Sabine Kuegler wuchs im Dschungel von Westpapua auf, ihr Buch „Dschungelkind“ wurde ein weltweiter Millionenbestseller. Mit 17 Jahren kam sie nach Europa und erfuhr einen Kultur-Clash. Heute lebt sie in Hamburg, hat Kinder, Freunde und Arbeit. Aber noch immer ist sie eine Zerrissene zwischen den Welten und der innere Kampf um ihre Identität quält sie.
Im Dschungel hatte sie gelernt, unsichtbar zu werden, um zu überleben – in der westlichen Welt muss man sichtbar sein. Sie wurde darauf trainiert, ihre Welt mit allen Sinnen wahrzunehmen, aber hier waren sie permanent überreizt. Sie zweifelt und blickt von außen und innen auf unsere Zivilisation: Sind wir hier glücklich? Entfremdet? Gesund? Krank? Mehrfach kehrt sie in den Dschungel zurück. Bei einer dieser Reisen erkrankt Sabine Kuegler schwer, gilt als austherapiert und unternimmt einen letzten verzweifelten Rettungsversuch: Sie verlässt Deutschland, gibt ihre Kinder in die Obhut ihrer Väter und geht zurück in den Dschungel, in die Kultur, in der sie sich beschützt fühlt. Sie erlebt dort Abenteuer, die für viele Menschen kaum zu glauben sind. Erst nach fünf Jahren kommt sie zurück und erzählt erstmals von dieser dramatischen Zeit, von ihrer Suche nach Heilung, Glück und ihrem Platz im Leben. Dabei öffnet ihr einzigartiges Leben vielleicht auch die Chance, in einer globalisierten Welt Mittlerin zwischen den Kulturen zu sein.
Ich spüre deutlich, was mein Gegenüber meint oder fühlt
Es gibt eine Sache, mit der ich noch zu kämpfen habe, es ist meine persönliche Herausforderung. Dadurch, dass meine Sinne so anders entwickelt sind als die der meisten Menschen, die ausschließlich in der westlichen Welt aufgewachsen sind, ist meine Art der Kommunikation noch immer anders als ihre. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich in Gesprächen den nonverbalen Teil des Austauschs sehr überschätze. Ich spüre ja deutlich, was mein Gegenüber meint oder fühlt, auch ohne dass es ausgesprochen wird. Und gehe davon aus, dass es umgekehrt genauso sein muss, was meistens aber nicht der Fall ist. Es passiert mir dann, dass ich manches weglasse, was zu einer guten Verständigung notwendig wäre, oder dass ich stärker auf die Emotionen meiner Gesprächspartner achte als auf ihre Worte. Denn genau darauf sind meine Sinne trainiert, das unterscheidet mich von vielen anderen. Es kann hilfreich sein, ist aber nicht immer angenehm, weder für mich, noch für mein Gegenüber. Ich mache mir dann bewusst, dass die Menschen im Westen sich nicht nur, aber vor allem über das gesprochene Wort mitteilen, allenfalls noch über Gestik und Mimik. Höre ich nur auf die Worte und beobachte die Körpersprache, dann ist es für mich manchmal so, als würden nur Wortfetzen, also nur ein Teil der Kommunikation bei mir ankommen.
Ich muss auch lernen, mich von dem abzugrenzen, was bei Unterhaltungen und menschlichen Begegnungen an Emotionen auf mich überschwappt. Denn ich fühle sie dann manchmal genauso, als wären sie meine eigenen. Ich erinnere mich noch gut an ein Abendessen einige Monate vor der Drucklegung dieses Buchs, zu dem ich eingeladen war. Neben mir saß eine Person mit einer sehr brutalen Familiengeschichte, die allerdings gar nicht Thema unserer Unterhaltung war. Als ich schon längst zu Hause war und im Bett lag, überkam mich plötzlich ein wahnsinnig intensives Gefühl von Selbsthass. Ich war verwirrt, weil ich nicht verstand, woher das auf einmal kam. So etwas hatte ich noch nie empfunden, und es war auch nichts vorgefallen, was dieses Gefühl bei mir hätte auslösen können. Erst als ich genau hinfühlte, konnte ich dieses Gefühl der anderen Person zuordnen, ich wusste dann, dass es das war, was sie fühlte. Und im Nachhinein, als ich mehr über die Lebensgeschichte erfuhr, wurde mir klar, woher es kam. Über ähnliche Vorfälle könnte ich noch viel berichten.
Eine Gabe, um die mich viele beneiden
Manchmal sitze ich jemandem gegenüber, der mir das Gegenteil von dem erzählt, was er oder sie fühlt. Mit der Zeit verstehe ich immer besser, dass es Menschen gibt, die ihre Gefühle so erfolgreich verdrängen, dass es ihnen überhaupt nicht mehr bewusst ist. Andere möchten nicht darüber sprechen, was sie durchmachen, oder möchten ihre Gedanken und Emotionen für sich behalten. Was selbstverständlich vollkommen akzeptabel und nachvollziehbar ist. Viele wollen oder können sich der Wahrheit nicht stellen, weil sie zu schmerzhaft ist. Zu schmerzhaft, um funktionieren können. Und meistens geht es mich auch einfach nichts an. Dann fühle ich mich manchmal wie jemand, der unbefugt in die Privatsphäre anderer Menschen eindringt. Je länger ich aber wieder hier bin, desto besser schaffe ich es, bewusst »wegzuhören«, also die Stimmungen und Emotionen nicht oder nur abgeschwächt wahrzunehmen.
Eine Zeit lang verachtete ich diese Sinne und wünschte, ich könnte sie ausknipsen. Mittlerweile aber lerne ich, auch diesen Teil von mir nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu schätzen. Ich weiß nun, dass es eine Gabe ist, um die mich viele beneiden. Und viele bitten mich, sie zu nutzen, um ihnen zu helfen, auf Dinge in ihrem Inneren zu stoßen, die sie nicht oder nicht klar sehen können. Ich nutze sie auch immer stärker, um mich selbst in dieser Welt zurechtzufinden, mir selbst den Weg zu weisen. Denn die Emotionen hinter der äußerlichen Fassade zu erkennen, kann ein gewaltiger Informationsvorsprung sein. Ich habe einen Weg gefunden, diese Sinne in den Situationen auszuschalten, in denen sie hinderlich sind, weil sie mich überwältigen und überfordern. Oder in denen ich sie schlicht und einfach nicht brauche. Aber diese Sinne sind auch ein Schutz für mich, denn sie warnen mich vor Gefahren und Unstimmigkeiten und lassen mich Dinge wissen, die wichtig für mich sind und die ohne sie vor mir verborgen wären. Dinge, die für Menschen, die hier aufgewachsen sind, manchmal völlig offensichtlich sind, für mich aber nicht.
Die Fayu haben uns damals bei unserem Bad im Fluss nicht darauf hingewiesen, dass wir im Krokodilfluss schwimmen, weil sie ganz selbstverständlich davon ausgingen, dass wir das genau wussten, es aber trotzdem taten. Sie waren nicht in der Lage, sich in die Perspektive von Menschen zu versetzen, die mit Krokodilen im Fluss nicht vertraut waren. Genauso wie die Menschen in Europa davon ausgehen, dass ich all die Dinge weiß und kenne, die unsere westliche Kultur und unser Leben hier ausmachen und die für sie ganz offensichtlich sind. Erst recht, weil sie mir nicht ansehen, dass ich an einem ganz anderen Ort aufgewachsen bin als sie. Denn meine Haut ist hell und meine Haare sind blond. Beste Voraussetzungen also, um schnell ein Teil der Gemeinschaft hier im Westen zu werden. Könnte man denken.
Im Urwald wusste ich bald, wo die Krokodile sind
Doch ich hatte mich geirrt. Weil ich so aussehe wie all die anderen und sogar ihre Sprache spreche, stößt es bei ihnen noch heute manchmal auf Unverständnis oder sogar auf Wut, wenn sie merken, dass ich ganz anders bin als sie. Sie verstehen nicht, dass ich trotz äußerlicher Ähnlichkeiten mit ihnen einen völlig anderen kulturellen Hintergrund habe. Ich bin kein Teil von ihnen, ich fühle und denke anders. Doch auf eine andere Weise, oberflächlicher betrachtet, erleichtert mein Äußeres meine Integration im Westen auch. Man sieht mir ja nicht an, dass ich aus einer völlig anderen Kultur stamme, nicht auf den ersten Blick.
Im Urwald wusste ich bald, wo die Krokodile sind, und ich konnte sie meiden. Hier bin ich auch auf einem sehr guten Weg, nicht mehr da zu schwimmen, wo die Krokodile sind. Ich erkenne die Gefahren in dieser Welt, physischer oder emotionaler Art – nicht immer, aber immer besser und öfter. Weil es mir immer mehr gelingt, das Leben aus der Vogelperspektive zu betrachten. Für mich ist das der Weg, zu verstehen, zu begreifen, wer ich wirklich bin, die Teile noch einmal zusammenzusetzen, einen Schritt zurückzutreten, um ein klareres Bild vom Leben selbst mit all seinen Nuancen zu bekommen. Und wenn es gut geht, dann werde ich die Antworten, die irgendwo tief im Inneren vergraben sind, finden, irgendwann.
Kannte sie bisher gar nicht und gerade mal bei Youtube geschaut und direkt ein Interview aus ihrem eigenen Verlag von vor 2 Tagen gefunden:
https://www.youtube.com/watch?v=kxZxMeessSw
Wieso haben sie das nicht mitverlinkt? Würde doch gut passen.
Danke, Frau Kuegler, für diesen wirklich sehr interessanten Text.
Das ist ein guter Ausgleich zu den ansonsten oft sehr kopflastigen Artikeln – sowohl hier als auch sonst überall.
Ebenso wie @ Yossarian, kannte ich Ihre Geschichte bisher nicht.
Das ist im Grunde eine der wichtigsten Lebensaufgaben: die eigene Beschränktheit zu überwinden und das Wesen und die Weltsicht anderer zu verstehen.
Der Erkenntnisgewinn soll über den
Kauf bei den Buchkomplizen einsetzen, nicht über die Artikel hier.
🙂
Warum schleimen die Lämmer ?
Niemand weiß es und will es wissen.
Hauptsache die Kasse klingelt.
Elfi, die Platte hat nen Sprung.
aquadrat, wenn jemand auf der Stelle tritt, dann du. Den Antifaschisten nimmt dir niemand mehr ab, so wie du hier seit Jahren mit Nazis in der Kommentarspalte kuschelst.
Deine Freunde kaufen schon beim
Kopp-Verlag. Du musst dich für sie nicht ins Zeug legen.
🙂
Oh man, er hat wirklich Recht mit Platte hat einen Sprung. Es klingt echt immer so gleich, wie Floskeln, die man zum Besten gibt.
Ist ihnen mal aufgefallen, dass sie auf einen völlig harmlosen Artikel einfach nur mit einem großen Scheißhaufen reagiert haben? Wie kann man soviel Negativität in sich haben? Was bringt sowas? Ich raff das echt nicht.
Den Sprung hat vermutlich der
deutsche Presserat.
Der sieht eine strikte Trennung von redaktionellem Teil und
Werbeteil vor. Das die Leser hier verarscht werden, mag der deutsche Pressrat gar nicht und mahnt Verstöße ab. Sogar die Bild hält sich jetzt dran.
Die Schmierenkomödie mit den Sockenpuppen vom Verlag ist allerliebst. Westend muss es demnach ziemlich dreckig gehen.
“Der Deutsche Presserat ist die Freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland.”
https://www.presserat.de/aufgaben-organisation.html
Gibt es das Overton-Magazin jetzt auch am Kiosk?
Wobei jedem, der sich für Medien interessiert und also auch schon vom Propagandamodell oder den Zahlungen großer Konzerne wie Google und Microsoft für “Gemeinsame Projekte” gehört haben sollte, klar sein müsste, dass die freiwillige Selbstkontrolle nur oberflächliche Tarnung ist.
ach ja, die Nahtzi-Keule…😵
das überaus beliebte ultimative schlagende Argument der Antifa, wenn Sachargumente ad hominem fehlen… schäm Dich.
dabei war Dein Rant über Product Placement bei Westend doch passend? bloß eben nachgeschoben…
Spiegelneuronen.
Fällt mir jedes Mal ein, wenn ich bei Radtouren auf Tauben oder Krähen treffe. Wobei stadtnähere Krähen deutlich gelernt haben.
Jeder, der schon mit Angstzuständen in Kontakt gekommen ist, dürfte wissen, wie brutal einem das eigene Gehirn in die Irre führen kann.
Vor Ewigkeiten habe ich etliche Castaneda-Bücher gelesen und war gespannt auf Erkenntnis. Die Erkenntnis war, dass gefühltes “Wissen” nicht übertragbar ist.
Zudem ist gefühltes “Wissen” evolutionär gesehen nur dann richtig, wenn es hilfreich ist.
Derzeit gibt es wieder einen Trend zu LSD u.Ä. für austherapierte Depressive und PTBSler. Diese Stoffe schmelzen die Randbarrieren, die das Gehirn im Laufe der Zeit zur effizienteren Umweltverarbeitung aufgebaut hat. Bei Depressiven stehen ein paar falsche Mauern, die die Gefühlswelt grau machen. Ähnlich bei PTBSlern.
Einige Kriegs-PTBSler gehen erne wieder an die Front, weil ihre Gefühlswelt dort matcht.
PS: Den Film finde ich toll.
Ich habe auch gerade das verlinkte Interview gehört. Das klingt ganz gut. Ich vermisse immer die Übersicht über das Inhaltsverzeichnis und eine kleine Leseprobe.
Ich hoffe das Buch ist möglichst eher über die Kultur in Papua mit gelegentlichen Vergleichen zu uns und dann auch über die Umwelt dort.
” Spiegelneuronen”, ” Castaneda”, ” Gefühltes Wissen ” ……Herrlich !
Fortsetzung folgt
Band 3:
” Ich jogge nicht mehr da, wo die Nilpferde furzen “
Erfrischende Nachäffung. Danke für die Demonstration jugendlichen Mitgefühls. Das hilft sicher vielen, die Orientierung suchen.
Sabine Kuegler’s Dschungelbücher hab ich Zuhause im Regal und auch ihre Radiobeträge sind hörenswert. Deshalb kann ich auch den Fremdenhass oder die Xenophobie der Sentinelesen auf den Andamanen verstehen!
Das neue Buch wird morgen bestellt 👍 danke Sabine für den Beitrag in Overton und Schreib hier mal Öfters!
willkommen Sabine, du bist nicht allein. Es gibt viel wie dich. Doch hatten nur wenige das Glück, nicht in dieser verlogenen Zivilisation aufwachsen zu müssen. Eine Zivilisation, die Menschen wie dich zerbrechen oder zumindest als behindert darstellen muss, um sich zu rechtfertigen, für all die Lügen, mit denen wir aufgezogen werden, an die wir glauben sollen/müssen.
Sei froh, dass du dort aufwachsen durftest, wo du warst, so konnten sie dich nicht als behindert abstempeln oder zerbrechen, bevor du erwachsen wurdest.
Du suchst an der verkehrten Stelle, wenn du glaubst den Schlüssel zu deinem Sein in der Art zu finden, wie du aufgewachsen bist.
Krokodile sind harmlose Tiere, die sich an bestimmte Regeln halten, das hat auch die Dame sehr früh gelernt, nur es gibt nichts fieseren, hinterhältigeres und unberechenbares als die Spezies Mensch, der versucht seine eigenen Artgenossen zu beherschen und zu manipulieren…
siehe unser Land, wie viele Demütigungen es seitens der US Regierung bis jetzt ertragen musste, wobei es eigentlich von Russland befreit wurde….nur weil es vor …tja