Die Corona-Krise wird zum Prüfstein: Wegen der Reduzierung sozialer Kontakte hat das Problem der Einsamkeit vieler Menschen in unserer Gesellschaft einen starken Schub bekommen. Ein Buchauszug.
In manchen Momenten dachte ich an Stefan Zweig, der im brasilianischen Exil 1941 Die Welt von gestern beschrieben hatte, es waren die »Erinnerungen eines Europäers« an eine im Krieg untergegangene Epoche, in der man unbehelligt ohne Pass durch Europa reisen konnte, »offen lag uns die Welt, Land um Land«1. War das, was ich hier beschrieb, schon die »Welt von gestern« der Freundschaft, drohte ihr der Untergang in der Coronapandemie?
In allen früheren Krisen der Menschheit war die Freundschaft eines der wirkungsvollsten Mittel gewesen, um die Moral aufrechtzuerhalten. Man saß im Luftschutzkeller und trocknete einander die Tränen, man umarmte sich bei Verlusten, suchte Nähe und Trost im Angesicht der Freundin, des Freundes. Soziale Distanz aber, wie sie zur Pandemiebekämpfung angeordnet worden war, machte diese urmenschliche Form der Krisenbewältigung unmöglich. Wer Freundschaften über die aseptischen digitalen Kanäle hinaus pflegte, setzte sich dem Vorwurf aus, der Ausbreitung einer todbringenden Krankheit Vorschub zu leisten. Die Freundschaft bekam einen unmoralischen Anstrich, das war ein Paradigmenwechsel, der so gar nicht zum ererbten Wertekanon des Menschen passen wollte. Es ist nicht abzusehen, was es in einer Generation von Kindern angerichtet hat, wenn sie ständig zu hören bekamen, von Freunden gehe tödliche Gefahr aus.
Zoom-Party: Ersatz für physische Nähe?
Für Ältere gerieten zäh erkämpfte soziale Fortschritte ins Wanken. Wer seinen Lebensstil auf dem Prinzip der Wahlfamilie aufgebaut hatte, wie es seit den familienskeptischen Achtzigerjahren viele getan hatten, wurde nun mit »sozialer Deprivation« belegt, wie es die Kassenärztliche Bundesvereinigung in einem Positionspapier zum zweiten Lockdown 2020 ausdrückte. Die erzwungene Reduktion von Kontakten auf Ehegatten, Nichten und Tanten katapultiere uns zurück in das Familienbild der 1950er-Jahre, merkte Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung an. Der Staat habe die Menschen durch seine Pandemiemaßnahmen in Verhältnisse gezwungen, die als längst überholt gegolten hätten.
Konnten Teams-Konferenzen und Zoom-Partys einen Ersatz für den Verlust an physischer Nähe bieten? Das glaubten wohl nicht mal die digitalverliebten Millennials. Das Bedürfnis nach Sinnlichkeit ließ sich jedenfalls nicht auslöschen. Man konnte es den jungen Menschen ansehen in den Monaten der Lockdowns, an düsteren Herbstabenden in den Parks. Sie trafen sich schüchtern in Grüppchen von Freunden, die Gesichter blau erleuchtet vom Display der Handys, auf denen klandestine Versammlungsorte besprochen wurden. Rollte eine Polizeistreife vorbei, so lösten die Grüppchen sich auf, um danach wieder geisterhaft zusammenzuschweben, wie ein Ballett, das von Liebe und Verfolgung erzählte.
Erst jetzt spürte man, was es bedeutete, reduziert auf Nachwuchspflege, Essen und Erwerbstätigkeit zu leben, sich also gewissermaßen in einem äußeren Sinnkreis des Lebens aufzuhalten, in dem die unverzichtbaren Verrichtungen zu Hause sind. Über die Einhaltung der »Vereinzelungsstarre« in diesem »größten Sozialexperiment aller Zeiten« wachten streng die Exekutivorgane. Prophetisch muteten da die Sätze an, die C. S. Lewis einst geschrieben hatte, ohne zu ahnen, dass es mal eine Coronapandemie geben würde: »Wenn es also unseren Oberen gelingen sollte, eine Welt zu schaffen, in der es (…) keine Freunde gibt – sei es mit Gewalt, Propaganda (…), oder indem sie ein Privatleben und unorganisierte Muße unauffällig hintertreiben, dann werden sie gewisse Gefahren ausschalten und uns außerdem den stärksten Schutzwall gegen völlige Versklavung rauben.«
Corona hat den subversiven Charakter der Freundschaft zum Ausdruck gebracht
Trotz seuchentechnischer Einsicht wünschte man sich daher, den politischen Entscheidungsträgern wäre in dieser Zeit eine Psychiaterin zur Seite gestellt gewesen. So hätte es vielleicht die Chance gegeben, die seelischen Auswirkungen von Freundschaftsverzicht in Kindergärten, Schulen, Arbeitsplätzen und Altenheimen besser in den Maßnahmenkatalog einzuarbeiten. »Man kann auch an Vereinsamung sterben«, titelte die Berliner taz im Oktober 2020 einen Bericht über Altenpflegerinnen, die von den Bewohnerinnen ihres Heims erzählten: Zwei alte Frauen hätten früher den Tag miteinander verbracht, eine saß im Rollstuhl, die andere schob sie durchs Haus. Die Coronaschutzmaßnahmen hätten diese Freundschaft nun beendet – zumindest, wenn die beiden Frauen sich daran gehalten hätten, was sie aber nicht taten. Sie besuchten einander heimlich, versteckten sich im Zimmer und gingen schnell auseinander, sobald eine Schwester kam.
Corona hat den subversiven Charakter der Freundschaft erst richtig zum Ausdruck gebracht. Werden sich künftige Generationen dereinst Anekdoten erzählen, wie sie in den Lockdowns nachts durch den Wald zum Gartentor ihrer Freunde schlichen, um diese »alles durchdringende, dabei gleichmäßige und wohlige Wärme, beständig und mild, ganz Innigkeit und stiller Glanz«, zu genießen, die von der Freundschaft ausgehe, wie Michel de Montaigne einst behauptete? Im gepeinigten Spanien, wo der analoge Kontakt womöglich noch wichtiger genommen wird als in den kühleren Teilen Europas, war es während des confinamiento im Frühjahr 2020 ein gängiger Trick, einen Sack Müll als Ausrede durch die Stadt zu schleppen, um die Freundin zu besuchen. Man sei auf dem Weg zum Container, hieß es, wenn die Guardia einen erwischte.
Da Seele und Körper eine Einhalt bilden, hatte diese erzwungene Einsamkeit auch körperliche Auswirkungen. Man weiß, wie wichtig für das Immunsystem und im Krankheitsfalle die menschliche, auch körperliche Nähe ist und genau dies wurde Kindern, Alten, und Kranken, die deren noch in weitaus stärkerem Maße bedürftig sind, einer wirklich unmenschlichen Einsamkeit ausgesetzt. Und dann wurde den Menschen auch noch das Gesicht geraubt, das Antlitz des/der Anderen, in dem man sich auch selbst erkennt.
Mit Krankheitsvorsorge hat das nullkommanichts zu tun.
Und selbst die Kirchen, deren großes Vorbild Jesus zu den Leprakranken ging- ohne Maske und Weltraumanzug, haben mit gemacht. Eine kaum wieder gut zu machende Schande.
Und mal abgesehen vom subversiven Charakter von Freundschaft hat man mit dieser gezielten Isolierung und der Trennung der Bürger voneinander dafür gesorgt, dass sich die “Massen nicht zusammen rotten”, wenn es denn gegen die verheerende Politik der Mächtigen geht.
Und genau dafür bleiben diese Maßnahmen auch weiterhin im Repertoire der Bundes- und Landesregierung.
Dass Lockdown psychisch nicht gesundheitsfördernd ist, bestreitet niemand. Hätte Deutschland eine Null-Covid-Politik nach chinesischem Vorbild befolgt, wäre auch viel weniger davon nötig gewesen. Trotz der aufgrund verfehlter Seuchenpolitik anderswo in China laufenden Lockdowns haben mehr als die Hälfte der Chinesen nie einen erlebt.
Auch Schoepp argumentiert, wie viele andere, haarscharf an dümmlichen Verschwörungstheorien vorbei. Die unzureichenden deutschen Massnahmen waren mehr als notwendig, es hätte sonst noch viel mehr Tote gegeben. Bei 17fach kleinerer Bevölkerung hat Deutschland 28 Mal mehr Tote, schneidet also 476 Mal schlechter ab als China, wo die Seuche bekanntlich erstmals auftrat. Das sagt alles und wiegt alles andere bei weitem auf.
Es ist ein Kult …