Datenschutz: nur für Gesunde

Bild eines Wahlplakates der Piraten, auf dem sie die Gesundheitskarte als nicht datenschutzkonform kritisieren.
Rambodieschen (Piratenpartei), CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons

Die Digitalisierung wird kein einziges der schwerwiegenden Probleme im Gesundheitswesen lösen oder wenigstens einer Lösung näherbringen, erklärt der Arzt Bernd Hontschik. Ein Textauszug aus seinem Buch »Heile und Herrsche. Eine gesundheitspolitische Tragödie«.

Wenn der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, dass Datenschutz nur »was für Gesunde« sei, dann wird klar, um was es hier geht: um die Verfügungsgewalt über die Gesundheitsdaten. Die vermeintlichen Vorteile der elektronischen »Gesundheits«-Karte halten einer Überprüfung kaum stand. »Lebensrettende Notfalldaten« gibt es nicht. Daten retten kein Leben. Hier ist gemeint, dass sich der Notarzt per Kartenlesegerät blitzschnell ein Bild über den Patienten machen kann. In mehr als 10 Jahren auf dem Notarztwagen kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo mir eine Reanimation oder ein Noteingriff besser von der Hand gegangen wäre, wenn ich zunächst die Patientendaten auf dem Bildschirm eingesehen hätte. Blitzschnell musste ich als Notarzt oft handeln, aber nicht mit Daten.

Die leidigen »Doppeluntersuchungen«, die sich mit einer Digitalisierung angeblich vermeiden lassen, verursachen bei der Deckelung durch Regelleistungsvolumina in der Praxis und der Pauschalierung durch die DRGs im Krankenhaus der Gemeinschaft keinerlei Kosten, höchstens dem Verordner, dem sie weder zusätzlichen Umsatz noch mehr Gewinn generieren. Bleibt noch der »Kartenmissbrauch«: Die Kosten durch betrügerischen Gebrauch von Versichertenkarten liegen weit unter den Kosten der Foto-Applikation auf der elektronischen »Gesundheits«-Karte. Daher versieht keine Bank, kein Kreditkartenunternehmen seine Karten mit Fotos: Dort kann man eben rechnen!

Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen im jämmerlichen Zustand

Ernstzunehmender ist schon das Argument, man könne mit Hilfe dieser Applikation unerwünschte Medikamenten-Interaktionen rechtzeitig erkennen. Immerhin schätzt man, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 25 000 Todesfälle auf das Konto falscher, falsch dosierter, schädlicher oder miteinander unvereinbarer Medikamenten-Verordnungen gehen und es zu etwa 500 000 schweren arzneimittelbedingten unerwünschten Wirkungen kommt. Wäre die Digitalisierung mit der sogenannten »Gesundheitskarte« patientenorientiert, so gäbe es längst einen simplen Algorithmus auf jedem Chip, der Medikamenten-Unvereinbarkeiten sofort als Warnhinweis ausgäbe. Für die Orientierung an der profitablen Auswertbarkeit möglichst vieler »Gesundheits«-Daten ist dies aber nicht so wichtig. Also gibt es das noch nicht. Bislang haben sich die Software-Entwickler noch nicht einmal bis zu einem »papierlosen Rezept« oder zu einer elektronischen Krankschreibung vorgearbeitet: eine technologische Blamage.

Der jämmerliche Zustand der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland wird seit Beginn der Corona-Pandemie jeden Montag deutlich, wenn man angesichts niedriger Fallzahlen denken könnte, die Pandemie sei vorbei. In Wirklichkeit sind auch noch zwei Jahre nach dieser außerordentlichen Bedrohung der Menschheit die Gesundheitsämter am Wochenende nicht besetzt, denn ihre Personalausstattung wurde keineswegs verbessert, und die Kommunikationstechnik hinkt immer noch Jahrzehnte hinterher. Die Infektionsparameter werden vielfach noch händisch gezählt, die handgeschriebenen Listen von Kleinstadt zu Großstadt transportiert oder per Fax weitergemeldet. Der Rückstand der Digitalisierung ist für eine führende Industrienation zwar in höchstem Maße peinlich, aber andererseits könnte man dem durchaus Positives abgewinnen, denn es ist doch auch beruhigend, dass auf diesem Niveau Daten im großen Stil weder gehackt noch missbraucht werden können. Noch nicht.

Das Arztgeheimnis geht flöten

Das Für und Wider ist vielfältig, vielschichtig und widersprüchlich. Das Misstrauen gegenüber staatlichen Ausforschungs- und Aushorchungsalgorithmen, versteckt in Gesundheitskarten und Patientenakten, ist groß. Die Anfälligkeit von zentralen Serverlösungen für Hackerangriffe, die Datendiebstahl oder Ransomware-Erpressungen ermöglichen, ist offensichtlich. Daten-Großkonzerne, Versicherungen und sogenannte »soziale« Netzwerke sind in ihrer Gier nach immer weiteren Datensätzen unersättlich. Digitalisierung und Online-Anbindung immer weiterer Bereiche des täglichen Lebens ermöglichen eine Realtime-Überwachung ungeahnten Ausmaßes. Mit den derzeitigen Digitalisierungsplänen wird die Arzt-Patient-Beziehung entpersonalisiert, so etwas wie ein Arztgeheimnis kann dabei nicht länger aufrechterhalten bleiben.

Wäre es nicht wunderbar, wenn es eine Technik gäbe, die eine Lösung für all diese Probleme auf einmal verspricht? Dieser Traum kann in Erfüllung gehen. Man muss es nur wollen, sich ein bisschen umschauen in Europa und sich von Big-Brother-Phantasien verabschieden. Die – längst überfällige – Digitalisierung wird kein einziges der schwerwiegenden Probleme im Gesundheitswesen lösen oder wenigstens einer Lösung näherbringen. Die Digitalisierung wird von denen, die in einer Art Verachtung für alles Menschliche in der Humanmedizin das Maschinelle propagieren, wie eine Heilslehre, wie die Monstranz eines Religionsersatzes vor den Programmen hergetragen, die den Menschen zu einem Lieferanten von möglichst vielen profitablen Daten reduzieren. »Der Wechsel von analog zu digital, Tracing und Tracking, die Anhäufung und Auswertung von großen Datenmengen sowie eine daraus resultierende Personalisierung und Kontrolle werden favorisiert, da sie finanziell lukrativ sind. Das menschliche Verhalten gerät zunehmend in den Verwertungsprozess.«

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8 Kommentare

  1. Was soll da gesagt werden? „Das menschliche Verhalten gerät zunehmend in den Verwertungsprozess.“ Das stimmt nicht, denn es ist schon lange im Verwertungsprozess. Dazu empfohlen“ Die weiße Mafia.“ Frank Witting.
    Es ist ein wenig, gering durchdacht, wenn der Autor lediglich von sich ausgeht. Es wäre doch zumindest eine Zeile wert zu sagen, was er denn wohl glaubt, welche Daten ihm helfen könnten. Ich sehe ein, dass der Notarzt, da eine exponierte Stelle hat. Kann es dennoch nicht sei, weil der Patient seinen Mangel nicht kennt, den eine Digitalisierung aufzeigen könnte, in die Notlage gekommen ist?
    Egal wie, wenn in der Digitalisierung was zustande kommen soll braucht es unendlich viele Daten. Da ist der sogenannte Datenschutz Blödsinn, das zeigt schon das Bild auf der Gesundheitskarte, aus dem Kreißsaal heraus werden hunderte Bilder mit Namen verschickt und die Gesichtserkennung ist schon mal gespeichert.
    Arzttermine sollen so schwer sein zu bekommen, na klar, alle Ärzte sind Fachärzte und für Überweisungen gibt es Geld. Also wir überwiesen und Abrechnen kann man als Facharzt. Mein Hausarzt ist Facharzt für Allgemeinmedizin, was hat der denn studiert? Seit ich ihm gesagt habe es soll mit dem Überweisen aufhören funktioniert auch alles.
    Ganz abgesehen davon, Deutschland ist noch nicht mit der Pandemie durch, die Kollateralschäden sind nicht aufgelistet und die Schulden die als Salär in der Medizin gelandet sind auch noch nicht aufgeschlüsselt. Es stellt sich wirklich die Frage, ob mit Krankheit Profit gemacht werden darf. Gemacht wird es von daher die Privatisierung das Gesundheitswesen. Unregelmäßigkeiten kann die Digitalisierung unverzüglich aufzeigen.
    Bei niedergelassenen Ärzten sind es die IGeL Leistungen.

  2. „die Anhäufung und Auswertung von großen Datenmengen sowie eine daraus resultierende Personalisierung und Kontrolle werden favorisiert, da sie finanziell lukrativ sind. “ mehr muss man dazu nicht wissen. Melkvieh von der Wiege bis zur Bahre.
    Schöne neue Welt……………….

  3. Die digitale Coronaimpfapp, wird m.W.n aktiv missbraucht. Jeder der einen Impfstatus möchte, aber sich nicht tatsächlich impfen lässt kann eine erst, zweit, dritt und geboostert Nachweis erhalten (insofern man über Kontakte verfügt). Die Naivität der regierenden vergisst die Kreativität der bedrängten.
    Dort wo digitale Auswertung von Nöten ist, versagt dann die Behörde?
    Frisch aus Österreich
    „Geburtenrückgang nach Impfung auch in Österreich? MFG fordert Zahlen von Statistik Austria“ rtde.

  4. Es geht darum mit KI lukrative „Krankheiten“ zu finden.
    Besonders die recht seltenen wenig auffälligen, aber in der Therapie teuren Fälle sind interessant. Wenn diese aus der Datenanalyse einfach aufgespürt werden können, sagt wohl kaum ein Patient nein zu einer Behandlung und es lässt sich richtig viel Geld verdienen.

    1. Spätestens wenn man pflegebedürftig in einem Pflegeheim aufwacht, wo die Jalousien sich automatisch
      öffnen und ein Pflegeroboter (gibt es bereits) dir einen „Guten Morgen“ wünscht, wird der ein oder andere dann eventuell doch ins grübeln kommen. Obwohl, dann ist wahrscheinlich sowieso schon alles egal.

  5. Was ‚Digitalisierung im Gesundheitswesen‘ bedeutet, konnte ich neulich wieder erleben. Besuch beim Zahnarzt. Ein junger Arzt hat die Praxis übernommen und erfolgreich digitalisiert. Die Terminierung liefe jetzt über Doctolib. Dies sei ja komfortabler für Patient*innen, weil mensch via E-Mail und SMS an Termine erinnert werden könne. Dass Doctolib es mit dem Datenschutz nicht allzu genau nimmt, kann auf der Wikipediaseite nachvollzogen werden. Und als cloudbasierte Anwendung definitiv umweltschädlicher ist als der gute alte Terminzettel, kann mensch sich auch denken.

    Noch schlimmer wurde es, als mir ein Formular zur Unterschrift gereicht wurde, welches den Arzt gegenüber der Medical Care Capital GmbH (MCC) von der Schweigepflicht entbinden sollte. MCC ist Finanzdienstleister, treibt die Rechnungen von Leistungen ein, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Für Ärzt*innen eine tolle Sache, das Risiko von Zahlungsausfällen wird an MCC ausgelagert. MCC wiederum will dafür nicht nur die rechnungsrelevanten Daten, sondern auch Einsicht in Befunde und die Patientenakte erhalten. Dazu das Recht, sämtliche Scoring-Unternehmen abklappern zu können sowie die eigentliche Rechnungsstellung an ein weiteres Unternehmen auszulagern, samt Weitergabe der persönlichen Daten. Was, wenn ich nicht einwillige? Zahlung direkt nach Leistung, bar oder mit Girokarte. Arme werfen die Arme vor Freude in die Luft.

    Insofern ließe sich die Überschrift des Artikels erweitern. Datenschutz: nur für Gesunde und Wohlhabende. Wenn es denn überhaupt Datenschutz gäbe, außer auf dem Papier. Auch wenn ich es mir leisten kann, die Entbindung von der Schweigepflicht zu verweigern, werde ich die Praxis wechseln. Geholfen ist damit niemandem, denn weg muss das paranoide System, welches totale Transparenz der Untertanen braucht, um zu herrschen, und herrschen kann, weil es die eigenen Machenschaften mit allen Mitteln kaschiert.

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