Kunst und Kochen

Ungarische Köche beim Zubereiten von Speisen um einen runden Herd postiert
Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Rudolf Rach versteht Kochen als Widerstand. Widerstand sowohl gegen die Nahrungsmittelindustrie mit ihrem Convenience-Food als auch gegen den Sterneköche-Zirkus.

Rach hat nicht vergessen, wie es früher einmal geschmeckt hat, als das Obst aus dem Garten und das Huhn aus dem Stall kam. Er kocht für Familie und Freunde. Auf kleiner Flamme, das ist das Geheimnis. Damit der natürliche Geschmack erhalten bleibt, vielleicht mit ein paar Kräutern und Gewürzen verfeinert wird. In seinem neuen Buch schlägt er den Bogen von der Steinzeit bis heute, philosophisch und praktisch. Und verpackt sein Wissen in Geschichten, die sich so gut lesen, weil sie das Leben geschrieben hat.

Ein Buchauzug.

Im Jahre 1822 erschien in Deutschland ein Buch mit dem Titel Vom Geiste der Kochkunst. Sein Autor war ein den Künsten gewogener Freiherr namens Carl Friedrich von Rumohr, der in einem Vorwort erklärte, es handele sich um das Werk seines Leibkochs Joseph König; dieser brauche die Einnahmen aus dem Verkauf des Buchs, um die Erziehung seiner heranwachsenden Söhne zu finanzieren. Offenbar schämte sich der Freiherr, ein Kochbuch geschrieben zu haben, ja sich überhaupt für Fragen des Kochens zu interessieren. Für einen deutschen Adligen war das zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein heikles Unterfangen. Ein deutscher Mann, zumal ein Freiherr, hatte anderes zu tun als sich mit dem Kochen zu beschäftigen. Das war Sache der Frauen.

Kochen als Kunst

Ins Auge springt, dass Rumohr über den »Geist« der »Kochkunst« schreibt. Er liefert keine Rezeptsammlung, wie möglichst viel Suppe aus einem Stück Fleisch herauszuholen ist oder wie man schnell ein Menü für zwanzig Personen auf den Tisch zaubert. Es geht ihm nicht ums Produzieren, sondern um den Geist, der gutes Essen möglich macht. Der Geist, der in der Küche des Freiherrn herrschte, ging über das alltäglich Praktische hinaus und band das Kochen in ein historisches Ganzes ein, in die Geschichte des europäischen Kochens.  Sagen wir ruhig: in die Geschichte der Kochkunst.

Der Freiherr verfügte über genügend Dukaten, um sich längere Reisen erlauben zu können. Er kannte nicht nur den Norden Deutschlands, aus dem er stammte, auch der Süden war ihm vertraut. Er wusste, dass die Italiener der Natur und ihren Produkten näher geblieben waren als die Franzosen mit ihrer Vorliebe für komplizierte Saucen und kulinarische Arrangements, die nur ahnen ließen, woraus sie eigentlich hergestellt wurden.

Rumohr nannte das Kochen eine Kunst, weil er wusste, was zur Kunst dazugehört. Er war mit vielen Künstlern befreundet, insbesondere den Nazarenern, einer Gruppe von deutschen Malern, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Rom ausgewandert waren und deren handwerkliches Können, deren Formen- und Farbensinn Rumohr bewunderte. Gewiss waren die Maler und Bildhauer keine Kostverächter und Rom auch damals schon ein Ort, an dem sich vorzüglich tafeln ließ.

Wenn Essen gut schmeckt, sieht es auch gut aus

Was verbindet das Kochen mit den Künsten? Es ist der Sinn für Proportionen. Ohne diese Eigenschaft und ein gewisses Maß an Einfallsreichtum bringt ein Künstler es nicht weit, und in der Küche ist das ähnlich. In der Malerei nennt man die, die ein Werk nachbilden, Kopisten. Auch die Köchin oder der Koch sollten sich von Maßen und Gewichten befreien und sich auf den eigenen Geschmack verlassen. Im Übrigen: Wenn das Essen gut schmeckt, sieht es auch gut aus. Das Umgekehrte gilt leider nicht.

Rumohr konnte sich umso besser mit dem Geist des Kochens auseinandersetzen, als er mit den verschiedenen Küchen Europas, der italienischen und französischen vor allem, bestens vertraut war. Er wusste, wo gut gekocht wurde, kannte die einschlägigen Adressen.

In meinen Regalen haben sich im Laufe der Jahre die verschiedensten Kochbücher versammelt, und ich will nicht abstreiten, dass der eine oder andere Blick in die oft dicken Wälzer auch geholfen hat. Doch in der Küche steht keines; ich spiele nicht vom Blatt. Die meisten der hier beschriebenen Rezepte gehen auf Besuche in Restaurants zurück. Wenn etwas gut geschmeckt hat, habe ich es mir gemerkt und zu Hause »nachgekocht«.

Kochen setzt Improvisationsgabe voraus

Ein Buch über das Kochen zu schreiben, wäre mir allerdings kaum in den Sinn gekommen, wenn es in den kulinarischen Folianten um etwas anderes als um Rezepte gegangen wäre. Gewichte und Mengenangaben sind jedoch etwas sehr Abstraktes. Rezepte sind eine Art Gebrauchsanweisung. Das Kochen, wie ich es verstehe, ist eine geistige – und natürlich physische – Anstrengung; verlangt eine höllische Konzentration und setzt Spontaneität voraus, die sich unabhängig von der Vorlage macht. Wenn der Herd angeworfen wird, muss man das Essen, das auf den Tisch kommen soll, im Kopf haben, und während der Arbeit darf man nicht aus der Balance geraten. Wenn Leute in die Küche schlendern und ihre Nasen in die Töpfe stecken, werde ich nervös.

Weil sich die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel täglich ändern, setzt das Kochen Improvisationsgabe voraus. Und weil die Zusammensetzung des Essens variiert, schmeckt es immer etwas anders. Da die Ausgangsmaterialien nie dieselben sind und nie dieselben sein können, muss der Koch seine Fantasie spielen lassen, seinen Sinn für Proportionen beweisen. Meist sind nur geringe Anpassungen nötig, um trotz veränderter Umstände ein Essen auf den Tisch zu bringen, das die Gäste und ihn selbst erfreut. Es kann nicht immer gleich schmecken, warum sollte es auch?

Immer wieder Training

Der Vergleich mit einer künstlerischen Tätigkeit zielt schon in die richtige Richtung. Kochen ist ein schöpferischer Vorgang, dessen Ergebnis nicht aufbewahrt und in Museen ausgestellt wird – wie die Eat-Art von Daniel Spoerri, der selbst ein begeisterter Koch war und viele Jahre in Düsseldorf ein Restaurant führte –, sondern alsbald verzehrt wird. Dafür beißt es sich, wenn es gut ist, in die Erinnerung der Gäste. Setzt sich in ihren Köpfen fest, und noch Jahre später erzählen sie davon. Die Erinnerung spannt sich wie eine Brücke zum vergangenen Genuss. So nährt ein Essen noch viele Jahre danach. Deshalb ärgerte es mich, wenn meine Mutter stöhnte: So viel Arbeit für so wenig (sie meinte damit die kurze Dauer des Essens). Diese Behauptung ist grundfalsch, weil sie eine Trennung von Körper und Geist voraussetzt, die eine gute Küche täglich widerlegt. Die Heidenarbeit wird belohnt, weil gutes Essen nicht nur unserem körperlichen Wohlbefinden zugutekommt, sondern auch unserem seelischen, und als Erinnerung unser geistiges Erbe bereichert.

Selbst mit feinsten Pinseln und besten Farben ausgestattet, wird niemand zum Maler. Dazu gehört eine Leidenschaft für die Suche nach Formen und Farben, die erste und vielleicht wichtigste Voraussetzung; hinzu kommen Talent und viel Training. Immer wieder Training. Ohne Talent und Training geht nichts, bleibt alles im Ungefähren. Und selbst mit Talent und Übung ist das Ergebnis nicht garantiert. Und wenn etwas danebengeht oder nicht wirklich gelungen ist, gilt es, sich damit abzufinden. Der nächste Versuch wartet schon.

Ähnliche Beiträge:

7 Kommentare

  1. Nimmt man sich die Zeit und liest sich etwas in die zivilisatorischen „Errungenschaften“ unserer Esskultur ein, wird einem schnell gewahr, dass gerade diese ursächlich für die meisten zivilisatorischen Erkrankungen sind.
    Wir fressen mehr oder weniger Dreck und auch sonst schädliches bis giftiges, was allerdings billig zu produzieren ist.
    Das allerdings kommt neben den Lebensmittel- und Pharmaindustrien unserem ebenfalls auf Wachstum getrimmtem „Gesundheitssystem“ zugute, welches auf regelmäßigen Nachschub angewiesen ist.
    Win – Win – Win wohin man schaut.

    Darüber hinaus ist in Studien längst erwiesen, dass die unter prekären Lebensbedingungen lebenden und sich notgedrungen schlechter ernährenden Menschen ca. 8 Jahre früher als besser gestellte sterben.

    Regelmäßig gutes Essen benötigt Zeit und Muße – zum Einholen, zubereiten und anschließendem genießen.
    Aber bekanntlich ist bei unserem herrschenden Arbeitsethos die Muße „aller Laster Anfang“…

  2. Herr Rach spricht mir aus der Seele. Auch ich habe nicht vergessen wie es früher
    einmal geschmeckt hat, als die Zutaten noch aus dem eigenen Garten kamen und
    das Fleisch nicht aus dem Schlachthaus. Einfache unbehandelte Zutaten mit Liebe gekocht.
    So kann ein sehr simples Gericht zur Offenbarung werden.
    Wer kochen in ZEN umwandeln kann erfährt die Magie der Zubereitung von Speisen.
    Sehr gut dargestellt ist es in dem Film: „How to cook your life“. Ein Kochkurs mit ZenPriester
    und Koch Espe Brown. So haben die Menschen auch früher gekocht, als man noch Zeit dafür
    hatte. Dann kam irgendwann Maggie, der Schnell Imbiss, die Mikrowelle und der Steamer. Nicht
    zu vergessen, der „Coffee to go“ und andere Abartigkeiten.

  3. Ja, es stimmt, Essenkochen hat mit künstlerischer Tätigkeit zu tun.
    Genau wie man Farben nicht „pur“ nehmen sondern immer etwas „brechen“ soll, mit anderen Tönen, damit das Ganze besser zusammen passt, sollte man beim Zubereiten von Speisen verschiedenartig würzen. Der grosse Unterschied: am Abend ist das Kunstwerk „Essen“ in den Bäuchen verschwunden, am nächsten Morgen ist aber so ein Bild immer noch vorhanden.

  4. War leicht erschrocken, als ich mir ein Kotelet vom Bio-Metzger zubereitet hatte, und plötzlich wie damals, als 6 Jähriger mit Mum und Dad am Tisch saß, und über den Fettrand nörgelte ( Hausschlachtung, erinnere mich noch, wie Wir das Schwein bei Bauern auswählten, Metzger für 2 Tage gemietet, der Veterinär zum stempeln und Snapstrinken kam, ich als Pöks, das Blut rühren musste (Würg), und heute: ich zahle 7€ für son Kotelett, weil ich das kann.
    Ohne Mampf kein Kampf!
    Es wird Zeit für Revoluzze, schon des Tierwohls wegen.

  5. Kochen ist zunächst ein Handwerk, genau wie Filme machen, Musik oder malen. Unter bestimmten Bedingungen wird es dann zur Kunst, die Fähigkeit ist aber nicht jedem gegeben.

    Die Ernährung haben die Menschen selber in der Hand, auch die ist nicht alternativlos, wie man so gerne behauptet. Die Möglichkeit selber anzubauen haben nur jene die über Grund und Boden verfügen, die bestellen oftmals aber lieber Landschaftsgestalter. Sein Essen selber zubereiten kann aber jeder bzw. jeder lernen. Und nachdenken, was natürlich ist und was vielleicht gesünder ist auch noch nicht verboten.

    Es wird auch niemand gezwungen nicht mehr beim heimischen Metzger, Metzger oder auch beim Bauern zu kaufen, wer den Weg nicht scheut. Und es gibt natürlich jene, für die es finanziell wirklich eng wird, ich bin nicht betriebsblind, aber wenn ich sehe wofür sehr viele Menschen Geld ausgeben, dann aber rumjammern, weil vernünftiges Essen oder auch mal Schuhe angeblich zu teuer sind, fasse ich mir an den Kopf. Das hat was mit Prioritäten zu tun und Erzeuger wie auch Handwerk haben auch ihre Kosten, die Produkte verteuern sich auch sehr stark durch Steuern oder jetzt eben Inflation.

    Und auch an der Stelle kann ich mit nicht den Hinweis verkneifen, daß selbst die Eßgewohnheiten vom Feminismus beeinflußt wurden. Das wollten aber ziemlich viele Leute so und ich kenne nur sehr wenige, die gegen diese Ideologie aufbegehren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert