Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und ist damit radikal seiner Eigenverantwortung unterworfen: So sieht es die neoliberale Ökonomik – und irrt dabei.
Ein Auszug aus dem Buch »Raus aus dem Ego-Kapitalismus. Für eine Wirtschaft im Dienste des Menschen«.
Das Argument für »mehr Markt« ist seit jeher nicht nur ein Argument für mehr Effizienz. Es hat auch eine starke normative Komponente, denn die Idee des perfekten Marktes und der daraus resultierenden Wohlfahrt ist untrennbar mit dem Prinzip der Eigenverantwortung verbunden. Nur, wenn Eigenverantwortung gegeben ist, kann der Markt seine volle Wirkung entfalten. Nach 40 Jahren Indoktrination und »Hyperinflation des Individuellen«, wie Papst Franziskus die Entwicklung bezeichnet, scheinen wir an einem Punkt zu sein, an dem wir kaum noch hinterfragen, ob tatsächlich jeder seines Glückes Schmied ist. Es wird einfach als Fakt hingenommen.
Der kritische Unterton in diesen Ausführungen soll dabei natürlich nicht suggerieren, dass es hier um eine Grundlagenkritik gegen Märkte oder jede Form der Eigenverantwortung per se geht. Das wird spätestens im nächsten Kapitel ersichtlich. Es ist allerdings höchst problematisch – darauf möchte ich in aller Deutlichkeit hinweisen –, wenn der Verweis auf »Eigenverantwortung« das eigene Denken ausschaltet, extreme Ungleichheiten legitimiert und unsere wechselseitige Verantwortung füreinander in Abrede stellt, wie es leider allzu oft geschieht.
Heiße Luft und keine Orientierung
Die Devise »mehr Eigenverantwortung« als Grundlage zur Bewältigung sämtlicher Probleme durchzieht ein breites politisches Spektrum. Vor allem sogenannte Christdemokraten und Liberale spielen immer wieder diese Karte. Teilweise fällt ihnen sogar inmitten multipler Krisen und Verwerfungen nichts anderes ein, als nach Eigenverantwortung zu rufen. Beispielhaft dafür war die Aussage von Friedrich Merz im Oktober 2022. Das Land rüstete sich für einen harten Winter. Die Erwartungen und Auftragseingänge in der Wirtschaft lieferten kein gutes Bild. Die Konsumlaune war am Boden. Da schlug der Parteivorsitzende der CDU vor, »um unser Land fit zu machen für die Zukunft« müssten wir »den Mindset ändern, der sich spätestens mit Corona breitgemacht hat: Nicht staatliche Fürsorge, sondern mehr Eigenverantwortung ist gefragt, wenn wir den Herausforderungen gerecht werden wollen.« Mehr heiße Luft und Orientierungslosigkeit kann man in einer solchen Situation nicht von sich geben.
Dieses Niveau und diese Denkweise stehen charakteristisch für einen Neoliberalismus, der keinen Bezug zur Wirklichkeit aufweist, dafür aber eine ganz bestimmte Agenda verfolgt. Wir müssen in der Politik jedoch so schnell wie möglich begreifen, dass es in einer Welt fundamentaler Abhängigkeiten viel zu platt, ja sogar primitiv ist, nur auf Eigenverantwortung im Rahmen eines Ego-Kapitalismus zu setzen. Es ist doch gerade die Aufgabe der Politik, in einem demokratischen Prozess und in Zusammenarbeit mit anderen Staaten dafür zu sorgen, dass ein gutes Leben überall möglich wird.
Statt eines konstruktiven Ansatzes erleben wir allerdings, wie die Individualisierung von wirtschaftlichem Erfolg und Misserfolg in unseren Debatten allgegenwärtig ist. Nehmen wir als Beispiel die Krise des Euroraums. Kaum jemand hat sich in Deutschland darum geschert, die Krise in einen gesamtwirtschaftlichen Kontext einzubetten. Stattdessen wurde hemmungslos mit Vorurteilen über Südeuropa um sich geworfen. Pauschal wurden die Menschen als faul und unfähig abgestempelt, die es sich haben einfach zu gutgehen lassen. Eine der größten intellektuellen Bankrotterklärungen lieferte der damalige Chef der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, als er dem europäischen Süden vorwarf, das ganze Geld »für Schnaps und Frauen« ausgegeben zu haben. Ob der Ursprung der Krise in privater (Beispiel Irland und Spanien) oder öffentlicher Verschuldung lag (Beispiel Griechenland), wurde ebenso ignoriert wie die Frage nach den Ursprüngen der Ungleichgewichte in der Eurozone. Zu hohen Defiziten gehören nun mal hohe Überschüsse – und beides ist Gift für eine Währungsunion.
Einen ähnlichen Schuldzuweisungsmechanismus über die Schiene der Eigenverantwortung finden wir in Diskussionen zur wirtschaftlichen Entwicklung im globalen Süden. Auch hier wird den Entwicklungs- und Schwellenländern die Verantwortung für ihre Misere zugeschoben, ohne dass wir uns über systemische Fehlkonstruktionen Gedanken machen. Wahlweise verweisen wir im Norden auf die Regierungsunfähigkeit und Korruption, dann wieder auf die Sozialausgaben, die alles Elend erklären. Das Prinzip Eigenverantwortung gilt auch hier, sodass wir unsere Hände in Unschuld waschen können – und das gegenüber den Entwicklungsländern in aller Deutlichkeit regelmäßig klarstellen.
Menschen ohne Arbeit öfter krank
Auch bei den Menschen, die in unserer reichen Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, hinterfragen wir nicht zuerst die Politik oder etwaige Lebensumstände, die dafür verantwortlich sein könnten. Nein, es sind Eigenverantwortung, Faulheit und Unvermögen, die zur Arbeitslosigkeit führen. Wenn ein Arbeitsloser wirklich arbeiten wollte, würde er ohne Probleme eine Arbeit finden. Nüchterne Analysen, Solidarität und Nachsicht sind in solchen Fällen fehl am Platz. Gefragt ist vielmehr das Prinzip des »Forderns und Förderns« – seit der Agenda 2010 ein Euphemismus für einen Ansatz mit der Peitsche, der Arbeitslose mit ökonomischer Gewalt in Arbeit zwingen soll.
Unterfüttert wird diese Weltanschauung durch einige Axiome der Mainstreamökonomik. Jeder Student lernt im ersten Semester, dass Arbeit eine »Unannehmlichkeit« ist (»disutility«), auf die die Menschen prinzipiell keine Lust haben. Demgegenüber steht der Konsum der Freizeit, der mit einem positiven Nutzen einhergeht. Bei 24 Stunden, die dem Menschen jeden Tag zur Verfügung stehen, muss er schauen, wie er seine Zeit am besten ausnutzt: Dem Konsum der Freizeit steht die Unannehmlichkeit der Arbeit gegenüber. Je nach Präferenz und Lohnniveau wird der Mensch zusehen, dass er sich die Arbeit und Freizeit so aufteilt, wie er es am liebsten hat. In der Fachsprache heißt es, er optimiert seinen Nutzen. Wenn jemand arbeitslos ist, so kann dies auch als Ausdruck einer Präferenz gewertet werden. Der ökonomischen Theorie zufolge liegt der Nutzen des Freizeitkonsums eben über dem der Arbeit zum gegebenen Reallohn. Was sollte der Staat daran ändern? Was ist daran moralisch verwerflich? Arbeitslosigkeit ist eine Entscheidung des Individuums.
Obwohl der Mainstream in den vergangenen Jahren selbstverständlich deutlich anspruchsvollere und komplexere Forschung zum Arbeitsmarkt geliefert hat, so legitimiert dieser theoretische Ansatz wunderbar eine Individualisierung der wirtschaftlichen Umstände von uns selbst und unserer Mitmenschen. Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt werden unsichtbar, denn es wird eine Welt suggeriert, in der sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer rational zusammensetzen und einen Vertrag abschließen, der entweder angenommen oder abgelehnt werden kann – je nach Präferenz. Ob man arbeitet oder nicht, liegt in der Eigenverantwortung der jeweiligen Person.
In der realen Welt ist dies freilich nicht so leicht. Die Ökonomin Joan Robinson stellte bereits in den 1930er Jahren klar, dass viele Menschen einfach keine Wahl haben: »Der Alleinverdiener ohne privates Vermögen kann sich niemals weigern zu arbeiten, weil die Reallöhne zu niedrig sind, um es der Mühe wert zu sein. Er muss verdienen, was er kriegen kann, oder verhungern.« Zwar haben wir heute eine deutlich bessere soziale Absicherung als es die Menschen vor 85 Jahren hatten, doch selbst mit dem 2022 beschlossenen Bürgergeld bedeutet der Absturz in die Arbeitslosigkeit brutale materielle Engpässe, die oft kein Leben in Würde und ohne Existenznot ermöglichen. Zudem gibt Arbeit den Menschen neben einem geregelten Einkommen und der Möglichkeit zum Aufbau von Ersparnissen – und damit materieller Eigenständigkeit und Unabhängigkeit – auch eine soziale Identität und Teilhabe, sowie einen geregelten Tagesablauf. All dies spielt eine wesentliche Rolle für unser Wohlbefinden. Es ist von daher nicht überraschend, dass Menschen ohne Arbeit öfter krank sind und empirisch sogar eine signifikant höhere Präferenz für Arbeit im Verhältnis zur Freizeit haben als beispielsweise Beschäftigte in Teilzeit- und Vollzeitstellen. Die Menschen wollen keine Bittsteller sein. Dies ist empirisch mittlerweile eindeutig. Und dennoch werden wir immer und immer wieder mit dem Bild der »Hängematte« konfrontiert.
Batman vs Joker: Drei Bewerber, nur eine freie Stelle
Allerdings bleiben all diese Nuancierungen immer noch auf der Ebene des Individuums. Wenn wir darüber hinausgehen und uns fragen, ob beispielsweise der technologische Wandel bestimmte Jobs wegrationalisiert – sodass die Arbeitslosen, die sich in den Branchen spezialisiert haben, keine Schuld trifft – oder die Nachfrage in der Wirtschaft insgesamt überhaupt ausreicht, dass jeder, der einen Job möchte, auch einen bekommen kann, dann können wir viel grundlegender beurteilen, ob Arbeitslosigkeit tatsächlich mit Eigenverantwortung der Individuen zu tun hat. Übersteigt nämlich die Zahl der Arbeitslosen die Zahl der offenen Stellen, dann könnte man noch so viel fordern und fördern, wie man wollte, einige Menschen würden zwangsläufig arbeitslos bleiben, ohne daran etwas ändern zu können. Sie könnten sich bei aller Liebe zur Eigenverantwortung auf den Kopf stellen und es würde nichts nützen. Und wenn wir uns der Zahlen bedienen, dann sehen wir tatsächlich, dass eine solche Konstellation seit den 1970er Jahren den Standardfall bildete: Die Zahl der Arbeitslosen überstieg die Zahl der offenen Stellen um ein Vielfaches.
Zwar hat sich die Schere in den vergangenen Jahren deutlich geschlossen, doch selbst in der heutigen Zeit des überall diskutierten Fachkräftemangels gibt es deutlich mehr Arbeitslose und Unterbeschäftigte (3,2 Millionen) als offene Stellen (die Schätzungen reichen von 840 000 bis 1,9 Millionen, siehe Abbildung 10). Die Situation auf dem Arbeitsmarkt erinnert einen damit in frappanter Weise an die Einstellungsprinzipien des Jokers im Batman-Film The Dark Knight. Vielleicht kennen Sie die bekannte Szene im Billardraum: Nachdem der Joker durch eine List einen seiner Widersacher in Gotham City umbringt, wendet er sich an die drei in Gewahrsam genommenen Anhänger des getöteten Gangsterbosses. Er stellt klar: »Unsere Organisation ist klein, aber es gibt ein Riesenpotenzial für aggressive Expansion«. Er fragt anschließend, wer denn Lust hätte, seinem Team beizutreten, bevor er noch eine weitere, wesentliche Information hinzufügt: es wäre »zurzeit nur eine Stelle vakant« und deshalb gäbe es »so eine Art Casting«. Daraufhin zerbricht der Joker einen Queue, sodass daraus zwei kleinere, scharfe Speere werden. Er wirft einen davon den drei Geiseln vor die Füße, die sich nun um den einen freien Posten in der Organisation »streiten« können. Mit Eigenverantwortung in den Beruf, könnte man zynisch anmerken.
Ich hätte gern wieder mehr Eigenverantwortung. Das beginnt bei der Frage, wie ich meinen Beitrag dazu leisten möchte, dass die Gesellschaft gut durch eine Krise wie Covid kommt und hört bei der Frage auf welche Weise ich meinen CO2 Fußabdruck minimieren möchte, noch lange nicht auf!
Das heißt natürlich nicht, dass der Staat nichts tun sollte. Er sollte unbedingt Rahmenbedingungen wie z.B. hohe CO2 Bepreisung mit gleichmäßiger Ausschüttung der daraus resultierenden Einnahmen pro Kopf setzen, um den Menschen einen Anreiz zu geben, ihre individuellen Entscheidungen so zu gestalten, dass es auch gesamtgesellschaftlich sinnvoll ist. Und ja, auch die Vermeidung extremer Ungleichheit z.B. durch ein geeignetes Steuersystem ist Kernaufgabe des Staates. Und natürlich sollte er auch all die Bereiche, die nicht in die Zuständigkeit von Individuen fallen, sinnvoll regeln.
Dass der Staat heutzutage einerseits nicht mehr die Macht zu haben scheint, den Kapitalismus durch sinnvolle Rahmenbedingungen in eine gesamtgesellschaftlich sinnvolle Richtung zu lenken, scheint mir offensichtlich zu sein. Dass er stattdessen eine Tendenz hat auch in Bereiche hineinzuregieren, in denen es individueller Lösungen bedarf und daher mehr Eigenverantwortung wünschenswert wäre, scheint mir jedoch ebenso offensichtlich. Häufig scheint das staatliche Ziel dabei, die Individuen zu mehr Ausgaben zu zwingen und so die Gewinne der Konzerne zu steigern. Kommt das Thema eventuell noch in einem späteren Kapitel?
Die CO₂-Bepreisung ist geradezu eine Monstranz jener Politiker, die eigentlich nur gerne Politiker sind, aber keine politischen Ideen oder Kraft haben, sich gegen die stärksten Probleme und Widerstände zu stemmen.
Das Bürgergeld war dann noch ein bisschen Mascara für die ARD/ZDF-Talkrunden. Das nicht realisierte Bürgergeld kostet nun massenhaft jene sehr viel Wohlstand, die eh schon wenig haben und sowieso einen müstergültigen CO₂-Fißabdruck haben. Die Gutbürgerlichen willkommnen die CO₂-Abgabe als modernen Ablass und fliegen nicht weniger in Urlaub.
Oben drauf hauen die kriegslustigen “Klimaretter” die Milliarden nicht für Geothermie und Pumpspeicher raus, sondern für LNG-Terminals und kommend für in alle Zukunft bezuschusste Notfall-Gas-Kraftwerke.
Seit den Siebziger Jahren wird die Soziale Marktwirtschaft Stück für Stück abgetragen. Dafür werden die Versprechen immer Dreister und Dämlicher!
Die können seit fünfzig Jahren nichts mehr Liefern außer Heiße Luft (Klimawandel)
Wo ist die 35 Stunden Woche, wo ist die Rente mit 55, was ist mit dem Sozialen Wohnungsbau, und wo ist die Infrastruktur hin oder eine Daseins-Vorsorge für die Zuwanderung ???
Eine soziale Marktwirtschaft würde wohl zunächst zinswirtschaftliche Gewinne abschöpfen, um damit den Staat, insbesondere diesen Sozialstaat, über Wasser zu halten. Darüber hinaus wurden auch noch Steuern erhoben und zinswirtschaftliche Kredite aufgenommen. Anders geht es wohl nicht. Der Automat auf 2 Beinen steht dem Arbeiter demnächst ja zur Seite, wo er noch nicht vollständig übernommen hat. Welcher Humanoid wird da noch mithalten können?
Natürlich der “NetZero” Humanoide. \ *zynismus*
Danke für den Hinweis, den “NetZero” kannte ich noch nicht
Die Frage nach der Ermöglichung von Arbeit bzw. Verringerung von Arbeitslosigkeit läßt sich gänzlich anders stellen: nämlich wer die Macht über die Verteilung der Arbeitsstunden hat. Wochenarbeitsstunden werden nämlich teils gesetzlich reglementiert (durch die Politik bzw. Gesetzgeber sind maximale Werte festgelegt), teils von den Gewerkschaften in Tarifverträgen und Arbeitskämpfen durchgesetzt.
Würde es gelingen, die Gesamtarbeitsstundenzahl auf alle Arbeitsfähigen sauber aufzuteilen, kämen wir auf eine mittlere Wochenarbeitszeit von unter 35 h, für alle Branchen, alle Berufe wohlgemerkt. Das lehnen natürlich Wirtschaft und Politik unisono ab, denn es würde den Grad der erreichbaren Ausbeutung erheblich reduzieren: es müssten vernünftige Löhne gezahĺt werden, Beschäftigte könnten nicht mehr mit der Arbeitslosigkeit erpresst werden.
Als Ausreden werden immer wieder genannt, daß so viele Stellen zu viel Bürokratie erfordern (im Zeitalter der vollelektronischen Buchführung ein schlechter Witz), daß nicht genügend Fachkräfte für die qualifizierten Jobs existieren (ja, warum und von wem werden die nicht ausgebildet?), und ja doch einige nicht arbeiten wollen, also auch fehlen würden. Alles Ausflüchte, um zu verdecken, daß Arbeitslosigkeit zur Erpressung benötigt wird.
Daher ist die ausgedehnte Diskussion um eine Motivation zum Nicht-Arbeiten-Wollen imho völlig falsch, das ist reine Schuldumkehr, es müsste darum gehen, wer die Macht hat, um Arbeit (korrekter sollte man hier von der Verteilung von Arbeitsstunden sprechen) zu verknappen.
Ich kann eigentlich in allen Punkten nur voll zustimmen.
Davon abgesehen finde ich die völlig unreflektierte Verherrlichung von Arbeit ohne jeden Kontext seitens Figuren wie Lindner, Merz und ähnlichen Konsorten immer wieder bemerkenswert oder anders ausgedrückt: Wer ist schlimmer und gefährlicher für die Gesellschaft?
Das fleißige Arbeitsbienchen, das unermüdlich Mordwerkzeug in der Rüstungsindustrie z.B. herstellt, oder der Langzeitarbeitslose, der einfach friedlich bei seiner Flasche Bier zu Hause vor der Flachbildglotze sitzt?
Schlimm sind sicherlich sogenannte Langzeitarbeitslose, als ein Ergebnis gesellschaftlichen Versagens, aber wirklich gefährlich sind die Mordwerkzeughersteller.
Wir verantworten doch bereits unsere Handlungen selbst, also eigenverantwortlich. Die Eigenverantwortung endet jedoch dort, wo man eben nicht mehr eigenverantwortlich handeln kann, weil die hierzu erforderlichen Rahmenbedingungen gar nicht gegeben sind.
Eben nicht, das nervt mich schon, seitdem dieser dämliche Begriff Eingang in unsere Sprache gefunden hat.
Wenn wir unsere Handlungen selbst verantworten, dann handeln wir selbstverantwortlich, nicht eigenverantwortlich. Jedenfalls war das bis vor etwa 15 oder vielleicht auch 20 Jahren die übliche Sprachregelung. Auf den ersten Blick sieht mein Einwand wie sprachliche Haarspalterei aus, aber es steckt ein bisschen mehr dahinter.
Für »das Selbst« gibt es in der Psychologie verschiedene Definitionen und in der Soziologie auch noch welche. Allen gemeinsam ist aber, dass es darum geht, wie ein Individuum sich in seiner Umwelt als Ganzes erkennt und als handlungsfähige Einheit definiert. Für das Selbst ist also klar, dass es in seiner Wechselwirkung mit der Umwelt (Milieu, Gesellschaft usw.) existiert. In diesem Sinn handele ich selbstverantwortlich, wenn mein Handeln meine Bedürfnisse/Notwendigkeiten im Zusammenhang der Eingebundenheit in die Gesellschaft reflektiert.
In der Zulu-Sprache gibt es dafür einen klassischen Spruch (frag’ nach bei Nelson Mandela):
umuntu ngumuntu ngabantu = ein Mensch ist ein Mensch durch/wegen (anderer) Menschen; oder du bist, wer du bist, weil du in Beziehung zu anderen um dich herum stehst.
Diese Bezugnahme auf die Umwelt (im Sinne von Milieu, Gesellschaft usw.) fehlt bei dem Begriff der »Eigenverantwortung«. Wer „eigenverantwortlich“ handelt, der pfeift auf die Umwelt und hat ausschließlich den eigenen Nutzen im Kalkül. Genau das trichtert man uns ja auch seit zwanzig Jahren ein, spätestens seit der berühmten „Agenda Zwannzichzehn“ der Regierung „Schröder 2“ – SPD zusammen mit Bündnis 41/Die Grünen¹.
Diese Agenda wurde in den Jahren 2003 bis 2005 entwickelt und umgesetzt, und in genau dieser Zeit verschwand auch der Begriff der Selbstverantwortung aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und wurde durch den Begriff der Eigenverantwortung ersetzt. Für mich ein Musterbeispiel für die Gehirnwäsche einer Gesellschaft. Das Wort Eigenverantwortung steht geradezu modellhaft für die neoliberale Zurichtung unserer Köpfe und Herzen.
¹ Das „Bündnis 90“ nannte sich so wegen des Zusammenschlusses diverser Bürgerbewegungen im Jahr 1990. Seit 1993 dann dank Fusion bekannt als „Bündnis 90/Die Grünen).
Da sich dieser nichtsnutzige Verein inzwischen schwerpunktmäßig der Frage widmet, wie man wieder einmal den bösen Russen niederringen könnte, habe ich die für mich in Bündnis 41/Die Grünen umbenannt. In Erinnerung an den letzten diesbezüglichen Versuch.
Ein Mensch ist ein Mensch durch/wegen (anderer) Menschen. So würde ich das auch sehen. Ich bemühe mich ja auch, wirklich, aber die Menschen machen es mir nicht gerade leicht. Nicht das ich das erwartet hätte. Mit den Mitmenschen hat man schon sein Kreuz.
Die sogenannte Eigenverantwortung wurde nach dem WWII so gestaltet, das die Eigenverantwortung abgelegt wurde und das waren die ‘sozialen Auffangbecken Rente, Arbeitslose und Krankenversicherung’.
Diese Systeme der Blendungen hatten die Bürger in den Wahn versetzt, wir arbeiten für ein Wirtschaftswunder und werden später versorgt.
Diese Versorgung lief Anfangs einigermaßen, aber mit jeder Dekade die verstrich, änderten sich auch die ‘sozialen Ansprüche’. Ein heutiger Rentner erhält ca 48% von dem was er eingezahlt hat, plus die Verminderung durch Steuern, das nach langem arbeiten.
Eine Versicherung erhält Geld, um damit den Gebebenden mehr auszuzahlen als dieser einzahle. Irgendwie steht in der brdgmbh alles Kopf!
Eigenverantwortung ist in Ordnung, solange die staatlichen Voraussetzungen vorhanden sind, das sind sie nicht, da der Staat jegliche Eigenverantwortung unterminiert und auch ihre ‘Interressensvertretungen im Anhang’ ambivalent agieren.
Vor der ersten Zeitwende bestand eine Gesellschaft, die tatsächlich einen Generationensvertrag beinhaltete, nämlich die Familie. Die Familie als Garant um in Eigenverantwortung fort zu bestehen.
Leute ist das alles was die heutige Intelligenzia bietet!
Ich habe so eine Familie nicht. Alle weg. Wie stehe ich denn da?
Aha, deine Familie hat dich als einzelne Person hinterlassen?
Und jetzt weißt du nicht was kommt?
Auf deine Frage möchte ich antworten : seh zu wie du damit umgehen wirst
Alleine wird es traurig werden.
Erstens ja und zweitens nein. Ich lasse mich da einfach mal überraschen.
Im Altersheim?
Oder als ein ‘Agent’ der Zivilbehörde, ohne Familie?
Leider nein. Ich bin nur angestellt und erfülle die Wünsche der Gesellschafter. Nachdem sich das Wirecard-Desaster abzeichnete, hatte ich der Arbeitswelt angewidert den Rücken gekehrt. Wurde in 02/21 allerdings wieder reaktiviert. Oder besser ausgedrückt, ich habe mich reaktivieren lassen. Pech für die Gesellschaft.
“seh zu wie du damit umgehen wirst” – Toller Ratschlag. Das muss er doch eh. Im übrigen war die Familie noch nie ein Garant für gar nichts. Eigenverantwortung und Selbständigkeit zum Preis der Abhängigkeit von der Familie ist ein Widerspruch, des Kalibers vom Regen in die Traufe.
Dann schließe ich aus deinem Kommentar, es lebe der Egoismus, der steht im Widerspruch zu deiner Entstehung.
Dein leben benötigt Mann und Frau, das ein Familienleben auseinander fällt, wird wohl seinen Grund in dem jeweiligen Narrativ haben. Aber du wurdest in die Welt gesetzt, wer seine Erzeuger nicht wertschätzt, verleugnet seine Erzeuger. Jede Generation wird geformt, manchmal mit gesunden Strukturen und manchmal leider nicht.
Familie mit all ihren Problemchen funktionieren dann einigermaßen gut, wenn der jeweilige im Bunde in der Lage ist, zu verzeihren oder nachgeben oder einfach eine Situation aussitzt oder im familiären Kreis das ‘Problem’ aus der Welt schafft. Deutschland hat das Familienleben systematisch abgeschafft und sehr viele gingen da ganz konform mit. Der Egoismus mit dem ICH ICH ICH führt zu der heutigen Realität, jeder gegen jeden, da nur ICH alles bin. Ich bin nichts und niemand ohne meine Familie.
Kann man eine Familie als Gruppe definieren, die etwas gemeinsames verbindet? Meist kann man sich Gruppen ja nicht aussuchen. ICH zum Beispiel lande stets in Gruppen, die ICH mir gar nicht ausgesucht habe. Irgendwie findet eine Vereinna(h)mung statt. Mit der bin ICH nicht einverstanden.
Das sollte aber der Olle Bismarck nicht hören, oder?
Ich meine, die Sozialversicherung ist schon ein wenig älter…. und in meinem Denken auch ein erfolgreiches Modell, wenn, ja WENN man es nicht vorsätzlich zerstört hätte.
Dass allerdimgs durch die massive Individualisierung und die damit verbundenen soziale Anonymisierung die evolutionären Systeme in der aktuellen Phase der Menschheit (zumindest im Westen) an Anerkennung verlieren, ist ein interessanter Aspekt. Das ist natürlich nicht irreversibel, diesen Holzweg kann man auch wieder verlassen. Mit etwas Glück führt er sogar zu neuen Systemen und Subsystemen, die die verlorene Familienfunktion ersetzen.
Evolution findet ja weiterhin statt….
“Evolution findet weiter statt”, nein das hat nichts mit Evolution zu tun, sondern ist postmodern zivilisatorisch so gewollt.
Der heutige Umbruch fand nicht heute statt, sondern wurde seit zig Generationen so geplant. Die angeblichen Lügenpolitiker und ihre begleitenden Presse tun ja alles mögliche, um diese Simulation zu präsentieren.
Hier liegt es an dem rezipizienten seine Schlüsse zu ziehen.
Der Menschheit kann man keinen Urteil überziehen, da diese Menschheit von allen vorgeführt werden. Damit das System ‘Kapital’ weiterhin funktioniert.
Aber Gott der wahrliche Gott, sieht diese Welt wie diese ist, eine Abschaum betreibende Zunft, die sich dem Kapital komplett unterordnet. Ist das nicht lustig, wie Kapitalisten oder Kommunisten oder Sozialisten sich ständig bekämpfen über das liebe Geld?
Aber Gott, falls es ihn gegeben hat, wollte er diese. Erde sich so entwickeln?
Was sollte ein abstruses Hirngespinst schon wollen? Auf die Knie! – Untertan?
Sollte nicht jeder in einem Forum seine Meinung bilden?
Ja, das sollte jeder, soweit ihm das möglich ist.
Wir leben in einem Erdball namens Erde, diese hat +- 8 Milliarden Menschen, wie sollen wir zu einen Konsens kommen? Dieser sogenannte Konsens aus +-8 Mrd Menschen wird es nicht geben, deshalb versucht die Politik ihre Viecher so zu erziehen, das man etwas erhält.
China oder Indien betrieben in ihrer Historie immer Handel und sind schon immer weit verbreitet auf dieser Welt.
Weil diese Nationen Handel betrieben haben auf Augenhöhe. Natürlich ist dann eine ‘monopolistische Denke’ vorhanden, aber dass liegt am Liberalismus in sich.
Und das ist keine westliche Erfindung!
Ja selbstverständlich, das sollte jeder, sich seine ganz persönliche, individuelle Meinung bilden. Ich hingegen kippe hier lediglich Müll ab. Ok. Wir kommen mit etwa 2 Milliarden, ansteigend, zu keinerlei Konsens. Viele von denen können ihre Religion ja noch nicht einmal lesen. Entweder wir unterwerfen uns dem dümmlichsten Slapstick, den sich ein Mensch jemals aus dem Arsch ziehen konnte, oder wir vernichten ihn rückstandslos. Danach offenbart sich meist allerdings auch schon der nächste “Feind”.
Die Feststellung, dass jeder seines Glückes Schmied ist, ist ebenso korrekt wie die Feststellung, dass Eigenverantwortung für ein erfüllendes Leben mit Sinn unbedingt erforderlich ist.
Diese beiden einfachen Wahrheiten werden lediglich aus einem extremen Blickwinkel. beschrieben, um als Rechtfertigung für asoziales Verhalten zu dienen.
Denn was unterschlagen wird ist, dass jeder auch Schmied des Glückes aller anderen ist. Und dass sich dessen bewusst zu sein ein Bestandteil der Eigenverantwortung ist. Was immer man tut erschafft aus Möglichkeiten Realität. Sich dessen bewusst zu sein und sich zu fragen, wie mein Anteil aussehen soll, ob er ästhetisch und allgemein freundlich aussehen soll, oder abweisend, und düster, ist die wesentliche Eigenverantwortung als Mensch. Nicht die, ungünstige Verträge zwangsweise abschließen zu müssen….
Leider ist der Trick sehr gut, die Aspekte nur einseitig zu beleuchten, dockt er doch an dem Gefühl der Unzulänglichkeit an, das nach Alfred Adler eine der wesentlichen Antriebskräfte der Menschheit ist.
Das ist ähnlich wie die einseitige Interpretation des alten Bibelspruches “Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen”, der eigentlich auf Renditebezieher abzielt, nicht auf Menschen, die keine Arbeit finden.
Ansonsten danke für diesen Beitrag.
Die Feststellung!
Die Feststellung liegt am Menschen, der in einem System lebt.
Man sagt den Chinesen nach, das die über eine Milliarde Menschen nach deren politischen System funktionieren. Das ist eine Lüge, die Chinesen besitzen zig Ethnien, Sprachen und sonstetwas….
Und der allgemeine Chinese lebt nach traditionellen Philosophien und kümmert sich darum das seine Familie weiterkommt. Der Chinese ist nach westlicher Denke,eine konservative Entität und so wird die FAMILIE aufgebaut.
Traditionelle Chinesen bauen eine Plattform auf, damit andere ihre Strukturen übernehmen, diese Strukturen sind absolut liberal und haben nichts mit dem westlichen Konstrukt Kommunist oder Sozialisten zu tun, denn sie agieren und denken innerhalb der Familie.
Diese Strukturen erodieren bereits. Im asiatischen Raum kommt die Stadt entweder zu dir, oder du musst in die Stadt. Für den Familiennachzug reichts dann meist nicht, aufgrund viel zu hoher Kosten und viel zu niedriger Einnahmen.
Zu diesem Thema empfiehlt sich der gute alte Max Weber „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus”
Aber wer will den wirklich ein System ändern?
Nur die, die man als „Verlierer“ im System bezeichnet. Wer profitiert, kämpft unablässig für seinen Erhalt…….
Nun, das kommt davon, wenn andere von einem selbst mit Vollmachten ausgestattet werden, welche wichtige Entscheidungen über das eigene Leben beinhalten.
„Es ist doch gerade die Aufgabe der Politik, in einem demokratischen Prozess und in Zusammenarbeit mit anderen Staaten dafür zu sorgen, dass ein gutes Leben überall möglich wird.“
Was für ein Handeln: jemand zu autorisieren der entscheidet, ohne dass sich beide Parteien kennen, und dazu noch ohne Kündigungsrecht.
Aufgabe von Politik ist zu herrschen, sonst eher weniger.
Ein Unternehmen, ist nicht im Besitz eines Rechts zum Kauf seiner Produkte unter Zwang zu fordern, wie sieht das denn mit dem Staat und seinen Produkten aus?
Scheint mir doch eher die Allzweckwaffe zu sein.
Mit seinem Kreuzchen die Verantwortung abzugeben zeugt allerdings auch nicht von all zu viel Mumm.
Der Artikel bringt Aspekte und wohl auch Fakten, die für sich allein genommen durchaus stimmig und richtig sind. Andererseits werden aber viele andere Dinge auch wieder gar nicht angesprochen, obwohl sie doch zum Themenfeld dazu gehören.
Das verstimmt etwas.
Wenn ich nun bei dem bewussten Buchtitel lese “Für eine Wirtschaft im Dienste des Menschen”, dann wundere ich mich, weil der Zweck einer freien(!) Wirtschaft nun einmal der Profit des Unternehmens ist und nicht das Wohl einer so abstrakten Größe wie der “Gesellschaft”. JEDER (!) Kapitalismus ist egozentriert. Ein anderes Wirtschaften wäre nur durch massive Wirtschaftslenkung, offenen Sozialismus oder jene Methode möglich, die Michael Klonowsky als Prinzip der parasitären Anzapfung bzw. des “Melkens” einmal auf gewohnt elegante Art beschrieben hat …
Sein Vortrag lässt sich unschwer goggeln.
Da offener Sozialismus arg in Verruf geraten ist oder bekanntermaßen zu eher bescheidenen Wirtschaftserfolgen führt, dürfte der Autor wohl jenes parasitäre Prinzip des Melkens noch ausweiten wollen.
Nun – im Grunde haben wir das ja schon.
Voll verwirth!
Das primäre Melken findet im Kapitalismus in den Unternehmen statt. Und nicht einmal das sekundäre ist beim Staat angesiedelt, sondern bei Zinsen, Grundbesitz, Patenten, Lizenzen – eben dem, was unsere Wirtschaften immer ineffektiver und parasitärer macht. Der Staat kommt erst an dritter Stelle, und was er größtenteils aus Lohn- und Verbrauchssteuern – also von den eh schon Gekniffenen – generiert reicht offenbar kaum zur Erhaltung der nötigen Infrastruktur.
Zitat “… weil der Zweck einer freien(!) Wirtschaft …”
Die Ursache in den fehlerhaften Schlussfolgerungen liegt hier in der falschen Verwendung von Begriffen. Richtig ist:
Wirtschaft(en) = Organisation der Güterversorgung
Freie Wirtschaft = Wirtschaft ohne staatliche Lenkung. Heißt in der Praxis, man kann Freie Wirtschaft und Sozialismus gleichzeitig haben, da sich Unternehmen und Arbeitnehmer zumindest theoretisch gemeinsam und freiwillig für Sozialismus entscheiden können.
Kapitalismus = Freie Wirtschaft und garantiertes Recht auf Privateigentum durch Jedermann. Kapitalismus bedingt zum Beispiel ein Rechtssystem (Gerichte und Polizei), welches dieses Recht auch durchsetzt.
Profit = Lohn des Unternehmers für das unternehmerische Risiko
Beginnt man Begriffe zu definieren, wird das Denken gleich viel einfacher. Zum Beispiel kann man sich die Frage stellen, ob wir in Deutschland noch eine Freie Wirtschaft und Kapitalismus haben. Wenn vom Arbeitslohn 70% an den Staat gehen bzw. 70% des Arbeitseinkommens staatlich kontrolliert werden, ist das Recht auf Privateigentum doch arg eingeschränkt.
Reinen Sozialismus haben wir allerdings auch nicht. Aus gutem Grund, der Sozialismus ist überall gescheitert.
Was wir im Westen haben, ist ein sog. Neoliberalismus. Ein Liberalismus der weder frei noch neu ist. Früher sagte man Feudalismus dazu.
@ Wolfgang Wirth sagt:
” JEDER (!) Kapitalismus ist egozentriert. ”
Als Konservativer haben Sie das gut erkannt. Die Liberalen unterstellen dem Kapitalismus nämlich eine moralische oder soziale Komponente. Alles Fehlverhalten wird somit auf ein individuelles Versagen zurückgeführt und keinesfalls auf das System selbst.
Wenn der Kapitalismus also egozentrisch ist, dann muss er zwangsläufig mit der Gesellschaft in Konflikt geraten, denn mit Egozentrikern funktioniert keine Gesellschaft. Welche Instanz ist es aber, die sich um eine funktionierende Gesellschaft bemüht? Es ist die Politik mit ihren verschiedenen Ideologien. Und da ist es wiederum der Sozialismus, der den “egozentrischen Kapitalismus” am besten bändigen und Zügel anlegen kann.
War diese Egozentrik schon vorher da, und davon muss ausgegangen werden, wird man sie vermutlich auch mit dem Sozialismus nicht wie gewünscht gebändigt und gezügelt bekommen. Man müsste sie in Ketten legen. Das würde niemand wollen. Also jetzt noch nicht.
@ Die Katze aus dem Sack fragt:
“War diese Egozentrik schon vorher da …?”
In dieser Massivität wie heute vermutlich nicht. Denn es ist der Kapitalismus, der den Egoismus des Menschen zum Beherrschenden über alle übrigen Eigenschaften des Menschen macht. Das ergibt sich aus der Logik als auch aus der Empirie wenn man etwa Ost- und Westdeutsche vergleicht, die unterschiedliche Sozialisation durchliefen. Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass der Egoismus zwar die erste Regung im Kleinkind ist, Empathie und Mitgefühl aber sehr bald dazukommen und als gleichwertig betrachtet werden können. Entscheidend ist dann Erziehung und Sozialisation welche der Eigenschaften in den Vordergrund rücken.
Als Ostler fällt mir bei Westlern immer wieder auf, dass sie den egoistischen Individualismus als wichtigstes Merkmal des Meschen betrachten, gar als unveräußerliches Menschenrecht, das Natur- oder Gott-gegeben sei – was allerdings der liberalen Ideologie geschuldet ist und von der empirischen Wissenschaft keineswegs bestätigt wird.
“Die Logik ist ein kleiner zwitschernder Vogel, der in der Wiese zirpt. Die Logik ist aber auch ein Kranz von duftenden Rosen, der ziemlich übel stinkt.” (Spock, Raumschiff Enterprise, Episode: Der dressierte Herrscher)
Ist ja alles richtig. Und ja, die Liberalen bemänteln es.
Nur eines fehlt: Wer legt dann dem Sozialismus Zügel an?
—
@ Die Katze aus dem Sack spricht einen wichtigen Punkt an: Die Egozentrik ist natürlich sozusagen immer da. Der Wunsch, sich von anderen abzuheben und sie zu übertrumpfen gehört zur menschlichen Natur.
Gäbe es eine sozialistische Ordnung, dann würden solche Leute entweder ständig anecken und würden diskriminiert werden oder sie würden im Partei- und Staatsapparat Karriere machen wollen. Irgendwer schrieb das kürzlich auch in dem anderen Strang zu Artikels von Herrn Rauls.
Der Wunsch, zu kooperieren, sich umeinander zu kümmern und gemeinsam Spaß zu haben, gehört ebenfalls zur menschlichen Natur. Er dürfte rein schon aus biologischen Gründen der tiefer verankerte sein.
Andererseits ist ‘Das Sein bestimmt das Bewusstsein’ eben auch nicht einfach nur so dahingesagt. Sie schließen von Ihrem Menschenbild auf die natürliche Existenz des Kapitalismus. Würden Sie evt auch in Erwägung ziehen, das die Existenz des Kapitalismus Ihr Menschenbild beeinflusst?
Die menschliche Natur ist neurodivers. Der Großteil “funktioniert” sicherlich neurotypisch. Eine kleine Minderheit, etwa 10 von 100, sind ziemlich neurodivers, mit den unterschiedlichsten Merkmalen (ICD-10). Einige davon arbeiten, in diesem System(!), man macht sich ihre Eigenarten zu nutze. Wie man mit diesen Leuten in der frühen Vergangenheit umgegangen ist, weiß man nicht. Aber sie waren vor etwa 100 Jahren die ersten, die man in Gaswagen zur Entsorgung gefahren hat. Das hätte man besser nicht tun sollen!
@ renard
Sie schreiben:
“Der Wunsch, zu kooperieren, sich umeinander zu kümmern und gemeinsam Spaß zu haben, gehört ebenfalls zur menschlichen Natur.”
Ja, auch das gehört zur menschlichen Natur. Allerdings kommt dann die Frage des “wir” oder “ihr” ins Spiel. Das Kümmern, Kooperieren und gemeinsame Spaß haben berücksichtigt nämlich in besonderem Maße enge Verwandte bzw. Angehörige und ist schon deutlich geringerer gegenüber Nachbarn oder Zufallsbekanntschaften – und noch viel schwächer ausgeprägt genüber irgendwelchen Fremden …
—
Ich glaube, dass der Kapitalismus das Menschenbild eher von denjenigen Menschen beeinflusst, die ein eigenes Unternehmen haben oder die auf andere Weise wirtschaftlich tätig sind (z.B. im Aktienhandel). Bei den vielen Menschen, bei denen das nicht der Fall ist, dürfte die Prägung viel schwächer sein.
Anders formuliert: Der Kapitalismus ist ein Resultat der menschlichen Natur und es ist eben nicht so, dass der Kapitalismus erst die menschliche Natur schafft. Allerdings würde ich Ihnen zustimmen, dass er bestimmte Merkmale etwas verstärkt.
—
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit vorkapitalistischen Zeiten. Wenn wirklich der Kapitalismus eine so bedeutende Prägewirkung hätte, dann müssten die Menschen vor dem Aufkommen des Industriekapitalismus im 19. Jahrhundert ja anders gewsen sein.
Waren die Bauern und Städter aber um 1500 herum etwa weniger materialistisch, großzügiger, weniger konkurrierend oder gar altruistischer?
Ich meine, dass die Geschichte genügend Belege dafür liefert, dass die Menschen auch zu dieser Zeit und ebenso schon in der Antike ähnliche Wesenszüge und Charaktereigenschaften hatten wie wir heute.
Immer schon ging es um das Eigentum und um den sozialen Status.
Ja, es spricht sogar einiges dafür, dass die Menschen in früheren Zeiten eher noch geiziger, neidischer, gewaltbereiter und hartherziger waren als wir heutigen Menschen im Kapitalismus.
@ Wolfgang Wirth fragt:
“Wer legt dann dem Sozialismus Zügel an?”
Warum sollte dafür die Notwendigkeit bestehen, wenn der Sozialismus Ausdruck der Politik, der Demokratie, des Volkes ist?
Aus meiner Sicht ist der Sozialismus die Antithese zum Liberalismus, der Ideologie des freien Kapitalismus. Die Gesellschaften mit ihrer Wirtschaft bewegen sich zwischen diesen beiden Polen (von Kollektiv und Individuum). Eine zukünftige Synthese wartet noch auf ihre Geburt.
Konservative und Populisten spielen in dieser Entwicklung lediglich die Rolle der Mahner, dass sich die Politik nicht all zu sehr im Ideologischen verheddert. Wirklich gestaltend sind sie nicht.
@ garno
Sie fragen:
“Warum sollte dafür die Notwendigkeit bestehen, wenn der Sozialismus Ausdruck der Politik, der Demokratie, des Volkes ist?”
Na ja, das ist ja nun sehr idealistisch gedacht! Was spricht denn in der Praxis überhaupt dafür, dass der Sozialismus wirklich “Ausdruck der Politik, der Demokratie, des Volkes ist” oder dass er es jemals sein könnte??
Ja, was spricht dafür, dass das klappt, obwohl es doch bei allen bisherigen Versuchen – egal wo – nicht geklappt hat?
Ich denke sehr praktisch von der realen Umsetzung her und nicht ausgehend von theoretischen “So-sollte-es-sein-konzepten”.
Herr Rauls hat mich daher einmal recht zutreffend “bodenständig” genannt.
Und eine solch bodenständige Sicht kommt dann u.a. zu folgendem Ergebnis: Der Sozialismus kann schon allein deswegen nie der Ausdruck des demokratischen Willens sein, weil er eben nie der Wille aller ist. Ja, meist ist er noch nicht mal der Wille einer kleinen Mehrheit! Der Sozialismus, kann daher nur sein, wenn eine pro-sozialistische Avantgarde (die Partei … !) die Unwilligen und Andersdenkenden zu ihrem “Glück” zwingt, und zwar nicht nur einmal am Anfang, sondern fortwährend.
—
Wenn Sie schreiben, dass der Sozialismus die Antithese zum Kapitalismus ist, dann stimmt das natürlich. Allerdings muss man diese wahre Aussage dann noch dahingehend ergänzen, dass der Sozialismus auch die Antithese zur individuellen Freiheit ist. Schließlich ist der Kapitalismus ja das automatische Resultat von individueller Freiheit angesichts bestimmter menschlicher Eigenschaften wie z.B. dem Wunsch, sich hervorzutun. Wer den Kapitalismus beschränkt oder gar abschafft, kann das immer nur erreichen, indem er die Freiheit (und damit auch den Wunsch, mehr zu haben als andere, sich hervorzutun, andere zu überflügeln) schlechthin ebenfalls beschränkt oder gar abschafft …
Sozialisten würden nun erwidern, dass der Sozialismus das “Wohl Aller” im Sinn hätte und die Beschränkung destruktiver Formen von Freiheit in Wirklichkeit allen nutzt, aber das ist sowohl widersprüchlich (denn sie nutzt eben nicht allen) als auch unmöglich (denn die Menschen sind und bleiben verschieden, weshalb Freiheitsbeschränkung nie allen nutzen kann) und lediglich ein argumentativer Trick.
—
Die Art, wie Sie die Rolle der Konservativen beschreiben, deckt sich mit meiner eigenen Sicht. Auf verlorenem Posten.
Das eigentliche Problem ist die Revolution der Technik.
Wolfgang Wirth sagt:
“Schließlich ist der Kapitalismus ja das automatische Resultat von individueller Freiheit angesichts bestimmter menschlicher Eigenschaften.”
Dem kann ich zustimmen unter der Voraussetzung, dass “menschliche Eigenschaften” nicht nur biologisch determiniert sind, sondern auch und vor allem gesellschaftlich-kulturell.
Ich kann mir eine Entwicklung im liberalen Kapitalismus vorstellen, dass sich immer mehr Menschen die Frage stellen: Wozu brauchen wir diese liberale, individuelle Freiheit wenn sie doch nur den Reichen zugute kommt sich weiter auf unsere Kosten zu bereichern?
Ich denke sogar, Deutschland ist in dieser Hinsicht auf einem guten Weg – beginnend mit Deindustrialisierung und Abstiegsängsten in der Mittelschicht. Dem Staat dürften auch bald die Mittel ausgehen um die Masse der Menschen ruhig zu halten. Dann wird populistisch gewählt und auf liberale Feinheiten gepfiffen.
Der Sozialismus, kann daher nur sein, wenn eine pro-sozialistische Avantgarde (die Partei … !) die Unwilligen und Andersdenkenden zu ihrem „Glück“ zwingt, und zwar nicht nur einmal am Anfang, sondern fortwährend.
Was übrigens historisch gesehen beim Kapitalismus während der Ablösung des Feudalismus nicht anders war. Auch da wurden die “Unwilligen und Andersdenkenden” zu ihrem Glück gezwungen – durch Enteignung und Vertreibung. Die Betroffenen fanden sich dann als die auf diese Weise erschaffene Arbeiterklasse wieder.
Eine unabdingbare Voraussetzung für Kapitalismus ist eben auch und gerade der Zwang – was Liberale, Heuchler, die sie nun einmal sind, beim Anprangern des Sozialismus gerne unterschlagen.
“Der Wunsch, sich von anderen abzuheben und sie zu übertrumpfen gehört zur menschlichen Natur.” Nein, das ist kapitalistisches Konkurrenzdenken – sie elender Biologist.
@ Krim,
Sie elender Kommunist (… Ironie … ) wollen Sie immer noch nicht begreifen, dass die Biologie die Wahrheit anzeigt … !?
Natürlich bin ich auch Biologist, wäre ja schlimm, wenn nicht!
Sie loben mich also. Danke.
Ich orientiere mich eben nicht an Träumen oder normativ behaupteten So-soll-es-sein-verhältnissen, sondern an der naturwissenschaftlichen Realität.
Einzelne(!) Menschen schaffen es im Laufe ihres Lebens und ihres Reifens in einem gewissen Alter, die biologischen Prägungen manchmal ein Stück weit hinter sich zu lassen. Viele Menschen schaffen es aber nie. Erwarten darf man es daher nicht.
Ist es dann nicht dumm, diesen “Primaten” die totale Kontrolle und Gestaltung über die Rahmenbedingungen zu überlassen?
@ Die Katze aus dem Sack
Eine Frage, die Platon hätte stellen können, wenn man mal von der Vokabel “Primaten” absieht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophenherrschaft
Nein, es ist nicht dumm, den Menschen diese Freiheit zu lassen, denn sie handeln ja nach ihren eigenen Bedürfnissen und und Interessen. Dieses Recht gehört aber zur unveräußerlichen Würde des Menschen, und zwar unabhängig davon, ob man diese Bedürfnisse und Interessen gut findet oder nicht. Es ist der Respekt vor dem Menschen, der es uns verbietet, ihn als “Haustier” zu gängeln, und zwar auch dann, wenn einzelne Individuen in ihrer Entwicklung … sagen wir mal … zurückbleiben.
Wer wollte sich auch anmaßen, ihnen andere Bedürfnissen und und Interessen zu oktroyieren?? Das wäre Vergewaltigung.
Na dann: auf die Zurückgebliebenen.
@garno
Viele kennen nichtmal den Unterschied zwischen Egozentrik und gesundem Egoismus.
“Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied ”
Das erInnert doch stark an die Nazis: “Jedem das Seine” und “Arbeit macht frei”
Horst E. Richter
Lernziel Solidarität
“Gerade in einer Zeit, in der der Zeitgeist einer rücksichtslosen Ellenbogen-Mentalität huldigt, ist Richters Untersuchung über die Chancen, dem »Lernziel Solidarität« näherzukommen, eine wichtige Orientierungshilfe. ”
Flüchten oder Standhalten
“In Flüchten oder Standhalten fragt Horst-Eberhard Richter, wodurch der moderne Mensch eingeschüchtert wird und wie er sich dagegen wehren kann. Als Arzt und Psychoanalytiker will er nicht nur Diagnosen stellen, sondern auch Therapien anbieten. Er hält ein hilfreiches Plädoyer gegen die Flucht und für das Standhalten. Worauf es im schwierigen Prozess des gemeinsamen Selbstbewusstwerdens ankommt, fasst er in seinen zentralen Thesen zusammen”
https://www.nachdenkseiten.de/?p=57520
Ich denke, es geht einfach nur um Kontrolle. Mich muss man übrigens nicht kontrollieren, Das mache ich selbst. Wenn andere hingegen, in diese Selbstkontrolle hinein zu regieren beabsichtigten, welche Haltung empfiehlt es sich da einzunehmen? Hat jemand einen brauchbaren Tipp?