»Die Mächtigen wollen natürlich die Entstehung von Kollektivität unbedingt verhindern«

Protest, KI-generiert
Quelle: Dieses Bild wurde mittels ChatGPT entwickelt.

Wie lässt sich eine Gesellschaft schützen, deren Ängste präzise gesteuert, deren Kommunikationsmittel von Oligarchen beherrscht und deren Urteilskraft systematisch zermürbt wird?

Im zweiten Teil des Exklusivinterviews mit Markus Johannes Karsten zeigt Prof. Rainer Mausfeld, wie eng Angst, Medienmacht, Kapitalinteressen und digitale Technologien heute verflochten sind – und warum die Wiedergewinnung geistiger Freiheit zur Grundvoraussetzung jeder Demokratie geworden ist.

Zweiter Teil des Interviews. Den ersten Teil dieses Exklusivinterviews finden Sie hier.

 

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Karsten: Sie erklären, wie Angst als politisches Steuerungsinstrument dient. Welche Form der Angst dominiert die Gegenwart – die vor dem äußeren Feind, oder die vor sozialem Ausschluss? Und aus welchen Gründen?

Mausfeld: Angst ist nun einmal eines unserer stärksten Gefühle; sie ist ein Grundaffekt unserer Psyche. Und damit eignet sie sich besonders für manipulative Zwecke. Wer sie manipu­la­tiv erzeugen und kontrollieren kann, beherrscht unser gesamtes Bewusstsein. Techniken der systematischen Erzeugung von Angst sind daher sehr viel wirksamer als eine bloße Manipulation von Meinungen. Meinungen sind zumeist flüchtig und bestimmen unser Handeln weniger als affektive Kräfte.

Beide von Ihnen genannten Formen der Angst domi­nieren unsere Gegenwart. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen ihnen: Die Angst vor dem äußeren Feind erwächst nicht aus unserer Alltagserfahrung. Sie muss erst durch einen systematischen Feindbild­aufbau von außen geschürt werden. Die Techniken dazu – also, wie man die Bevölkerung in kürzester Zeit in einen kollektiven Wahn von Hass und Feindseligkeit bringt – sind uralt. Heute sind wir wieder Zeugen ihrer flächendeckenden Anwendung – und wohl bald auch ihre Opfer.

Anders als die Angst vor dem äußeren Feind ist die Angst vor einem sozialen Ausschluss tief in uns angelegt. Denn wir sind nun einmal von Natur aus sozial organisierte Wesen. Diese Angst ist auch die Wurzel von sozialem Konformis­mus. Sie lässt sich manipulativ sehr wirk­sam nutzen, um die „verirrte Herde“ auf Kurs zu halten. Die Techniken dazu sind Ruf­mord, mediale Ächtung und der Ausschluss aus einer Gemeinschaft. Auch davon wird heute in gewaltigem Umfang Gebrauch gemacht – von Cancel Culture bis zur Sperrung von Bank­konten. Ein weites Feld … und der Weg in eine neue Form des Totalitarismus.

Karsten: Sie haben oft auf die „Zermürbung der politischen Urteilskraft“ durch Dauerreizung und Informationsüberfluss hingewiesen. Die kollektive Erschöpfung der westlichen Gesellschaften ist sicherlich heute einer der wesentlichen Machtfaktoren – eine Herr­schaft durch Überforderung sozusagen. Dies gesetzt, scheint es ausweglos zu sein, aus der „letzten Krise“ herauszufinden. Kürzlich sagte ein bedeutender Schriftsteller zu mir: „Wenn Sie Trost suchen – den bekommen Sie von mir nicht“. Gibt es Trost? Trost, der Wege aus dem kollektiven Irrsinn weist?

Mausfeld: Das muss ein sehr politisch denkender Mensch gewesen sein. Denn Trost kann und muss man spenden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Trost muss man den Verdammten dieser Erde spenden. Es gilt also zunächst und vor allem darum, dass sich nie­mand überhaupt erst zu den Verdammten dieser Erde machen lässt. Bevor wir Trost spenden, müssen wir vor allem die Widerstandskräfte gegen Ausbeutung und Unterdrückung wecken und kräftigen. Trost ist Teil der individuellen Unglücksbewältigung. Politische Arbeit muss aber darauf zielen zu verhindern, dass es überhaupt dazu kommt.

Wir müssen also an die systemischen Wurzeln des Irrsinns und der Entzivilisierung von Ge­walt gehen. Wir müssen verstehen, wie es zu all dem gekommen ist. Insbesondere müssen wir dringend die Funktionslogik des Kapitalismus und seiner modernen Entwicklungsstufen besser verstehen, wenn wir an die Wurzeln gegenwärtiger Probleme kommen wollen. Und das wiederum geht nur in großen kollektiven Anstrengungen.

Die Mächtigen wollen natürlich die Entstehung von Kollektivität unbedingt verhindern. Dazu muss die Gesellschaft entsolidarisiert und atomisiert werden. Und die Bürger müssen medial in einen solchen Nebel der Verwirrung und der billi­gen Unterhaltung eingelullt werden, dass ihnen ein angemessenes Verstehen der gesellschaftlichen Realitäten gar nicht möglich ist. Das geschieht, wie man heute sieht, mit überwältigendem Erfolg – natürlich sehr zum Wohlgefallen der Reichen und Mächtigen.

Es geht also gerade nicht vorrangig um Trost, es geht darum, die Bereitschaft zu kräftigen, diesen unvermeidbaren emanzipatorischen Kampf, der zuvor schon in unzähligen Generati­o­nen geführt worden ist, mutig und entschlossen weiterzuführen.

»KI-Systeme werden vermutlich bald die traditionelle Schrift-Hochsprache in ein Nischendasein drängen«

Karsten: Gehen Sie doch bitte mal speziell auf die Dimensionen der sogenannten Digitalisierung ein. Wie beförderten und befördern die neuen technisch-digitalen Möglichkeiten das Entstehen und die Entwicklung dieser letzten Krise? Oder sehen Sie eher überwiegend positive Effekte, die die Digitalisierung prinzipiell mit sich bringt, sich aber möglicher­weise noch nicht ausreichend entfaltet haben. Welche wären das?

Mausfeld: Wir sind erst in den hochdynamischen Anfängen dieser gesellschaftlichen Entwicklun­gen und können die Folgen kaum abschätzen. Soviel aber steht fest: Die Form des Kommu­ni­ka­­tions­mediums bestimmt auch die Art der ver­mittel­ten Botschaften und damit auch die gesam­te Form unseres Denkens. Das gilt seit den allerersten Anfängen. Schon in der Antike revolutionierte die besondere Form des griechi­schen Alphabets mit seinen Vokalen und Konsonanten die Art des Denkens und brachte einen gewaltigen kognitiven Abstrak­tions­­schub mit sich, der den Übergang von einer münd­li­chen zu einer schriftlich gestützten Kultur sehr erleichterte. Auch die Erfindung des Buch­drucks hatte gewaltigen Einfluss auf die Form unseres Denkens. So führte sie zu einer Minde­rung unseres auditiven Gedächtnis­ses und zu einer Ausdifferenzierung unserer visuellen kognitiven Kapazitäten. All dies gilt nun in ver­stärk­ten Maße auch für die Digitalisierung der Kommunikationsmittel und der damit verbun­denen Entwicklungen. So wird durch KI-Systeme vermutlich bald die traditionelle Schrift-Hoch­sprache in ein Nischendasein gedrängt werden und die Schreibsprache wieder mehr den Regeln mündlicher Kommunikation folgen. Damit wird vermutlich ein Verlust kognitiver Fähigkeiten, wie Abstraktion und schlussfolgerndem Denken einhergehen. Was uns wiederum anfälliger für Manipulationen macht. –Wie immer bringen also solche Revolutionen und dadurch ausgelöste Dynamiken ein großes Spektrum positiver wie auch negativer Effekte mit sich. Wir sind erst mitten in den Anfängen dieser Entwicklung und können natürlich keine abschließenden Urteile fällen.

Soviel aber lässt sich schon jetzt sagen: Die Beziehung von Reichtum und der Kontrolle von Kommunikations­mitteln wird zu einer existentiellen Kernfrage unserer Gesellschaft. Denn keine andere Epoche der Geschichte hat einen so rasanten und umfas­sen­den Ankauf unserer Kommunikationsmittel durch die Hyperreichen, also durch die Milli­ar­därs­klasse, erlebt – eine Tatsache, die grundlegende Fragen zur Meinungsfreiheit aufwirft. Die sieben reichsten Menschen der Welt sind heute allesamt ein­fluss­reiche Medienmogule, die ihnen eine ein­zig­artige Kon­trolle über unsere Medien und damit über unser Bewusstsein verleihen. Dadurch können sie insbesondere Agenden bestimmen und unliebsame Meinungsäuße­rungen unter­drücken. Dies schließt vor allem Kritik an ihnen selbst, Kritik am Wirtschaftssystem und Kritik am Handeln der Regierungen, insbesondere der USA und Israels ein.

Es ist nun zu erwarten, dass alle Systeme der Massenkommunikation und alle bisherigen Struk­tu­ren einer Bevölkerungskontrolle zunehmend mit neuen KI-Systemen integriert werden. Diese KI-Mittel sind jedoch im Besitz einer klitzekleinen Schicht von Hyperreichen. Wenn nun die Bevölkerung in wachsendem Maße von künstlicher Intelligenz abhängig gemacht wird, die ihre Wahrnehmung bestimmt, die für sie denkt, die ihnen die Welt inter­pretiert und die ihrem Denken Ausdruck verleiht, übergeben sie letztlich ihr gesamtes Bewusstsein in die Hände von Oligarchen.

In diesem Prozess stehen wir gerade. Wenn er sich erst stabilisiert hat, wird er kaum noch umzu­kehren sein. Die Lösung aller anderen Probleme – ob Krieg, Ausbeutung, Unter­drückung oder Armut – wird davon abhängen, ob wir unsere geistige Freiheit wiederge­win­nen können, uns ein angemessenes Bild gesellschaftlicher Realitäten zu machen. Ohne eine vollständige Demokratisierung der Medien wird dies nicht möglich sein. Ohne eine vollständige Demokratisierung der Medien müssen alle Hoffnungen auf eine bessere Welt private Utopien bleiben.

Karsten: Sie diagnostizieren eine enge Verzahnung zwischen Finanzkapital, Militär und Medien­macht. Wie kann ein einzelner Staat – etwa Deutschland – in einem solchen System überhaupt noch souverän handeln, ohne sich ökonomisch selbst zu schaden? Oder anders gefragt: Bedarf es möglicherweise des Kapitalismus und seiner Verwertungs­mechaniken, um nicht einem Hegemon anheimzufallen?

Mausfeld: Genau diese Verzahnungen machen faktisch eine Zivilisierung von Macht und eine Zivi­li­sierung von Gewalt unmöglich – also die Etablierung geeigneter gesellschaftlicher Schutzbalken gegen illegitime Macht und gegen Gewalt. Damit ist natürlich auch der Demokra­tie jede Grund­lage entzogen. Denn Demokratie bedeutet die gesellschaftliche Selbstbestim­mung des Staatsvolkes, also Volkssouveränität. In einer Demokratie kann und darf dem Staat als solchem keine Souveränität zukommen. Denn die Organisationsform des Staates ist historisch ja gerade als Herrschaftsform der Besitzenden ent­stan­den. Es geht also primär nicht um Staatssouve­ränität, sondern um Volkssouveränität. Demokratie bedeutet gerade, dass der Staat seine Legitimität allein durch die Volkssouveränität bezieht. Nur davon darf seine Souve­ränität abgeleitet sein.

Nun ist der Kapitalismus in seiner Funktionslogik, also bereits strukturell, ein höchst autori­täres System, nämlich die Herrschaft des Kapitals. Im Kapitalismus ist, wenn man so will, das Kapital souverän. Eine andere Form der Souveränität kann es im Kapitalismus nicht geben. Die Funktionslogik des Kapitalismus schließt ja grund­sätzlich den gesamten Bereich der Wirtschaft von demokratischen Einflüssen, also von einer Volkssouveränität aus.

In der gegenwärtigen Entwicklungsform des Kapitalismus, nämlich des globalen Finanz­kapitalismus, kann es nicht einmal mehr eine Staatensouveränität geben. Das inter­nationale Handelsrecht führt das drastisch vor Augen. Auch die Struktur und Funk­tionsweise der EU zeigt das unmissverständlich – wie überhaupt die EU der wohl mächtigste Antreiber autoritärer und totalitärer Entwicklungen ist.

Eine Souveränität Deutschlands kann also nicht durch mehr Kapitalismus erreicht werden. Sie kann einzig und allein durch eine ungeteilte gesetzgeberische Souveränität des Staats­volkes erreicht. Davon sind wir aber heute so weit entfernt, dass die meisten vergessen haben, was das überhaupt bedeutet.

»Alle emanzipatorischen Errungenschaften mussten den Mächtigen in verlustreichen sozialen Kämpfen abgetrotzt werden«

Karsten: Wenn Sie heute an die junge Generation denken – was wäre für Sie Schritte, erste Schritte, die gegangen werden könnten, um sich innerlich von der westlichen Hegemo­nie zu emanzipieren, ohne in Zynismus oder Nihilismus zu verfallen? Wie lässt sich ein Bewusstsein wecken, das nicht sofort wieder von Ideologie verschluckt wird? Gibt es Auswege?

Mausfeld: Das ist natürlich die Frage aller Fragen. Und seriöse Prognosen sind kaum möglich. Aber für Optimismus scheint mir gegenwärtig wenig Anlass zu bestehen. Denn der Kapi­talismus versorgt uns im Überfluss mit dem süßen Gift der Hoffnung, damit wir weiter­machen wie bisher und nicht nach den tieferen Wurzeln der Probleme suchen. Auch macht uns der Kapi­ta­lismus durch die Verführungen des Konsumismus psychisch zu wirklich hartnäckigen Ver­tei­digern des Status quo. Das bedeutet letztlich, dass wir in unse­rem Herzen eigentlich gar keine radi­ka­len Veränderungen wollen. Am besten soll alles so bleiben, wie es ist, nur eben besser – zumindest für unsere eigene Lebenssitu­ation.

Genau das ist die Bewusstseins­ver­formung, mit der der Kapita­lis­mus verhindert, dass man ihn als letztlich selbstdestruktives System in Frage stellt. Vermutlich werden sich erst wie­der Möglichkeiten für Auswege eröffnen, wenn seine destruktiven Auswirkun­gen – sei es gesellschaftlich, ökologisch und vor allem psychisch – so stark werden, dass sie für unsere eigene Lebenssituation unerträglich sind. Das ist zumindest eine Lehre aus der Geschichte.

Wir müssen uns daran erinnern, dass alle emanzipatorischen Errungenschaften, von denen wir heute profitieren, den Mächtigen in mühsamen und oft verlustreichen sozialen Kämpfen abgetrotzt werden mussten. Sie konnten nicht durch einen Dialog mit den Mächtigen erreicht werden. Auch nicht durch einen Appell an das Licht der Vernunft. Und erst recht nicht durch einen Appell an deren Mitgefühl.

Auswege müssen also erkämpft werden. Und das ist nur in einer solidarischen Kollektivität möglich. Die wiederum kann nur durch eine vollständige Demokratisierung der Medien erreicht werden. Solange wir die nicht erreichen, bleiben wir in den systematisch erzeugten psychischen Verformungen von Konkurrenzsituationen und individueller Nutzen­maximie­rung gefangen – mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen. Solange also die Mächtigen über die Mittel zur Formung unseres Bewusstseins verfügen, brauchen wir gar nicht erst zu beginnen, von einer besseren Welt zu träumen.

Redaktion

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Die Redaktion unseres Magazins: Florian Rötzer und Roberto De Lapuente.
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22 Kommentare

  1. Hier erklärt der Rainer Mausfeld auf seine Art doch ganz verständlich warum der Kapitalismus den gesellschaftlichen Rahmen für diese Entwicklung bildet.
    Erst, wenn die Hyperreichen (klingt ein bißchen französisch) samt allen kapitalistischen Strukturen beseitigt sind, kann es überhaupt erst Frieden geben!

  2. Und ja, auch in diesen beiden Punkten gebe ich Herrn Mausfeld recht:
    1. Veränderungen, Weiterentwicklungen, Verbesserungen, ein neues, besseres System müssen LEIDER buchstäblich erkämpft werden!
    2. Die Lösung, das anzustrebende Ziel ist die Volldemokratisierung!

    Deswegen möchte ich hier erneut auf die Wertstufendemokratie verweisen. Denn sie ist ein volldemokratisches System, die zudem die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen schafft, dass notwendige Veränderungen und Weiterentwicklungen nicht immer wieder erneut erst erbittert erkämpft werden müssen wie in den bestehenden Demokratien.

          1. Dieser Stumpfsinn wurde mittels ChatGPT „entwickelt“.
            Wobei ChatGPT nicht so unterbelichtet sein dürfte, permanent „dass“ und „das“ zu vermasseln.

            1. Daß konnte ich noch nie, aber ich schreibe ja auch in 5 Sprachen.
              Da hab ich keine Zeit mich um die Grammatik zu kümmern.
              Wie gesagt bin ich Pragmatiker.

              1. Dümmerisch, Lächerlisch, Peinlisch und Wischtischtuerisch sind keine Sprachen. Und die fünfte im Bunde soll dann wohl Deutsch sein, aber das kann ich bei dir auch nicht erkennen.

                1. Ich kann jedenfalls besser französisch, weil das eine Herzenssache ist, und ich die wichtigste Zeit meiner Jugend in der Provence verbracht habe.

    1. NEIN. Demokratie ist nicht die Lösung für alles.

      Erst braucht es eine Bewusstwerdung wie die besten Entscheidungen zu finden sind, bzw. wie die Negativauslese für Führungspositionen zu stoppen ist. Es kann nicht sein und ist unmöglich, dass ständig alle gefragt werden, um irgendeine Entscheidung auszubaldowern in endlosen Versammlungen. Und wie soll dann abgestimmt werden? Absolute Mehrheit? Das wäre immer noch die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Die repräsentative (amerikanische) Demokratie ist allerdings schon lange am Ende, wie auch Prof. Mausfeld darauf hinwies in der Vergangenheit, war sie nie dazu angelegt von Anfang an, wie er es nennt, Volkssouveränität zu garantieren.

      ps: Ich habe gerade „Wertstufendemokratie“ nachgeschlagen.

      Das überzeugt mich nicht. Die „Wertstufen“ sind sehr generalistisch angelegt, wie die Kategorisierung der Nachrichtenmedien, also die Propaganda des Kapitalismus. Wer schon mit so einer Schablone kommt:

      Wirtschaft, Politik, Kultur und noch mehr Gedöns

      Umwelt braucht man nicht? Die Maxime hier ist also im biblischen Sinne: Macht euch die Welt Untertan!
      Wo ist der Unterschied zu heute? Ich sehe keinen Unterschied.

  3. Die Diagnose ist richtig:
    „Eine Souveränität Deutschlands kann also nicht durch mehr Kapitalismus erreicht werden. Sie kann einzig und allein durch eine ungeteilte gesetzgeberische Souveränität des Staats­volkes erreicht. Davon sind wir aber heute so weit entfernt, dass die meisten vergessen haben, was das überhaupt bedeutet“.
    Bloß fehlt die Heilungsmethode, auch im Zusammenhang mit der letzten Frage:
    „Und das ist nur in einer solidarischen Kollektivität möglich. Die wiederum kann nur durch eine vollständige Demokratisierung der Medien erreicht werden“.
    Das hilft nicht wirklich, man kann die solidarische Kollektivität nur dadurch erreichen, dass man zunächst Kommunikatiosngebiete/-räume aufbaut, in denen die Beauftragten der MSM, NGOs usw. nicht hineinsehen, nicht hineinquatschen können. Das ist der erste Schritt, bevor man die vollständige Demokratisierung der Medien erreicht. Sonst, Herr Mausfeld, beißt sich die Katze in den Schwanz.

  4. Autor: „Die Mächtigen wollen natürlich die Entstehung von Kollektivität unbedingt verhindern. Dazu muss die Gesellschaft entsolidarisiert und atomisiert werden.“

    Zur „Atomisierung“ ist die liberale Ideologie natürlich bestens geeignet – mit dem Streben nach der Freiheit des Einzelnen gegenüber Kollektiven jeder Art. Der Liberalismus ist wie eine Angel, hat man da einmal angebissen, so ist schwer davon wieder loszukommen.

    Das menschliche Bedürfnis nach „Kollektivität“ wird natürlich auch von den Herrschenden genutzt um ihre Macht-Interessen zu sichern: Eine Armee ist ein Kollektiv, aber auch die Omas gegen rechts.

    Es braucht eine Ideologie, die verteidigt werden muss, bei Hitler war es eine völkische Ideologie, heute ist es die westliche Freiheit und die liberale Demokratie, gemeint ist jedoch die Freiheit des Kapitals. Die Oligarchen verstecken sich hinter der (individuellen) Freiheit, und nutzen sie als Schild und Speer gleichermaßen, was den Kampf gegen den Kapitalismus so schwierig macht.

  5. Gibt es kein Video dazu? Der 1. Teil vom Interview war ergiebiger. Ich mag es sehr, wenn Prof. Mausfeld literarische Hinweise gibt. Er ist einer der belesensten Intellektuellen, die ich kenne, und vor allem seine Einordnungen sind sehr interessant. Ich muss wirklich mehr lesen.

    zwei kurze Gedanken:

    1. Zu der Angst, die ich doch eher als Hass sehen würde, der nicht zwangsläufig aus Angst resultiert:

    Es sind bestimmte Menschen, bzw. Gruppen von Menschen, die hassen oder Hass verbreiten. Also ich habe z.B. keine Angst vor Russen, Iranern oder Chinesen etc. Ich würde schon sagen, dass die Feindbildgenese der NATO-Propaganda bei mir nicht funktioniert. Damit die Hass-Propaganda der NATO funktioniert, braucht es eine gewisse xenophobische Grundhaltung, die aus entweder niedrigen IQ oder niedrigem emotionalem IQ folgert. Wenn man sich z.B. vor Messerarabern fürchtet, obwohl es dafür keinen Grund gibt oder Russen als Vatniks abwerten muss, da sieht Jeder, dass bei dieser Person was im Kopf nicht stimmt. Oder vielleicht entstand der Hass aus schlechten Erfahrungen mit Ausländern, die dann aber wiederum falsch, nämlich gruppenspezifisch (rassistisch) ausgelegt werden, was wieder der 1. Punkt wäre. Oder leider eventuell öfter der Fall als wir wahrhaben wollen: Die Hetze geschieht absichtlich, wider besseren Wissens, Machiavellismus und schlimmer, also aus Bosheit.

    2. Hoffnung oder nicht, totale Medienkontrolle oder nicht

    Solidarität ist ein wichtiger Aspekt, aber mein Gedanke ist, dass man auch erst einmal mit Individualismus gegenhalten kann, wenn es keine Solidarität gibt. Ein Beispiel ist, bei denen, die sich das leisten können und das Risiko wagen, die reisen in so „gefährliche“ Länder und zeigen individuell, dass es doch anders geht und dass dort auch viele nette und gute Menschen leben. Oder man verweigert sich bewusst bestimmten Entwicklungen:

    voidzilla: big tech is betting on gambling and scams

    https://www.youtube.com/watch?v=julHFXsKsdQ

    Der ist kein tiefer Denker, aber er hat doch einige Erfahrung mit Betrug im Netz, der systematisch von den großen Konzernen ermöglicht wird, so wie z.B. Tabakkonzerne Zigarettenschmuggel ermöglichen. Er entlarvte in der Vergangenheit so einige Betrüger. Den (finanziellen) Hintergrund von ihm kenne ich nicht gut genug.

    Er erkennt den Trend richtig: Es soll möglichst alles finanzialisiert und gamifiziert (Spielifikation) werden, was die Abhängigkeit vom Casino, Wallstreet, noch mehr erhöht.
    Das kann man ablehnen und sich dem verweigern. Hinzu kommt noch, je krimineller die Geschäftsmodelle werden, und Finanzgeschäfte sind die ultima ratio eines kriminellen Geschäftes, eines Heists, weil man den Aufwand, Profit zu erzielen, minimiert, um so eher geht etwas kaputt in dem System, was nicht mehr reparierbar ist. Wenn es zu viel Betrug gibt, geht grundsätzlich was kaputt.

    Es gibt immer eine Welt außerhalb dieser Matrix, also eine reale Welt, denn das Casino ist eine virtuelle Welt. Das Casino, und seine Besitzer, haben zu viel Einfluss auf die reale Welt, aber sie werden diese reale Welt nie vollständig, was immer das heißen mag, kontrollieren können.

    1. Xenophobie ist eine natürliche und angeborene Verhaltensweise. Auch unsere Vorfahren werden fremde Menschen solange kritisch beäugt haben, wie deren Motive ihres Erscheinens nicht ultimativ feststellbar waren.

      „Diese Xenophobie sei ein Erbe unserer Urahnen und fest in unseren Genen verankert, sagt der Psychiater Borwin Bandelow.“

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/angst-vor-dem-fremden-auch-intelligenz-schuetzt-nicht-vor-100.html

      Dass dieses natürliche Misstrauen gegenüber Fremden politisch kanalisiert und missbraucht wird, spricht nicht dagegen.

  6. Zitat: „[solidarische Kollektivität] kann nur durch eine vollständige Demokratisierung der Medien erreicht werden.“

    Das Meinungsmonopol der Milliardärspresse zu durchbrechen, kann nicht ohne Volksabstimmungen erreicht werden.
    Volksabstimmungen können womöglich nicht gegen die Meinung der Milliardärspresse etabliert werden.
    Eine Zwickmühle.

    Dennoch: der erste Schritt muss sein, sich für Volksabstimmungen einzusetzen; durch zunehmende Unzufriedenheit besteht durchaus eine Chance, das auch entgegen der Ansichten der Mainstreammedien zu erreichen.
    Anschließend besteht zumindest im Grundsatz die Möglichkeit, ein unabhängiges öffentlich-rechtliches Medium zu etablieren, welches das vorherige Meinungsmonopol durchbricht.
    Die Reihenfolge der Schritte ist m. E. also vorgegeben.

    1. Auch das ist wieder zu kurz gesprungen:

      Wenn es so eine „Volksabstimmung“ oder Referendum gäbe, in z.B. Deutschland, dann haben wir genug Beispiele wie das Ergebnis zunichte gemacht wird, sogar in Deutschland, siehe z.B. in Berlin „Deutsche Wohnen enteignen“.

      Hier wird auch erklärt, warum das nicht funktioniert:

      https://www.youtube.com/@99ZUEINS/search?query=grundgesetz

      Für einen Regime change muss das Regime erst einmal geschwächt sein und dann gehört dazu mehr als irgendeine Abstimmung, die das Regime einfach annullieren kann.

      Meine Vermutung ist schon lange, dass solche Regierungswechsel in Schland, wo eine neue Koalition an die Macht kommt, z.B. rot-grün nach schwarz-gelb, aus USA gesteuert sind und die neue Koalition dem Hegemon das beste Angebot gemacht hat, z.B. Beteiligung an Krieg in Jugoslawien damals. Deutsche sind zu sehr propagandisiert und zu naiv, um das zu erkennen, die imaginieren was von Demokratie und Grundgesetz. Wenn sie mal wieder an der Urne waren, und wie immer verarscht wurden, sich bereitwillig haben verarschen lassen, sind sie beleidigt, um den gleichen Schwachsinn nächstes Mal zu wiederholen. Damit verstehen sie auch nicht, was es bräuchte für einen Regime change – oder gar eine eigene souveräne Politik. An dieser Stelle sagt KJ Noh in einer einfachen Aufzählung, 4 Punkte, was in der EU falsch läuft:

      China Would DESTROY U.S. in War Over Taiwan, Trump’s National Security Strategy a FANTASY | KJ Noh

      https://youtu.be/fOHFAW8tR5A?t=1324

      Finanz-, Energie, IT- und Sicherheitssektoren kontrolliert durch die USA.
      Erstaunlich, dass ein Südkoreaner besser in der Lage ist, zu erkennen, was in Deutschland und der EU falsch läuft als die große Mehrheit der Deutschen selbst.

  7. Trost ist Teil der individuellen Unglücksbewältigung.

    Wer jetzt noch Trost für die politische Gegenwart sucht, hat bereits aufgegeben und sich der Hegemonie des Irrsinns unterworfen; oder anders gesagt: Der zerschmetternde Sturz wird akzeptiert, ohne gesprungen zu sein.

    Ohne eine vollständige Demokratisierung der Medien wird dies [ein angemessenes Bild gesellschaftlicher Realitäten] nicht möglich sein.

    Dieses »angemessene Bild« will doch keine haben. Gleich einer durch Testosteronflut umgeleitete Graffiti-Jugendlich reicht es doch, seine Kritzeleien, seine Tags anzubringen, seine Meinung und Gefühl rumzupopeln, in der beschränkten Annahme, das wäre bereits Anteilnahme an demokratischer Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit (sic!).

    Am besten soll alles so bleiben, wie es ist, nur eben besser – zumindest für unsere eigene Lebenssituation.

    Das trifft es vollkommen. Und jeder abendländische Mensch, der bei diesem Satz nicht getroffen zusammenzuckt, ist bereits vollständiger Diener, Sklave, Handlanger des Irrsinns der Gegenwart, Unterstützer der Verarmung der Alten, Täter der Kriegsbereitschaft, geneigter Subunternehmer der Ausbeutung.

    Doch auch eine breite Einsicht, dass man selbst zu schwach ist, um sich von der (induzierten) »Angst« zu lösen, für sich selbst zu denken, zu sprechen, zu entscheiden und für sich selbst und andere verantwortlich sein, wird nichts ändern. Dieser Ereignishorizont ist schon eine Weile passiert worden, die Menschheit bewegt sich in Richtung eines Kollektivismus, der ähnlich dem eines Ameisenstaats sein wird. Oder wie in Huxleys »Brave New World«.

    Hier diskutieren einige sympathische Dinosaurier, die den selbst geschaffenen Meteor sehr gekonnt analysieren (Dank an M. K. Karsten & R. Mausfeld), jedoch nicht verhindern können.

    »Demokratie ist was für Leute, die Regeln wollen, aber denen es peinlich ist, das zuzugeben.«
    (Rick)

  8. Na ja, im Großen und Ganzen anschlußfähig, bei Volkssouveränität bin ich ganz bei Mausfeld, aber einige Kritikpunkte:

    Nun ist der Kapitalismus in seiner Funktionslogik, also bereits strukturell, ein höchst autori­täres System, nämlich die Herrschaft des Kapitals. Im Kapitalismus ist, wenn man so will, das Kapital souverän. Eine andere Form der Souveränität kann es im Kapitalismus nicht geben. Die Funktionslogik des Kapitalismus schließt ja grund­sätzlich den gesamten Bereich der Wirtschaft von demokratischen Einflüssen, also von einer Volkssouveränität aus.

    Hier wird Herr Mausfeld wieder unnötig grob in seiner Analyse

    1) „das Kapital“ herrscht bei uns eben nicht uneingeschränkt (also haben wir in Deutschland keinen Kapitalismus?), die Behauptung ist so pauschal schlicht falsch und interessegeleitet (ich unterstelle Herrn Mausfeld, dass ihm eine Art Kommunismus vorschwebt), Kapital findet seine Grenzen an Gesetzen, Staat, Militär und (normalerweise) Landesgrenzen, es versucht natürlich kontinuierlich diese Gegebenheiten zu unterwandern, genau deshalb brauchen wir Volkssouveränität, also direkte Demokratie

    2) die Wirtschaft zu demokratisieren, macht nur in wenigen Bereichen Sinn und ist auch nicht nötig, weil man sie ohnehin durch Gesetze, Verordungen und Steuern ausrichten kann

    In der gegenwärtigen Entwicklungsform des Kapitalismus, nämlich des globalen Finanz­kapitalismus, kann es nicht einmal mehr eine Staatensouveränität geben. Das inter­nationale Handelsrecht führt das drastisch vor Augen. Auch die Struktur und Funk­tionsweise der EU zeigt das unmissverständlich – wie überhaupt die EU der wohl mächtigste Antreiber autoritärer und totalitärer Entwicklungen ist.

    Das internationale Handelsrecht wurde national beschlossen und kann auch national wieder zurückgenommen werden, siehe Großbritannien und EU-Austritt. Natürlich ist das nicht schmerzlos, man muss es wollen und durchziehen.

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