Konsequenzen des Kapitalismus

LepoRello, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Das kapitalistische System bedroht heute alles Leben auf dem Planeten. Doch Noam Chomsky und Marv Waterstone sehen diese Krise als große Chance, die kapitalistischen Strukturen herauszufordern. Dafür müssen wir zuerst verstehen, wie unser Leben, unsere Wahrnehmung und unser »gesunder Menschenverstand« tatsächlich von den Bedürfnissen und Interessen der herrschenden Klassen bestimmt werden. Chomsky und Waterstone decken in ihrem neuen Buch diese oft unsichtbaren Verbindungen der strukturellen Macht auf und zeigen, wie die gegenwärtige Hegemonie die Bewegungen für soziale Gerechtigkeit gespalten und marginalisiert hat. Sie zeichnen eine kritische Landkarte für eine gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft und machen klar: Wir haben es in der Hand – allein von unserem Handeln hängt alles ab.

Während die neoliberale Politik derzeit ihr Ziel der Konzentration von Reichtum und Macht und der Marginalisierung der verwirrten Herde erreicht, ist sie schädlich für die Wirtschaft insgesamt. Das Wachstum ist gesunken und die Produktivität wächst nur langsam. Es ist viel von Stagnation die Rede, was heißen soll, dass gar kein wirkliches Wirtschaftswachstum mehr möglich ist.

Weniger Produktion, mehr Finanzmarkt

Eines der interessanten Phänomene, auf die David Kotzs Beitrag »Ende der neoliberalen Ära?« hinweist, ist, dass die äußerst scharfe Konzentration des Reichtums zu einer Lage geführt hat, in der es schlicht keine Investitionsmöglichkeiten mehr gibt. Es gibt am Ende ja nur eine begrenzte Zahl von Luxusyachten, die man kaufen kann, und mit den Dingen, die das Land so verzweifelt benötigt, wie dem Wiederaufbau der zerfallenden Infrastruktur oder der Reduktion des Kohlenstoffs in der Atmosphäre, ist nicht viel Gewinn zu machen.

So haben die Unternehmer jetzt diese ganze Masse akkumulierten Geldes, aber sie können es nicht wirklich gewinnbringend anlegen. Was tun sie also? Sie verlegen sich auf Finanzmanipulationen, die im Allgemeinen wesentlich profitabler sind und in letzter Zeit enorm gewachsen sind. Eine der Auswirkungen dieses Prozesses sind die Kürzungen im Bereich von Forschung und Entwicklung.

Nehmen wir Apple, den größten Konzern überhaupt, und sehen wir uns die neuesten Budgetpläne an. Die Planer fahren den Sektor »Forschung und Entwicklung« zurück. Sie haben jetzt weniger Interesse daran, etwas zu produzieren, was nützlich ist. Stattdessen wenden sie sich den Finanzmärkten zu, die kurzfristig viel profitabler sind. Und das geschieht überall in der Wirtschaft.

Bevölkerung stellt Militärausgaben nicht infrage

Wie wir schon diskutiert haben, kam das Geld für einen Großteil der Forschung und Entwicklung, aus der dann die Hightech-Wirtschaft entstand, aus der Tasche des Steuerzahlers. Das Leitprinzip dabei war: öffentliche Subventionen, privater Profit. Der Steuerzahler finanziert die kreative und riskante Forschung und Entwicklung, und zwar oft über lange Zeit hinweg, und wenn dabei etwas herauskommt, das gewinnbringend auf dem Markt verkauft werden kann, wird es an den Privatsektor weitergereicht. Das sind wieder Dinge, »die man besser nicht sagt«, und so benutzt man dafür alle möglichen Euphemismen. Das Leichteste ist immer, von »Verteidigung« zu reden: Das kann man nicht infrage stellen. Dementsprechend wurde die Industrie- und Bildungspolitik der USA – die Schaffung der Hightech-Wirtschaft und der Forschungsuniversitäten – lange Zeit über das Pentagon koordiniert, genau wie Eisenhowers Projekt der staatsübergreifenden Autobahnen der Bevölkerung als das »National System of Interstate and Defense Highways« verkauft wurde.

In der frühen Nachkriegszeit wurden solche Dinge in der Wirtschaftspresse diskutiert. Man machte sich große Sorgen um einen möglichen Rückfall in die Depression und es wurde weithin anerkannt, dass ein staatlicher Stimulus nötig sein würde, um das zu verhindern. Analytiker wiesen damals darauf hin, dass Sozialausgaben denselben stimulierenden Effekt haben würden wie Militärausgaben. Aber die Geschäftswelt hatte dagegen Vorbehalte und zog Letztere vor, die als Deckmantel für vieles andere benutzt werden können. Sozialausgaben haben schädliche Nebenwirkungen. Die Bevölkerung stellt Militärausgaben nicht infrage und achtet meist nicht weiter darauf, wie sie verwendet werden, aber Sozialausgaben haben eine direkte und sichtbare Auswirkung auf das Leben der Menschen. Sie erwecken daher Interesse und Aufmerksamkeit und könnten am Ende sogar zu subversiven Ideen wie der führen, dass wir an Entscheidungen darüber, in welcher Art von Gesellschaft und Welt wir leben wollen, beteiligt sein sollten. Also auch hier wieder die Gefahr exzessiver Demokratie. Militärausgaben haben nicht diese negativen Aspekte.

Mentalität des Kapitalismus

Aus der Perspektive der Unternehmer war das System der öffentlichen Subventionen und des privaten Profits vorteilhaft, warf aber Probleme auf. Wenn man es offen betreibt, könnte es zu der Auffassung führen, dass die Regierung tatsächlich etwas für die Bevölkerung tun kann und dass wir vielleicht sogar eine Regierung »durch das Volk« brauchen. Das ist ein weiterer Grund dafür, dem Deckmantel der Verteidigung den Vorzug zu geben und Märchen von bösen Feinden zusammenzuspinnen, die uns vernichten wollen.

Langfristig gesehen wird auch die Wirtschaft selbst durch diesen Übergang von Forschung und Entwicklung zu Finanzmanipulationen geschädigt werden. Früher wäre das vielleicht ein Grund zur Besorgnis gewesen. Aber seit der Zeit, in der die langfristige Lebensfähigkeit einer Firma noch eine wichtige Sorge war, hat sich das Managerethos verändert und ist heute nur noch auf sofortigen Gewinn fokussiert. Die langfristigen Aussichten für das Unternehmen werden immer unwichtiger – und dasselbe gilt für die menschliche Gesellschaft insgesamt.

Nichts könnte diesen Konflikt mit größerer Klarheit illustrieren als ein bereits diskutiertes Phänomen: die fast reflexartige Entscheidung, mit weit offenen Augen auf die Katastrophe zuzusteuern, sofern dabei ein kurzfristiger Gewinn zu machen ist. Im Augenblick sind die Profite spektakulär hoch, die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden befinden sich längst in der Stratosphäre und haben die anderen Managergehälter mit sich gezogen, während die Reallöhne für die Gesamtbevölkerung stagnieren, die Sozialausgaben mager sind und Gewerkschaften und andere Versuche, sich in eine »gesunde Wirtschaftspolitik« einzumischen, zerschlagen werden. Es ist die beste aller möglichen Welten. Warum soll es mich also kümmern, wenn meine Firma bankrottgeht, sobald ich selbst etwas Besseres gefunden habe, oder warum sollte es mich interessieren, ob ich meinen Enkeln eine Welt hinterlasse, in der sie eine Chance haben, auf menschenwürdige Art zu überleben?

Es ist eine kapitalistische Mentalität, die jede Vernunft hinter sich gelassen hat.

Nicht mehr in der Hand der Bevölkerung

Da ist dann natürlich noch das übliche Problem, die gemeine Masse. Dort ist man nicht so glücklich über die Unterminierung einer funktionierenden Demokratie und grundlegender Rechte. Ich sollte hinzufügen, dass all das auch für Europa gilt und das sogar in noch höherem Maß. Dort ist der Angriff auf die Demokratie noch schärfer als hier. Wichtige Entscheidungen über Gesellschaft und Politik befinden sich nicht mehr in der Hand der Bevölkerung. Sie werden von einer nicht gewählten Bürokratie in Brüssel getroffen, dem IWF, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission.

All das führt überall auf der Welt zu Wut, Ressentiment und Verbitterung. Man kann das jetzt sehr deutlich an der Gelbwestenbewegung in Frankreich sehen, aber man findet es überall. In einer Wahl nach der anderen bekommen die zentristischen Parteien eine Abfuhr. Das geschieht auch hier bei uns. Zwar behalten die Parteien in unserem rigiden Zweiparteiensystem ihre Namen bei, aber die zentristischen Elemente sind dabei, die Kontrolle zu verlieren.

Die Wut der Bevölkerung wird oft auf Fremdenfeindlichkeit und die Furcht zurückgeführt, dass Immigranten unsere Wirtschaft kaputtmachen und unsere Kultur vergiften, Gefühle, die leider real genug sind. Es gibt eine Menge Forschung zu diesem Thema. Was diese meines Erachtens ziemlich überzeugend zeigt, ist, dass die zentralen Probleme die wirtschaftliche Unzufriedenheit und der wirtschaftliche Kontrollverlust sind – Sorgen über Stagnation, Unsicherheit, die Unterminierung sozialstaatlicher Maßnahmen und das Fehlen jeder Möglichkeit der politischen Teilhabe in einer Demokratie im Niedergang. All das öffnet pathologischen Symptomen die Tür – der Suche nach Sündenböcken, Angst, unfokussierter Wut. Und diese Symptome können von Demagogen mit oft hässlichen Zielen ausgenutzt werden. Nichts davon ist in irgendeiner Weise überraschend.

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