„Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben“, sagte Hegel. Dieses Diktum darf für den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung als paradigmatisch gelten.
Aber unabweisbare Errungenschaften des Fortschritts in allen Lebensbereichen gingen von Anbeginn mit Schattenseiten desselben Fortschritts einher. Moshe Zuckermann geht in seinem Essay dieser Dialektik nach. Ein Auszug.
Marx bewunderte die mythologische Gestalt des Titanen Prometheus. In der Vorrede seiner 1841 veröffentlichten Dissertation schrieb er: »Prometheus ist der vornehmste Heilige und Märtyrer im philosophischen Kalender.« Er zitierte in diesem Zusammenhang auch Prometheus’ Bekenntnis nach Aischylos Der gefesselte Prometheus: »Mit einem Wort, ganz hass’ ich all’ und jeden Gott.« Es ist indes nicht nur die grausam bestrafte Rebellion gegen die göttlich-tyrannische Autorität, die Marx für den Halbgott einnahm, sondern mehr noch dessen besondere Beziehung zu den Menschen. Als Feuerbringer und Lehrmeister gilt Prometheus als Urheber der menschlichen Zivilisation. Während ihn der griechische Dichter Hesiod aber als listigen Betrüger verachtete, erlangte er bei dem später geborenen Aischylos den gepriesenen Rang des Wohltäters der Menschheit. Einer Variante des Mythos zufolge formte gar Prometheus aus befeuchtetem Ton den Menschen »nach dem Ebenbild der Götter«.
Die Frage, was links sei
Der Moderne geriet er so zur Symbolfigur der Fortschrittsidee: Den Fortschrittsoptimisten steht er für wissenschaftlichen und technischen Progress, wird mithin als Allegorie der sich durch die Herrschaft über die Natur emanzipierenden Menschheit gesehen. Zivilisationskritiker problematisieren hingegen diesen »prometheischen Drang« zur schrankenlosen Naturbeherrschung und zu hybrishafter Macht, welche schon der biblische Mythos vom Turmbau zu Babel und dem Streben nach Gottähnlichkeit anprangerte. Nicht von ungefähr erschien Marx im Jahr 1843 auf einer anonymen politischen Karikatur als »gefesselter Prometheus« im Rahmen des Protests gegen die vormärzliche Unterdrückung der Pressefreiheit in Preußen. Marx leitete seit Oktober 1842 die Redaktion der Rheinischen Zeitung, die ihm die Plattform zur Verbreitung revolutionärer Ideen des Linkshegelianismus bot. Am 31. März 1843 wurde die Zeitung verboten. Marx musste aus Preußen und später auch aus Frankreich und Belgien flüchten, ehe er sich in England niederließ. Als bedeutender Urheber radikalen Denkens, welches das Wohl der Menschheit mit gesellschaftlichem, politischem und technischen Fortschritt verband, avancierte Marx schon zu Lebzeiten zur Symbolfigur linksrevolutionärer Emanzipation und humaner Freiheitsbestrebungen.
Die Frage, was links sei, ist dabei als abstrakte Gesinnungsfrage leicht beantwortet: Links ist der Kampf um eine Gesellschaft, in welcher der Mensch als Individuum von Repressionen sozial bedingter Fesseln befreit wäre. Eine Gesellschaft also, in der jedes Individuum seine eigenen Bedürfnisse befriedigen und seine Veranlagungen in optimaler Potentialität entfalten, mithin anders als andere Menschen sein kann, ohne dabei wegen seines Andersseins gesellschaftlich begründete Angst haben zu müssen. Als das damit einhergehende Praxisproblem ist diese Frage ungleich schwerer zu beantworten. Denn die Veränderung der sozialen Strukturen, welche die erhoffte Herbeiführung besagter Emanzipationsgrundlage zu garantieren vermöchten, ist nicht nur, jedenfalls nicht primär, eine Frage des Bewusstseins, sondern vor allem die von revolutionärer Tathandlung. Da nun aber freies Bewusstsein nur im freien Sein und freies Sein nur im freien Bewusstsein zu haben ist, bewegt man sich zumeist in der Absurdität von Teufelskreis und Sackgasse. In denen stellen die kritische Reflexion der historischen Verfahrenheit und das bedingungslose Festhalten an der Möglichkeit ihrer emanzipativen Überwindung das Linke im Stande der Unfreiheit dar.
Ausgang aus dem Teufelskreis?
Vor diesem Hintergrund erheben sich zwei zentrale Fragen: Betrachtet man die kapitalistische Gesellschaft in traditionellen marxistischen Kategorien, hat sich Ideologie, zum Beispiel in der Form der Kulturindustrie, nicht bereits deutlich in einen integralen Bestandteil der Basis verwandelt, mithin zum gewichtigen Hindernis der Herausbildung eines emanzipatorisch ausgerichteten Bewusstseins der ausbeuterisch beherrschten sozialen Klassen? Verfolgt man darüber hinaus die in den beiden letzten Generationen an der Basis erfolgten Veränderungen, kann man eine soziale Klasse herausheben, von der sich behaupten ließe, sie verkörpere das revolutionäre Kollektivsubjekt? Mehr noch: Vermöchte dieses seinem historischen Wesen nach nationale Kollektivsubjekt angesichts des längst schon übernational expandierenden Kapitalismus einen reellen Agenten sozialen Strukturwandels abzugeben?
Denn eines zumindest haben wir, die späten Nachkommen des geschichts- und umbruchsträchtigen Zeitalter der Moderne, inzwischen gelernt: Gerade weil das Wesen des Kapitalismus fortbesteht – die private Aneignung kollektiver gesellschaftlicher Arbeit, mithin die systematische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen; gerade weil sich die Fähigkeit, jenes Wesen zu erfassen, infolge der beschleunigten Entfaltung ideologischer Apparate und Mechanismen, die die Verblendung der Opfer des kapitalistischen Systems befördern, immer mehr schwächt; und gerade weil wir Zeugen einer zunehmenden Fetischisierung der Unfähigkeit sind, das Barbarische am Kapitalismus direkt zu erfassen, kann es schlechterdings keine Option einer längerfristigen Hinnahme der bestehenden Barbarei und ihrer noch so effektiv ideologisierten Legitimierung geben. Dazu trägt auch eine fatalistisch-stoisch sich verbreitenden Stimmung bei, wonach die Verhältnisse nun mal so seien und so zu sein hätten. Und wegen der Verschwisterung dieser wirkmächtigen Faktoren, und weil wir uns darüber, was Menschen einander unter repressiven gesellschaftlichen Verhältnissen antun können im Klaren sind, dürfen wir uns keine naive Gutgläubigkeit mehr leisten. Aber der Ausgang aus diesem Teufelskreis rückt in immer größere Ferne.
Egoismus als Lebensmaxime
Der ökonomische Wohlstand in gewissen Teilen der Erde mag die, die in seinen Genuss kommen, für die Quellen des Wohlstands blind machen; der religiöse Glaube mag die Opfer von Not und Leid über ihr so geartetes Dasein »hinwegtrösten«; verlogene Ideologien vermögen wohl, denjenigen einen zeitweiligen Optimismus einzuhauchen, die zwar begriffen haben, dass die bestehende Wirklichkeit die Möglichkeit großer Katastrophen in sich birgt, sich aber weigern, die Struktur ihrer sozialökonomischen Ursachen und die Quelle der sie absegnenden sozialpsychischen Muster zu begreifen und sich für deren Aufhebung zu engagieren.
Was dabei unverändert bleibt und unentwegt reproduziert wird, ist der unangefochtene Fortbestand des kapitalistischen Systems: Es ist ein System, das die Produktionsmittel zur höchsten Entfaltung gebracht hat, diese aber zur Vertiefung der barbarischen Kluft zwischen verschiedenen Weltregionen anwendet, aber auch zwischen diversen Schichten innerhalb der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaften; ein System, das unfähig ist, nicht ausbeuterisch, nicht repressiv zu funktionieren, mithin den Egoismus als Lebensmaxime, die soziale Kälte als Quelle vermeintlicher Macht ideologisiert und optimiert; ein System, das alles Menschliche, einschließlich des individuell Intimsten, dem Tauschprinzip der Ware, den Verdinglichungsprozessen von Körper und Bewusstsein sowie der fortwährenden Fetischisierung der vermeintlich freiwillig akzeptierten Unterdrückung ausliefert; ein System, das vor allem in der gegenwärtigen Phase ideologisch davon zehrt, dass der geschichtliche Gegenentwurf, dem freilich die notwendigen historischen Bedingungen für seine emanzipative Entfaltung nie gegeben waren, eklatant zusammengebrochen ist. Mithin verblieb das »verwaiste« kapitalistische System mit dem, was seiner Natur und Ausrichtung noch am ehesten entspricht: der Optimierung des Monopols über die Gestaltung des real Bestehenden, um seinen einzigen Zweck – die Profitmaximierung – mit umso größerer Effizienz perpetuieren und befördern zu können. Diesem System ist Fortschritt zur ideologischen Fratze verkommen.
der Primat von Sein vs. Primat von Bewusstsein Knoten scheint mir heute nicht mehr die zentrale Stelle des Fortschrittsparadoxons zu sein und vielleicht war er es auch schon im Spätmittelalter nicht mehr. wir können ja alles definieren, wie es uns passt, brauchen halt Mittel zur Verbreitung und Gläubige.
mir scheint die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und dabei meine ich sowohl gefühlte als auch bestätigte (sprich rationalisierte) Geschwindigkeit weitaus wichtiger, wenn es um Schleifenbildung geht und dennoch Linearität postuliert wird.
Aus meinen vielen reisen in der Welt, kann ich mehrere Strömungen entdecken, aber das Geld regiert die Welt, überall und ausnahmslos. Hier existiert keine Alternative.
Die Frage über Gerechtigkeit oder auch nicht, wird die Zukunft weisen.
Heute findet eine rigorose Umverteilung statt, für das Wohl der Eigner.
Die Menschen in sogenannten Nationalstaaten, sollten sich vermehrt Gedanken machen, wo diese morgen stehen werden.
Ein Tip zur “Wahrheitsfindung”, schaut nach Publikationen aus z. B. dem Jahre seit 2010 (oder früher) an, welcher Staat in 2030 die Nase vorn hat.
Nichts reingarnichts hat hier mit irgendwelcher Ideologie gemeinsam, sondern immer in eine Direktion.
Für viele Menschen auf der Welt (vermutlich sogar für die Mehrheit) bedeutet Fortschritt schlicht der Weg aus der Armut zum Wohlstand (das ist sehr konkret und alles andere als eine Chimäre). Als Leitbild dienen die reichen Staaten des Westens. Die sind jedoch gefangen (oder befangen?) in ihrer hochmütigen Ideologie. Denn ihre Freiheit gründet auf ihren Reichtum, der wiederum resultiert aus vergangenen kolonialen und heutigen neokolonialen Strukturen in der Welt.
Die Herrschaft der Reichen soll mit ihrer Ideologie gerechtfertigt und gesichert werden. Aus dieser Perspektive ist “Fortschritt” dann in der Tat eine Chimäre, ein Trugbild. Man schaue sich die Regierungserklärung der Ampel an, da wimmelt es geradezu vom Fortschritt.
ja.
Die sich immer stärker beschleunigende Flexibilisierung von Werten,
Normen und der Moral, sowie die sich langsam auflösenden,
zwischenmenschlichen Beziehungen führen bei vielen Menschen zu einem
diffusen Gefühl der Unrast, der Orientierungslosigkeit und letztendlich
auch der Angst. Das daraus entstehende, tiefe Unbehagen in der Kultur
ist zum Grundtenor unserer Zeit geworden.
Das magische Denken wird von den Menschen produziert. Bestes Beispiel
sind die Religionen, welche schon immer Mittel der
Bewusstseinsmanipulation zum Zwecke ideologischer/psychologischer
Herrschaftsausübung waren.
Die Emanzipation der Lohnabhängigen wird dann zur Farce, wenn diese
sich selbst als notwendige Voraussetzung der Kapitalakkumulation
begreifen und ihre Emanzipation darin besteht durch Lohnverzicht die
Kapitalakkumulation auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu heben.
Das Problem liegt einfach am System selbst.
So lange das Volk sich nicht vergegenwertigt, das dieser Neoliberalismus überwunden werden muss, wird sich nichts ändern.
Falsch ist es auch die Fehler in den 90ern zu suchen.
Es war nur eine reine Zeitfrage wann der Kapitalismus den so genannten Kommunismus mit seinen Waren überennt.
Es gibt dann natürlich auch die Möglichkeit, und das ist das, was auch historisch real geworden ist, das sich die Lohnarbeiter mit dem Warencharakter ihrer Arbeitskraft identifizieren. Das sie ihren Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum nur über diesen Warencharakter, dass heisst über die Verkäuflichkeit ihrer Arbeitskraft überhaupt sehen, was anderes sich gar nicht vorstellen können und wollen.
Was sind sie dann, und das muss man mit Marx ein bisschen weiterdenken; dann sind sie nichts weiter als selber Charaktermasken der Ware Arbeitskraft, eines Kapitalbestandteiles.
Dieses System konstituiert sich seit anfang des 16 Jahrhunderts in unseren Köpfen, durch Leute wie Hobbes, Mandeville, Smith und vielen anderen Protagonisten die meinen das sich die Menschheit
dem Zwang der freien Märkte zu unterwerfen haben.
Dabei besteht es nicht in einer falschen Auslegung von Wirklichkeit,
sondern darin, dass der Erhalt der vorhandenen Strukturen zwangsläufig
in solchen religiösen Fanatismus mündet. Religion ist reaktionär und
alles Reaktionäre nimmt religiöse Züge an. Die Verbindung von Religion
und Herrschaft ist also weder zufällig noch gewollt, sondern
unvermeidlich, solange Menschen sich mit Tabus und Dogmen das Denken
einfach machen.
Sehr gut analysiert!
Die USA und die EU sanktionieren laut einer Liste von “Radio Liberty” gegenwärtig weltweit 23 unartige Staaten (eigentlich sind’s mehr, denn das sanktionierte Nicaragua beispielsweise ist nicht aufgeführt).
https://www.rferl.org/a/28193188.html
Warum “überrollt” der Westen denn diese Staaten nicht einfach “mit seinen Waren”, wenn das so einfach ist? Na weil er auch den von Ihnen “so genannten Kommunismus”, der sich selbst real-existierender Sozialismus nannte, nicht mit seinen Waren überrollt hat, sondern bestenfalls mit KonsumVERSPRECHEN.
Tatsächlich aber ganz klassisch mit Zuckerbrot und Peitsche, also Sanktionen, Krieg und Hochrüstung auf der einen Seite und “soft power”, adressiert an die Künstler und Jugend.
Und – ganz wichtig – mit verlockenden Krediten, deren Refinanzierungskosten ab Mitte der 1970-er Jahre buchstäblich explodierten, als die Amerikaner Leitzinsen von 2% auf 20% anhoben. Was glauben Sie denn, wie Solidarnosc im Jahre 1980 entstand? Die polnische Regierung konnte die unvorsichtigerweise großzügig aufgenommenen Westkredite nicht refinanzieren, erklärte, dass es deshalb zu Einschränkungen im Lebensstandart kommen werde und – bäng – die Streiks begannen.
Mit demselben Problem hatten damals zu kämpfen Jugoslawien, Rumänien und in geringerem Maße die DDR und Ungarn. Und vor allem die Staaten Lateinamerikas (“Latin American debt crisis”, Mexiko war 1982 zahlungsunfähig), aber dort machte merkwürdigerweise keiner die Gesellschaftsordnung, sondern nur die Regierung dafür verantwortlich.
Ja, der Besitz der weltweiten Leitwährung hat schon Vorteile im Systemkampf.
das magische Denken sehe ich zur Zeit mehr in Staat, Wirtschaft und Wissenschaft sich verbreiten. es gibt auch eine seltsame Schleife der Regression in der Selbstzuschreibung der Progression, die ihre mögliche Opferrolle in eine unmögliche verwandelt und sie “wehrhafte Demokratie” nennt.
Man muss zwischen technischem Fortschritt und gesellschaftlich-kulturellem Fortschritt unterscheiden. Technische Erfindungen sind leicht umzusetzen und der technische Forschritt ist kontinuierlich. Fortschrittliche gesellschaftlich-kulturelle Konzepte umzusetzen gelang jedoch nicht. Religion, Demokratie, Sozialismus, Freiheit und alles andere, wurden pervertiert und führten nur zu Manipulation, Terror, Unterdrückung und Krieg. Und die technischen Errungenschaften, von einer winzigen intellektuellen Elite entwickelt, gelangen in die Hände von massenhaften Idioten, und werden zum Verderben und letztlich wohl zur Vernichtung der Menschheit verwendet. Die sieben Posaunen der Johannes-Apokalypse sind nicht mehr zu überhören. Das jüngste Gericht steht bevor. Marx irrte sich. Wer die Menschheit distanziert betrachtet, erkennt zwangsläufig: Nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse schaffen den Menschen, sondern der Mensch macht jede Gesellschaftsform zu einem Shithole. “Dreck bist du / und zum Dreck kehrst du zurück.” (1Mo 2,7; Ps 90,3; Pred 3,20)
Die Eliten machen das, weil sie sich dadurch ihren Vorteil verschaffen.
Technik bedeutet Macht.
Macht bedeutet, die Technik für ihre Ziele auszunutzen und dazu bedarf es dem kapitalistischen Verwertungsprozess.
Krieg, Herr Torwächter, herrscht erst seit 1991 praktisch UNUNTERBROCHEN. Also machen Sie dafür bitte nicht “fortschrittliche gesellschaftlich-kulturelle Konzepte” verantwortlich.
@ Besdomny
Ihre Kritik am Mitforisten ist nachvollziehbar. Aber können Sie bitte erläutern, warum Sie finden, dass erst ab 1991 Krieg ununterbrochen herrsche? Ich sehe nicht, wann es im kapitalistisch-imperialistischen System mal eine größere “Atempause” oder irgendwelche “Friedensphasen” gegeben habe. Krieg herrscht im anhaltenden Klassenkampf – ob im Betrieb, auf der Straße, in der (Hoch)Schule – , Krieg herrscht in der kolonialen Peripherie, Krieg herrscht in den Köpfen – nur weil sich der Ort und die Betroffenengruppe hier und da ändern, heißt das nicht, dass er abwesend ist. Die Abwesenheit von aktiver, physischer Kriegsgewalt im klassischen Sinne bedingt zudem beileibe nicht die Abwesenheit struktureller Gewalt. Der ominöse soziale Friede, ist häufig ein negativer Friede. Ein Burgfrieden. Das liegt natürlich nicht an “Fortschritt” oder irgendwelchen Techniken oder Konzepten, sondern der Verfasstheit des Systems.
Ich konzidiere selbstverständlich, dass Sie in Ihrer Kindheit und Jugend als DDR-Bürger anderes erlebt haben, aber auch Ihr Land stand ja wohl beständig unter dem Druck des Klassenfeinds und seiner imperialistischen Belagerung. Und die koloniale Peripherie (Afghanistan, Palästina, Vietnam…) kannte wie gesagt auch schon (und gerade) vor 1991 klassische Kriegsgewalt.
Naja, nach dem Koreakrieg und dem Abzug aus Vietnam 1973 hatten die Amerikaner jeweils erstmal eine längere Pause in Sachen offener Kriegsführung eingelegt bzw. mussten sie einlegen. Im letzteren Fall bis zur Invasion in Panama im Jahre 1989 (kurz unterbrochen vom Überfall auf Grenada 1983).
Unter der Decke ist trotzdem noch eine Menge passiert. Da ist die Unterstützung der USA in etlichen Bürgerkriegen (z.B. Angola), Militärputschen und Staatsstreichen und Revolutionen (Portugal, Peru, Argentinien, Iran, Pakistan, Nikaragua, Honduras), seltsame Koalitionen zur Aufrechterhaltung von US-Interessen (z.B. in Zaire da fand sich neben CHina und Nordkorea auch Belgien, Frankreich und eben die USA zusammen um den Diktator Mobutu 1976 in einen weiteren Krieg um die Minenprovinz Katanga zu unterstützen). Die Roten Khmer 1979 von den Vietnamesen vertrieben und für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich konnten dank der USA ihren UNO-Sitz bis 1990 behalten.
Die kleine Farbrevolution in Jamaica hübsch eingefädelt von Henry Kissinger 1976, das Engement im Libanon, die Drohung gegen die UdSSR mit dem Einsatz von Atomwaffen sollte diese sich im Iran einmischen, durch Jimmy Carter persönlich 1979.
Auch im Irak (1972-1975) und selbst in Australien (1973-1975) war die USA aktiv. In Australien drohte die Offenlegung des “Five Eyes Ankommens” also wurde durch Wühltätigkeit und seltsame Todesfälle der Ministerpräsident kurzerhand gestürzt.
Lesetipp: Armin Weltz Die Weltbeherrscher Militärische und Geheimdienstliche Operationen der USA
Es wäre ein Fortschritt, wenn sich die Kapitalismus-Basher mal ergebnisoffen und unideologisch fragen würden, was den Kapitalismus eigentlich so erfolgreich macht. Könnte es daran liegen, dass a) die kapitalistische Marktwirtschaft die meisten Ausgebeuteten satt macht und b) das mörderische Monster in der Regel an der Leine eines demokratischen Rechtsstaates, welcher dem Interessenausgleich gewidmet ist und Exzessen Grenzen setzt, geführt wird?
Diese engstirnige Polemik gegen ein komplexes Gesellschaftssystem, das von vielen Dingen – UNTER ANDEREM vom Kapitalismus – beherrscht wird, ist mir zu billig. Als ob der Kapitalismus der Alleinverantwortliche für alles wäre, was in der Gesellschaft schief läuft. Mit diesem unterkomplexen, um nicht zu sagen infantilen Denken gibt es garantiert keinen Fortschritt.
1. Das Bashen des Kapitalismus vor allem von Publikviewer finde ich auch nicht gut. Vor allem weil nie gesagt wird wie denn die Alternative aussehen wird.
2. Der Kapitalismus macht niemanden satt. Kapitalismus ist die Herrschaftsform einer sehr kleinen und total unbekannten Gruppe von Menschen die aber über sehr viel Macht, Einfluß und natürlich Eigentum verfügen. Genauergesagt sie kontrollieren den Größten Teil des Eigentums (nicht an privaten Unterhosen sondern an wichtigen Werten wie Produktionsanlagen, Boden, Inmobilien) Um sie herum haben sie ein ganzes System gebaut, da gibt es Menschen die weniger Reich sind aber vielleicht noch als “Superreicher”, “Experte”, ” Vordenker” oder “Manager” oder vor allem in den USA als “Politiker” in allen Schattierungen nützlich sind. Diese kleine Gruppe von 10-15% der Bevölkerung kontrolliert alles, Wirtschaft, Staat, Justiz. Normale Menschen immerhin 60-80% der Bevölkerung sind nur als Konsumenten oder Arbeiter notwendig.
Die Frage die bei Kapitalismus j/n immer mitschwingt ist die Frage nach der Macht. Sollen also die Oligarchen, Shareholder, Superreichen die Welt kontrollieren oder sollen es die anderen die Normalen sein? Die Linke Antwort hieß bisher natürlich soll es “die Mehrheit” sein, aber dafür müsste sich das Proletariat erst mal als Klasse definieren um ihre Interessen durchsetzen zu können. Das ist jedoch bisher nicht passiert und wird auch nicht passieren denn die Oligarchen kontrollierne ja auch die Medien und andere Spaltungsinstrumente. Deshalb sind auch “Sozialistische Versuche” gescheitert obwohl gerade die Kommunistischen Parteien sich als Interessensverwalter des Proletatiats verstanden haben und auch personell überwiegend aus Leuten aus der Unterschicht bestanden.
“Über fast ein Jahrhundert hatte der sozialistische Versuch weltweit Hoffnungen auf eine ausbeutungsfreie humane Gesellschaft geweckt. Überzeugte opferbereite Menschen zwischen Elbe und dem Pazifik hatten den Attacken ihrer Gegner lange widerstanden. Das sie schließlich unterlagen, war die Niederlage aller, die einer besseren Welt zustrebten. Einer Welt in der die Menschen und nicht die Märkte den Lauf der Dinge bestimmen, in der die Gebrechen und Verbrechen des Kapitalismus und die Schere zwischen Arm und Reich überwunden sein werden. … Das Grundproblem des 20. Jahrhunderts, der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bleibt. Eine neue, bessere, andere Lösung muß gefunden werden. Sie wird gefunden werden. Das gegenwärtige Gesellschaftssystem und seine Wirtschaftsordnung sind keinesfalls alternativlos. ” (Herbert Graf Wer spaltete Deutschland S. 308)
Die Machtfrage ist – zumindest formal – durch die Staatsform der Demokratie geklärt. Demokratie ist – zumindest auf dem Papier – die Verteilung der Macht an “die Mehrheit”. In der Demokratie hat derjenige, der zur “sehr kleinen und total unbekannten Gruppe” der Mächtigen gehört, auf dem Stimmzettel dieselbe Macht wie der malochende Habenichts.
Es ist offenkundig, dass in einer kapitalistischen Demokratie die Mehrheit der Bürger wenig oder kein Vermögen hat und die Minderheit den Löwenanteil des Vermögens. Damit ist die wirtschaftliche Macht ungleich verteilt, was selbstverständlich einen enormen Einfluss auf die politischen Machtverhältnisse hat.
Wer viel wirtschaftliche Macht hat, wird von der Politik bevorzugt behandelt, denn von seinem wirtschaftlichen Status hängen zwei Dinge ab: 1) die Anzahl Arbeitsplätze, die durch seine wirtschaftliche Potenz entstehen, und 2) das Steuersubstrat, das durch seine wirtschaftliche Potenz direkt und indirekt generiert wird. Es ist aus politischer Sicht folglich sinnvoll, Vermögende gut zu behandeln. Es ist nämlich so: Während sich der Vermögende an den Arbeitskräften bereichert, bereichert er die Gesellschaft mit Arbeitsstellen, Wirtschaftsleistungen und Steuerabgaben.
In Wirklichkeit sitzen Vermögende, Arbeiter und Staat im selben Boot. Am meisten profitieren alle, wenn sie ihre Lage erkennen, die Konditionen der Zusammenarbeit aushandeln, möglichst viel Fairness walten lassen und sich gegenseitig respektieren. Natürlich ist es nicht fair, wenn die wirtschaftliche Macht unfair verteilt ist. Schöner wärs, wenn ein großer Teil der Wertschöpfung, die nach oben umverteilt wird, via Steuern wieder nach unten umverteilt wird. Man muss hier daran erinnern, dass die Umverteilung nicht nur in eine Richtung läuft. Politik steht in der Verantwortung, zu einer fairen Verteilung des Wohlstands beizutragen. Das Instrument dafür ist da und heisst Fiskalpolitik.
Wenn die im Kapitalismus programmierte Umverteilung nach oben nicht politisch korrigiert wird, wenn also der Wohlstand nicht anständig und fair verteilt wird, ist nicht der Kapitalismus dysfunktional, sondern die Demokratie. Denn der Zweck der Demokratie ist es, die wirtschaftlichen Machtverhältnisse “mehrheitsfähig” zu machen. Wenn die Mehrheit den Eindruck hat, dass sie unter den wirtschaftlichen Machtverhältnissen leidet, kann sie sich politisch artikulieren und eine Veränderung herbeiführen. Wenn sie dies nicht mehr kann, ist die Demokratie dysfunktional. Die Frage ist dann, wie die Bürger die Demokratie wieder zum Funktionieren bringen können.
Der Kapitalismus ist nur so mächtig, wie es eine intakte Demokratie zulässt. Das oberste Interesse der Bürger muss sein, Schaden von der Demokratie abzuwenden. Und alle Politiker in die Wüste zu schicken, welche die Demokratie beschädigen.
Genau, wir brauchen die Reichen, denn sie geben uns die Arbeit.
Rien a ajouter. 😉
Genauso wenig wie es keine Demokratie im Kapitalismus gibt.
Deswegen wurde ja auch die sogenannte “Repräsentative Demokratie” eingeführt.
Der Kapitalismus führ immer zu einer enormen Kapitalakkumulation bei ein paar Wenigen und zyklisch dann in den Krieg, weil der Mehrwert nicht mehr erbracht werden kann und für die herrschende Klasse dann nur noch der Krieg den Ausweg bringt.
Corona, war diesbezüglich etwas Neues, aber, bei genauerer Betrachtung, dann doch sogar sehr offensichtlich und zielgerichtet, da es ja in diesen Kriegen ja auch immer um den Kampf “Reich, gegen Arm” geht.
Die Alternative ist die Anarchie, denn nur ohne Staat ist wirkliche Freiheit überhaupt erst möglich.