Charles Babbage: Über die Ökonomie der Maschinen und Manufakturen

Nachbau der Differenzmaschine von Charles Babbage. Bild: Science Museum Group/CC BY-2.0

 

100 Bücher, die die Welt verändert haben.

 

 

Der Mathematiker Charles Babbage (1791-1871) ist heute vor allem für die mechanischen Rechenmaschinen bekannt, die er vor fast zweihundert Jahren entwickelte. Die zweite dieser Maschinen, die so genannte „Analytical Engine“, wäre der erste Computer der Welt gewesen, wenn es dem englischen Erfinder gelungen wäre, sie fertigzustellen. Abgesehen von den Diagrammen dieser Maschinen, die heute in Museen aufbewahrt werden, hinterließ uns Babbage einige kurze Beschreibungen, zum Beispiel in „On the Economics of Machinery and Manufactures“, einem 350-seitigen Werk, das eigentlich ein Nebenprodukt seiner Beschäftigung mit mechanischer Berechnung ist, aber auch ein Klassiker der Literatur zur industriellen Revolution. Es ist eine Pflichtlektüre für Wirtschaftswissenschaftler und Historiker.

Babbage war in erster Linie ein Mathematiker. Er schrieb sich an der Universität Cambridge ein und setzte sich als Student für die Einführung der mathematischen Notation von Leibniz, die der von Newton überlegen war, in England ein. Er arbeitete zu Themen der mathematischen Analyse, des Elektromagnetismus und auch der Astronomie. Er interessierte sich für die Konstruktion von Zahlentabellen, die für viele Berechnungen benötigt wurden (z. B. Trigonometrie- und Logarithmentabellen), und entwickelte um 1822 die so genannte „Differenzmaschine“ (Difference Engine).

Dieses Gerät, das speziell für die Erstellung von mathematischen Tabellen entwickelt wurde, bestand aus einer Kette von Rechenmaschinen. Sie waren so miteinander verbunden, dass das Teilergebnis der einen an die nächste weitergegeben wurde, und so weiter. Die einzelnen Rechenmaschinen konnten nur Zahlen addieren oder subtrahieren und waren mit Zahnrädern und anderen mechanischen Komponenten ausgestattet. Das Funktionsprinzip ist einfach, aber die Qualität der Komponenten, die Babbage benötigte, verlangte, dass er sich über die gerade stttfindende industrielle Automatisierung informieren musste. Babbage begab sich auf eine Pilgerreise zu Fabriken, um zu erfahren, wie alles – von Nägeln bis hin zu Wandteppichen – hergestellt wurde, um die von ihm benötigten Komponenten zu finden und herauszubekommen, wie sie in Massenproduktion hergestellt werden konnten. Das Ergebnis dieser Forschung ist der hier besprochene Band Economics, der 1832 veröffentlicht wurde.

The Economy ist ein Buch, das als eine Art fotografische Momentaufnahme der britischen Industrie großes Interesse geweckt hat, und zwar genau zu einer Zeit, als ganz Europa die erste industrielle Revolution erlebte. Die Erfindung der Dampfmaschine ermöglichte eine neue Energiequelle, die sich von der durch Flüsse oder Windmühlen erzeugten Energie unterschied.

Zwei Jahre vor dem Erscheinen der Economy eröffnete der erste von einer Dampflokomotive angetriebene Zug die Bahnstrecke von Liverpool nach Manchester. Wurden bis dahin die meisten Waren und Rohstoffe auf Flüssen und Kanälen transportiert, so begann die Eisenbahn ab diesem Zeitpunkt, Europa auf vielseitigere Weise miteinander zu verbinden. Im Jahr 1825 gab es in Großbritannien nur 27 Meilen an Eisenbahnstrecken; in den nächsten 45 Jahren sollten es 10.500 Meilen sein. Mit der zunehmenden Mechanisierung der Fabriken stiegen Anzahl und Leistung der Dampfmaschinen stetig an. In den Wirtschaftswissenschaften versucht Babbage, die Prinzipien zu entdecken, die diesen ganzen Prozess steuern. Das Buch beeinflusste Karl Marx, der Babbage häufig als guten Zeugen für das Tempo und die Auswirkungen der industriellen Revolution zitierte.

 

Für Babbage ist die letzte Grundlage des gesamten Industrialisierungsprozesses der Fortschritt der Arbeitsteilung. Mehr und Besseres lässt sich produzieren, wenn man die Herstellung eines jeden Gutes in seine elementaren Bestandteile zerlegt. Die Fragmentierung führt nicht nur zu einer Spezialisierung der Arbeitnehmer auf eine bestimmte Tätigkeit, sondern ermöglicht es ihnen auch, ihre Arbeitsinstrumente neu zu gestalten. Sobald die optimale Zerlegung mit den am besten geeigneten Werkzeugen erreicht ist, besteht der nächste Schritt darin, sie zu einer Maschine zu kombinieren. Dazu wird Energie benötigt, um die Maschinen anzutreiben. Deshalb beginnt die Volkswirtschaftslehre mit der Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten, Energie zu produzieren, zu akkumulieren, zu regulieren und in Antriebskraft umzuwandeln. In gewisser Weise sind einige dieser Probleme auch heute noch dieselben. Wenn wir überschüssige Energie haben, speichern wir sie heute in elektrischen Batterien. Damals musste sie durch die Beschleunigung großer zylindrischer Massen (Schwungräder) erhalten werden, aus denen dann die Energie zurückgewonnen werden konnte.

In seinem Buch beschreibt Babbage, wie Maschinen extreme Kräfte auf das Material ausüben können und welche Kompromisse dabei eingegangen werden müssen. Ein Gewicht kann angehoben und auf Metall fallen gelassen werden, aber es dauert länger, je höher es steigt. Mit anderen Worten: Man köann Macht gewinnen, indem man Zeit investiert. Oder man kann die Energie so steuern, dass sie über einen langen Zeitraum hinweg eingesetzt wird, indem man andere Mechanismen nutzt. Die Bündelung oder Verteilung von Energie sowie die Übertragung von Kraft mit minimalen Verlusten sind zentrale Themen für jede Art von Maschinen.

Ein großer Teil der industriellen Fertigung besteht darin, Produkte in Serie zu kopieren. Babbage erörtert viele Möglichkeiten: Drucken, Verwendung von Gussformen zum Gießen von Metall, Schneiden von Metall mit Matrizen, Stanzen einer Form in Metall mit hydraulischen Pressen usw. Es liegt auf der Hand, woher das große Interesse an der Massenproduktion industrieller Komponenten kommt: Babbages Rechenmaschinen benötigten Tausende von Zahnrädern, und deshalb war es wichtig, einen Weg zu finden, sie so effizient und genau wie möglich herzustellen. Nebenbei rechnet Babbage dem Leser vor, wie viel die Vervielfältigung von Büchern kostet und warum der Verkaufspreis des in seinen Händen befindlichen Bandes überhöht ist, wovon der Verlag wohl nicht sehr begeistert war.

In Kapitel XIX erörtert Babbage etwas, das bis dahin in der Wirtschaftswissenschaft kaum diskutiert worden war: die geistige Arbeitsteilung. Er erwähnt das Beispiel des Franzosen Gaspar de Prony, der die Herstellung von mathematischen Tabellen zu einem industriellen Prozess machte. Nach der Französischen Revolution stellte de Prony viele Arbeitslose ein und organisierte sie wie in einer Fabrik, allerdings in einer Fabrik der Zahlen. Er zerlegte die Berechnung von mathematischen Tabellen in elementare Rechenoperationen, so dass eine Person den ganzen Tag lang nur dieselbe Operation durchführen musste, zum Beispiel Additionen. Eine andere Person berechnete nur Subtraktionen, einige wenige führten Multiplikationen durch und so weiter. Jede beliebige Tabelle könnte durch die Organisation einer Kette von Berechnungen erstellt werden, so dass eine Person ihr Ergebnis an die nächste weitergibt, wie bei einem Fließband. Fehler könnten vermieden werden, indem jede Berechnungskette zweimal mit verschiedenen Personen durchgeführt wird, um die Endergebnisse zu vergleichen.

Aber dann: Wenn die Kopfarbeit industriell organisiert werden könnte, würde das bedeuten, dass eine Maschine gebaut werden könnte, die die menschlichen Rechenmaschinen ersetzt. So entstand 1822 die Idee der Difference Engine, vor allem aber die der Analytical Engine, die das war, was wir heute einen Computer nennen würden.

Die Analytische Maschine, mit deren Konstruktion Babbage 1833, kurz nach der Einführung der Wirtschaftswissenschaften, begann, sollte aus Zahnrädern und mechanischen Teilen bestehen. Sie sollte einen Speicher haben (den Babbage als „Store“ bezeichnete), um während der Berechnungen bis zu tausend Zahlen mit vierzig Dezimalstellen zu speichern. Der Prozessor (den Babbage „Mühle“ nannte) konnte Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division durchführen. Die Programme für die Maschine befanden sich auf Lochkarten, die in einer Kette verbunden waren. Die Maschine würde auf ähnliche Weise programmiert werden, wie es heute bei Computern der Fall ist – aber das war alles vor 190 Jahren! Um Babbages Maschine in Betrieb zu nehmen, konnte keine Elektrizität verwendet werden, sondern es musste eine Dampfmaschine eingebaut werden. Mit anderen Worten: Babbage träumte zwar von Computern, entwickelte sie aber bei Kerzenlicht oder bestenfalls mit einer Öllampe.

Der Bau seines Computers sollte Babbage für den Rest seines Lebens beschäftigen. Die Wirtschaft war, wie bereits erwähnt, nur ein Nebenprodukt dieser Beschäftigung. Babbage fehlten die Mittel, obwohl er öffentliche Gelder erhielt, aber vor allem fehlte ihm die Technologie, um die Tausenden von benötigten Komponenten zu entwerfen, herzustellen und zu kopieren. Außer Babbage verstand niemand seinen mechanischen Entwurf, und der Computer kam nie zustande. Das Science Museum in London konnte 2002 (180 Jahre nach Babbages Erfindung) eine Kopie der Difference Engine bauen und stellt sie seitdem aus. Ein funktionierendes Exemplar der Analytical Engine wurde nie gebaut.

In den letzten Abschnitten des Buches Economy erörtert Babbage, wie der Wettlauf um Größenvorteile zu immer größeren Fabriken führt und wie diese durch die horizontale Integration der Produktion in Industriegebieten konzentriert werden. Es entstehen riesige Produktionsnetze, die einen rechtzeitigen Zugang zu Rohstoffen und eine bessere Qualitätskontrolle ermöglichen. Um seine technologische Vormachtstellung zu bewahren, verbot Großbritannien den Export moderner Maschinen in andere Länder, worauf Babbage eingeht, ohne sich jedoch entschieden dafür oder dagegen auszusprechen.

Babbage zeigt in seinem Buch, dass die extreme Arbeitsteilung den einzelnen Arbeiter entwertet, der nur noch eine sehr einfache Aufgabe zu erfüllen hat. Die Folge ist ein allgemeiner Rückgang der Löhne. Dennoch war Babbage nicht der Meinung, dass die Arbeitnehmerverbände streiken sollten, auch wenn die Mechanisierung zu einer wachsenden Arbeitslosigkeit führen würde. In der Wirtschaftswissenschaft glaubte er weiterhin an die langfristig positive Wirkung der Technologie, und das Einzige, was ihm einfiel, war die Empfehlung, dass Familien verschiedene Berufe ausüben sollten, damit sie nicht alle gleichzeitig arbeitslos werden. Das, was wir heute als soziale Gerechtigkeit bezeichnen würden, war kein Thema, das Babbage besonders am Herzen lag.

Kurzum: Charles Babbage ist der Chronist der industriellen Revolution. Die Economy ist eine der ersten techno-ökonomischen Analysen der tiefgreifenden Veränderungen, die die neuen Produktionsformen mit sich bringen. Babbage suchte Fabriken auf, um sie zu beschreiben und das zu finden, was er für seine Rechenmaschinen brauchte. Die andere Revolution, die Babbage im Sinn hatte, nämlich die des Computers, wurde jedoch erst im 20. Jahrhundert Wirklichkeit, im Übergang zwischen der zweiten industriellen Revolution (der Elektrizität und dem Verbrennungsmotor) und der dritten, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit den ersten Computerprototypen begann. In Harvard, wo einer der ersten Computer, der so genannte Harvard Mark I, 1944 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, bezeichnete ihn Howard Aiken, sein Schöpfer, als „Babbages wahr gewordenen Traum“. Mehr als ein Jahrhundert später.

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