Wie verlor der Faschismusbegriff seine Bedeutung?

Benito Mussolini, Mai 1930
Bundesarchiv, Bild 102-09844 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Der Begriff „Faschismus“ ist allgegenwärtig – und dadurch zunehmend bedeutungslos.

Ein Auszug aus dem Buch „Lieber Faschist als Nazi?“.

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Nach den Definitionen von Jason Stanley und John Kelly ist Trump im Jahr 2025 ein Faschist, 2016 hingegen war er noch keiner. Bereits Ende 2015 waren jedoch auf dem Fernsehsender CNN oder in der New York Times unzählige Schlagzeilen zu sehen und dutzende Artikel in Mainstream- sowie in linkeren Medien wie Jacobin erschienen, die Donald Trump als Faschisten bezeichneten oder suggestiv fragten: „Ist Donald Trump ein Faschist?“  Indem diese Anschuldigung zu einem Zeitpunkt, als sie noch weitgehend unbegründet war, rund um die Uhr durch die News-Feeds jagte, wurde die amerikanische Öffentlichkeit gegenüber dem Begriff abgestumpft. Als Donald Trump 2025 tatsächlich als Faschist auftrat, bewirkte diese Klassifizierung nur noch ein Achselzucken: „Sie nennen ihn seit zehn Jahren einen Faschisten, es ist doch immer dasselbe.“

Dieses Phänomen war sogar noch viel früher zu beobachten: So bezichtigte Philip Agre, Professor für Geisteswissenschaften an der University of California in Los Angeles, bereits im Jahr 2000 die Republikanische Partei und US-Präsident George W. Bush des Faschismus  – und auch deutsche Politiker schlossen sich dieser Behauptung 2002 an. Tatsächlich war es den 2000er-Jahren gängige Praxis bei Nachrichtensprecher von US-Mainstreammedien und Politiker der Demokratischen Partei, Bush mit den Nazis zu vergleichen. Doch auch dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan war 1980 von einem Demokraten im Kongress vorgeworfen worden, seine politischen Pläne direkt aus Hitlers Mein Kampf übernommen zu haben. Die Feministin und Journalistin Naomi Wolf veröffentlichte 2007 The End of America, worin sie zehn Aspekte aufzeigte, in denen die USA unter Bush seit dem 11. September faschistische Züge angenommen hätten. Später werden wir das US-Beispiel und die dortigen Entwicklungen noch näher betrachten, doch an dieser Stelle ist es wichtig hervorzuheben, dass diese Rhetorik keine rein amerikanische Besonderheit, sondern weltweit zu beobachten ist. Daher ist es unerlässlich, dass wir uns nicht nur mit der Definitionsfrage auseinandersetzen, sondern auch den systemischen Missbrauch des Wortes aufdecken.

Wenn jeder ein Faschist ist …

Umberto Eco versuchte in Der immerwährende Faschismus zu erklären, „warum gerade der Begriff Faschismus zu einer Sammelbezeichnung […] für verschiedene totalitäre Bewegungen geworden ist“. Seiner Ansicht nach erklärt sich das so:

„[D]er italienische Faschismus besaß überhaupt keine Quintessenz, ja nicht einmal eine einzelne Essenz. Er war ein verschwommener Totalitarismus […]. Er war […] eine Collage aus verschiedenen politischen und philosophischen Ideen, ein Bienenkorb voller Widersprüche. Kann man sich eine totalitäre Bewegung vorstellen, die es fertigbringt, Monarchie und Revolution zu vereinigen, Königliche Armee und Mussolinis Privatmiliz, Garantie der kirchlichen Privilegien und eine gewaltverherrlichende Staatserziehung, totale Kontrolle und freien Markt? Die faschistische Partei war mit der Proklamation einer revolutionären Ordnung auf den Plan getreten, aber finanziert wurde sie von den konservativsten Agrariern, die eine Konterrevolution von ihr erwarteten. In seinen Anfängen war der Faschismus republikanisch, doch er überlebte zwanzig Jahre lang, indem er seine Loyalität zur Königsfamilie proklamierte und einem ‚Dux‘ erlaubte, Arm in Arm mit einem ‚Rex‘ zu gehen, dem er auch noch den Titel ‚Imperator‘ anbot. Als dieser König dann schließlich, im Sommer 1943, seinen ‚Ersten Minister‘ Mussolini entließ, trat die Partei zwei Monate später, mit deutscher Hilfe, unter dem Banner einer ‚sozialen‘ Republik wieder auf den Plan und spielte erneut ihre alte revolutionäre Partitur, bereichert um fast jakobinische Obertöne.“

Im Gegensatz zu Nazismus oder Stalinismus, die Eco zufolge jeweils nur eine bestimmte Art von Kunst, Literatur oder Architektur als akzeptabel betrachteten, war der ursprüngliche Faschismus frei von vergleichbaren Einschränkungen. [Im Folgekapitel, „Der Mythos des Nationalsozialismus“, erklärt das Buch, dass Ecos Blick auf die Unterschiede zwischen dem italienischen und dem deutschen Faschismus reiner Bullshit sind, wie ein kritischer Blick auf die Geschichte unweigerlich zeigt.] Die moderne antifaschistische Bewegung, zu deren moderatem Flügel auch Eco und Stanley zählen, hat zugelassen, dass Faschist diese nicht vorhandene Abgrenzung ihrer Ideologie als Verteidigungsstrategie nutzen, wenn ihnen eine faschistische Gesinnung vorgeworfen wird: Wenn Antifaschist andere als Faschist bezeichnen, ohne dass die Handlungen dieser Personen an einer eindeutigen Wörterbuchdefinition von Nazimus oder Faschismus gemessen werden können, glauben unbedarfte Beobachter schnell, die armen Teufel, die zu Unrecht des Faschismus bezichtigt wurde, wären hier die Opfer (genau diese Strategie setzten politisch rechte Kommentator wie Glenn Beck und Jonah Goldberg bereits 2008 bei CNN ein). Infolgedessen werden die Beobachter in Zukunft dazu neigen, die vom faschistischen Gedankengut ausgehende Gefahr zu verharmlosen. Das Problem der Antifaschist besteht darin, dass, wenn alles den Label „Faschismus“ trägt, sie sich in einem Kampf gegen (fast) alles wiederfinden – und niemand mehr in Anliegen nachvollziehen oder ernst nehmen wird. Wenn alles Faschismus ist, ist nichts Faschismus. Wenn jeder ein Faschist ist, ist niemand ein Faschist. Doch das ist noch nicht das Schlimmste.

Zachary Gallant

Zachary Gallant, Autor von Nazis All The Way Down: The Myth of the Moral Modern Germany, berichtete als Journalist über Politik und Korruption in den USA und auf dem Balkan. Er lebt seit 2012 in Deutschland, wo er mit Unterstützung der Europäischen Kommission und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zahlreiche Projekte zu Flüchtlingshilfe, interkultureller Verständigung und Klimagerechtigkeit durchgeführt und organisiert hat.
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15 Kommentare

  1. „Faschist“ ist ein Totschlagbegriff geworden, weil die Originale moralisch maximal verbrannt sind. Im Prinzip hat man den Archetyp „Satan“ mit „Hitler“ ersetzt und die finsteren höllischen Horden sind „Nazis“ oder „Faschisten“ was i.d.R. synonym gebraucht wird, auch synonym mit „böse“ oder „mag ich nicht“, zumindest von linker Seite aus.

    Da gibt es kunstvolle Definitionen, was jetzt angeblich „faschistisch“ sei und was nicht usw. die meist daran kranken, dass man sie dann nicht auf die eigene Seite und Einstellung anwendet…

    Bleiben wir beim Begriff, dann bezeichneten sich die entsprechenden Italiener m.W. deshalb so, weil sie Fascies, also „Rutenbündel“ (im Sinne von Kampfgruppen) einsetzten, um ihre Gegner zu bekämpfen. Keine Ahnung ob das stimmt, aber es wäre zumindest genau das, was heutzutage die Prügeldeppen der „Antifa“ machen.

    Der Begriff ist jedenfalls verbraucht und jemand der ihn noch gegen andere benutzt, diskreditiert sich damit meist selbst.

  2. Ich habe vor Jahren mal eine recht interessante Definition zum Begriff Faschismus gelesen.

    „Gruppierungen, die ein fast militärisch orientiertes und bündlerisches Verhalten zeigen. Einer geschlossenen Ideologie folgen und diese argumentationsresistent notfalls auch aggressiv nach außen darstellen und verteidigen.
    Grundsätze, wie sie pluralistischen und offenen Gesellschaften kennzeichnen, werden von diesen Gruppierungen ignoriert und sogar bekämpft, da diese als Bedrohung gesehen werden.“

    Das Traurige daran ist, dass heutige (sogenannte) linke Parteien und Gruppierungen dieses Verhaltensmuster ebenso zeigen wie rechte Gruppen und fast kein Unterschied mehr erkennbar ist.

  3. Nach den Definitionen von Jason Stanley und John Kelly ist Trump im Jahr 2025 ein Faschist, 2016 hingegen war er noch keiner.

    Haben Stanley und Kelly 2016 gesagt oder geschrieben, dass Trump kein Faschist ist?
    Ansonsten ergibt die Aussage keinen Sinn.

    Einschränkungen. [Im Folgekapitel, „Der Mythos des Nationalsozialismus“, erklärt das Buch, dass Ecos Blick auf die Unterschiede zwischen dem italienischen und dem deutschen Faschismus reiner Bullshit sind, wie ein kritischer Blick auf die Geschichte unweigerlich zeigt.] Die moderne

    Ist der Text in den eckigen Klammern […] Original oder Anmerkung Dritter?

    Die moderne antifaschistische Bewegung, zu deren moderatem Flügel auch Eco und Stanley zählen, …

    Es gibt eine „moderate antifaschistische Bewegung“?

    Doch das ist noch nicht das Schlimmste.

    Stimmt, schlimmer geht immer. scnr

    Es bleibt also spannend.

  4. Vielleicht ist der Begriff »Faschismus« deswegen allgegenwärtig, weil autoritäre Bündelungen allgegenwärtig und schamfrei sichtbar sind?

    Die „gefühlte Abnutzung“ resultiert aus der eskalierenden Performance seiner Bedeutung sowie die Gewöhnung daran, und nicht aufgrund eines inflationären und/oder falschen Gebrauchs.

    Am traurigsten ist natürlich, dass einigen ihr Lieblingsschimpfwort abhanden kommt…

    1. Vielleicht ist der Begriff »Faschismus« deswegen allgegenwärtig, weil autoritäre Bündelungen allgegenwärtig und schamfrei sichtbar sind?

      Autoritär war die Verhaltensweise von Kommunisten auch, trotzdem benutzten die den Begriff recht großzügig, gegen jeden, der ihnen widersprach.

      Die „gefühlte Abnutzung“ resultiert aus der eskalierenden Performance seiner Bedeutung sowie die Gewöhnung daran, und nicht aufgrund eines inflationären und/oder falschen Gebrauchs.“

      Nicht meine Wahrnehmung, vor allem weit er gern von totalitär-autoritären Charakteren eingesetzt wird.

      1. Glückwunsch, dann seien sie doch froh, dass Ihre Wahrnehmung durch Ihren Eindruck des »verbraucht Seins« obsolet wird und alles wieder heile ist in Ihrer Welt.

        Btw. war die Oma meines besten Kinderfreunds auch autoritär, aber keine Faschistin oder Kommunistin. Und sie hatte natürlich auch immer recht, dachte sie…

      2. @Schein
        Wahrnehmungen aus ihrer Ecke verorteten ja auch eine Merkel-Politik irgendwo links bis linksgrün… es müsste bei ihnen demnach eher WAHNnehmung denn Wahrnehmung heissen.
        Begriffsnormalisierungen sind allerdings bei Rechten traditionell sehr beliebt – ebeso wie Begriffsverschiebungen.

  5. Ich denke, das sowohl die Bedeutung verklärt wird, als auch die inflationäre Häufigkeit des Gebrauchs diesen Begriff seit mindestens 2 Dekaden nachhaltig verbrennt.
    Nicht zu vergessen, dass dieser Begriff von der herrschenden Klasse so vorangetrieben wird, also auch gewollt diskreditiert wird.

  6. Spontan hatte ich begonnen zu schreiben, „die Redaktion“ habe bislang den größten und hinterfotzigsten Anschlag auf den Verstand der Leser verbrochen, indem sie diesen Ausschnitt hier einstellte, dem partout keinerlei Hinweis zu entnehmen ist, was denn bitte der „Zack“ unter Faschismus, faschistisch verstanden haben will, und ob das überhaupt etwas mit den Abwehrreflexen der 80% Neonazis, Postfaschisten, Querfürzen und „Neurechten“ zu tun hat, die hier lesen.
    Dann habe ich mich besonnen und versucht, Google zu befragen, ob es was darüber weiß.
    Ohne Ergebnis
    Während der Suche habe ich mich weiter besonnen, die Kirche im Dorf zu lassen: Es hat zweifellos gewalttätigere Anschläge „der Redaktion“ gegeben, also einen (trockenen) Schwamm ‚drüber …

    Google hat mir wenigstens zu sage einem Viertel weiter geholfen, indem es Indizien ausgeworfen hat, für Zack ist eliminatorischer Fremdenhass, und irgendwas, was iwie mit „Rassismus“ zu tun hat, ohne das Zack wüßte, was das abseits spektakulärer Erscheinungsformen ist, das Markenzeichen, das die definitorische Kategorie „Faschismus, faschist“ rechtfertige, SOFERN dergleichen „im Busen“ einer mächtigen Nation entstehe, wie den USA und Deutschland. In militanter Abgrenzung zu Israel – nehme ich an! … Letzteres kann falsch sein, das kann ich nicht völlig ausschließen …

    So, was mach ich nun damit und dabei?
    Ich geb euch den BEGRIFF des Faschismus.
    Faschistisch ist die militante Unternehmung, den Gegensatz zwischen kapitalistischem Wirtschaftssubjekt und Staatssubjekt, zwischen „bourgeois“ und „citoyen“ in Marx Sprachregelung, zwischen Konkurrenzsubjekt und Rechtssubjekt, der in jedem bürgerlichen Busen haust und west, auf nationaler Ebene vernichtend aus der Welt schaffen zu wollen.
    (ya) Basta!

  7. Das Rutenbündel („fasces“) wurde im alten Rom den oberrsten Richtern vorangetragen, welche das Recht besaßen, die höchstmöglichen Strafen zu verhängen (also dort und damals die Todesstrafe). Der Anspruch der Faschisten ist es, zugunsten des Kollektivs auf tiefstmögliche Weise in das Leben des Einzelnen eingreifen zu dürfen („Du bist nichts, dein Volk ist alles.“). Faschismus ist also kollektivistisch-totalitär. Es ist der Versuch, die spätabsolutistische Erbmonarchie, die eine Teilung der Gewalten ablehnte, in modernisierter Form vom 19. ins 20. Jahrhundert zu retten. Er ist die konservative Antwort auf den individualistisch-freiheitlichen Liberalismus, der die Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat betonte (Menschen- u. Bürgerrechte), die Teilung der Gewalten durchsetzte (Parlamentarismus, unabhängige Richter), sowie schließlich die Erbmonarchen entmachtete. Der neue starke Mann hieß nun also „Führer/Duce“, und sein Titel war nicht länger erblich.
    Da der Faschismus das Volk betont, ist er nahezu zwangsläufig auch nationalistisch und rassistisch. Da besagtes Volk sich in darwinistischer Konkurrenz zu anderen Völkern befindet, ist er ebenfalls nahezu zwangsläufig auch militaristisch.

    [Manche zitieren gern Mussolini, dass Faschismus die Verschmelzung von Staat und Konzernen sei. Aber auch ein kommunistischer Staat, der die Produktionsmittel sozialisiert, verschmilzt gewissermaßen mit den vorher privaten Konzernen. Ich formuliere es mal folgendermaßen: Mussolini labert Stuss! Wenn man etwas über Vögel wissen will, kann man Vögel fragen. Nur wird dabei nicht viel Sinnvolles herum kommen. Hilfreicher ist es, man wendet sich an einen menschlichen Ornithologen. Der kann zwar nicht so schön trällern, aber seine Antworten sind zielführender.]

  8. Durch was unterscheidet sich denn ein Neoliberaler vom Faschisten?
    Die Übergänge sind fließend. Wenn Trump spricht dann wechselt das oft mitten im Satz.
    Die Lüge fängt doch da an, wo der Westen behauptet, Europa vom Faschismus befreit zu haben und dabei unterschlägt, wer diese Regime gesponsert hat.
    Mussolini hat aus London monatlich 7000 Pfund Sterling erhalten bevor er an die Macht kam. Der Faschismus ist doch einfach nur die militante Form des Wirtschaftsliberalismus.
    Ob man einen BlackRock Merz oder eine Goldman & Sacks Weidel als Faschisten bezeichnen soll, da bin ich ehrlich gesagt überfragt, aber das macht real auch gar keinen Unterschied, wenn es um den 3 Weltkrieg geht.
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=132027

    1. Durch was unterscheidet sich denn ein Neoliberaler vom Faschisten?

      Also mal ganz verkürzt runtergebrochen:
      Neoliberal: Ich habe die Freiheit und das Recht, dir alles zu nehmen, und was dann aus dir wird, ist mir egal.
      Faschistisch: Wir haben Recht, ihr seid tot und euer soll unser sein.

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