»Umstritten ist das neue Interessant«

Ulrike Guérot
Heinrich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

»Umstritten« – so bezeichnen »Qualitätsmedien« heutzutage kritische Denker, die auf die Realitäts- und Sinnbrüche in Politik und Berichterstattung hinweisen. Wie fühlt sich das an, umstritten zu sein? 

Marcus Klöckner hat ein Buch herausgebracht, in dem sich die Geschichten einiger Umstrittener finden. Eine von ihnen: Ulrike Guérot.

Wir stellten der Umstrittenen fünf Fragen.

 

Redaktion: In den Mainstream-Medien wird (oder wurde) von Ihnen als »umstritten« gesprochen. Hat sich für Sie seither beruflich und privat etwas verändert?

Guérot: In der Tat: In dem Moment, wo ich aufgrund von zwei Büchern – März 2022: »Wer schweigt, stimmt zu« zum Corona-Geschehen und Oktober 2022 »Endspiel Europa« zum russisch-ukrainischen Krieg – zunehmend als #umstritten galt, musste ich nicht nur zahlreiche sogenannte »Shitstorms« über mich ergehen lassen (gezählt wurden rund 180 Hass- und Hetzartikel über mich, wie man in dem Buch »Der Fall Guérot. Versuche einer öffentlichen Hinrichtung« nachlesen kann); sondern die Universität Bonn hat mir im Nachgang unter für mich nicht nachvollziehbaren Gründen im Februar 2023 gekündigt. Das ist eine recht einschneidende und im Übrigen existenziell nicht triviale Veränderung meines sowohl beruflichen wie privaten Lebens. Die Verhandlung über meine Kündigungsschutzklage ist jetzt im April 2024. Dann werde ich 14 Monate auf eine Verhandlung in erster Instanz gewartet haben. Kein Zuckerschlecken.

Redaktion: Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie erstmal »zu den Umstrittenen« im Lande gehören?

Guérot: Das hat sich sukzessive ab dem Moment aufgebaut, wo ich mich – in o.g. Büchern von 2022 – erst kritisch zu den Corona-Maßnahmen, dann zur Deutungshoheit über den russisch-ukrainischen Krieg geäußert habe. Aber bereits vor den genannten Büchern, also schon im Verlauf des Jahres 2021, als ich vernehmbar durch Interviews oder Publikationen dem offiziellen Corona-Narrativ widersprochen habe, wurde mir klar, dass ich ausgegrenzt bzw. sichtlich aus dem Diskursraum ausgeschlossen wurde oder z.B. Ausladungen von Konferenzen u.ä. bekommen habe. Eine erste, überaus hässliche Rufmordkampagne gab es im Sommer 2021 auf Twitter. Nach einer Lanz-Sendung im Juni 2022 tobten die öffentlichen Wogen dann besonders heftig, inklusive der – in meinen Augen konstruierten – Plagiatsvorwürfe. Im Oktober 2022 distanzierte sich schließlich die Universität Bonn öffentlich von mir. Das war alles kein Pony-Ritt.

Redaktion: Können Sie selbst dem Label »umstritten« etwas Positives abgewinnen?

Guérot: Umstritten ist das neue Interessant.

Redaktion: Würden Sie selbst behaupten, dass einige Ihrer Thesen umstritten sein könnten?

Guérot: Nicht für Leute, die sich ihres Verstandes bedienen, die bereit sind, die andere Seite anzuhören und für diejenigen, die an den herrschaftsfreien Diskurs à la Habermas glauben; die, wie Voltaire, die Freiheit der Andersdenkenden verteidigen und die noch wissen, was Gadamer gesagt hat, nämlich, dass eine faire Diskussion zur Grundlage hat anzunehmen, dass die andere Seite grundsätzlich Recht haben könnte.

Redaktion: Wäre es für Sie erstrebenswert, unumstritten zu sein?

Guérot: Es geht nicht darum, etwas »Erstrebenswertes« zu tun, das ist eitel. Sondern darum, etwas zu tun, weil man denkt, dass es richtig ist, es zu tun, auch wenn man dann in den Augen Vieler #umstritten ist.

 

Ulrike Guérot studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Sie ist Professorin, Autorin und Aktivistin in den Themenbereichen Europa und Demokratie, mit Stationen in Think Tanks und an Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, Berlin und Wien. 2014 gründete sie das European Democracy Lab, e.V., eine Denkfabrik zum Neudenken von Europa. 2016 wurde ihr Buch „Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie” europaweit ein Bestseller. Im Herbst 2021 trat Ulrike Guérot ihre Professur für Europapolitik an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms Universität Bonn an.

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14 Kommentare

  1. Ich war und bin schon seit meiner Einschulung umstritten.
    Also, müsste ich noch wesentlich berühmter sein, als die neokonservative Guérot es so durchblicken lässt.
    Aber Sprüche klopfen kann sie inzwischen ganz gut.
    Wie schon mal erwähnt, sind das alles Leute, von denen man vor Corona, nicht viel oder noch weniger gehört hat.
    Das sollte euch zu denken geben…

      1. Danke. 😉
        Ich frag mich eigentlich nur, wieso kommen diese ganzen Protagonisten, die sich so für uns seit Corona so ganz kritisch einsetzen, fast ausschlieslich, aus der konservativ rechten oder aus der mittlerweile auch grünen neoliberalen Ecke?
        Sei es wie schon beschrieben. die Guérot, Paul Brandenburg, Markus Haintz, der Reitschuster natürlich, selbst Gunnar Kaiser “RIP” und so viele andere aus dem politischen Spektrum, die man vorher eigentlich gar nicht kannte.
        Ausnahmen, machen die Regel wie eigentlich nur der Wolfgang Wodarg, den man tatsächlich anläßlich der Schweinegrippe kennen könnte und wohl tatsächlich ein alter SPD Mann ist.
        Leute wie Schiffmann, Hockertz und vor allem Bhakdi, nehme ich da mal raus, weil es eher Experten auf dem Gebiet sind und an sich auch keine politische Motivation an den Tag legen.

        1. Das ist in der Tat eine gute Frage. Zudem scheint der Hass von links auf die Maßnahmenkritiker auch noch besonders groß gewesen zu sein. Liegt es vielleicht an einem eher kollektivistischem Denken und man hat sie mit dem Solidaritäts Narrativ “eingefangen”?
          Anerkennenderweise bleibt für mich dabei unterm Strich: Individuelle Freiheitsrechte / Grundrechte haben im konservativen Lager offensichtlich einen höheren Wert. Gilt natürlich nicht allgemein, aber in Summe beim Thema Corona definitiv erkennbar.

          Einen habe ich übrigens im linken Lager: Artur Aschmoneit, der den Corona Blog corodok.de betreibt bzw. betrieben hat, da er gerade -mal wieder- sein Ende verkündet hat.

          1. Wenn ich in Ruhe drüber nachdenke, dann fallen mir doch noch ein paar ein.

            Die Jungs vom Dritten Jahrtausend haben auch ordentlich Kritik geübt. Das waren Robert Fleischer, Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers. Zumindest die beiden Letzten dürften sich als links sehen.

            1. Ich frag jetzt mal ganz blöd.
              Waren die beiden zuletzt genannten denn auch vor Corona bekannt.?
              Der Pohlmann steht soviel ich weiß aber auch hinter der Klimadoktrin, oder liege ich da falsch?

              1. Mir schon, aber das heißt ja nichts.
                Pohlmann dürfte aber generell durchaus bekannt sein.

                Pohlmann glaubt an einen Klimawandel durch den Menschen, führt aber offene Streitgespräche zu dem Thema z.B. mit Markus Fiedler. Das finde ich absolut ok. Mir ist bei den ganzen Dingen eh der wichtigste Punkt, dass man in der Diskussion bleibt.

    1. Sie hat sich sicher nicht viel geändert. Nur das #umstritten-Sein hat sich ihrer angenommen.
      Sie ist einfach nicht von ihrem Weg abgekommen wie viele andere auch.
      Das ist für uns eigentlich erstaunlich.

    2. Wie schon mal erwähnt, sind das alles Leute, von denen man vor Corona, nicht viel oder noch weniger gehört hat.

      Frau Guérot war früher z.B. immer dann im ARD-Presseclub und anderen Talk-Runden dabei, wenn es um EU-Themen ging.

      Ihre Corona-Einlassungen waren nicht mehr als das, was man von selbst denkenden und am Gemeinwohl Interessierten erwarten konnte.

  2. Ja das war Deutschland schon immer, immer im Narrativ mit schwimmen, wer dagegen ist, wird zum Abschuss freigegeben.
    Nur, manchmal besitzen abgeschossene auch einen Ausweg, das wird gerne als Politik bezeichnet, um ihren Hals aus der Schlinge zu halten.
    Wenn kritische Menschen an den Rand der Existenz geführt werden und im gleichen Moment eine Bande von Lobbyisten ihre Klänge zum Medium bringen, dann steht das KAPITAL dahinter.
    Der alte oder neue ‘NAZI’, war immer der gleiche der die Leute missbrauchte für seine Interessen. Corona hat sehr viele Opfer hervorgebracht, nicht nur die verstorbenen, sondern die die das überlebt haben.

  3. Ein Berufsverbot an der Universität zu Bonn hat nicht nur Ulrike Guérot, sondern mit ihr auch ihr Mentor, der EU-Gründer Jacques Delors bekommen.

    Jeder kennt heute Kant, aber wer kennt noch seine Universität?
    „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! “ – Die Aufklärung, Immanuel Kant 1784

    Ich wünsche Ulrike Guérot, dass sie weiter ihren Verstand so scharf nutzt, dass sie kämpferisch bleibt und sich ihren Optimismus behält!

    Ihr Buch »Endspiel Europa« habe ich mit großem Gewinn gelesen: über die Fehlkonstruktion der EU, und ihren Umschlag zu Krieg und Massenverarmung, anstatt ihr Versprechen von Frieden und Wohlstand einzulösen – Mit anderen Worten: Über das verratene Erbe des Jacques Delors, des sozialistischen ersten EU-Kommissionspräsidenten.

  4. Auch wenn “Qualitätsmedien” schon seit einiger Zeit in Einführungszeichen geschrieben werden, würde ich eher von Quantitätsmedien sprechen, die ihre Wirkung vor allem durch eine hohe Reichweite erzielen. Das war noch nie ein Qualitätsmerkmal. Dieses finde ich inzwischen bei kleineren unabhängigen Medien inzwischen deutlich häufiger, obwohl hier keine so üppige finanzielle Ausstattung vorhanden ist – oder gerade deshalb.
    Im Mainstream gibt es auch eine unübersehbare Denkfaulheit, die wohl weniger aus Dummheit sondern aus Opportunismus entstanden ist, weil sich die Karriere so leichter verteidigen lässt. Werden aber Widersprüche kaum noch zugelassen, führt das irgendwann zwangsläufig zu falschen (politischen) Entscheidungen sowie zu einer Einschränkung von wissenschaftlicher Freiheit. So nimmt der Irrsinn seinen Lauf, wie wir ihn jetzt auf vielen Gebieten erleben.

    1. Die Größe spielt nicht die wichtigste Rolle. Auch kleine Publikationen sind kein Wertmaßstab. Das Problem besteht darin, das viele Themen so komplex geworden sind, das man oft nur schwer eine Lösung als richtige Lösung betrachten kann. Ich habe mich ertappt das bei mir dann bestimmte Publikationen eher meiner Auffassung entsprechen als andere.
      traditionell Springer kritisch hat aber mit Christoph Wanner von Welt TV die besseren Nachrichten zur Ukraine als Bertelsmann Ntv.
      Der Spiegel ist in der vordersten Reihe bei den Kriegstreibern dabei.
      Ich lese hier und auch bei den Nachdenken Seiten.
      Wie geschrieben die gemengelage sollte uns nicht zu nur einer Meinung zum Thema in einem Medium verführen

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