiheit von Forschung und Lehre wurde allgemein als Narrenfreiheit zur Selbstherrlichkeit interpretiert. Ja laut GG Art. 5 darf ein Professor forschen und lehren, was er will, aber Prüfungen unterliegen dem Prüfungsrecht. Ist ja auch keine Forachung oder Lehre sondern eine Prüfung. Aber Professoren müssen ja auch keinen Kurs besuchen über die Regeln und Gesetze denen sie unterliegen. Die machen alle halt, was alle ihre Kollegen tun. Der Rektor einer Hochschule müsste da eigentlich die Vorschriften und Gesetze durchsetzen, aber der ist ja selbst Professor. Hat also auch keine Ahnung. Daß man heute immernoch wie früher ein Martin Luther oft seinen Doktorvater bezahlen darf, obwohl die Professoren im Gegensatz zu damals heute fest besoldet werden, ist auch so eine historische Unsitte aus Tradition und Gewohnheit.
Die Bologna-Reformen sind auch nicht was sie behaupten zu sein. Internationale Anerkemnung der Abschlüsse und auch innerhalb der EU der Creditpoints aus dem Studium funktioniert auch nicht so richtig. Das funktioniert meistens schon innerhalb der BRD nicht.
Dieses “Nichtsverdienertum” hat doch mittlerweile die Mehrheit erreicht. Wer produktiv arbeitet und seinen Lebensunterhalt selbst erarbeitet ist doch der dumme Goldesel, der immer mehr die fixen Ideen der Unproduktiven bezahlen muss. Bei einer Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal Karriere kann man auch keine praktische Erfahrung sammeln und bleibt immer im Elfenbeinturm.
War auch mein erster Gedanke, es könne sich um politische Entscheidungen handeln. Ist es aber nicht, entfernt werden nicht marktkonforme Professorinnen. Mit fristlosen Kündigungen ohne Vorwarnung. Das schafft ein richtig gutes Arbeitsklima und natürlich ist es eine drastische Warnung an den Rest.
Es ist ganz einfach der Zwang im Kapitalismus, jeden Handgriff in der Volkswirtschaft profitträchtig zu machen. Dass das spätestens bei der Uni enden muss, war eigentlich über Jahrhunderte bekannt. Dass der Professor Dienstleister und der Student Kunde ist, das gab es nicht einmal an Privatschulen. Das ist dann wohl das endgülztige Ende einer Bildungsnation. Da sind wissbergierige Chinesen unterwegs, um sich Kuchenstücke abzuschneiden, die bislang die Deutschen unter ihrer Regie haben. Die haben es unter diesen Umständen leicht. Die fegen uns vom Platz.
Nebenbei wird auch die Durchlässigkeit der Bildungsebenen, wie sie seit Brandt existiert, endgültig beseitigt. Man will wieder unter sich bleiben. Wobei das Einhalten dieser Sprachregelungen zur Ausgrenzung dient. Qualifikation ist dann zweitrangig.
Frau Egner ist wohl die Personifizierung des Humboldt’schen Bildungsideals. Welches ich erhalte haben möchte. Gute Gesprächsführung auch von Roberto. Der kann’s mit den Frauen.
Viel Erfolg im nächsten Jahr. Für beide.
Nur minderfähige Manager suchen angepasste Mitarbeiter, die jede Anweisung unhinterfragt ausführen, anstatt auch mal konstruktive Kritik zu üben.
Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die meisten Manager von Ökonomie jenseits der etablierten Scheuklappen keine blasse Ahnung haben.
Und das gilt auch für viele Professoren.
Diese permanente Evaluiererei habe ich als Lehrbeauftragte einer Privatuni auch erfahren und problematisiert, zumal das ein psychotherapeutischer Studiengang war, wo Selbsthinterfragung und auch supervisorische Hinterfragung eigentlich grundlegend sind um nicht in der Arbeit mit Patienten/Klienten in ein heilloses Schlamassel zu geraten. Ich hatte und habe den Eindruck, dass letztlich eine Menge Dünnbrettbohrer und Dünnbrettbohrerinnen diesen Studiengängen entspringen.
Eigentlich wollte ich mich zur Bildungspolitik des Wertewesten nicht mehr äussern, also tue ich es nicht.
Eine Frage bleibt aber offen:
Gibt es keine Parameter mehr?
@Ikaros
Womöglich haben sich die Parameter und die Richtschnur in den Bereichen der Bildungspolitik einfach geändert und wurden von höheren Stellen dem interessegeleitetem, flexibel-wertebasiertem Zeitgeist angepasst. Somit zeigen sich die nicht anpassungswilligen/fähigen Lehrkräfte womöglich nicht auf der vorgegebenen Höhe der Zeit und wurden im Zuge einer Altlastenentsorgung entsprechend behandelt. Das passiert in anderen Bereichen des Erwerbslebens seit Jahren ständig.
(US-basiertes) Leit-Motto: Heuer und feuer.
(vgl. das Märchen von Hase und Igel)
@Veit_Tanzt
“Altlastenentsorgung”
.Ich habe dazu eine Frage: ‘Ist Altlastenentsorgung nicht zu geschönt und es handelt sich in Wirklichjeit um eine große Säuberungswelle im Sinne der kriegerischen Zeitenwende hin zur kapitalistischen Verwertbarkeit???
Beispiel Uni-Klinik Marburg, wie auch die anderen PPP’s
Das Interview kann ich mit leider erst später ansehen um mir ein abschließendes Urteil erlauben zu können.
@ Otto0815
Zur Altlastenentsorgung. Hierbei handelt es sich um einen verharmlosenden Begriff zu einer möglichen persönlichen, beruflichen und materiellen Existenzvernichtung von unliebsamen Untergebenen, bzw. abhängig Beschäftigten, den ich von westdeutschen, wirtschaftsstudierten (Ver)Führungskräften, mehrfach als Altlastenentsorgung benamst, kennenlernen durfte. Zu meinem Missfallen übrigens, da es meiner Grundkonditionierung und Sozialisation eklatant widerspricht. Gewählte erfolgversprechende Praktiken sind u.a. Mobbing und Bullying. Zum Trost wage ich zu behaupten, dass es nicht unbedingt mit der Arbeitsleistung, der Persönlichkeit oder der beruflichen Qualifikation der auserkorenen Opfer zu tun haben muss. Stichwort: Bauernopfer für den Altar des Moloch.
Damit kann man aktuellen Zeugnissen nicht mehr trauen. Die Hochschulen beschädigen sich selbst langfristig. Das Ende vom Lied wird Amerikanisiserung sein, was bereits passiert, eine Transformation in einen öffentlichen Sektor mit geringer Reputation und privaten Bereich mit hoher Reputation. für die die es bezahlen können.
Frau Egner, Jahrgang 1963, gehört einer Generation an, die auf dem Weg zum Abitur, im und nach dem Studium zwischen den Zeilen oder auch unüberhörbar vermittelt bekam: “Eine gute Zensur musst du dir hart erarbeiten, hier wird nichts hinterhergeworfen.” Wenn Regeln, dann solche, die Grammatik, Orthographie und Interpunktion betrafen und korrektes Zitieren im Text sowie Anforderungen an Fuß- bzw. Endnoten. “Ausgrenzung”/”Diskriminierung” von m/w/d/LGBTQ war überhaupt kein Gegenstand akademischer “Sprachregelungen”.
“Sprachregelungen” sind ein Phänomen im Journalismus, die Nachrichtenagentur Reuters zum Beispiel arbeitete (und dürfte wohl immer noch damit arbeiten) in den 1980er Jahren mit einem “Style-Manual” zur Gestaltung von Meldungen, sodass dieser Text sofort als von Reuters stammend erkennbar war, es ging also um die Pflege des Markenimages im Nachrichtengeschäft. Die nächste große Domäne der “Sprachregelungen” findet sich in der Politik, vor allem bei Parteien und Behörden, neuerdings forciert im Bereich “zulässiger” Kritik an Politikern. Herr Habeck, Frau Baerbock, Frau Faeser und Frau Strack-Zimmermann fühlen sich ständig von twitternden Bürgern gemobbt, wenn diese deren Intellekt in gröberer Sprache in Zweifel ziehen. Wann veröffentlichen der Verfassungsschutz, Minister, Behörden im Verein mit den Mainstream-Medien ein Style-Book für den gemeinen Bürger, damit dieser lernt, was er wie sagen darf? Eine nach meinem Verständnis sprachlich brilliante Kritik an Robert Habecks Energiepolitik hat der Abgeordnete des Europa-Parlaments Charlie Weimers von den Schweden-Demokraten formuliert – leider vor leeren Parlamentsstühlen. Würde Habeck ihm hierzulande für den Vorwurf von “Arroganz”, “Deindustrialisierung” und “schlechter Nachbarschaft” die Polizei auf den Hals hetzen? Quelle: https://rtde.live/kurzclips/video/230199-schwedischer-mep-herr-habeck-sie-sind-symbol-deindustrialisierung-arroganz/
Dann haben wir noch den Bereich der Unternehmenskommunikation, der Sprachregelungen für den Umgang mit Investoren bereit hält, tatsächlich muss da jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden, wenn ein Unternehmen nicht von seinen Investoren oder gar einer Börsenaufsicht wegen “Täuschung” auf Schadensersatz verklagt werden will.
Die laschesten Sprachregelungen scheinen im Marketing vorzuherrschen, Konsumententäuschung ist hierzulande ein Kavaliersdelikt.
Wir sollten uns also nicht täuschen, wir sind im Alltag, Beruf und in der Sphäre von Ökonomie und Politik von Sprachregelungen umzingelt, nur ist das oft nicht so recht durchschaubar. Die neudeutschen Sprachschöpfungen der “gendergerechten” und “diskriminierungsfreien” Sprache dagegen springen geradezu ins Auge, weil noch ungewohnt, fragt sich wie lange noch.
Ein interessantes Interview. Sozial beschreibt sie die Schwierigkeiten beim (erstmaligen) sozialen Aufstieg im realen Wissenschaftsbetrieb in Anlehnung an Bordieus Beschreibung im Homo Academicus.
Ihr Wunsch nach einer zweckfreien Wissenschaft ist problematisch, verortet er doch das Erkentnisinteresse einzig im akademischen Elfenbeinturm. Wie soll da Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung betrieben und gesellschaftlich reflektiert werden?
Ihre Ansichten laufen so in den meisten Fällen auf eine doch sehr konservative Kritik am Bologna-Prozess, allerdings ohne elitären Standesdünkel, hinaus.