»Demütigung ist in der internationalen Politik brandgefährlich«

Joachim von Ribbentrop
Walter Mittelholzer, Public domain, via Wikimedia Commons

Joachim von Ribbentrop war außenpolitischer Berater Adolf Hitlers und wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt. Sein Enkel hat nun ein Buch über ihn geschrieben.

Roberto De Lapuente hat mit Dominik von Ribbentrop gesprochen.

 

De Lapuente: Sie schreiben, Sie wollten Ihren Großvater, den einstmaligen Außenminister Adolf Hitlers »verstehen, ohne Verständnis zu haben«: Wo verläuft für Sie heute die Grenze zwischen historischem Verstehen und moralischer Entschuldigung – insbesondere, wenn es um die eigene Familie geht?

von Ribbentrop: Verstehen bedeutet für mich, die Mechanismen und Zwänge einer vergangenen Zeit ernsthaft zu analysieren. Ich wollte den Versuch wagen, nachzuvollziehen, wie die Menschen damals dachten und fühlten – nicht darum, ihre Entscheidungen zu entschuldigen. Gerade im familiären Kontext wäre es heute bequem, mit dem Wissen des Nachgeborenen moralisch streng zu urteilen. Aber so einfach ist Geschichte nicht. Die Grenze verläuft dort, wo Empathie in Rechtfertigung übergeht. Diese Linie bewusst nicht zu überschreiten, ist der Kern meiner Haltung.

»Meine Name ist weniger Bürde als Verpflichtung«

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De Lapuente: Ihr Buch ist kein klassisches Geschichtswerk, sondern eine psychologisch-philosophische Annäherung. Glauben Sie ein Stück weit, dass die Psychologie – und nicht die Geschichtswissenschaft – der Schlüssel zum Begreifen des Dritten Reichs ist?

von Ribbentrop: Ja, das denke ich. Ich glaube, dass wir das Dritte Reich mit dem limitierten Instrumentarium der Geschichtswissenschaft allein nicht vollständig erfassen können. Die eigentliche Dynamik spielte sich in der Gefühlswelt der Menschen ab – im Zusammenspiel von Angst, Loyalität, Identität, Opportunismus und Gruppendenken. Die Psychologie hilft uns, diese Prozesse zu entschlüsseln und zu verstehen, wie Millionen Menschen Schritt für Schritt in eine zerstörerische Entwicklung aktiv und passiv hineingesogen wurden.

De Lapuente: Wie war und wie ist es, den Namen von Ribbentrop in Deutschland zu tragen? Die jungen Leute heute wissen ja eher nicht mehr, wer Joachim von Ribbentrop war …

von Ribbentrop: Der Name begleitet mich seit meiner Jugend – mal sichtbar, mal unterschwellig. In Deutschland spüre ich gelegentlich Skepsis, im Ausland hingegen eher Neugier oder sogar Gelassenheit. Für mich ist der Name weniger Bürde als Verpflichtung: Er zwingt mich dazu, mich mit Geschichte und ihrer moralischen Dimension auseinanderzusetzen, anstatt wegzuschauen. Und auch wenn viele junge Menschen ihn heute nicht mehr kennen – ich empfinde es als wertvoll, dass Dialog über Geschichte weiterhin möglich ist.

De Lapuente: Hatte Ihr Großvater eine politische Vision? Oder war er letztlich auch nur ein Getriebener der damaligen Zeitenläufte?

von Ribbentrop: Ich glaube, er war in erster Linie ein Pragmatiker und Patriot, aber kein Ideologe. Sein Denken war stark von den Krisenjahren der Weimarer Republik geprägt: Inflation, politische Instabilität, Arbeitslosigkeit. Er glaubte, Stabilität sei überlebenswichtig – und sah Hitler fälschlicherweise als denjenigen an, der sie herstellen könne. In diesem Spannungsfeld aus Angst, Ehrgeiz und Opportunismus geriet er tiefer in das System, als er je beabsichtigt haben mag.

De Lapuente: Sie beschreiben die Kränkung durch den Versailler Vertrag als eine der Wurzeln des späteren Radikalismus. Glauben Sie, dass heutige geopolitische Demütigungen – etwa gegenüber Russland – ähnliche destruktive Dynamiken auslösen könnten?

von Ribbentrop: Ja, nationale Demütigungen wirken fast immer langfristig. Staaten reagieren wie Menschen: Wer sich gedemütigt fühlt, neigt zu Abwehr, Härte oder Radikalisierung. Russland ist ein gutes Beispiel dafür, wie historische Kränkungen politische Strategien prägen. Das legitimiert Aggressionen nicht – aber es erklärt, warum Demütigung in der internationalen Politik brandgefährlich ist. Wer Frieden will, muss diese psychologischen Faktoren ernst nehmen.

»Demokratie lebt von Pluralität, nicht von moralischer Reinheit«

De Lapuente: Ihr Großvater war nicht nur Mitläufer, sondern Akteur auf höchster Ebene: Haben Sie durch Ihre Recherchen für dieses Buch über ihn etwas gelernt, das Ihrer bisherigen Vorstellung widersprach?

von Ribbentrop: Ja, sehr. Mich hat überrascht, wie stark sein Pragmatismus ausgeprägt war und wie weit seine Fähigkeit zur Verdrängung reichte. Er war kein Ideologe, aber er war bereit, vieles nicht wissen zu wollen bzw. zu ignorieren, um weiter dabei sein zu können. Diese toxische Mischung aus Loyalität, Ehrgeiz und Wegsehen hat mich ernüchtert – und sie sagt viel über die Gefahr menschlicher Schwächen in extremen politischen Situationen aus.

De Lapuente: Sie warnen vor einer Wiederholung ideologischer Verführbarkeit. Würden Sie nicht annehmen wollen, dass die Menschen heute etwas sensibilisierter und erfahrener sind im Umgang mit Propaganda?

von Ribbentrop: Ich würde es gerne glauben – aber ich bin nicht sicher. Moderne Propaganda ist oft subtiler, emotionaler und technisch raffinierter als früher. Algorithmen verstärken Empörung, polarisieren Gesellschaften und schaffen Echokammern, die Weltbilder verhärten. Unsere einzige echte Verteidigung besteht in Selbstreflexion, in der Pflege eigener Wertvorstellungen und der Bereitschaft, die Perspektive anderer ernsthaft zu prüfen.

De Lapuente: Sie schreiben, »Ideologien mögen das Herz erwärmen, taugen aber kaum zur Leitung einer Gesellschaft«. Bedeutet das auch, Sie sehen in der gegenwärtigen Moralisierung des öffentlichen Diskurses eine Gefahr für die Demokratie?

von Ribbentrop: Grundsätzlich denke ich, dass unsere Demokratie nach 80 Jahren reif und wehrhaft geworden ist. Und dennoch, wenn politische Fragen moralisch absolut gesetzt werden, verliert die Demokratie ihre wichtigste Kraft: Kompromissfähigkeit. Wir sehen zunehmend, dass moralische Zuschreibungen Debatten ersetzen. Das spaltet und erzeugt eine Atmosphäre, in der Vernunft und nüchterne Abwägung kaum noch Platz haben. Demokratie lebt von Pluralität, nicht von moralischer Reinheit.

De Lapuente: Sie sprechen von einer deutschen Identität, die gebrochen sei. Wie könnte Ihrer Ansicht nach ein selbstbewusstes, aber nicht nationalistisch aufgeladenes Verhältnis zur deutschen Geschichte aussehen?

von Ribbentrop: Wir sollten uns bemühen, unsere Geschichte anzunehmen – ohne sie zu beschönigen und ohne uns ständig zu verurteilen. Ein konstruktives Verhältnis zur Vergangenheit bedeutet Verantwortung, nicht Selbsthass. Deutschland kann selbstbewusst sein, ohne nationalistisch zu werden, wenn es seine Stärken erkennt: Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Kraft, kulturelle Vielfalt und das europäische Projekt. Selbstbewusstsein und Identität entstehen aus Klarheit über die Vergangenheit.

 

Dominik von Ribbentrop machte sein Abitur 1985 im Jesuiteninternat St. Blasien im Schwarzwald, wo auch Pater Delp, 1945 in Plötzensee ermordet, unterrichtet hatte. Nach einer Banklehre und Studien in Großbritannien an der University of Buckingham und am INSEAD in Fontainebleau, Frankreich, arbeitete er unter anderem bei der Investmentbank Salomon Brothers. Es folgten Selbstständigkeit sowie Gründung und Aufbau von zwei Unternehmen. Nach Verkauf der zweiten Firma und Beginn des Corona-Lockdowns begann Dominik von Ribbentrop dieses Buch zu schreiben und damit ein Projekt umzusetzen, das schon seit Jahren in ihm arbeitete. Heute berät er Unternehmen hinsichtlich Strategie, Finanzierung und Wachstum.

Redaktion

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Die Redaktion unseres Magazins: Florian Rötzer und Roberto De Lapuente.
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7 Kommentare

  1. Der Nationalsozialismus basiert auf der Annahme, dass das Volk einen einheitlichen Willen habe. Welcher vom Führer repräsentiert wird. Dass da immer debattiert wird, ist nichts als Dekadenz. Ein Gedanke, der den ukrainischen Naziführer Parubij zu der Äußerung veranlasste, Hitler sei Demokrat gewesen. Wofür ihn dieser in den Knast geworfen hätte.

    Von Ribbentrop agierte innerhalb dieser Ideologie. Der Führer hatte ihm soweit die Leitplanken gesetzt, dass er innerhalb dieser das Naheliegende tat. Und dabei „pragmatisch“ agierte.

    Was ihn nicht zum Sympathieträger macht. Gewiss nicht.

    1. „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ ist auch nur die Naziinterpretation von „ein Gott, ein Volk, ein Moses“ Monotheismus ist eine Herrschaftsform bei der es nur den einen geben darf. Echter Pluralismus und das gleichberechtigte Nebeneinander von Argumenten ist dabei nicht vorgesehen.

  2. Was spricht eigentlich dagegen Joachim von Ribbentrop als Außenminister zu bezeichnen?
    Ein Berater hat keinerlei Vollmachten – Ribbentrop hat aber z.B. wichtige Verträge wie den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffsvertrag ausgehandelt und auch unterschrieben. Niemand würde Wadephul als „außenpolitischen Berater von Friedrich Merz“ bezeichnen – oder Annalena – „außenpolitische Beraterin von Olaf Scholz“ was für ein Unsinn – die sind bzw waren schließlich Minister in einer Regierung. Ebenso Ribbentrop.

  3. Nun, wie wir alle wissen (sollten), schreiben die Sieger die Geschichte. Wer als aufmerksamer Betrachter die Kriege der letzten Jahre verfolgt hat, weiß, dass bereits zu deren Beginn die gewünschte Lesart festgelegt wurde. Und da wir in einer Welt leben, deren Struktur nach 1945 festgelegt worden ist, und obwohl sie dabei ist, unter zu gehen, wissen wir immer noch nicht, was es mit WKII auf sich hatte. Übrigens ist meines Wissens das Archiv des Außenministeriums des Dritten Reichs immer noch in Moskau.
    Also kennt man die damalige deutsche Sicht der Dinge nicht wirklich, zumal man kaum mit derartigen Forschungen in Deutschland als Historiker Karriere machen könnte. Insofern mag ein derartiges Buch zwar einige subjektive Einsichten liefern, aber eine wirkliche Aufklärung kaum voran bringen.

  4. Welchge Demokratie meint er? Die deutsche Despotie hat inzwischen viel mehr Ähnlichkeit zum 3 Reich als zu irgendeiner Demokratie. Die Herrschaft der Parteien mit Demokratie zu verwechseln ist schon etwas peinlich.
    Es sind nur zwischen 1,4 und 1,7% der Bevölkerung Mitglied in einer Partei, aber 99% aller Richter und Staatsanwälte, die Intendanten der Propagandamedien und die Spitzen der Verwaltung. Alles, vom Bürger Entkoppelte Parteisoldaten, für die Demokratie nur ein Wort ist und bei sehr vielen von ihnen ist Demokratie nur eine andere Bezeichnung für Faschismus.
    Für Mussolini als „Erfinder“ des Faschismus, war der Faschismus die Einheit von Staat und Kapital. Nach dieser Definition ist Deutschland dann eher Faschistisch als alles andere.
    Alleine Cum Ex und Cum Cum zeigen es immer noch, da Konspirierten Parteispender mit Vertretern der von ihnen gekauften Parteien, zum Diebstahl von 20 bis 40 Milliarden Euro Steuergelder und den zuständigen Behörden ist als erstes eingefallen, das ganze in die Verjährung laufen zu lassen. Toller Absolut korrupter überhaupt nicht Rechtsstaat, in dem Milliardenbetrug und politische Korruption die Normalität darstellen.
    So einen Staat dann auch noch als Demokratie zu bezeichnen ist schon extra krass. Besser kann man es nicht ausdrücken, keine Ahnung zu haben.
    Wir haben eine Demokratie weil es ja Wahlen gibt, ist bei diesem Flachdenken die Parole. Die DDR war eben doch ein demokratischer Rechtsstaat, jedenfalls nach heutigem Verständnis eines solchen.

  5. Ein nettes Gespräch, danke Herr Roberto und dem Teilnehmer Ribbentrop !
    Die heutige Zeit repräsentiert, die üblichen dualen Möglichkeiten vom Westen.

    Denn die vermittelte Ideologie, lässt den Akteuren immer ihren Dualismus, um für den ‚Ernstfall‘ ihrer eigenen devoten Politik anzusetzen, um aus der Falle herauszukommen.
    Ja, diese Politik hat Zustände selbst hervorgebracht, die die Menschen im goldenen Westen, von einem Notstand zum nächsten bringen…
    Wer ist der Spitzenreiter, in der Notstandveordnungen, innerhalb der EU?
    Die EU, als die vorgeführte Demokratie schlechthin, beantwortet ihre demokratische Situation selbst!
    Diese EU hat auf jeglicher Sphäre, jeden Tag einen Tsunami…

  6. Von wegen Demütigung innerhalb der Politik, da möchte ich auf die Vergangenheit Aufmerksamkeit schenken.
    Damals, vor guten über 100 Jahren, es war Russland, die der Menschheit zu Diensten war.
    Nicht ein einziger Staat aus dem Westen, hat das vollbracht, was die ‚Russen‘ taten.
    Wir die Menschheit, sollten uns selber reflektieren, warum können ‚wir‘ das nicht selber verrichten?
    Sind wir zu blöd für die Demokratie?
    Oder sind wir einfach zu extrem manipuliert?
    Hallo Zauberfee oder Luisa, setzt weiterhin eure Beschwerden hier, hinein und zockt vergnüglich am Werk von Black Rock und Konsorten.
    Ihr, die kurzsichtigen, erkennt nur euren eigenen Ego, aber nicht für ein beisammen zu sein.
    Idiotie, ist das Ergebnis, aus dieser Manipulation.

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