
Im Ringen um „richtige“ Lösungen im Umgang mit Krisen, in der Bewältigung von gesellschaftlichen Strukturproblemen oder bei richtungsweisenden Entscheidungen fordern wir einen offenen und sachorientierten Dialog der Kontrahenten.

Der renommierte Psychologe und Bestsellerautor Bernhard Hommel belegt in seinem neuen Buch „Die Macht der Menschenbilder“ allerdings eindrucksvoll, dass dies so gut wie unmöglich ist. Wir alle sind von manifestierten „Menschenbildern“ geprägt, die in der Regel unverrückbar sind und eine Offenheit für die Argumente des anderen verhindern. Viele Debatten sind ohne das Verständnis dieser zugrunde liegenden Menschenbilder daher überflüssig. Bernhard Hommel analysiert die Macht dieser Menschenbilder und die sich daraus ergebenden politischen Annahmen so ausführlich wie verständlich – und zeigt, wie wir uns endlich wieder besser verstehen können.
Überall auf der Welt unterscheiden sich Menschen hinsichtlich ihrer Ausgangsvoraussetzungen. In manchen Ländern sind diese Unterschiede stärker als in anderen, aber selbst in hochentwickelten und ökonomisch hervorragend funktionierenden Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland haben es manche Menschen schwerer, dieselben Ziele zu erreichen als andere. Woran man das genau festmachen soll, ist umstritten, und auch hier sind die Vorlieben abhängig vom Menschenbild. Anhänger des reflektorischen Menschenbildes würden vor allem nach Abweichungen von der Gleichverteilung in Statistiken suchen, wie etwa danach, ob die Verteilung der Geschlechter bei Besuchern von speziellen Schulen, Gymnasien und Universitäten repräsentativ ist. Wenn diese Verteilungen von der Verteilung der Geschlechter in der Gesamtbevölkerung abweichen würden, wäre von Ungerechtigkeit die Rede, die der staatlichen Intervention bedürfe. Befürworter des agentiven Menschenbildes würden in derartigen Fällen eher nach konkreten Stolpersteinen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder Schichten suchen oder die Möglichkeit erwägen, dass sich der Besuch dieser Institutionen für die Geschlechter unterschiedlich attraktiv darstellt.
Relative und absolute Armut sind immer noch erblich
Als ich mich auf meine Promotion am Ende der 1980er-Jahre an der Universität Bielefeld vorbereitete, habe ich mir alle in der Bibliothek verfügbaren Promotionsarbeiten meiner Teildisziplin ausgeliehen, um zu sehen, wie man eine solche Arbeit angeht. Aus irgendwelchen Gründen mussten die Berufe der Eltern und der Geburtsort des Promovierenden ausdrücklich in der Schrift genannt werden und dabei fiel mir zweierlei auf. Einerseits, dass alle Kandidaten aus Großstädten stammten, während ich im 2500-Seelen-Ort Niederstotzingen aufwuchs. Und andererseits, dass beide Eltern der Kandidaten entweder auch aus dem akademischen Milieu stammten, mindestens mit Doktorgrad, oft mit Professorentitel, oder wenigstens Arzt oder Bankdirektor waren, während es meine Eltern »nur« zum technischen Angestellten und zur Sekretärin gebracht hatten.
Auch im weiteren Verlauf meiner Karriere habe ich das akademische Milieu keineswegs als repräsentativ für unsere Gesellschaft erfahren. Wenn man auf Partys andere Familienmitglieder von hochrangigen Akademikern traf, handelte es sich bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls um hochrangige Akademiker mit einflussreichen Positionen an weltbekannten Universitäten oder um anderweitig einflussreiche Personen mit erheblichem Einkommen. Das alles hat meine Familie nicht zu bieten und sowohl meinen persönlichen, nicht akademischen Interessen als auch meiner beruflichen Vergangenheit als Lkw-Fahrer, Lagerarbeiter, Nachtwächter und Zeitungsausträger wurde allenfalls mit einem Anflug exotischer Neugier begegnet. Einiges hat sich inzwischen geändert und einiges auch zum Guten, aber von einer wirklichen Durchlässigkeit unseres Ausbildungssystems kann nachweislich nicht die Rede sein. Relative und absolute Armut sind immer noch erblich. Das Geschlecht, die Hautfarbe und vieles mehr machen weiterhin einen Unterschied.
Agentives Menschenbild und Selbstermächtigung
Dies alles kann man aus den unterschiedlichsten Gründen ungerecht finden. Die Frage ist aber nun, wie man das politisch ändern könnte und wo man dabei ansetzen muss. Auch hinsichtlich dieser Frage ist die Kreativität der handelnden Akteure oft überraschend beschränkt und stark vom bevorzugten Menschenbild abhängig. Die Bevorzugung des reflektorischen Menschenbildes durch politische Agenten führt fast ausnahmslos zu staatlichen Top-down-Maßnahmen, also zu Interventionen des Staates, um betroffene Minderheiten vor Ungerechtigkeiten zu schützen. Das macht sicher Sinn: Denn wenn man das Individuum als ein passives Spiegelbild seiner gesellschaftlichen Verhältnisse sieht, dann kann man die Situation des Individuums nur verbessern, indem man die Verhältnisse verändert. Auch nach dieser Vision sind Individuen nicht völlig unbeteiligt, denn die staatlichen Akteure sind selbst auch Individuen, die entsprechende Gesetzesentwürfe entwickeln und entsprechende Regelmechanismen implementieren. Aber sie handeln eben nicht als Individuen aus freien Stücken, sondern als Repräsentanten staatlicher Macht und im Rahmen eines staatlichen Auftrags.
Umgekehrt setzt das agentive Menschenbild an den betroffenen Personen an. Das Ziel besteht in der Regel darin, die betroffenen Personen selbst zu ermächtigen, ihre eigene Situation zu verbessern. Während die Ermächtigung eben-falls durch staatliche Top-down-Maßnahmen angeregt beziehungsweise ermöglicht werden kann, geht der eigentliche Prozess der Ermächtigung jedoch von der betroffenen Person aus und führt umgekehrt zu einer Bottom-up-Reaktion. Also zu einer selbstgesteuerten Verbesserung der eigenen Situation.



https://www.buchkomplizen.de/die-macht-der-menschenbilder.html?noloc=1
Die dem Foto hinterlegte URL funzt nicht.
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Gibt es irgendwo eine vollständige Inhaltsübersicht zum Buch?
Hier ist eine Beschreibung angehängt:
https://www.hugendubel.info/fachbuecher/kunst/themen-und-techniken/detail/ISBN-9783150141502/Zichy-Michael/Die-Macht-der-Menschenbilder.-Wie-wir-andere-wahrnehmen.-Was-bedeutet-das-alles
und hier:
https://servant-politics-podcast.podigee.io/389-macht-der-menschenbilder
Vielen Dank.
Wie so oft, liegt m.E. die Lösung in der goldenen Mitte. Sowohl strukturelle Maßnahmen, als auch die Stärkung der Selbstermächtigung des Einzelnen sind nötig. Beides aber wollen die „Eliten“ des radikalisierten Spätkapitalismus nicht. Bei den Strukturen müsste richtig investiert werden, das schmälert ja die Profitrate, und der Einzelne soll nur thumber Konsumenten sein und ausschließlich die marktradikale Religion eindimensional nachbeten. Selbstdenker sind da Fehl am Platz und werden ganz schnell als „Delegitimierer“ etc. pp. denunziert (und mittlerweile verfolgt).
Bei „meinen“ Altenpflegeschülern ist mir schon aufgefallen, das die Schüler mit den Vornamen Hatice und Mohammed oft
bis zu zehnmal mehr Bewerbungen schreiben mussten als die mit Vornamen wie Karsten oder Bettina!
Vielleicht ist Rassismus auch ein Grund für die beschriebene Problematik?
Anekdotische Evidenz, hat einen langen Bart. Bei den Paketdienst- Betrieben scheint es keinen Rassismus zu geben, aber wahrscheinlich kann man das üüberhaupt nicht vergleichen. Aber vielleicht ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, dass in von Migranten dominierten Bereichen auch wenig Eingeborene arbeiten. Ob da die Bettinas wohl auch ausgesiebt werden ? Wenn ja, aus welchen Gründen ?
Schauen Sie sich mal die Bezahlung und die weiteren Arbeitsbedingungen an. Oder übersteigt das Ihre Fähigkeiten?
Solange das Trauma anhält ist keine Heilung möglich.
Das sagte meine Analytikerin immer. 😉
Die arme Frau, geht es ihr inzwischen besser ?
Nein, die ist schon tot. 😉
Ludwig Tieck hat hier deutliche Linien aufgezeichnet:
„Bescheidenheit ist mein vorzüglichster Fehler, den ich mir mit der Zeit noch ganz abgewöhnen muss.“
und ne gute Musik gibts noch oben drauf:
https://www.youtube.com/watch?v=7-x9EM7kkRI&list=RD7-x9EM7kkRI&index=1
Was ist (mal wieder) der linke Elefant im Raum? Richtig, das zugrunde liegende Menschenbild geht davon aus, dass alle Menschen prinzipiell gleich (leistungsfähig und -willig) sind und die selben Ziele im Leben verfolgen. Sowohl genetisch, wie auch ethnisch (Sozialisierung usw.) wie auch im Privatleben.
Übergeordnetes linkes Ziel ist, alle Menschengruppen in einem Land, müssen überall identisch verteilt sein, sonst stimmt was nicht und man hat allenfalls die Wahl, ob man Quoten einführt (reflektorischen Menschenbild, was ist daran „reflektorisch“?) oder vermeintliche Hindernisse beseitigt („agentisches“ Menschenbild). Trotz buntem Diversitätsgehampel ist es offensichtlich nicht gewollt, dass Menschen sich auch unterschiedlich verhalten (wer da einen Widerspruch zu entdecken glaubt, dürfte richtig liegen).
Keine Ahnung, ob es im Buch behandelt wird (erscheint mir eher unwahrscheinlich, ist es doch der klaffende blinde Fleck von linken Weltverbesserern und jeder, der ihn anspricht, ein Rassist oder wenigstens ein Sexist). Man korrigiere mich bitte, falls ich mich irre, aber wenn nicht, dürfte das Buch nur der x-te politisch korrekte Aufguss von „Vorurteile führen zu Nachteilen, also müssen wir sie bekämpfen“ sein, ein woker Dauerbrenner, der bisher nichts verbessert hat, sondern im Gegenteil die Menschen noch zusätzlich spaltet, z.B. in Quotenfans vs. Leistungsdenker, in Diversitätsjünger vs. Homogenitätsjünger, Feministinnen vs. Familienfrauen usw.
Im Grunde ist das Linke Menschenbild, dass alle Menschen gleich wichtig sind und das Recht auf ein angemessenes Leben haben. Alles, was Menschen auf Grund Herkunft, Geschlecht oder z.B. Behinderungen diskriminiert, ist halt eben rassistisch, sexistisch und ableistisch. Es macht den Wert eines Menschen an solchen Merkmalen fest und hierarchisiert die Gesellschaft entlang solcher.
Bei allen Übertreibungen in den Diskussionen der letzten Jahren mit reichlich albernen Zuschreibungen durch Jakobiner jeglicher Couleur, sollte man sich anhand von Fakten und Analyse orientieren. Ressentiments sind intellektuell unterirdisch und unredlich.
Sind sie aber nicht. Das ist gnädigerweise tabuisiert in entwickelten Gesellschaften, aber da Linke daraus die falschen Schlußfolgerungen ziehen, muss man es halt auch mal knallhart aussprechen, damit die das kapieren.
Ja, aber abgesehen von der Frage, was „angemessen“ ist (eine Definitionsfrage und damit reine subjekitve Willkür), sagen die das i.d.R. nicht so.
Vollkommen richtig, aber das ist eben NICHT der linke Fehlschluß, es ist sehr wichtig das zu unterscheiden! Der linke Fehlschluß ist: „die Menschengruppe xy ist nicht so wohlhabend etc. wie die Menschengruppe yz, da alle Menschen „gleich“ sind (wer was anderes behauptet ist Rassist/Sexist), ergibt sich daraus zwangsweise, dass Gruppe xy diskriminiert wird!“ Es wird also nicht nach konkreten Diskriminierungen gesucht, sondern das Ergebnis angeschaut und vom Ergebnis pauschal auf eine Diskriminierung geschlossen, das ist unredlich, dumm und führt zu kontraproduktiven Einschnitten, wie z.B. Quoten!
Und noch eine Ergänzung:
„Diskriminiert“ bedeutet, dass jemand aufgrund bestimmter Merkmale UNGERECHTFERTIGT benachteiligt, ausgeschlossen oder herabgewürdigt wird“
Es geht z.B. nicht an, dass man bei körperlich schweren Aufgaben die Anforderungen senkt, die objektiv existieren (und die Frauen z.B. oft nicht erfüllen können), nur damit Frauen auch z.B. bei der Feuerwehr mitspielen können. Im Ernstfall bedeutet das nämlich, dass die verbleibenden Männer dann für die Frauen die schweren Tätigkeiten mit übernehmen müssen (oder diese gar nicht mehr ausgeführt werden).
Sie sind vor allem menschlich und basieren auf Heuristiken. Heuristiken haben im Alltag durchaus ihren Zweck, aber ein anständiger Mensch sollte, so das gefahrlos möglich ist, trotzdem jedem seine persönliche Chance zugestehen. Aber ebensowenig wie Ressentiments immer richtig sind, sind sie immer automatisch falsch, oft lassen sich entsprechende Tendenzen im statistischen Durchschnitt sehr wohl nachweisen und sollten/müssen bei politischen Entscheidungen mitberücksichtigt werden!
Diee kapitalistische Gesellschaftz ist durch und durch hierarchisiert. Was unterbewusst verinnerlicht wurde. Was sich in den Gesprächen widerspiegelt.
Hier hat Jürgen Habermas mit seinem „herrschaftsfreien Diskurs“ angesetzt. Ein sich Freimachen von der Hierarchie, denn nur so könne der Diskurs maximal ergiebig sein. Stimmt, ich versuche einen solchen und das mit überraschendem Ergebnis. Wir Linken sind ja nicht unbedingt die Sieger der Geschichte. Aber dies ist ein Instrument, um einen Einmannkommunismus zu generieren.
Wie macht man das? Da haben wir bei Overton ein prächtiges Beispiel. Unsern Roberto pflegt einen herrschaftsfreien Diskurs und deswegen sind seine Interviews auch so ergiebig. Wobei ich nicht einmal weiß, ob er das bewusst macht.
Kompliment jedenfalls!
Wenn man sich das erbärmliche deutsche Schulsystem, das die spziale Herkunft reproduziert (OECD, u.v.a.m), ist ein agentischer Bottom-Up Ansatz zu kurz gesprungen. Man muss auch die Verhältnisse, sprich das Schulsystem verbessern.
Es gilt eine vernünftige Mischung aus Top-Down und Bottom-Up zu finden. Ein Weg allein wird immer zu wenig sein.
BTW: Es sollte allen klar sein, dass beide Ansätze Investitionen erfordern.
Ökonomisch hervorragend funktionierendes Land?
Von welchem Land spricht der Autor da?