Bekenntnisse zu Volk, Vaterland und Führer?

Ansicht des Neumarkts mit der zerstörten Frauenkirche
Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Arnold Münster wird 1935 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, da er eine kommunistische Widerstandsgruppe anführte. In diesen acht Jahren erlebt er Demütigungen, Folter und menschenunwürdige Bedingungen.

Ausgerechnet dieser Mann verliebt sich später in Lilly Curtius, die bereits ein Kind mit einem nationalsozialistischen Klinikdirektor hat. Arnold steht zwar auf der richtigen Seite der Geschichte, doch er misstraut der jungen bundesrepublikanischen Demokratie. Seinen Kindern gegenüber ist er kühl und distanziert, im Hause Münster herrscht ein ohrenbetäubendes Schweigen. Nach Arnolds Tod im Jahr 1990 werden Historiker auf seine Rolle im Widerstand aufmerksam. Sein Sohn Nikolaus Münster entdeckt einen umfassenden Nachlass und schreibt ein Buch darüber: „Das lange Schweigen“ vermittelt einen neuen Blick auf den Vater, auf einen zerrissenen, traumatisierten, intellektuellen Menschen. Ein Auszug.

Zu Beginn seiner Haftzeit bekennt sich Arnold offen zu seinen Aktivitäten und hält sie auch weiterhin für vollkommen richtig. Im Laufe des Jahres 1937 stellt das Gefängnispersonal einen Wandel fest, der jedoch auf zwiespältige Wahrnehmung stößt. So berichtet der Zuchthausdirektor in einem Schreiben vom November 1937: »Die Mehrzahl der Beamten bezweifelt aber die Echtheit dieser inneren Umstellung und vertritt … den Standpunkt, dass es sich höchstens um eine rein äußerliche Umstellung handeln könne, die nur den Zweck verfolgt, eine Haftentlassung zu erreichen.« Der zuständige Oberregierungsrat im Kölner Gefängnis berichtet dazu an den Generalstaatsanwalt im Februar 1939: »Münster ist fleißig und auch willig. Er gibt aber durch sein unaufgeschlossenes Wesen eine nur geringe Möglichkeit zur Prüfung der Frage, ob eine echte und nachhaltige Gesinnungsänderung bei ihm eingetreten ist.«

Der innere Wandel

Eine davon abweichende vorsichtige Meinung gibt der Gutachter Kapp zu Protokoll: »Münster ist ein Mensch, der sich nur schwer und im Letzten wohl nie ganz erschließt, der sich ein gewisses Reservat wohl immer bewahrt. Im Übrigen ist er aber jetzt wohl so einsichtig, dass er einen genügenden Abstand zu seiner Straftat und der ganzen Haltung, aus der die Tat entsprungen ist, gewonnen hat; über diese Einsicht hinaus hat er sich wohl auch innerlich von seiner Tat und von seiner früheren Gesinnung distanziert, wenn das auch wegen seiner allgemeinen Zurückhaltung nur mit einer gewissen Vorsicht gesagt werden kann.« »Mit der dadurch gebotenen Reserve kann man, wenn ein Gnadenerweis erwogen wird, einen solchen empfehlen.« Da jedoch Zweifel an der Echtheit der Wandlung Arnolds bestehen, lehnt der Reichsminister der Justiz das Gnadengesuch der Eltern mit Schreiben im Juni 1939 ab.

In zahlreichen Stellungnahmen bekundet Arnold seinen inneren Wandel. Sie betreffen sowohl das Verhältnis zu Annemarie Heuß als auch seine politische Einstellung. »Es wurde mir klar, dass das Wesen und die Erfüllung wahrer Reue nicht in unfruchtbarem Grübeln über die Vergangenheit bestehen, sondern in einer neuen Ausrichtung auf die Zukunft. Ich bemühte mich daher in der Folgezeit, mir auch ein neues politisches Weltbild zu erarbeiten. Aus der Gefängnisbücherei erbat ich mir nationalsozialistische Literatur, zuletzt als ›Extrabuch‹ zum eingehenden Studium das Buch des Führers Mein Kampf. Ich erkannte und erlebte innerlich die Begriffe … Volk und Vaterland. … Der Rückblick auf die eigene Entwicklung bot mir das deutlichste Beispiel für den Zusammenhang der volkszersetzenden Tätigkeit des Judentums mit dem Bolschewismus.«

Arnolds politische Bekenntnisse lesen sich angesichts der hohen Intelligenz und der Bildung des jungen Mannes so übertrieben, dass es schwerfällt, diesen Beteuerungen Glauben zu schenken und in ihnen etwas anderes zu sehen als Schreiben, die für die Nazis bestimmt waren. »Parallel damit offenbarte sich der verbrecherische Charakter des Bolschewismus, der im fanatischen Kampf gegen natürliche und übernatürliche Ordnung die Menschheit in das Chaos zu stürzen versucht, um sie unter die Sklaverei einer minderwertigen Rasse, des Judentums, zu bringen.«

Reue und Abscheu

Recht heftig fallen auch seine Äußerungen über seine Verlobte Annemarie Heuß aus: »Dass ich aus der Strafanstalt heraus noch die Beziehung zu Fräulein Heuß aufrechterhielt, erklärt sich einmal daraus, dass ich mich selbst noch gebunden fühlte, dann aber aus der Tatsache, dass ich erst später, im Winter 1935/36, die volle Erkenntnis der Schwere meines Verbrechens, den radikalen inneren Bruch mit meiner sittlichen und politischen Vergangenheit und die Ausrichtung auf eine neue Zukunft gewann. Heute danke ich der Vorsehung dafür, dass es mir ermöglicht worden ist, ohne in Konflikt mit meinem Wort zu kommen, eine Beziehung zu lösen, von der ich zutiefst überzeugt bin, dass sie mich ins Unglück gestürzt hätte.« Auch die Einlassungen zu seinem früheren Leben klingen recht überzogen.

»Was insbesondere das Abirren in die Bahn ungesunder, beim normalen Menschen Ekel erregender Erotik betrifft, so hat hier zweifellos eine wesentliche Rolle gespielt, dass vom 12. bis zum 20. Lebensjahr das ausgleichende Moment gesunder körperlicher Betätigung (Sport etc.) fast vollständig bei mir gefehlt hat. … Ich empfinde Reue und Abscheu darüber. Dies gilt insbesondere auch für das Verhältnis mit Frl. Heuß; auch abgesehen von dem derzeitigen Verbot eines Verkehrs betrachte ich es als abgebrochen und würde den Gedanken an eine Wiederaufnahme scharf ablehnen.«

All die Briefe und Stellungnahmen Arnolds zu seinem vermeintlichen eigenen Wandel reduzieren sich auf einen äußerst plakativen Einsatz von einigen Schlüsselbegriffen der Naziideologie. Das Vokabular hat sich Arnold gut angeeignet. Indes weist keinerlei ernsthafter Versuch der Argumentation auf einen Wandel zum Nationalsozialismus hin. Viele Indizien wie seine immer wieder erwähnte Verschlossenheit, seine Äußerungen nach dem Krieg, die Einschätzungen anderer und auch der Brief der Mutter mit dem Verweis auf H. deuten vielmehr darauf hin, dass er sich radikal und mit großer Disziplin verstellt hat. Mit Recht hat er keinen anderen Ausweg aus seiner schrecklichen Situation gesehen, als sich – zumindest nach außen hin – den Machthabern zu unterwerfen und anzudienen. »Vertrauliche« Briefe an seine Eltern mit anderslautenden Aussagen gibt es aus dieser Zeit nicht – sie hätten für alle Beteiligten Lebensgefahr bedeutet. Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit Arnold in dieser Zeit einen Weg zurück zum Glauben gefunden und sich von den Ideen des Kommunismus abgewandt hat. Nach dem Krieg hat er weder an das kommunistische Gedankengut angeknüpft, noch ist er als besonders katholisch und gläubig in Erscheinung getreten.

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6 Kommentare

  1. Wenn die Gedankenpolizei die eigene Gehirnwäsche kontrolliert? Hab den Artikel zweimal gelesen und ?? sollten wir jetzt aufpassen was wir denken oder fühlen in der Nähe unserer Endgeräte ???

    Das Bild zum Artikel ist nicht so passend, früher durfte die deutsche Frau Steine sammeln und gegen Lebensmittel eintauschen heutzutage darf die gleiche Oma mit Pfandflaschen ihren Lebensunterhalt bestreiten.

    Oder bin ich zu blöd für den Artikel Prepperoni ????

    1. Der Artikel bzw. Buchauszug ist eine Bestätigung für die gelebte Simulation, oder anders geschrieben : die Dystopie 1984 ist keine Fiktion sondern Realität.

  2. Ist es nicht herrlich wie der Zensor seine demokratische Macht ausübt?
    Ich meine JA, nicht auf diesen Artikel bezogen, sondern generell!!!!++±

  3. Da hätte ich einen ähnlichen Fall, aus einem damaligen realen Leben, zu Protokoll zu geben, der mir bis heute zu denken gibt, obwohl ich diesen Menschen – meinen eigenen Großvater – nie kennelernen durfte, weil er bei meiner Geburt schon lange tot war.

    Es gibt folgende Familienlegende:

    Mein Großvater, Rheinbauarbeiter und Landwirt, soll sich mit einem Jungscharführer der Hitlerjugend geschlagen haben, weil der seinen Sohn, meinen Vater, gemobbt hat, würde man heute sagen.

    Die Konsequenz für meinen Großvater er wurde von der Partei in der er Mitglied war – der NSDAP – ausgeschlossen, und zusätzlich noch mit dem Dienst in der Wehrmacht bestraft – obwohl er da schon viel zu alt für den Kriegsdienst war, er desertierte auch und versteckte sich im Keller bis 1945.

    Seine Tochter, meine Tante, die heute noch lebt und Jahrgang 1928 ist, ist der festen Überzeugung das mein Großvater ein „Nazi“ war, aber ich habe tatsächlich ein Dokument gefunden, dass ich aber – in jugendlichem Zorn verbrannte, weil ich die Mitgliedschaft in der NSDAP mit eigenen Augen nachlesen konnte, die ich bis dahin nicht gekannt habe.

    Aus der Erinnerung nur soviel über den geschilderten obigen Vorfall:

    Mein Großvater spendete nicht an die NSDAP und war auch an Parteiveranstaltungen nie groß anwesend – jetzt die Fragen, die mich umtreiben:

    War mein Großvater ein Mitläufer? Gab es die Möglichkeit wegen sogenanntem „parteischädigenden“ Verhalten schon damals aus einer Partei entfernt zu werden? Und stimmt die Geschichte mit dem Zwangseinzug meines damals schon zu alten Großvaters als Strafe für sein Fehlverhalten? Ja, ich weis es gab nichtdeutsche zwangseingezogene zur Wehrmacht, aber gab es das auch bei Deutschen als „Strafe“ für angebliches Fehlverhalten gegenüber dem damaligen Staat???

    Er hatte da wohl noch Glück und nicht im KZ zu landen…..wie schon gesagt er war Weltkriegsüberlebender des 1. Weltkrieges…..und seine Frau war angeblich eine „Jenische“……ja, ich weis, die wurden im Dritten Reich auch verfolgt als „Zigeuner“, aber meine Großmutter redete nie darüber…..und ich war noch ein Kind als sie starb….und meinte Tante, ihre Tochter, wüßte davon wenn es so gewesen wäre, dass meine eigene Großmutter eine „Zigeunerin“ bzw. „Jenische“ gewesen wäre…

    Ich wollte der Sache vor der Coronakrise auf den Grund gehe, und ein örtlicher geschichtsinteressierter Stadtarchivar fand einen sogenannten „Persilschein“ wo sich mein Großvater als Nicht-Nazi darauf befand – mit anderen Unterzeichnern…..

    Übrigens, ich bin an dieser Geschichte aus rein privatem Interesse – wollte mehr über den angeblichen „Familienhelden“ erfahren von dem mein eigenen Vater – Jahrgang 1932 – immer geschwärmt hat…..

    ….ich bin meinem Großvater nicht mehr böse, denn er war ein Mensch seiner Zeit, und konnte nicht anders handeln, wie der erwähnte Beitrag hier über ein anderes Menschenschicksal zeigt, und wie ich auch – in einem anderen Zusammenhang vom humanistischen Philosophen Michael Schmidt-Salomon – nachlesen durfte:

    Wer weis wie wir damals geworden wären? Hätten wir der Sozialisation dieser furchtbaren Zeitenwende, 1933 – 1945, widerstanden? Oder hätten wir mitgemacht?

    Michael Schmidt-Salomon meint das das keiner wissen kann, und wir daher entspannt auf unsere Ahnen blicken sollten, weil die eben nicht anders handeln konnten als sie konnten als Kinder ihrer Zeit…..

    Gruß
    Bernie

    1. War es Günther Grass, der vom „Menschenrecht auf Opportunismus“ schrieb? Wahrscheinlich haben viele von uns, wenn sie nicht fröhlich und besinnungslos ihre Tage verbrachten, ähnlich Überlegungen wie du angestellt. Kaum einer wird Vorfahren haben, auf die er stolz sein kann. Der Opa verbrannte sein KPD-Mitgliedsbuch, wurde eingezogen und war in einem unserer Nachbarländer sehr sicher, wenn auch nicht abschließend bewiesen, an einem der weltweit bekannten Verbrechen, der Auslöschung eines Dorfes, beteiligt. Wahrscheinlich bewachte er spätere Opfer. Wie hätten wir uns entschieden? Ich weiß es nicht, bin aber pessimistisch. Gibt es überhaupt die Möglichkeit, sich zu entscheiden? Ein Berliner Proletariat mit vier Kindern konnte nicht fliehen. Sich verweigern? Wie?
      Aber das wurde im Nachriegsdiskurs unendlich viele Male besprochen. Und so, wie wir ein Volk von Nazis waren, wurden wir das Volk der Pharisäer: „Herr, wir danken dir, dass wir nicht sind wie jene“
      Sind wir aber doch. Wir hatten bisher nur Glück, dass es nicht zum Beweis kam.

      Ich war dereinst tief davon überzeugt, dass es sowas wie menschliche Emanzipation geben kann. Wir müssen die Verhältnisse ändern, in denen Menschen all die Widerwärtigkeiten begehen, die aus fünftausend Jahren geschriebener Geschichte ausreichend bekannt sind. In meinem Teil der Welt begann die Befreiung der Menschheit im Gulag und ähnlichen Anstalten. Begleitet von schwer zu ertragender Dauerapologetik. Auf der „anderen Seite“ bemühte man sich um die Freiheit von Menschen, indem man sie mit Napalm verbrannte, Gift über sie und ihre Felder ausbrachte, ihre Kinder zu Tode sanktionierte und Bomben waren immer das Mittel der Wahl.

      Die tapferen Menschen, die sich auflehnten, sich verweigerten oder wenigstens versuchen, sich zu entziehen, waren immer eine wirkungslose Minderheit.
      Die einzige Möglichkeit, das zu beenden, ist, dass sich die Menschheit abschließend selbst aus den Rennen nimmt. Wenigstens sind die Aussichten dafür gut, richtig gut.

  4. @1211

    Leider muss ich sagen, dass ich deinen Pessimismus teile, ja die Menschen sind leider so, und die Aufarbeitung über die Zeit von beiden Weltkriegen scheiterte in beiden Fällen daran, dass die damaligen selbsternannten „Eliten“ in der „Weimarer“ ebenso wie in der „Bonner“ und „Berliner“ Republik das sagen hatten bzw. haben…..das Beispiel meines Großvater zeigt mir übrigens auch, dass es auch Bereiche gibt, die dringendst aufgeklärt gehören, aber die niemand – weil eben auch Historiker überwiegend „konservativ“ sind – mehr aufklären will…muss wohl eine neue „Historiker-Generation“ heranwachsen, die dies übernimmt, da es noch viel unausgesprochenes bzw. unaufgeklärtes über die Vergangenheit von Deutschland gibt….ganz besonders die Zeit von 1933 – 1945 und die Zeit der „DDR“ und der „Bonner Republik“ sowie bis heute gibt da so manches Unaufgeklärtes aufzuklären, da zudem viele Verfolgte und Verfehmte bis heute keine Lobby haben, die darüber forscht….

    Mein Vater war als kleines Kind, ebenso wie seine Schwester, Zeuge von einem „Russenlager“, wo hinter Stacheldraht – von der Wehrmacht bewacht – sowjetische Kriegsgefangene Hunger litten…..mein Vater erzählte bis zu seinem Tod stolz davon, dass er diesen Menschen „Zuckerrüben“ („was ja eigentlich „Viehfutter“ sei – so seine Worte) über den Zaun zuwarf, woraus auch der Ärger meines Großvaters mit den damaligen Dorf“chefs“ der NSDAP resultiert haben könnte….der Sache wollte ich vor der Corona-Krise auch auf den Grund gehen, aber die Sache wurde damals schon von dem besagten Archivar der Gemeinde mit den Worten abgebügelt, dass ich es besser bleiben lassen solle, wäre nicht gerne gesehen im Ort und er hat schon einen Journalisten abgewiesen, der der Sache näher auf den Grund gehen wollte…..

    Fazit:

    Schon lange herrscht „Russophobie“ in Deutschland, die wurde nur gut versteckt oder im verborgenen ländlichen Raum gepflegt…..

    Übrigens, es ist doch interessant, dass das Fortleben des Rechtsextremismus/Faschismus/Rassismus – in all seinen Formen nach 1945 in .de – nie so intensivst erforscht wurde wie die Zeit der „Weimarer Republik“ und die 12jährige NS-Diktatur? Woran das wohl gescheitert ist? Und wo bleibt die Suche des BND/Verfassungsschutzes nach deutschen rechtsextremen Söldnern in der Ukraine? Ja, ich weis, dass wird nie aufgeklärt….*augenroll*

    Zynische Grüße
    Bernie

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