
Kriegsheimkehrer bekommen den Krieg ihr Leben lang nicht los. Wer jetzt einen Krieg in Aussicht stellt, der wie zu Zeiten der Großeltern geführt wird, sollte Sebastian Schoepps Ausführungen folgen.
In späteren Jahren unterlagen Vaters Kriegserlebnisse einer anderen Form von Zensur als der der Wehrmacht. »Meine Frau will das nicht hören«, schrieb Vater, als er schon Rentner war, einem Jugendfreund, einem evangelischen Pfarrer. Der gehörte zur Gruppe derer, die in der Nachkriegszeit viel redeten, ohne viel zu sagen. Er hat sogar ein Buch über seine Kriegserlebnisse geschrieben, das den Italien-Feldzug wie ein kulturelles Erlebnis schildert. Nie gehörte Vater zu denen, die vom Alterssitz am Ammersee oder im Taunus aus im Selbstverlag detailgenau Märsche und Schlachten an der Ostfront beschrieben, während die polnische oder ukrainische Pflegerin ihnen die Windeln wechselte. Vater ging auch nicht zum Stammtisch oder in den Kriegerverein. Nur einmal fuhr er zu einem Schultreffen der wenigen, die aus seinem Jahrgang 1923 übrig geblieben waren. Er kam entsetzt zurück. Diese Glorifizierung, diese Sprüche vom Krieg als »Schule des Lebens«!
»Die wissen doch genau, dass es nicht so war.«
Er ist nie wieder hingefahren.
Der Mangel im Krieg prägte den späteren Alltag
Um mehr Klarheit zu erhalten, befragte ich einen Psychiater. »Sie müssen davon ausgehen, dass Ihr Vater schwer traumatisiert war«, sagte der. Traumata können bewirken, dass Menschen das Erlebte löschen. Hat Vater deswegen so wenig erzählt, weil er sich an das meiste nicht erinnern konnte? Was bedeutete das für ihn – und was für mich?
Laut der Psychiaterin Luise Reddemann können Eltern ihre Traumata an die Kinder weitergeben – und indirekt an die Enkel. Ja, Wissenschaftler glauben sogar herausgefunden zu haben, dass Traumata die Genetik verändern. Seit einigen Jahren diskutieren Biochemiker im neuen Forschungsfeld der Epigenetik, wie die Umwelt Einfluss auf die molekulare Biologie eines Menschen ausüben kann. »Hunger, Stress und Gewalt scheinen zu verändern, wie die Zellen den DNA-Code der Gene interpretieren, und hinterlassen so Spuren im Erbgut. Die Münchner Medizinerin und Neurowissenschaftlerin Elisabeth Binder, heute Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, konnte vor einigen Jahren zeigen, dass Menschen, die in früher Kindheit traumatisiert wurden, dieses Trauma auch später im Leben noch immer wie Narben am Erbgut in ihren Zellen tragen«, heißt es in einem Artikel zu dem Thema. Wahrscheinlich, so das Forschungsergebnis, werden einige dieser epigenetischen Veränderungen sogar an die nächste Generation weitergegeben.
Bei den meisten Kriegskindern reichten jedoch schon die Tischgespräche im Elternhaus, um sie nachhaltig zu prägen. Wie sehr der Krieg und der Mangel Vater zu dem Menschen gemacht hatten, der er später war, konnte man seinen Handlungen entnehmen. Nach Vaters Meinung musste man im Leben alles, was auch nur leicht über dem Niveau eines Schützengrabens lag, stoisch akzeptieren. Teller leckte er ab, durchgescheuerte Handschuhe flickte er mit Zwirn. Batterien kamen auf die Heizung, um den letzten Saft herauszuholen. Zu Hause gab es grundsätzlich nur altes Brot. Wenn neues gekauft wurde, mussten erst die alten harten Kanten aufgegessen werden – bis das neue Brot ebenfalls hart war. Vater misstraute allem: Geld konnte entwertet werden, Häuser konnten verbrennen.
Geschichtsfimmel
Ich lernte, dass nichts, was ich erlebte, annähernd so schlimm sein konnte wie das, was die Eltern erlebt hatten. Wenn etwas nicht schmeckte, hieß es: »Stell dich nicht so an.« Wenn ich mich beim Abspülen dumm anstellte: »Das werden sie dir beim Kommiss schon beibiegen!« Doch diese Erziehung hatte auch Vorteile. Man bekam nicht viel Gelegenheit, eine Essstörung zu entwickeln. Und die Warnungen vor den Methoden beim »Kommiss« genügten als Motivation zur Kriegsdienstverweigerung. Da half erstmals Vaters Kriegsvergangenheit. Die ließ mich in den Augen der damals üblichen Kommission, die mein Gewissen prüfen sollte, glaubwürdig erscheinen.
Viele Kriegskinder entwickeln einen regelrechten Geschichtsfimmel. Sie wissen bis in die letzte Verästelung über das Leben von Anne Frank Bescheid, aber sie wissen nichts über das Leben ihrer Eltern. Ich las die Literatur der Opfer: Primo Levi, Elie Wiesel, Jorge Semprún. Ich volontierte in Argentinien bei einer Zeitung, bei der vor allem deutschsprachige jüdische Emigranten arbeiteten, die vor Hitler geflohen waren. Sie erzählten bereitwillig, und sie traten mir als Nachkommen der Tätergeneration unvoreingenommen gegenüber. Ich schrieb meine Magisterarbeit über das antinationalsozialistische Exil in Argentinien und gab sie Vater zu lesen. Er berichtigte die Kommafehler und gab sie mir ohne weiteren Kommentar zurück. Möglich, dass er sich schlicht nicht angesprochen fühlte, möglich, dass ihn so viel Beflissenheit irritierte. Zu dieser Zeit waren auch seine Anekdoten längst verstummt. Sie endeten mit der öffentlichen Debatte nach der Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust 1979. Beiträge der Tätergeneration seien in Deutschland seit dieser Zeit »kulturell nicht mehr erwünscht«, schreibt Sabine Bode. Vater hielt sich an das gefühlte Sprechverbot, kommentarlos. Die Unfähigkeit zu trauern mündete in die Unfähigkeit zu reden.
Einer der wenigen literarischen Zeugen, den meine Eltern gelten ließen zur Erklärung ihrer Kriegszeit, war Walter Kempowski und dessen ironische Familiensaga Tadellöser und Wolff, in der die Protagonisten stets betonen: »Nazi und Deutscher, das sei ein Unterschied!« Mir kam es so vor, als erzähle die Verfilmung von Eberhard Fechner mit Karl Lieffen, Edda Seipel und Martin Semmelrogge meine eigene Familiengeschichte. Ansonsten gibt es wenig Literatur, die überzeugend von der deutschen Kriegsgeneration berichtet. Die Konsaliks und Willi Heinrichs und ihr Landser-Schmalz sind zu Recht vergessen. Heinrich Böll, Wolfgang Borchert und Günter Grass taugen nicht, um die Generation zu verstehen, sie galten vielen Heimkehrern als verkopft, abgehoben und wehleidig.




„Ja, wie isses denn bloß mööchlich …“
gute Nacht, schlaft gut.
Günter Grass ist sogar ein vorzügliches Beispiel für die genannte Generation, der allerdings eine alternative Methode als das Schweigen wählte. Der Subtext, den der ehemalige Angehörige der 10. SS-Panzer-Division „Frundsberg“ in der ‚Blechtrommel‘ erkennbar bearbeitet, ist doch der, dass die Nazis in Deutschland viele und schlimm, aber grundsätzlich die anderen waren. Die Linksliberalen der ach so geläuterten Nation nach `45 haben ihm diese Sicht der Dinge sehr gedankt!
Der gemeine Soldat der verheizt wurde war kein Nazi. Wer in meinem Alter ist, hatte
sicher noch Gelegenheiten mit Männern die im Krieg waren oder auch Frauen, die als
Krankenschwestern eingetzt waren zu sprechen. Einige mußten etwas los werden,
andere kamen nur schwer mit ihren Erlebnissen rüber. Ich habe aber keinen Getroffen,
der heroisch über seine Zeit im Krieg berichtet hat. Oft berichteten die Männer unter
Tränen über ihre Erlebnisse, wie neben ihnen die Kameraden starben. Da wurde nichts
beschönigt. Die beeindruckensten Schilderungen kamen von einer Lehrerin in der
Berufsschuhle, die als junge Krankenschwester den Angriff auf Dresden miterlebte.
Sie war vor allem wütend, dass über die tatsächlichen Toten und die Tieffliegeratacken
der Amerikaner auf Frauen und Kinder, die an der Elbe Schutz vor den Flammen suchten,
damals Ende der 70er schon so gelogen wurde. Die Erzählungen dieser Frau werden einem heutigen
Krieg wahrscheinlich sehr nahe kommen. Nur das es kein Phosphor ist was heute die Menschen
verbrennen wird, sondern der Atomblitz.
Mein Opa, Waisenkind und Wehrmachtssoldat schon vor dem Krieg, hat durchaus vom Krieg erzählt, die „guten“, wie die schlechten Seiten. Er konnte die Erlebnisse offenbar gut wegdrücken. War ein liebevoller Großvater und mein Ersatzvater. Mein eigentlicher Vater wurde mit 18 Jahren Vater und war zu jung und überfordert, da mein Großvater sehr lange in Gefangenschaft war und daher nicht wusste, wie ein normales Verhältnis Vater-Sohn in Kleinkindjahren aussieht.
„Wer jetzt einen Krieg in Aussicht stellt, der wie zu Zeiten der Großeltern geführt wird, sollte Sebastian Schoepps Ausführungen folgen.“ Wozu sollte ich diesen folgen?
Wenn ich meine 90jährige Mutter und ihre Generation mit ihren Enkeln und Urenkeln vergleiche, fallen mir ohne viel Nachdenken jede Menge mentale Eigenschaften ein, die erstere besitzen und ihr ein Überleben in einem derartigem prophezeiten Kriegsgeschehen leichter machen. Ihre Nachkommen dagegen fehlen diese Eigenschaften teilweise oder vollkommen.
Aber auch Personen, die diese mentalen Eigenschaften besitzen, hätten keine Chance in so einem Krieg, weil wir heute in einem wenig resilienten Gesellschaftssystem leben. Wir leben in einem Kartenhaus, was Versorgung und Selbstständigkeit angeht. Wir können einen derartigen Krieg gar nicht führen.
Das Einzige, worüber man sich in einem „kommenden grossen Krieg“ Gedanken machen braucht, ist die Frage, ob der Haushalt über genügend Tische oder Aktenmappen für alle Familienmitglieder verfügt.
Einen allfälligen Krieg mit Russland mit dem zu vergleichen, was unsere Vorfahren erlebten, ist bereits propagandistischer Bullshit. Nichts ist vergleichbar mit einem atomaren Schlagabtausch… und jede militärische Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland wird unweigerlich dazu führen.
Wenn das jetzt auch noch unsere Politiker in Deutschland und der EU kapieren,
sollte es gar keinen Krieg mit Russland geben. Da die aber ihre Hirne jeweils
bei den Pförtnern der Parlamentsgebäude abgeben, werden die es nicht kapieren
und uns schon in wenigen Jahren verheizen. Wenn wir kein Gas mehr aus Russland
importieren, werden wir vielleicht ja tatsächlich noch in den Heizungen der Parlamente
verheizt.
Als Kind im Osten erlebte ich keinen einzigen Vater aus Freundeskreisen, auch sonst keinen Erwachsenen, der über Kriegserlebnisse sprach. Auch mein Vater ließ nur widerwillig einzelne Episoden nach meinem Drängen raus. Und er war erwiesenermaßen Antifaschist. Aber bei jeder Gelegenheit forderte er seine Gesprächspartner heraus, die Wahrheit über ihre Erlebnisse zu erzählen, sehr eindringlich. Mir war das peinlich, erst später, wenn er andeutete, viele Spuren von Verbrechen vor allem in der Ukraine und Weißrussland als Nachschubfahrer gesehen zu haben, begriff ich, was jeder, so mein Vater, riesige Verbrechen erlebt haben muss, aber nicht darüber sprechen wollte und konnte. Die Väter waren fast durchweg traumatisiert und isoliert, auch in ihren Familien. Lachende und Scherzende erlebte ich nicht, aber unwirsche Familientyrannen.
Der Russlandkrieg wurde von den allermeisten Deutschen nicht akzeptiert, weil ihn jeder vernünftige Mensch für komplett sinnlos hielt. Und Hitler wurde nicht gewählt, sondern den Deutschen von Himdenburg, Theodor Heuss und den Liberalen sowie dem Katholischen Zentrum an die Macht geputscht. Das ohnmächtige Gefühl war gigantisch.
Zum Thema „Traumatisierung“ bzw. zum Umgang mit traumatisierenden Dingen bei der Argumentation gegen den Krieg zählen in gewisser Weise auch die Gedanken von Ken Jepsen bzw. Kayvan Soufi-Siavash.
Ich bin an und für sich kein Fan von ihm, was auch schon an seinem zu schnellen Sprechen liegt, aber was er hier zwischen der 15. und 22. Minute des Videos für Ideen beisteuert, das ist schon bemerkenswert.
https://pi-news.net/2025/12/a-wef-2025-panel-wie-wir-den-krieg-in-europa-verhindern-koennen/
Kann bei meinem Vater, Jahrgang 1921, die Traumatisierung bestätigen. Er redete nicht über den Krieg. Meiner Mutter hat er wohl mehr erzählt, aber das einzige was sie weiterleitete war dass er immer danebengeschossen hat. Was vielleicht nicht stimmt, aber traumatisiert war er definitiv. Das einzige was mir hängengeblieben ist: er meinte einmal (da war er etwa 70), dass im Krieg Menschen zu Hyänen werden. Was sich vermutlich auf Kameraden bezog, die als nette Jungs in den Krieg zogen und sich dort zu schrecklichen Greueltaten hinreissen liessen.
Mein Vater war eigentlich immer irgendwie depressiv.
Er hatte im 2.Weltkrieg fast seine ganzen Freunde im Krieg verloren.
Seine Einheit bestand aus 2 Zügen zu je 12 Mann mit 2 Sd.Kfz. 9 mit dem 8,8er Geschütz 12 Tonnen und einem Sd. Kfz7/1 5 Tonnen mit einem Flakvierling zur Luftabwehr.
Er wurde gleich nach seiner Matura 1937 zum Wehrdienst eingezogen und kam dann 1939 mit all einen Freunden seines Jahrgangs aus der Gymnasium gleich zum Einsatz nach Polen.
Er war dann später in Jugoslawien, danach in der Ukraine bis Ende 42 wo er bis auf 2 Kameraden seine Freunde verlor.
Bei einem Volltreffer waren damals 10 Mann auf einen Schlag getötet worden.
Er wurde verwundet, kam nach Hause um dann etwas später nach Frankreich abkommandiert zu werden, wo er sich 44 dann bei Rückzugsgefechten 2 Kugeln einfing.
Nur, weil er französisch sprach, wurde er überhaupt von einem Arzt operiert, zu dem er auch nach dem Krieg ein sehr freundschaftliches Verhältnis hatte.
Da ich von klein auf, immer alles wissen wollte, hatte er mir auch eigentlich alles erzählt was sich so zugetragen hatte.
Bevor ich in die Schule kam, kannte ich seine Einsatzgebiete, eigentlich alle Waffengattungen und jeden Panzer, jedes Fahrzeug und alle Handfeuerwaffen, aller Parteien, die damals so im Umlauf waren.
Da mein Vater nicht arbeitete und meine Mutter in der Arztpraxis und im Krankenhaus tätig war, verbrachten wir ganz automatisch viel Zeit zusammen.
Wir waren oft zusammen im Urlaub wo wir auch mal seine damaligen Einsatzorte aufsuchten, zumindest die in Frankreich und in Jugoland.
Er hatte immer wieder mal seine tief depressiven Phasen, auch weil er ja seine Heimat verlor, als er Ende 49 aus der Kriegsgefangenschaft kam, hatten seine Eltern ihn wegen seiner Bisexualität enterbt und ihren Landsitz veräußert, weil sie nicht unter russischer Besatzung Leben wollten.
Er war dann in den 50ern sogar ins Gefängnis gekommen…war ja noch verboten.
Er musste sich ja auch während des Krieges immer schwer zusammenreißen das sie ihn nicht gleich ins KZ schickten, allein schon weil er ja auch immer politisch tätig gewesen war.
Er war eigentlich immer viel zu gut für die Welt und konnte sich auch nie wirklich gut in dieser Gesellschaft zurechtfinden.
Auf eine ganz andere Weise als meine Wenigkeit aber es gibt da zwischen mir und meinem Vater doch so einige Schnittmengen.