Russland ohne Grautöne

Roter Platz
Gerd Eichmann, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

Der Moskau-Korrespondent Ulrich Heyden blickt auf sein Leben zurück und findet die Wurzeln der Anti-Kreml-Mentalität im Journalismus.

Mit Memoiren ist das so eine Sache. Wer hält sich selbst für so wichtig, dass er seine Erlebnisse zwischen zwei Buchdeckel presst? Wer soll das lesen, wenn Partner, Kinder und Enkel fertig sind? Und vor allem: Wer ist in der Lage, eine Geschichte zu erzählen, wenn er tatsächlich etwas Spannendes erlebt hat?

Ulrich Heyden hat all diese Zweifel überwunden und sich sogar auf dem Cover platziert. Ein skeptischer Blick nach links, die langen grauen Haare zerzaust vom Wind. Titel: „Mein Weg nach Russland. Erinnerungen eines Reporters“. Heyden, 1954 in Hamburg geboren, ist anders als die meisten Journalisten. Er hat einen Beruf gelernt und in Metallbetrieben gearbeitet. Die Arbeiter für den Sozialismus gewinnen: So hieß das damals, wenn man jung war und sehr weit links. Als der Westen seinen Endsieg feierte und die Genossen müde wurden oder grün und sich dem bürgerlichen Staat in die Arme warfen, ist Ulrich Heyden nach Osten gezogen. Er hat für den Deutschlandfunk gearbeitet, für den Tagesspiegel, für die Sächsische Zeitung. Sein Credo: neugierig sein. Offen für die Wirklichkeit.

Degenhardt im Herzen, Mao in der Tasche

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Dass das heute als Buchstoff taugt, sagt viel über den Journalismus in Deutschland. In Kurzform: Die Redaktionen daheim wussten, wie es in Russland und in der Ukraine aussieht. Sie wussten vor allem, dass der Westen überlegen ist. Durch diese Brille gab es schon in den 1990ern kaum Platz für Grautöne und schon gar nicht für Alla Pugatschowa. Ulrich Heyden berichtet, wie kalte Krieger in den Nullerjahren in die Chefredaktionen einzogen, bei ihm bald nur noch „bunte Themen“ bestellten und dann ganz kündigten. Zu wenig Euphorie beim Maidan, Klartext zum Gewerkschaftshaus in Odessa, Empathie für ermordete Russen im Donbass. Bitte nicht bei uns – schon gar nicht von jemandem, der auch bei RT deutsch publiziert. Selbst da, wo links draufsteht, ist heute kein Platz mehr für Ulrich Heyden.

Seine Memoiren sind mehr als diese Kurzform. Ulrich Heyden war mitten drin in einem Milieu, das mit den Vätern haderte, die den Krieg in sich vergruben, und das auch deshalb mit dem Sozialismus liebäugelte. Die Klassiker im Kopf, Rio Reiser oder Franz-Josef Degenhardt im Herzen und die Mao-Bibel in der Tasche. Ulrich Heyden schreibt, dass er als junger Mann den Roten Morgen abonniert hatte und die Pekinger Rundschau und außerdem die Deutsche Volkszeitung las und Links, das Blatt des Sozialistischen Büros. Der Vater steuerte, wie sollte es anders sein, ein FAZ-Abo bei. Die Hoffnung der Eltern stirbt zuletzt.

Dieser Vater ist Heydens Resonanzboden, bis zum Schluss. Das beginnt schon beim Vornamen, Ulrich-Wilhelm eigentlich nach dem Großonkel Graf Schwerin von Schwanenfeld, Offizier des 20. Juli. „Geschichtsverfälschung“ sagt der Neffe zum westlichen Blick auf den Widerstand. „Die größten Helden Deutschlands waren für mich Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch Christen und Humanisten“, die Weiße Rose zum Beispiel (S. 33). Heydens Vater ist im Winter 1941 als Offizier fast bis Moskau gekommen. Er hat daheim als Kind und Jugendlicher erlebt, was er nun im Alter verallgemeinern kann: Viele Kriegsteilnehmer haben die Niederlage „nie verwunden“ (S. 45) – mit Folgen für das Hier und Jetzt, weil „westliche Führungskräfte“ meist nur genau dies mit Russland verbindet. Papa und Opa haben dort verloren. „So kommt es, dass einem westdeutschen Chefredakteur die Hand keine Sekunde zittert, wenn es darum geht, einem ‚Putin-nahen‘ Korrespondenten den Laufpass zu geben“ (S. 265). Dass die „sowjetische Zivilbevölkerung“ genau wie die „Vernichtung der Juden in der Sowjetunion“ in den Familienerzählungen nicht vorkamen, schiebt Heyden auf eine „Nazi-Propaganda“, die den Gegner „dämonisierte“ und zu einer „Masse“ formte (S. 10f.).

Verengung des Debattenraumes

Hannes Hofbauer, der Promedia-Verleger, hat mir das Buch als Mediengeschichte schmackhaft gemacht. Man könne dort studieren, wie jemand wegen seiner Ukraine-Position nach und nach von den allermeisten Plattformen verdrängt worden sei. In der Tat: Ulrich Heyden steht wie kaum ein anderer Reporter für die Verengung des öffentlichen Debattenraumes. Es geht dabei gar nicht um irgendeine „Putin-Nähe“. Ausgewogenheit hatte sich dieser Journalist auf die Fahnen geschrieben. Genau hinschauen, auch im Alltag, auch bei den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite stehen und deshalb gerade von den Leitmedien in aller Regel übersehen werden. Das Ende hat sich schon vor dem Maidan angekündigt. Die Sächsische Zeitung, mit einer Monatspauschale von 1500 Euro Heydens wichtigstes Standbein, gab ihm 2013 den Laufpass, nachdem die Redaktion schon eine Weile gemäkelt hatte. Heyden begründet das auch mit Wechseln in der Leitungsebene. Hans Eggert, Chefredakteur von 2002 bis 2007, ein alter Dresdner, der das Handwerk in der DDR gelernt hat, wurde von Uwe Vetterick ersetzt, zwar auch ein Ostdeutscher, aber bei Bild gewissermaßen auf Linie gebracht (S. 230).

Ein Konzernblatt, okay. Wirklich gewundert hat mich das nicht, genau wie die „Einmischungsversuche“, die Ulrich Heyden ab den späten 1990ern beim Tagesspiegel erlebte und beim Deutschlandfunk. Für die Berliner Postille war die Ukraine schon damals ein „unterdrücktes Land“. Heyden: „Diesen Eindruck gewann ich zumindest, als ich für die Zeitung einen Artikel schrieb, in dem ich Russland und die Ukraine gleichgewichtig“ darstellte (S. 139). Beim Hörfunk war das nicht viel anders: „Für die meisten DLF-Redakteure stand fest, dass das politische und kulturelle System im Westen den Verhältnissen in Russland überlegen war. Und das sollte immer wieder dokumentiert werden“ (S. 140).

Einblicke in den Russlandjournalismus

Wirklich spannend wird es da, wo Ulrich Heyden in eine Medienszene blickt, die sich dem Kommerz und damit auch den Wünschen des Staates verweigern könnte. Sein Fazit: Pustekuchen.

  • Die Wochenzeitung in Zürich, links, mochte 2015 eine Telepolis-Überschrift nicht, in der Heyden von einem „Mordanschlag“ in Lugansk sprach (S. 234).
  • Das Antifaschistische Infoblatt stornierte 2017 einen Auftrag, weil jemand bemerkt hatte, dass dieser Heyden auch für RT deutsch arbeitet (S. 235).
  • Analyse und Kritik klappte offiziell aus dem gleichen Grund „die Ladentheke“ hoch, um „nichts aus der Sicht der Donbass-Bevölkerung“ veröffentlichen zu müssen und so womöglich als „pro-russisch“ dazustehen (S. 236f.).
  • Das Neue Deutschland meinte 2017, in eine Krimreportage ohne jede Rücksprache die Formel „Annexion durch Russland“ einfügen zu müssen (S. 237).
  • Und der Freitag, 30 Jahre eine Heimat für den Autor Ulrich Heyden, machte im Februar 2022 nach einem Lawrow-Porträt Schluss, das der Erzählung vom Allein-Entscheider Putin widersprach (S. 259). Die Chefredaktion hatte vorher jahrelang tatenlos mit angeschaut, wie Ulrich Heyden in der Freitag-Community von drei Ukraine-Fans „regelrecht gejagt“ wurde (S. 261).

Mindestens genauso wichtig wie solche Einblicke in den Russlandjournalismus ist die Geschichte vom Zerfall der westdeutschen Sozialismus-Blüte, die dieser Reporter am eigenen Leib erlebt hat. Er führt den Leser zurück in die „weltweite Familie von Revolutionären“ (S. 87), in der es normal war, den Kriegsdienst zu verweigern, rund um die Uhr für die Genossen und die Sache da zu sein und dabei auch zu riskieren, dass man als Lehrling nicht übernommen oder als Älterer „an die frische Luft gesetzt“ wurde (S. 89). Heyden war im Kommunistischen Bund, hat es dann in Hamburg mit der Grün-Alternativen Liste versucht und erlebt, wie sich die Mitkämpfer nach und nach verabschiedeten. „Wer wollte, konnte Karriere machen. Die Unternehmen zeigten sich offen für ehemalige Revolutionäre. Man musste nicht unbedingt reumütig sein. Es reichte, wenn man auf politische Betätigung verzichtete“ (S. 94). Ulrich Heyden hat an der HWP studiert und sich als Trainee beim Spiegel versucht, durch Vermittlung des Vaters, wie sonst. Es hat ihn nicht überzeugt. Heute ist Russland Teil seiner Identität. Wer die Nachdenkseiten liest, die Junge Welt oder RT, wird dafür dankbar sein.

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40 Kommentare

  1. Was heißt “Karriere machen”? Überhaupt mal einem Beruf in einem festen Job nachgehen. So war zumindest meine Entscheidung. Allerdings war ich in keiner K-Gruppe, bin einige Jahre jünger als Ulrich. Dann verabschiedeten sich tatsächlich Mitstreiter, während es von den Alternativen Listen zu den Grünen überging. In Berlin dauerte es etwas länger als anderswo und die Mehrheit war gegen den Jugoslawien-Krieg. Nach dem Mauerfall schaffte es die Linke nicht mehr, sich jenseits der Anpassungsströmungen oder Anpassungsfluchten (Realos in Grünen und PDS, Antideutsche, NGOs) neu aufzustellen. Wer hat sich da alles verraten lassen?!

    Dass der ‘Freitag’ Ulrich Heyden gekündigt hat, erfahre ich erst jetzt. Ungefähr so lange, wie er dort sein Geld verdient hat, habe ich in allen Lebenslagen mein Freitag-Abo aufrechterhalten. Es wird Zeit, es zu beenden: Titelgeschichten des ‘Freitag’ heute: “Zivilgesellschaft voller Hoffnung, die neue Demokratiebewegung” sei jenseits von links und rechts; Lösung für Palästina jenseits der 1- oder 2-Staaten, sondern der Fürst von und zu Liechtenstein…; der Rausschmiss der Journalistenkollegin bei der Süddeutschen, weil sie Weidel und Aiwanger kritisch sah, sei ein “Copy-Paste Problem”. So driftet ein Zeitungsbesitzer in das Nirwana seiner gärtnernden Altersteilzeit…

    Für den Freitag gibt es leider keinen Ersatz.
    Junge Welt = Steinzeit-Voodoo stinklangweilig / über die antideutsch geprägten Opportunisten, AK usw., gar nicht zu reden / und die bekannten verdienstvollen Internet-Medien sind halt doch unterfinanziert: abgehackt, schnellschüssig, schnell runtergeschrieben, verwilderte Foren; die Nachdenkseiten außerdem mit folgenreichen Verirrungen wie z. B. “Lügenpresse”, die sie nicht aufgearbeitet haben

    Ich weiß nicht, ob das in Ulrich Herdens Schilderung des Niedergangs der Medien so vorkommt.

    1. Verwechseln Sie vielleicht die „Junge Welt“ mit der „jungle world“? Die haben ja gemeinsame Wurzeln. Inzwischen tummeln sich im Dschungel die „Antideutschen“, die „Junge Welt“ hat erkennbar noch alle Tassen im Schrank. Höchstens Ihr Attribut „stinklangweilig“ lasse ich widerwillig gelten: Ständig mit seiner eigenen Meinung konfrontiert zu werden ähnelt dem Versuch, sich stundenlang im Spiegel zu betrachten. Andererseits: die Nachdenkseiten sind Ihnen auch nicht recht… Hm, da müssen Sie vielleicht ein eigenes Blog aufmachen.

  2. Ja, die heutige europäische Linke wäre vermutlich in den meisten Staaten der Welt als “rechte Truppe” eingeordnet worden. Ähnliches, was für Zeitungen gilt, gilt ja auch für “linke” Parteien. Die Linke mit ihrer Unterstützung der Regierung, sowohl bei Corona als auch beim Ukrainekrieg. Die ÖkoLinX, als “links”radikale Kleinstpartei, die ebenfalls gegen Russland hetzt und bei Corona stramm an Seiten der Regierung stand und selbst die MLPD, eine weitere “linke” Kleinstpartei, die zumindest bei Corona noch krasser als die Regierungslinie war.
    In vielen anderen Punkten vertreten “linke” Parteien in Europa bestenfalls liberale, oftmals aber auch klassisch rechte Positionen (Waffenlieferungen, Kriege, mehr Überwachung, usw.). In anderen Ländern sind diese Positionen bei den linken Parteien viel seltener zu finden, oftmals stehen deren Postionen diametral denen der europäischen Linken gegenüber.
    Ich denke das hat zwei Gründe:
    1. Die europäische Linke hat aufgrund ihrer Dekadenz und Überflüssigkeit eine Art systematischen Narzissmus entwickelt, der sich darin äußert, dass nur diejenigen, welche die reine Lehre vertreten, würdig sind “Links” genannt zu werden. Das ist natürlich unmöglich und deshalb sind alle rechts (außer der eigenen Sekte).
    2. Über die Jahre hat man den Kontakt mit der arbeitenden Bevölkerung verloren. Man hat anfangs noch Marx und Engels gelesen, aber dies nie praktisch verwenden müssen. Gleichzeitig hat man die aus den USA kommenden Strömungen der Woken Ideen (Feminismus, Transgender und Klima) als Links definiert (was eigentlich klassisch liberale Themen sind) und den Klassenkampf damit ersetzt, da die woken Themen ja auch viel näher an der Lebenswirklichkeit der “Linken”, die ja meist an den Unis oder im sozialen Sektor beheimatet sind.

    Der Unterschied zu den nichteuropäischen Linken ist, dass diese zumeist aus der Arbeiterschicht kommen, Krieg und Unterdrückung kennen (größtenteils intervenierten in dem betreffenden Land ja die USA oder ihre Freunde) und keine Zeit für das pudern der eigenen Eitelkeit haben, weil sie ansonsten am nächsten Tag tot sein könnten.
    Gleichzeitig ist der Sozialismus dort stramm männlich, Frauen nehmen dort oft nur eine unterstützende Position ein, weswegen, Feminismus und Transgender dort ablehnend gesehen wird.

    1. “Die europäische Linke hat aufgrund ihrer Dekadenz und Überflüssigkeit eine Art systematischen Narzissmus entwickelt …”

      Da ist was drann, das wird auch verständlich wenn man berücksichtigt, dass es der Kapitalseite gelang der Arbeitsseite Zufriedenheit abzukaufen indem das Ausbeutungsverhältnis ins Ausland verlagert wurde – die Linke das nicht oder nur am Rande zur Kenntnis nahm. Ihr traditionell revolutionäres Potenzial ist der Linken damit verloren gegangen. Ersatzkämpfe waren die Folge (Gendern, Woken usw.), die allesamt Ablenkung vom eigentlichen Hauptkampf sind. Der Gegner ist das Kapital mit seiner Freiheit (seinem liberalen Recht) sich unbehindert und unbeschränkt durch Arbeitskraft zu bereichern (der Finanzkapitalismus meint ja das Bereichern gehe auch ohne Arbeit, aber da entstehen lediglich Blasen, die früher oder später platzen).

      Mit der Zufriedenheit auf Seiten der Arbeitskräfte geht es nun aber infolge Deindustrialisierung und Umstellung auf Kriegswirtschaft langsam zu Ende. Die Verteilungskämpfe um die knapper werden finanziellen Mittel beginnen bereits. Eine Linke spielt dabei keine Rolle mehr, das haben die Populisten übernommen. Um sich erneut erfolgreich ins politische Geschehen einmischen zu können wäre zuerst eine Standortbestimmung im globalen Kapitalismus notwendig, und da wird es ohne geopolitische Ansätze nicht gehen können, ebensowenig sollten taktische Bündnisse mit populistischen Richtungen nicht ausgeschlossen sein.

      1. “Da ist was drann, das wird auch verständlich wenn man berücksichtigt, dass es der Kapitalseite gelang der Arbeitsseite Zufriedenheit abzukaufen indem das Ausbeutungsverhältnis ins Ausland verlagert wurde – die Linke das nicht oder nur am Rande zur Kenntnis nahm. Ihr traditionell revolutionäres Potenzial ist der Linken damit verloren gegangen.”
        Ja natürlich, das ist mir natürlich auch bewusst, nur ändert es ja nichts an der Sache. Das ist immer da Problem mit Organisationen oder Ideen die ihre Ziele verloren haben, die lösen sich nicht auf, sondern werden extremer und/oder suchen sich neue Ziele.
        Allerdings finde ich natürlich interessant, dass es die europäische Linke bei ihrer Pseudo-Kapitalismuskritik, nie verstanden hat, dass sie selbst immer schon Nutznießer dieses Kolonial-Kapitalismus war und im Prinzip das Leben der echten Linken des Südens mit ihrer Ausbeutung um so schwerer gemacht hat.

        “Mit der Zufriedenheit auf Seiten der Arbeitskräfte geht es nun aber infolge Deindustrialisierung um Umstellung auf Kriegswirtschaft langsam zu Ende.”
        Das mag sein, aber das Kapitel ist vorbei. Ich glaube nicht, dass es in den nächsten 50 Jahren noch einmal möglich sein wird, eine echte Idee eines Klassenkampfes zu entfachen. Zu sehr ist die europäische Linke dem Kapital und der Regierung in den Hintern gekrochen, als dass sie wieder neu entstehen könnte. Europa ist rechts und das wird es bleiben. Linke Ideen werden aus dem Rest der Welt kommen, nicht mehr aus Europa.

        1. “Linke Ideen werden aus dem Rest der Welt kommen, nicht mehr aus Europa.”

          Ja natürlich, aber die kann man ja unterstützen. Das ist doch besser als alles schwarz zu malen.

          1. Ich bin mir unsicher, ob diese “Unterstützung” wirklich hilfreich ist. Vor allem muss man sich fragen, ob man wirklich unterstützen will oder wieder nur Vorgaben machen möchte. Die meisten die unterstützen wollen, werden am Ende doch eher versuchen den Boss zu spielen. Und das braucht wirklich niemand. Es gar nach dem Ukraineputsch 2014 einige hundert Linke, die nach Donezk und Luhansk gegangen sind, um dort gegen die Ukronazis zu kämpfen. Als einfache Kämpfer, ohne Privilegien. Denen würde ich das abnehmen, aber den meisten anderen europäischen Linken würde ich das nie abnehmen. Hab schon zu viele kennengelernt. Die meisten labern lieber und arbeiten ungerne. Am Ende wollen auch die Linken genau wie die Rechten am lieben Führer spielen. Und das ist genau die Art von Leuten, die keiner braucht.

            1. “Am Ende wollen auch die Linken genau wie die Rechten am lieben Führer spielen.”

              Eine liberal-individualistische Einstellung ist bei vielen Linken unverkennbar, auch verkrachte Avantgardisten.
              Bloß für die kommenden Auseinandersetzungen von herrschenden Linksliberalen gegen oppositionellen Populisten sollten sie sich für eine Seite entscheiden. Die herrschenden Linksliberalen sind von den Mächtigen vereinnahmt worden, also bleibt nur die Seite der Populisten – vielleicht in einer “dienend führenden” Rolle, um sie nicht den Völkisch-Nationalen zu überlassen.

          2. @ garno

            Ja natürlich, aber die kann man ja unterstützen. Das ist doch besser als alles schwarz zu malen.

            Es geht auch beides parallel. 😉
            Paint it black.

            1. Für die liberal-individualistische Ideologie (von den Herrschenden Demokratie genannt) sehe ich auch schwarz, aber nicht für die Zukunft allgemein. Liberalismus und Kapitalismus sind halt die Zutaten für unbeschränkte Herrschaft des Kapitals, was ja eigentlich das Gegenteil von Demokratie (Herrschaft des Volkes) ist.

    2. “” Der Unterschied zu den nichteuropäischen Linken ist … größtenteils intervenierten in dem betreffenden Land ja die USA. “”
      Dann besteht wieder Hoffnung – oder?
      Denn was tun die USA anderes, als ungefähr täglich in Deutschland intervenieren?
      Das tun sie so krass, dass es bald sogar der deutsche Michel (auch der aus der Arbeiterschicht, den du meinst) merken wird.

      “” Gleichzeitig ist der Sozialismus dort stramm männlich “”
      Weiß ja nicht, welche Länder Du meinst?
      Wenn der Realsozialismus dazu zählt, dann ist der sehr weiblich! Vor allem in der ex-Sowjetunion, heute Russland.

    3. Über die Jahre hat man den Kontakt mit der arbeitenden Bevölkerung verloren.

      Aber hallo! Sie können doch der deutschen Linken nicht die Borniertheit und umfassende Affirmation des bestehenden Kapitalismus durch die deutsche “arbeitende Bevölkerung” vorwerfen, die ihre kleinbürgerliche Weltsicht (“man kann ja doch nichts machen”; “geh’ erstmal arbeiten”) unverdrossen aus dem Hetzblatt BILD-Zeitung bezieht.
      Noch dazu, wenn diese deutsche Linke, wie am Beispiel Ulrich Heyden illustriert, zwischenzeitlich in die Betriebe ging, um diesen “Kontakt” herzustellen. (Und die Leitungsebene in der DDR stammte ja in erheblichem Maße sogar selbst aus der Arbeiterschaft.)

      Die deutsche “arbeitende Bevölkerung”, die im 19. Jahrhundert fürwahr einen neuen Menschentypus bzw. Leitbild geschaffen hat, nämlich den Genossen (den haben nicht Marx oder Lenin “erfunden”, sondern die entstehende Arbeiterbewegung selbst), hat selbst radikal mit ihrer eigenen Tradition gebrochen.

      1. @ Besdomny
        Wahre Worte.
        Als Zeit meines abhängig beschäftigten Arbeitslebens, wohlweislich auch in traditionell verrufenen linken Gewerben, konnte ich so gut wie keine der ach so beschworenen Solidarität und des linken Gedankengutes erkennen. Nun, es kann natürlich an meiner mangelnden Sensibilität oder den falschen Betrieben gelegen haben. Die Facharbeiterschaft wählte zwar gerne SPD, war ansonsten aber kleinbürgerlich-rechts orientiert. Links gab man sich verbal in der Regel nur so lange bis eine einträgliche Pfründe wie beispielsweise ein Betriebsratssitz nebst Beförderung und erhöhter Vergütung erfolgte.

  3. Ich war auch zeitlebens eine doppelte Gefahr für die Demokratie. Früher demonstrierte ich gegen den Vietnamkrieg (den Stellvertreterkrieg der USA gegen China) und gegen Notstandsgesetze und war gegen Monopolkapitalismus und für Direkte Demokratie, und galt deshalb als Linksextremist, heutzutage demonstriere ich gegen den Stellvertreterkrieg von USA und Nato gegen Russland, gegen Corona- und Klimawandel-Notstandsgesetze, gegen Globalisierung und für Direkte Demokratie. Ich habe also meine Haltung um keinen Deut geändert, gelte jetzt aber für das System als Rechtsextremist, (gleichzeitig aber als Achtundsechziger für manche Rechte als Linksextremist). Was konnte ich daraus lernen?
    Es ist die “Mitte”, die herrschende Klasse, die durch ihre Marionetten, die sogenannte “Elite” mit allen Mitteln ihre Macht verteidigt und Demokratie nur so lange simuliert, solange es ihr nützt, und alle demokratischen Prinzipien über Bord wirft, wenn sie gefährdet ist, und mit Lüge und Hass agiert, um die Bevölkerung zu spalten und aufzuhetzen und ihre “Feinde” zu eliminieren. Von Gegnern sprechen sie nie. Ich bin gespannt, wann die Notstandsgesetze aktiviert werden, und auf Demonstranten geschossen wird.

    1. @ Torwächter

      Sehr treffend zusammengefasst. Früher hieß es: „Ein schlaues Wort, schon biste Kommunist.“ Heute sagt man: „Wird der Wähler unbequem, schimpft man ihn schnell rechtsextrem.“

      Ansonsten erkenne ich mich in Ihren Schilderungen ein Stück weit wieder – denn auch ich bekomme regelmäßig solche Etiketten angeheftet, von „Anarchist“ über „Verschwörungstheoretiker“ bis zum obligatorischen „Nazi“. Für manche bin ich auch einfach nur ein „krankes Schwein“. Nun – ich bin gerne ein Schwein in der Herde Epikurs. Schweine sind nämlich klug, sehr sozial und sauber (solange man sie nicht mit x tausend ihrer Artgenossen in einen „Stall“ pfercht). Als Schwein ist man ergo so ziemlich das Gegenteil der regierenden Kaste.

      Allerdings würde ich die „Eliten“ nicht als Marionetten der herrschenden Klasse bezeichnen. Die Bourgeoisie sieht sich ja selbst als die Elite und setzt sich ja auch aus den Spitzen der politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen… Metiers zusammen. Im Sinne Agnolis sind doch eher die Abgeordneten und Mikrofonhinhalter die Sprechpuppen und Sprachrohre der Herrschenden.

      Und natürlich wird nie von „Gegnern“ gesprochen, sondern stets von „Feinden“. Einen politischen (oder wie auch immer gearteten) Kontrahenten als „Gegner“ wahrzunehmen, setzte ein agonistisches Politikverständnis voraus. Das der Herrschenden ist aber antagonistisch und demgemäß darauf ausgerichtet den als Feind identifizierten Anderen – wie Sie zurecht schreiben – zu eliminieren.

      Abschließend – auf Demonstranten wird ja bereits geschossen und geknüppelt. Sei es heute auf die Gelbwesten oder damals beim Bloody Sunday oder Schah-Besuch. Die Gegenrevolution ist längst in vollem Gange. Wann die Knüppel vollends losgelassen werden, wird sich dann erweisen…

      1. @ Altlandrebell
        Meine Empfehlung: Betrachten Sie sich doch einfach als Freidenker.
        Nazi, Grüner, Lumpenpazifist, Linker, Rechter, Kommunist etc. pp.
        Eine entsprechende Trigger-Bemerkung und man wird dann generalisiert verschubladisiert. Was solls, auch wenn es manchmal wehtut und man meint sich erklären zu müssen.

      2. @Altlandrebell:
        Ich frage mich manchmal sehr naiv:
        Wer sind eigentlich „die Herrschenden“?
        Woraus besteht „die herrschende Klasse“?
        Parteipräsidenten? Bürgermeister? Abgeordnete? Minister? Adlige? Kleinaktionäre? Großaktionäre? Vorstände? Aufsichtsräte? Bischöfe? Rektoren? Professoren? Offiziere? Chefredakteure?
        Es sind so viele, die Einfluss haben.
        Aber wer von ihnen herrscht über uns?

        1. wäre interessant, da mal Literatur zusammenzustellen, die Roß und Reiter nennt.
          In Vuillards “Ein ehrenhafter Abgang” bekommt man z.B. einen mit Namen und Firmen gespickten Einblick in die Großbourgeoisie der Kriegsgewinnler des französichen Kolonialkrieges in Vietnam. Da taucht auch die helfende amerikanische Hand auf in Form von Alan Dulles, ein weiterer Clan, der den Kagans heute durchaus als Vorbild dienen könnte.

        2. @ Prosecco

          Wer sind eigentlich „die Herrschenden“?

          Eine – meiner Meinung nach – gar nicht so einfach zu beantwortende Frage.

          Man sollte auf jeden Fall nicht den Fehler begehen sich die herrschende Kaste als einen fixen Idealtypus oder eine homogene Gruppe vorzustellen – à la „das eine Prozent da an der Spitze“. Das wäre unterkomplex und letztlich auch sachlich falsch. Die herrschende Klasse ist dynamisch und heterogen – sie zerfällt in diverse Fraktionen, deren Stärke und Zusammensetzung sich je nach Zeit, Ort, Anlass etc. sehr unterschiedlich gestalten kann. In Reinhard Meys Lied „Sei wachsam“ von 1996 beispielsweise musste noch „der Minister den Bischof am Arm nehmen“ – heute ist der Einfluss der Kirchen dagegen zugunsten anderer Akteure massiv zurückgegangen. Einmal erlangter oder ererbter Zugang zur Herrschaftsschicht garantiert nicht den Verbleib in der Kaste oder den Schlüssel zu dauerhafter Macht. Vielmehr unterliegt auch das Spiel an der Herrschaftsspitze mutmaßlich den Prinzipien des „freien Marktes“ – hire und fire. Wer sich nicht anpasst und sich nicht vermarktet, wer nicht austeilt und Konkurrenten ausschaltet, wird an den Rand oder ganz hinausgedrängt. Insbesondere wenn er die falschen Themen besetzt und abweichende oder sonst wie „gefährliche“ Meinungen vertritt.

          Insgesamt würde ich sagen, dass sich die Herrschaftsschicht aus zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung zusammensetzt, wobei sich selbstverständlich nicht alle gleichermaßen in den Vordergrund drängen, überhaupt ihre Macht dezidiert ausüben oder permanent Einfluss formen. Stellen wir uns die Kaste also am besten als fluiden Komplex vor – als militärisch-ökonomisch-juristisch-politisch-medial-kulturellen (usw.) Entertainment Komplex. Eine vielschichtig gewobene Struktur, in der mal der eine mal der andere Knoten dominiert. Und in den Nuklei dieser Knoten stoßen wir auf diejenigen, die große Macht, besonderes viel Prestige, Privilegien etc. anhäufen konnten. Ein maßgebender Vertreter des politischen Nukleus war beispielsweise lange Zeit Martin Selmayr, der Kabinettschef Jean-Claude Junckers. Er zog aus dem Hintergrund die politischen Fäden – und der im Rampenlicht stehende Juncker an der Flasche. Ein anderes Beispiel wäre Alan Dulles, den @ Ah So als Beispiel für den Nukleaus des Sicherheitsapparats anführte.

          Um diese Schicht herum kommen dann noch die gepamperten Milieus und die derjenigen, die dazu gehören wollen oder schlicht ihren Frieden mit dem System gemacht haben. Das sind nochmals 20, 30, 40 % der Gesamtbevölkerung. Und das sind dann auch die Leute, aus der die herrschende Klasse für ihre momentan laufenden pro-systemischen Proteste – den Aufmarsch der Angepassten – ihre Fußtruppen rekrutiert. Wobei rekrutiert das falsche Wort ist – die meisten meldeten sich ja freiwillig.

          Aber wer von ihnen herrscht über uns?

          Wenn Sie nach genauen Namen suchen – damit kann ich Ihnen nicht ad hoc dienen. Neben den „Selmayrs“ (politischer Nukleus) hätte man aber sicher die „Springers“ (medialer), „Klattens“ (ökonomischer) usw. usf. zu nennen.

          Aber etwas weniger spezifisch formuliert würde ich sagen: Es herrscht die jeweils gerade dominierende Elitenkoalition. Diese Koalitionen sind temporäre Interessen-Verbindungen aus den genannten Bereichen Wirtschaft, Politik, Medien, Militär… Zwei oder mehr Fraktionen tun sich zusammen mit dem Ziel bestimmte „Projekte“ gesellschaftlich durchzusetzen. Beispielsweise den Umbau des Industriestandorts in einem bestimmten Sinne. Oder das Vorantreiben einer spezifischen Form der Digitalisierung. Natürlich ist dabei zu berücksichtigen, dass immer alles in den Grenzen des Sagbaren, also den Grenzen des Systems abzulaufen hat – pro-kapitalistisch, pro-imperialistisch (EU / NATO), pro-identitär… Und es hübsch demokratisch aussehen muss, die Mächtigen aber stets die Zügel in der Hand behalten müssen. Ihre Transmissionsriemen sind dabei die sogenannten „Parteien“ und “Institutionen” (wie EU-Kommission, EZB etc.).

          Mitunter sind diese Fraktionen und Koalitionen wohl auch transnational strukturiert oder haben zumindest Partner und / oder Gönner und Mäzene im Ausland. Eine bekannte Fraktion in Deutschland ist beispielsweise die anti-fossile Gruppe, welche die Grünen (aber auch Teile von FDP und SPD) in der Bundesregierung unterhält und obendrein äußerst anti-russisch ist. Sie ist m.E. für die Sprengung der Nord-Stream-Rohre verantwortlich. Vor der Wahl 2021 ging sie mit anderen Fraktionen, die ebenfalls anti-russisch und an einem „progressiven Umbau“ des Landes interessiert sind, eine Koalition ein, wobei diese nicht so hardcore anti-fossil aufgestellt waren, aber den Kurs aufgrund Interessenkongruenz in anderen Feldern mitgehen.

          Es sind so viele, die Einfluss haben.

          Ja, aber nicht alle gleichermaßen. Formal kann beispielsweise auch ein Professor oder Offizier durchaus einflussreich sein. Gerade wenn er die en vogue seiende und von einer dominierenden Kartell-Fraktion getragene Lehre verbreitet, kann er sehr viel Macht und Prestige bekommen und halten. Doch verstößt er gegen eine oder mehrere Glaubenssätze des Systems (Bhakdi, Meyen…), ist er sehr schnell ein Verfemter und weg vom Fenster.

          Minister, Bürgermeister und Abgeordnete sind nur das Bodenpersonal des Demokratie-Zirkus. Adlige (eher Geld- als Blutadel, wobei das ja mitunter zusammenfällt), Vorstände, Medienmogule, Industriebarone, Minister etc. sind dagegen gute Kandidaten für Repräsentanten der jeweiligen Nuklei. Gerade beim Geldadel weiß man ja, dass er über Jahrhunderte seinen Einfluss konservieren und an seine Nachkommen weitergeben kann. Wenn Sie also in eine Großunternehmerdynastie geboren sind (oder passend eingeheiratet haben) ist ihre Wahrscheinlichkeit an die Schalthebel der Macht zu kommen deutlich größer als wenn sie Busfahrer oder Chefredakteur des Tagblatts in Quassel an der Strippe sind.

          Das sind soweit nur meine Gedanken. Müsste da vielleicht nochmals tiefer reingehen. Vielleicht möchten auch die soziologisch und klassentheoretisch versierteren Mitstreiter aus dem Forum noch ein paar Gedanken und Kritiken zu beisteuern.

          Gruß
          Altlandrebell

          1. Es herrscht die jeweils gerade dominierende Elitenkoalition.

            Gibt’s auch andere als dominieren Eliten? Vielleicht weiße Schimmel, Fußpedale, Haarfrisuren, Cuttermesser? Außerdem: Was ist eine Elite? Die Gesellschaftsschicht, die herrscht. Wer herrscht? Die dominierende Elite. Also ein Zirkelschluss mit einem Pleonasmus obendrauf.

            Ich finde deine Ausführungen überkomplex.

            Wer sind eigentlich „die Herrschenden“?

            Diejenigen mit der politischen und ökonomischen Macht, also die Funktionäre von Staat und Kapital. Nicht das Fußvolk, sondern diejenigen die Politik der Nation bestimmen bzw. die Strategie und Ausrichtung eines Unternehmen/Konzerns. Das sind keine 10% der Bevölkerung. Weniger als 1%. Man sollte sich fragen und kritisieren, was die Herrschenden machen. Wer das genau in welchem Umfang und Zusammensetzung ist, bringt irgendwie wenig Erkenntnisgewinn.

            Schweine sind nämlich klug, sehr sozial und sauber

            Manchmal wälzen sie sich auch im Schlamm. Aber nur um Ungeziefer loszuwerden oder die Körpertemperatur zu regulieren. Also nicht, weil es von Natur aus Dreckschweine sind. 🙂

            1. @ Krim

              Danke für Ihre kritischen Einwände.

              Gibt’s auch andere als dominieren Eliten?

              Nun, ich schrieb gestern schon bewusst von Elitenkoalition. Für mich gibt es nicht „die“ Eliten, diese Gruppen sind für mich allesamt nicht homogen. Sie definieren „Elite“ wohl zuvorderst im Sinne einer herrschenden, mächtigen Gruppe – ich dagegen anknüpfend an @ Prosecco schlichter im Sinne von „Leute, die Einfluss haben“, „Leute, die Privilegien besitzen“.

              Bei Manfred G. Schmidt wiederum findet sich die Definition von Elite als „eng begrenzter Kreis von Personen, den hervorgehobene gesellschaftliche Position und erheblicher Einfluss auf gesellschaftlich bindende Entscheidungen kennzeichnen“ sowie der Hinweis auf Elitenkartelle als Zusammenschluss von verschiedenen Eliten zur Domänen-, Markt- oder – so möchte ich ergänzen – Machtabschirmung. Und wenn man eben die Existenz verschiedener Eliten und ihre Wandelbarkeit über Zeitperioden voraussetzt, dann wird deutlich, dass diese unterschiedliche Fertigkeiten und Positionen einnehmen – ergo es auch nicht dominierende, im Abstieg begriffene „Eliten“ geben kann (auch wenn die Wortkombination vielleicht zunächst verwirrend erscheint). Denken Sie nur an den Klerus – früher waren Bischöfe und Kardinäle zweifellos nicht bloß die Elite des zweiten Standes, sondern auch gesellschaftlich sehr einflussreich. Doch heute stehen sie eher auf dem absteigenden Ast (was nicht heißt, dass sie unbedeutend oder arm seien).

              Aber nur weil man Einfluss und / oder Privilegien besitzt, verfügt man nicht automatisch über die vollumfängliche Kontrolle oder kann alles entscheiden. Deswegen geht man Koalitionen und Absprachen mit anderen Eliten-Gruppen ein.

              Diejenigen mit der politischen und ökonomischen Macht, also die Funktionäre von Staat und Kapital.

              Sorry, aber da gibt es für mich schlicht noch mehr Gruppen. Medien, Militär, Kulturapparat. Man spricht auch nicht umsonst von Wert- und Kultureliten etc.

              Und zwischen Spitze und Fußvolk (mindestens) einen managenden Mittelbau.

              Wer das genau in welchem Umfang und Zusammensetzung ist, bringt irgendwie wenig Erkenntnisgewinn.

              Kommt wohl u.a. auf den Sachverhalt und die Ziele an. Wenn man die herrschende Struktur überwinden will, muss schon wissen, ob man es nur mit einem ominösen „ein Prozent“ oder einem Zwiebel-System zu hat, das man erst einmal zu häuten hat. Ich sage: das System ist wie eine Zwiebel mit einem Nukleus (jaja, Zwiebeln sind kein Kernobst) von Entscheidungsträgern in seinem Zentrum. Wie groß der genau ist, kann ich natürlich auch nicht konkret beziffern, das waren jetzt nur Annahmen. Ich bin ja beileibe nicht Teil der Elite, kann mich ergo auch nur auf Beobachtungen stützen.

              Gruß
              Altlandrebell

          2. @Altlandrebell:
            Danke für Ihre Antwort. Sie scheint mir die komplexe Realität gut abzubilden. Die Mitherrschenden sind zahlreich vertreten, diesen Befund unterschreibe ich. Es ist also ziemlich schwierig, über Herrschaftsverhältnisse zu schreiben. Es geht fast nicht ohne endlose Diskussion. Sie haben das mit Ihrer differenzierten Antwort demonstriert. Jeder, der Macht hat und sie ausübt, ist ein Herrschender. So gesehen ist die Gesellschaft voll von Herrschenden. Bleibt die Frage: Wer ist der Gegner? Wer ist der Feind? Wer dabei nur an die Eliten denkt, wird der komplexen Realität nicht gerecht. Man muss auch an das Fußvolk denken.

            1. @ Prosecco

              Danke für Ihre Rückmeldung.

              So gesehen ist die Gesellschaft voll von Herrschenden.

              Nun, voll davon ist sie sicher nicht, aber das Feld der Herrschenden ist auf jeden Fall größer als das so ominöse wie vielzitierte „eine Prozent“. Und es ist eben komplexer als ein bloßer Begriff wie „herrschende Klasse“, „System“ etc. sagt (die auch ich aus Vereinfachungsgründen oft verwende).

              Bleibt die Frage: Wer ist der Gegner? Wer ist der Feind?

              Kommt auf die Perspektive an. Aus Sicht der Beherrschten ist es „das System“. Und das ist eben Herrschende + Mittelbau + Fußvolk etc. Um die Herrschenden herum gibt es verschiedene (Zu)Träger und Stützer – praktisch wie in konzentrischen Kreisen um die Nuklei in der Mitte angeordnet. Alle zu identifizieren, ist sicher nicht einfach. Aber man kann zumindest – als ein erster Schritt – den gängigen Parolen der Herrschenden und ihren Glaubensbekenntnissen (Neoliberalismus, Transatlantizismus, Wokeismus etc.) entgegentreten und aufklären. Auch wenn es wie ein Kampf gegen Windmühlen erscheint.

              Und will man diese Kerne sprengen, braucht man natrülich sehr viel Kraft, Ausdauer, Geschick – und letztlich wohl auch selbst Macht sowie einen sehr langen Atem. Deswegen haben Revolutionen in der Regel auch nur Erfolg im Moment des Kataklysmos (Krieg, Naturkatastrophe, sonstige menschlich- oder natürlich-induzierter Crashs). Und nicht einmal dann ist gesichert, dass auf die erfolgreiche Revolution und den Sturz des grausamen Ancien Régimes, nicht dessen Wiederauferstehung in mehr oder weniger ähnlich grausamer und autoritärer Weise erfolgt – in Gestalt einer Art “Nouvel Ancien Régime” (bspw. Stalinismus).

              Gruß
              Altlandrebell

        3. “Wer sind eigentlich „die Herrschenden“? Woraus besteht „die herrschende Klasse“?”

          Die liberale Demokratie wird beherrscht vom großen Geld (vom Kapital), das sich in privaten Händen befindet und das unaufhörlich auf Vermehrung drängt. Was zur Folge hat, dass das große Geld immer größer wird (die Reichen immer reicher). Damit das so bleibt gibt es den Rechtsstaat mit seinen Gesetzen (die auf der liberalen Freiheit des Individuums gründen unbeschränkt Reichtum anzuhäufen).

          Der Rechtsstaat passt auch auf, dass eine vom Volk gewählte Regierung sich an die liberalen Grund-Gesetze hält. Eine Regierung der liberalen Demokratie “herrscht” zwar, aber letztlich im Auftrag der Reichen, die die eigentlich Mächtigen sind. Das wusste aber der Volksmund schon immer mit: “Geld regiert die Welt”.

          1. Wie Altlandrebell treffend bemerkte, sind auch Reiche Konkurrenten. Nicht alle Reichen ziehen am selben Strang. Auch im Geldadel gibt es ein Fressen und Gefressenwerden. Da ist keine heile Welt von einig Herrschenden. Ausserdem können die Reichen nur reicher werden, wenn dafür gesorgt ist, dass den Ärmeren der Sauerstoff nicht ausgeht. Ohne das Proletariat und seine Kaufkraft gibt es keinen Reichtum. Es gibt also gegenseitige Abhängigkeiten, was den Spielraum für Herrschaft zwingend begrenzt.

      3. @Altlandrebell
        Ich kann Ihnen und Torwächter nur zustimmen.
        “Früher hieß es: „Ein schlaues Wort, schon biste Kommunist.“

        Früher hieß es auch, vermutlich aber heute auch noch:
        “Was, Sie wollen mehr Lohn? Sind Sie etwa Kommunist?”

        Früher hieß es auch: “Geh doch rüber wenn Du demonstrieren willst.”

  4. Für mich ist das schlimmste, das ein linker bekennender Mensch ausgerechnet nach Russland übersiedelt, das heute mit links so gut wie nichts zu tun hat. Aber dort darf er das tun, was seiner Seele entspricht.
    Putin ‘der Diktator/Despot’ gibt selbst Platz für anders denkenenden, also ein richtiger Demokrat!
    Ich persönlich wünsche Herr Heyden und den vielen anderen Demokratieflüchtlingen aus dem Westen, eine gute Zeit in Russland.
    Lange lebe das Leben, Prost.

    1. Die Bedeutung von “links” ist heute nicht mehr klar. Was Russland aber auf jeden Fall ist, im Gegensatz zu D, nämlich souverän. Es widersteht dem mächtigen US-Imperialismus (schon allein das zählt für viele als links). Und wird damit für viele im globalen Süden, vom Kapital Geknechtete, zum Hoffnungsträger.

    2. Come on, die Etikettenkleberei hilft nicht weiter. Von richtiger Demokratie kann Assange nur träumen.
      Ich bin sehr froh, daß Snowden dort Zuflucht gefunden hat. Einem Assange hätte ich das gewünscht.

  5. Ulle, ohne Deine Lebensleistung schmälern zu wollen, überall rausgeflogen zu sein, ist mir ein kleines Detail in deiner Retrospektive ein wenig übel aufstoßen. Warum hätte die „sowjetische Zivilbevölkerung“ in den Erzählungen unserer Vorvorvorväter vorkommen sollen? Was unsere Alten immer wussten, wurde jüngst höchstselbst von Deinem Landesvater und Zar im weltweit beachtetem Interview mit dem amerikanischen Investigativjournalisten Tucke Cockson bestätigt: Polen hat den zweiten Weltkrieg angefangen! Angefangen, indem es den Plänen Hitlers im Weg stand. Kreuzt man – so sagt der Konsens – die Pläne großer Männer, ist der casus belli gegeben. Nur aus Höflichkeit und tiefem Respekt seinen Untertanen gegenüber hat der Größte Hobbyhistoriker aller Zeiten nicht explizit erwähnt, dass auch Stalin Hitlers großen Plänen im Weg stand. Das russische Volk ist ein wenig einfach gestrickt und hätte diesen klugen Gedankengängen möglicherweise falsch folgen können.

    phz (2000)

  6. Haubitze, wenn Blödheit stinken würde, müsste man in 1km Umkreis von Dir Atemschutz anlegen.

    Es ist leichtsinnig, anzunehmen, Nazis wären alle dumm, aber ein Gegenbeispiel bist Du nicht,

  7. Hm. Navalny ist tot. RIP

    UFSIN von Russland
    Jamal-Nenzen
    autonomer Bezirk
    Offizielle Website

    16.02.2024
    Der russische UFSIN im Autonomen Bezirk Jamal-Nenzen berichtet
    Am 16.02.2024 fühlte sich der verurteilte Nawalny A.A. nach einem Spaziergang in der Justizvollzugsanstalt Nr. 3 schlecht, hat fast sofort das Bewusstsein verloren.
    Sofort kamen die Sanitäter der Einrichtung an, ein Rettungswagen wurde gerufen.
    Alle notwendigen Wiederbelebungsmaßnahmen, die keine positiven Ergebnisse gebracht haben, wurden durchgeführt. Notärzte der medizinischen Versorgung stellten den Tod des Verurteilten fest.
    Die Todesursachen werden festgestellt.

    1. Ja, schon etwas merkwürdig 🙁
      Ich bin gespannt was sein Anwalt dann nach dem Besuch im Gefängnis berichtet.
      Aber ich habe schon Lauterbach vernommen: “Für mich war er ein Held”

    2. fragen Sie Herrn Fücks & Frau Beck/Grüne … auch als Initiatoren von Lib/Mod bekannt und als Freunde des ach so tollen Nawalny bekannt! …
      In Deutschland werden alsbald oppositionelle Parteien von Wahlen ausgeschlossen, so auch BSW … Faeser/SPD wird’s richten
      MfG KB

  8. Mir fehlt in der Betrachtung der latente deutsche oder transatlantische Antikommunismus, die Kriminalisierung der Friedensbewegung (»das Opium der Intellektuellen«) oder diese kommen durch die Fixierung auf Heyden zu kurz. RT ist in der EU seit 2022 unerwünscht, das »bedeutendste und auflagenstärkste Printmedium im Linksextremismus« muss sich Antisemitismus oder Nähe zur Hamas vorwerfen lassen, mit Auflage zwischen 23.000 und 27.000 und rund 120.000 PI/Tag ist die JW auch im Netz eine weniger gelesene Tageszeitung.

    Ich wirke ähnlich undankbar… die gute Nachricht des Tages: Bild+ verliert Abonennten. Ich vermissen linke Realpolitik und undogmatischen linken Journalismus.

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