Ein Sohn wendet sich an seine Eltern: Mit einem Brief versucht Marco Ott das Schweigen zu überwinden, das sich über die Jahre zwischen ihnen ausgebreitet hat. Eine unerwartete Nachricht seines Vaters weckt Erinnerungen: an seine Kindheit und Jugend in einer Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet und seine Versuche, in der akademischen Welt Fuß zu fassen.
Dabei enthüllt sich die Verheißung des Bildungsaufstiegs als Trugbild. Was hat er auf dem Weg in die „gebildete Welt“ zurücklassen müssen? Können Worte die schmerzhafte Entfremdung aufwiegen? Marco Ott hat mit „Was ich zurückließ“ ein aufrüttelndes Debüt geschrieben.
Ich bin neunzehn Jahre alt und schlendere durch die Bezirke. Mit stolzgeschwellter Brust sehe ich mich mit den Augen meiner ehemaligen Mitschüler über die Admiralbrücke gehen, vorbei an Straßenmusikern und verstreut auf Steinpollern sitzenden, jungen Leuten. Ich sehe mich zwischen antiken Möbeln und Kleidungsstücken auf dem Flohmarkt am Boxhagener Platz. Sehe mich auf dem Tempelhofer Feld. Dabei schaue ich die Menschen um mich herum verschwörerisch an, als könnte ich sie darauf aufmerksam machen, dass ich nun dazugehöre. Ich bekomme das Grinsen nicht aus dem Gesicht, werde aber kaum beachtet. Niemand kennt mich, alle sind mir überlegen. Ich werde mich noch einmal verwandeln müssen. Doch zuerst gilt es, einen Job zu finden.
Die Stunden, die ich arbeiten muss
Ich verteile Flyer im Umkreis des Gendarmenmarkts. »Ganz in der Nähe hat ein Fitnessstudio eröffnet«, sage ich, »mit dem Gutschein hier ist der erste Monat kostenlos.« Die Abendsonne taucht das Konzerthaus und die mit Patina überzogenen Reiterstatuen in warmes Licht, und ich komme mir lächerlich vor in meiner silberglänzenden Jacke und der Umhängetasche mit der Aufschrift JONNY M. »Sehe ich etwa so aus, als hätte ich das nötig?« »Nein, aber vielleicht haben Sie ja trotzdem Interesse.«
Ich schaue auf die Uhr, werfe einen Stapel in den Mülleimer und gehe zurück. »Na, hast du etwa alle verteilt?«
Ich stehe vor dem Filialleiter, öffne die Tasche und hole die restlichen Flyer heraus. »Gut, in drei Stunden kannst du so viele auch unmöglich losgeworden sein.« Ich streife die Jacke ab, fahre Unter den Linden entlang durch das Brandenburger Tor und lege mich auf die feuchtwarme Wiese des Tiergartens neben mein Fahrrad. Ich verfolge den flackernden Schimmer hinter meinen Lidern und überschlage wieder und wieder die Stunden, die ich arbeiten muss, um Miete und Lebensmittel bezahlen zu können. Die Leichtigkeit der ersten Wochen ist verflogen.
»Ach, im Moment lasse ich einfach die Seele ein bisschen baumeln.« Meine Mitbewohnerin Vicky steht an der Küchenzeile. Mit einem Holzlöffel rührt sie im Haferbrei, und der vom Topf aufsteigende Dampfschleier lässt ihre Brille beschlagen. »Von meinen Großeltern habe ich ein Ferienhaus geerbt, das vermiete ich das Jahr lang. Damit lässt sich ganz gut über die Runden kommen.« Sie reibt die Gläser an ihrem Wollpullover und schiebt die Brille zurück auf ihre Nase. »In den Sommerferien bin ich dann selber auf Zypern und wohne dort. Mein Vater ist übrigens Österreicher, hab ich das schon erzählt? Deshalb heiße ich auch Wöhrer mit Nachnamen und spreche so gut Deutsch. Meine Eltern haben sich kennengelernt, als mein Vater Urlaub auf Zypern gemacht hat, ist eine witzige Geschichte.« Sie öffnet den Hängeschrank, holt klirrend eine Schüssel hervor. »Wie ist die Arbeit eigentlich, macht es Spaß?«
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Es gibt kein richtiges im falschen Leben, für das Shitholegefühl hätte der Autor auch nicht das Ruhrgebiet verlassen müssen, aber am besten ist die Vorstellung mit Abitur und Studium ein Arbeitsfreies Leben führen zu können.
Früher gab es nette Redewendungen, z. B. Schuster bleib bei den Leisten.
Leider gibt es den Schuster nicht mehr, aber den Namen.
Arbeit war und ist schon immer des Lebens notwendig und damals wurden die Nachnahmen mit der ausgeübten Tätigkeit versehen. Heute im neusprech oder schreib, klassische Differenzierung der Klassen, wer gehört zu wem und des Standes an.
Scheisse, ich muss heulen….verdammt
Was soll dieser Ausschnitt ohne Anfang, Ende oder Kontext? Was hat er mit der Einleitung zu tun, von der sich nichts in diesem Text wiederfinden lässt? Von scheinschwangeren Fragen wie Können Worte die schmerzhafte Entfremdung aufwiegen? mal ganz abgesehen?
Ja, und nu??? Hab ich nen verkürzten Text gelesen? Worum geht es denn nun?
Alle jungen Menschen die sich einzig Karriere- u. Geldorientiert aus dem Plebsmilieu hocharbeiten wollen, müssen – um ihre Träume zu erreichen – ihre Herkunft und ursprüngliche Persönlichkeit zu Grabe tragen. Nix Neues unter der Sonne! Man kann sein Leben auch anders leben, und anstatt sich für die Eltern (die ja erst die Ausbildung ermöglichten) zu schämen, könnte man zu seiner Herkunft und seinen Überzeugungen stehen. Natürlich geht dann der Aufstieg nicht sooo weit nach oben…. Und komm mir jetzt nicht mit ungerechter Gesellschaft, denn mit genau Deinem Verhalten (Autor) hast Du ja genau dieses System unterstützt!
Mein Mitleid? Nicht vorhanden! Steck Dir Dein “Selbstmitleid-Buch” dahin wo die Sonne nicht scheint !!!
danke, ich würde ihnen gern einen eimer des alkoholischen getränks ihrer wahl spendieren…
sometimes
Ein kleinbürgerliches Stilleben. Gab’s auch schon vor 50 Jahren, aber geringfügig beeindruckender:
https://www.youtube.com/watch?v=-7Z5OM-baRo
Macht die Arbeit Spaß? Ja, warum denn nicht? Hat man den falschen Beruf, dann Umschulung bei der AA organisieren in einen Beruf der Spaß macht, Habe so 9 Berufsabschlüsse, war nie langweilig, habe viel gelernt und mitbekommen.
Arbeit macht Arbeit!
Wenn sie auch noch anhaltend Spass macht, hat man Glück gehabt. Aber das ist wohl auch eher die Ausnahme denn die Regel.
Kenn eine Menge Menschen die haben Spaß weil sie genau das machen was Sie machen wollen.
Ich auch. Einer von denen geniesst sich darin, den vorbeilaufenden Sündern die Leviten zu lesen und ihnen endloses Leid beim Weltuntergang vorherzusagen. Spass ist höchst subjektiv, sagt nichts darüber was Arbeit ist. Grundsätzlich ist es aber ein wenig verdächtig, dass dem Bürger bei Arbeit immer gleich “Spass” einfällt, wohl wird da etwas ABGESTRITTEN. Ein Füllhorn zum Beispiel ergibt die Produkte der Arbeit ohne die Arbeit – was soll denn daran wünschenswert sein, wenn doch die Arbeit.. ?
Es gibt nicht einmal Spaß, der immer Spaß macht.
Ich kenne nur ganz wenige Menschen, denen selbst ihre Berufung, ich verwende ganz absichtlich diesen Begriff, noch Spaß macht!
In einer Zeit, in der eine Handvoll Leute mit ihren Handys so tun, als wären sie der Nabel der Welt und nach wenigen Jahren mehrstellige Millionenbeträge auf ihren Konten haben, während andere versuchen, es ihnen gleich zu tun, in dieser Zeit ist “normale” Arbeit nichts wert. Und so fühlen sich auch alle, die diesen Arbeiten nachgehen. Insgeheim wünschen sie sich, es wie die Influencer gemacht zu haben, doch sie sehen nicht, dass das ein Pakt mit dem Teufel war, weil die paar Erfolgreichen ihr ganzes Leben offenbaren müssen. Sie leben nicht ihr Leben, sondern dasjenige von den Bezahlern ihres Reichtums aufgezwungene. Und letztlich ist ihr “Ruhm”, sind ihre Bekanntheit und ihr Erfolg extrem kurzfristig. Sie wissen, dass sie jederzeit austauschbar sind. Sicher kein erstrebenswertes Leben, trotz des vielen Geldes.
Doch wer schaut schon hinter die Kulissen. Man sieht nur den Glamour, den Reichtum, die Erfolge und denkt, das kann ich auch. Und sicher schwingt auch etwas Neid mit. So sind alle unzufrieden. Wo führt das hin? Zu immer mehr Jagen nach kurzfristigem Erfolg, Anerkennung, Klickzahlen … Ist es das wert? Ich glaube kaum. Mein Vater war auf seine Arbeit stolz, zurecht. Sie ist in unserer Stadt überall zu sehen. Und sie wird auch noch lange nach mir zu sehen sein. Die Influencer von heute sind morgen Geschichte, keiner kennt ihren Namen. Das gilt ebenso für meinen Vater. Doch das war ihm Zeit seines Lebens egal. Sein Ziel war es, etwas Langfristiges zu schaffen bzw. daran mitzuwirken, es zu erschaffen. Nicht berühmt und bekannt zu werden. So war er zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Diese Zeit ist wohl vorbei, oder?