Meine ersten Fake News

Satellitenschüssel, Deutsche Welle
Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Leben wir in einem Land mit Meinungsfreiheit? Die allermeisten würden die Frage mit einem klaren Ja beantworten und den in der Frage implizierten Zweifel mit Empörung beiseiteschieben. Hier kann jeder seine Meinung kundtun, ohne im Gefängnis zu landen. Wir haben doch keine chinesischen Verhältnisse. Doch ausgerechnet eine chinesischstämmige Journalistin ist sich da nicht so sicher.

Ein Buchauszug.

Kaum in der China-Redaktion angekommen, stieß ich eine Reform an. Wir waren damals eine Art Live-Übersetzungsbüro: Die Texte von der Zentralredaktion wurden ins Chinesische übersetzt, um dann direkt gesendet zu werden. Natürlich wurde das Vier-Augen-Prinzip gewahrt. Jede Übersetzung wurde von einem anderen Kollegen gegengelesen. Im Studio verlas dann jeder seine eigene Übersetzung. Wer nicht vor dem Mikrofon sprechen konnte, dessen Text wurde von einem anderen übernommen. Jede Sendung glich einer Aneinanderreihung von losen Steinen, die nach einer Moderation riefen, um zu einer ansehnlichen Kette geschnürt zu werden. Ich nahm allen Mut zusammen und schlug Donath eine Moderation vor. »Dann machen Sie das mal«, war seine kurze Antwort. So wurde ich, eine blutige Anfängerin im Journalismus, gleich mit einer der anspruchsvollsten Tätigkeiten beauftragt – der einer Moderatorin.

Meine ersten Fake News

Diese Laufbahn begann fast zeitgleich mit einem der ersten heißen Kriege nach dem Ende des Kalten Krieges – dem ersten Golfkrieg. Am 2. August 1990 überfiel der Irak das benachbarte Emirat Kuwait. Fünf Monate später drängte eine internationale Koalition unter Führung der USA die irakischen Truppen zurück. Ich hörte mir das deutsche Programm an, schaute von den Kollegen ab und gab mir selber einen Crashkurs in Sachen Weltpolitik. Die Anforderung, die ich an mich stellte, war nicht hoch und von daher realistisch – ich wollte mich nur nicht durch Unkenntnis blamieren. Ich setzte mich dermaßen intensiv mit dem Krieg auseinander, dass ich eines Nachts davon träumte, mit Saddam Hussein und George H. W. Bush im persischen Golf zu baden.

Ich ahnte nicht, dass ich mich gleich am Anfang meiner journalistischen Laufbahn an der Verbreitung von Fake News beteiligt hatte. Es ging um die sogenannte »Brutkastenlüge«. Viele Medien berichteten, dass irakische Soldaten bei der Invasion Kuwaits im August 1990 kuwaitische Frühgeborene getötet hätten, indem sie diese aus ihren Brutkästen gerissen und auf dem Boden hätten sterben lassen. Dies wurde 1990 von Nayirah al-Sabah vor dem Kongress der Vereinigten Staaten vorgetragen, die als Krankenschwester vorgestellt wurde. Das wurde vom damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush Sr. und von Menschenrechtsorganisationen vielfach zitiert und beeinflusste die Debatte über das militärische Eingreifen zugunsten Kuwaits. Erst nach der US-geführten militärischen Intervention zur Befreiung des Emirats stellte sich die Geschichte als Erfindung der amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton heraus. Nayirah al-Sabah war nicht einmal Krankenschwester, sie war die Tochter des kuwaitischen Botschafters.

Dass die Wahrheit immer das erste Opfer im Krieg ist, lernte ich erst im Lauf der Zeit. Das liegt auch an der menschlichen Vorliebe für ein Feindbild. »Wenn man weiß, wer der Böse ist, hat der Tag Struktur«, kalauerte der Fernseh-Kabarettist Volker Pispers einmal.

Die Zeit floss dahin, mit der Zeit verschwand auch mein Reformeifer. Donath war sehr gebildet und außerdem auch ein großartiger Journalist. Er übersetzte Gedichte aus der Tang-Dynastie ins Deutsche und schrieb Features für andere Sender. Aber als Redaktionsleiter war er nicht sehr geeignet. Denn sein Ehrgeiz, das Programm zu verbessern, tendierte gen null. Einmal am Tag kam er in die Büroräume der Kollegen und verteilte Texte zum Übersetzen. Danach ließ er sich oft nicht mehr blicken. Mit mindestens 110 Kilo Gewicht und einer Körpergröße von 1,90 Metern ging er langsam und schlurfend, wie in Zeitlupe. Wir bezeichneten seinen Gang als historische Schritte, denn auf Chinesisch werden historische Schritte mit Schwere und Melancholie assoziiert. Doch dafür ließ er uns in Ruhe. Und wir ihn auch.

Meine Kollegen waren mehrheitlich rot und grün

Die ersten Jahre bei der Deutschen Welle war ich mehr Übersetzerin als Journalistin. Nur ab und zu, wenn sich eine chinesische Delegation nach Deutschland verirrt hatte, durfte ich eine kleine Reportage machen. Wie man so etwas tut, habe ich allerdings nicht gelernt. Dafür habe ich Hunderte von Berichten, Kommentaren und Reportagen aus dem Deutschen ins Chinesische übersetzt, die aus den Federn der Kollegen von der Zentralredaktion stammten. Es lief frei nach dem chinesischen Sprichwort: »Selbst wenn man kein Schweinefleisch gegessen hat, hat man doch Schweine laufen sehen.« So brachte ich mir das journalistische Handwerk mittels Abschauen von den deutschen Kollegen selber bei. Heute allerdings muss man bei der Deutschen Welle erst ein Volontariat absolvieren, bevor man in einer der Fremdsprachen-Redaktionen anfangen darf.

Wie sehr habe ich die scharfen Kommentare einiger Kollegen geliebt! In Erinnerung geblieben ist mir vor allem Heinz Dylon, der unter einer unheilbaren Krankheit litt, immer magerer wurde und sich beim Laufen immer schwerer tat. Manchmal holte ich ihm das Mittagessen aus der Kantine und wir aßen zusammen in seinem Büro. Ich tat das nicht nur aus Nächstenliebe und Kollegialität. Ich wollte die Zeit nutzen, um ihn mit Fragen über die deutsche Innenpolitik zu löchern. Den Gesprächen entnahm ich, dass Heinz ein SPD-Sympathisant war. So wie etliche andere Kollegen aus der Zentralredaktion auch. Mit der Zeit erkannte ich auch, wer den Grünen nahestand. Da die Parteienlandschaft in China völlig anders geartet ist, fand ich die unterschiedliche Parteipräferenz der deutschen Kollegen erfrischend und sympathisch.

Es war nicht schwer zu erkennen, dass die überwiegende Mehrheit der Kollegen rot oder grün wählte. Deshalb fiel es ihnen bei der damals herrschenden schwarz-gelben Koalition nicht schwer, den Regierenden auf die Finger zu schauen. Ich lernte den Begriff der »vierten Gewalt« kennen. Das ist kritischer Journalismus, so soll es sein. Einmal fragte ich Heinz, ob er wegen seiner Kommentare schon mal zum Intendanten Dieter Weirich zitiert wurde, der in der CDU war. Heinz musste lachen: »Nein, bei uns gilt die Meinungsfreiheit.«

Als 1998 Gerhard Schröder Kanzler wurde und Rot-Grün an die Macht kam, machten viele Kollegen aus ihrer Freude keinen Hehl. Ich werde nicht vergessen, wie viele sich am Tag nach der Bundestagswahl entweder rot oder grün oder rot-grün kombiniert gekleidet hatten. Es herrschte Aufbruchsstimmung.

Wahrscheinlich unter dem Einfluss meiner lieben Kollegen gab ich 2002 bei der ersten Bundestagswahl nach meiner Einbürgerung meine Stimme der SPD.

Die großzügigen Öffentlich-Rechtlichen

Bei der Deutschen Welle ist es ungeschriebenes Gesetz, dass der Intendant von der Regierungspartei kommen sollte. Da die Amtszeit des Deutsche-Welle-Intendanten sechs Jahre beträgt, eine Legislaturperiode aber nur vier Jahre, gibt es unweigerlich Zeiten, in denen die Partei des Intendanten nicht mehr auf der Regierungsbank sitzt. Das sind meist schwierige Zeiten, sowohl für den Intendanten als auch für die Deutsche Welle insgesamt, vor allem für die Budget-Verhandlungen. CDU-Intendant Dieter Weirich wollte deshalb seine Amtszeit vorzeitig beenden. Die Kollegen witzelten, dass jeder von uns eine D-Mark an Weirich spenden sollte, um seine Übergangszeit zu versüßen. Als Nächstes hörten wir über den Flurfunk, dass er eine Million Mark Abfindung bekommen sollte. Dabei verdiente der Intendant doch schon mehr als der Bundeskanzler. Und Weirich wurde ohnehin sofort eine Topstelle in der freien Wirtschaft angeboten.

Nicht zum ersten Mal dachte ich, dass die Öffentlich-Rechtlichen das Geld des Steuerzahlers ganz schön aus dem Fenster rauswerfen. Ähnlich das Geld des Gebührenzahlers: Anfang 1989, bevor ich bei der Deutschen Welle anfing, hatte ich einen Auftrag vom Westdeutschen Rundfunk, während einer Live-Fernsehsendung für einen chinesischen Kung-Fu-Meister zu dolmetschen. Die Moderatorin plauderte mit dem Meister rund zwei Minuten. Dann sagte der Meister: »Nun muss ich mich konzentrieren. Reden Sie bitte nicht mehr mit mir.« Nach der Sendung klopfte mir ein WDR-Kollege väterlich auf die Schulter: »Sie bekommen 800 D-Mark. Einverstanden? Das war wirklich nicht viel, was Sie da machen mussten.« Ungläubig schaute ich ihn an: Ich habe gerade 400 Mark pro Minute verdient! Und er entschuldigt sich beinahe dafür? Mit diesem Geld kam ich locker zwei Monate aus. Kurz zuvor hatte ich für den TÜV einen ganzen Tag gedolmetscht und dafür ebenfalls 800 Mark erhalten, womit ich hochzufrieden war. Da­raufhin schrieb ich einen übermütigen Brief an meine Eltern: »Ich brauche nur meine Lippen zu bewegen. Schon kann ich mich wunderbar ernähren.«

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33 Kommentare

    1. Da hat der Michael wohl nicht den ersten Buchauszug gelesen?
      Dort schrieb bzw. wurde veröffentlicht, das sie nun in China lebt und nur noch D als Urlaubsort bereist…
      Sie hatte natürlich auch ‘über die chinesischen Verhältnisse’ geschrieben und fühlt sich dort angeblich wohler.

    2. Was weiß de Micheal schon über “chinesische Verhältnisse” und auf welche Weise kann er ausschließen, dass die “chinesischen Verhältnisse” nicht bloß eine Erfindung der amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton sind?

  1. Es erging mir in den 70ern ganz ähnlich in den Clubs, bei der herrschenden Klasse.
    Nur ohne wirklich zu arbeiten.
    Meistens haben meine Tätigkeiten mir ja Spaß gemacht
    Warum ich das Schreibe, ja, weil ich dort viele VIP’s, Journalisten und sonstige Sternchen kennengelernt habe.
    Deswegen weiß ich ja auch so viel… ;-)).

        1. Ich sage nur die Wahrheit, so unverständlich sie gerade für euch auch sein mag.
          Weil mir nie von solchen Typen wie ihr es seid geglaubt wurde, einfach weil ich so ganz anders ticke.
          Eine Frau hat mir mal gesagt, als es noch “en Vogue” war irgendwie anders zu sein; “so einen wie mich, dürfte es gar nicht geben.
          Ich war noch Jung 18 oder 19 vielleicht.
          Sie, Ende 40, Unternehmerin vom Hosenkönig von Dortmund, oder so ähnlich… wir hatten gerade einen gekifft…
          Wo war ich…?
          Damals hatte ich auch noch etwas mehr Hoffnung das vielleicht alles auch noch irgendwie gut werden könnte, aber eine Ahnung hatte ich auch schon damals, dass das mit mir nichts mehr wird.
          Scheiße, ich seh grad, da ist ein neuer Themenbaum, das hätte meine Meinung auch gut hinein gepasst… 😉

            1. Och, das tut mir jetzt aber leid.
              Ich bin hier vielleicht der authentischste Kommentator hier im Forum.
              Einfach, weil ich das lebe was ich sage und zwar schon wesentlich länger als seit 2020.
              Ich weiß wesentlich mehr als die Meisten von euch, dessen bin ich mir sicher.
              Allein schon, weil ich seit mehr als 4 Jahren nichts anderes mehr mache als recherchieren.
              Was ich schreibe habe ich selbst erlebt und gesehen, genauso wie ich sehr viel von der Welt mitbekommen habe.
              Ich weiß fast alles über Klima, Corona und über Kraftfahrzeuge bis 2010.
              Danach gab es nur noch High-Tech Müll im Angebot.
              Über den kleinen Umweg der Schadstoffnormen kam ich auch zum Aufdecken des Problems mit dem CO2 Ausstoß.
              Ich habe mir Schrottwindräder und Solarpannels in den Staaten angeschaut, mit Ingenieuren und Wissenschaftlern geredet und dann wurde mir schon in den 90ern bewußt, dass das alles, wie konnte es auch anders sein, eine Verarsche ist.

      1. Ach was…. das war schon bei meiner Einschulung so. 😉
        Ich habe immer schon alle überfordert, deswegen konnte mich auch kaum einer leiden.

  2. In Zeiten wenn alles gut läuft, lauft das Geld auch gut.
    In Zeiten wo nicht alles läuft, läuft das Geld immer noch, aber die Richtung wird vorgegeben.
    China hat in ihrer Kultur schon sehr viele Jahrzehnte auf dem Buckel, viele ernüchternde Weisheiten erhalten und darf sich heute sehr darüber ‘freuen’, wie der oft erhobene Zeigefinger anderer dann auf diesen Zeiger selbst zeigt.

  3. Na, da lässt sich der deutsche Staat nicht lumpen. Gegenlesung jeder Übersetzung, schon mal das. Unverzichtbar für einen Staat, der sich für ungeheuer wichtig hält und die Welt das wissen lassen will. Die DW hat richtig Fett auf der Kette und kann fürstliche Gehälter zahlen. Schon auf der unteren Ebene, aber erst recht auf der oberen. Der DW-Chef verdient mehr als der Bundeskanzler? Das ist ja mit einer Aussage verknüpft: Propaganda ist wichtiger als politisches Handeln.
    Eine Beeinträchtigung der journalistischen Freiheit sehen wir hier noch nicht. Ich schätze mal, dass das die Beschreibung der Guten Alten Zeit ist, die dann aufs heftigste mit dem kollidieren wird, was ab 2014 passierte. Das Ende jeder objektiven Berichterstattung nach Beginn des Ukrainekonflikts.

    Das kommt ja noch etwas? Warten wir’s ab.

  4. Ach die „Brutkasten-Lüge“! Was ist eigentlich aus dem Diplomaten-Töchterchen geworden, die sich vor der UNO als fälschlich als Krankenschwester auf der Säuglingsstation ausgegeben hatte. Könnte man ihr unter anderem als Beihilfe zu Mord, Völkerrechts- und Kriegsverbrechen auslegen. Für ihre Regiesseure und PR-Kanzleien im Hintergrund gilt das umso mehr. Solcherlei Verbrechen verjähren nicht. Warum werden die nicht mit internationalem Haftbefehl strafrechtlich verfolgt?

    1. Ach die, ja die wurde schwupp die Wutz ins Dunkle zurück gezaubert, denn die im Dunklen sieht man nicht, nur die im Lichte..aus der Sicht, aus dem Gedächtnis, so einfach ist das mit PR und Propaganda und so..solcherlei Verbrechen werden mit Leichtigkeit verjährt…totschweigen funktioniert auch wunderbar immer wieder:))

    2. Die hat einen von der herrschenden Klasse geheiratet.
      Der Name fällt mir nicht mehr ein… ist zu lange her.
      Hat mir einer von den Reichen gesteckt damals…
      Lebt in Vancouver, hat 4 Kinder, die auf die Eliteunis irgendwo in den Staaten gehen.

      1. Danke für die Info. Also Vancouver mit Kindern auf US-Elite-Unis. Von strafrechtlicher Verfolgung, klingt das leider ziemlich weit entfernt.

        1. Very funny…

          Willst Du damit sagen, wer sowas macht. müsste Angst vor Strafverfolgung haben? In den USA?
          Die bekommt einen lebenslängliche Pension von Hill Knowlton, also vom Steuerzahler…

          Ich persönlich fände einen neuen 9/11 ganz nett…

    3. Hills & Knowlton.. waren das nicht auch die Slogan-Erfinder von “New Normal”, “Social Distancing”, “Safe And Effective”, und weiterer solch (un)vergeßlicher Perlen der dann international leitmedial kommunizierten Corona-Sprachvorgaben? Auf ihre “behavioural science” Projekte in dieser Ära waren sie jedenfalls sehr stolz.
      Scholz & Friends bekamen damals fürs Übersetzen der o.g. Slogans ins Deutsche (und für ein paar eigene Perlenkreationen, sollte fairerweise ergänzt werden.. vielleicht kam “Zeitenwende” dann auch von denen?) einen vierjährigen Millionenauftrag und gelten als Top-Kommunikationsagentur!
      Supi drauf, diese Phrasenprofis! Die haben im Aston Martin sicher dolle Angst vorm Gefängnis und vor all den neuen Disinfo-Gesetzen!

      1. Ach ja „Hill & Knowlton“ hieß die PR-Argentur. Habe gerade nochmal nachgelesen, dass die damals ein hübsches Sümmchen für ihre Inszenierung bekommen haben sollen. 14 Millionen (was 1990 auch noch deutlich mehr Geld war) und unter anderem von der US-Regierung beigesteuert.
        Macht fassungslos, dass man mit sowas einfach so davon kommt und dabei einen Aston Martin in der Villen-Garage stehen hat. Einfach zum kotzen.

  5. Da­raufhin schrieb ich einen übermütigen Brief an meine Eltern: »Ich brauche nur meine Lippen zu bewegen. Schon kann ich mich wunderbar ernähren.«
    Mein Gott, ist das ein schöner Ausspruch.

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