Angsterzeugung durch Entformalisierung des Rechts

Edvard Munch, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Da die illusionserzeugende Kraft des Kapitalismus immer wieder durch die dem Kapitalismus innewohnenden Krisendynamiken brüchig wird, werden Herr­schaftstechniken der Angsterzeugung benötigt, damit die Kluft zwischen demokratischer Rhetorik und kapitalistischer Realität nicht in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangt.

Ein Auszug aus Rainer Mausfelds Buch »Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien«.

Demokratie ist auf ein formal hinreichend klar fixiertes Recht angewiesen, durch das auch bei der Gesetzesanwendung die strikte Bindung aller Staatsapparate an das demokratisch gesetzte Recht garantiert wird. Diese Bindung wird gelöst, wenn bei den Gesetzgebungsverfahren Gesetze durch Verwendung unbestimmter, also nicht hinreichend präzisierter Rechtsbegriffe als – wie Ingeborg Maus dies nennt – »Gesetzesattrappen« formuliert werden, deren Spezifikation und Füllung dann nach Ermessen der anwendenden Instanzen erfolgen kann. Wenn gesetzliche Vorgaben durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – wie beispielsweise »Befürwortung von Gewalt«, »öffentliche Sicherheit«, »Gefährder« oder mit vagen Zielvorgaben oder Generalklauseln, wie »nach pflichtgemäßem Ermessen« – entformalisiert werden, wird die rechtliche Entscheidung eines Sachverhalts gerade nicht durch ein Gesetz bestimmt, sondern durch die Staatsapparate; sie können im konkreten Anwendungsfall die Gesetze nach eigenem Ermessen interpretieren und anwenden.

»System der Selbstversorgung der Regierung mit Gesetzen«

Werden rechtliche Vorgaben also nicht hinreichend formal fixiert, sondern erst in einer konkreten Situation durch die exekutiven Apparate interpretiert, so steigt der Einfluss, den politisch oder ökonomisch mächtige Akteure bei einer situativen Auslegung von Gesetzen haben. Es »genügt der Einbau einer einzigen unbestimmten Rechtsformel in ein Gesetz von ansonsten größter Feinregulierung, um im konkreten Anwendungsfall je nach Bedarf die Einzelbestimmungen des Gesetzes aus den Angeln zu heben. Diese Kombination aus Präzision und Unbestimmtheit in vielen gegenwärtig vordringenden Gesetzesattrappen stellt den politischen Institutionen jeweils zwei Formen der Rechtsanwendung zur Wahl und erweitert damit deren Handlungsspielräume, ohne den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung der Staatsapparate aufzugeben.« Durch die legislative Verabschiedung von Gesetzesattrappen – Maus warnt vor einem »System der Selbstversorgung der Regierung mit Gesetzen« – und durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wird die Demokratie von der Exekutive gleichsam durch die Hintertür entleert: »Dass das Volk aber realiter von den bloß Ermächtigten übermächtigt wird, ist Folge der Entformalisierung des Rechts, das die ›anwendenden‹ Instanzen nach Belieben interpretieren.«

Am Beispiel der Umweltgesetzgebung illustriert Ingeborg Maus, wie eine Entformalisierung des Rechts zu einer Refeudalisierung des Rechts führt: »Der Prozess der Refeudalisierung, der bereits in der Abwanderung der Politik in mächtige Subpolitiken liegt, wird durch die Favorisierung der Justiz als dezentraler Schlichtungsinstanz noch verschärft. Auf diese Weise kommt es auch zu einer Refeudalisierung des gesamten Rechtssystems: während der individuelle Mord, die handgreifliche Körperverletzung und die einzelne Tierquälerei wie eh und je den klassischen Verboten des Rechts unterliegen, errichtet die lediglich gerichtsförmige Einzelfallbearbeitung von Umweltschäden für die millionenfachen Täter wahrhaft feudale Privilegien, die den Universalismus des modernen Rechts ganz grundsätzlich außer Kraft setzen.«

»Wahrhaft feudale Privilegien«

Durch eine Entformalisierung des Rechts haben nämlich mächtige ökonomische Interessengruppen sehr viel höhere Chancen als der Einzelne, die für sie vorteilhaften Lesarten bei der Anwendung eines Gesetzes durchzusetzen.

Einer Entformalisierung des Rechts kommt auch im Rahmen eines Dissens­ und Empörungsmanagements eine große Rolle zu, da sie unter anderem den Weg zu einem Gesinnungsstrafrecht eröffnet. Dazu bietet sich etwa der Begriff des »Gefährders« an. Als Gefährder seien Personen anzusehen, bei denen bestimmte Tatsachen die Annahme der Polizeibehörden recht­ fertigen, dass diese Personen erhebliche Straftaten begehen könnten. Wolfgang Schäuble sprach sich 2007, als damaliger Innenminister, für Internierungslager für Gefährder aus. Nach dem 2017 verabschiedeten Bayerischen Polizeiaufgabengesetz können Gefährder, ohne dass eine Straftat vorliegt, schon wegen sogenannter »drohender Gefahr«, unbefristet in Haft genommen werden.

Eine Person kann also in eine »Unendlichkeitshaft« (Heribert Prantl) genommen werden, ohne eine Straftat begangen zu haben. Durch geeignete unbestimmte Rechtsbegriffe kann schon die bloße Anwesenheit an einer Demonstration, bei der es zu Sachbeschädigungen kam, als »gemeinsamer Tatentschluss« interpretiert werden, durch den Einzelne für das Verhalten anderer haftbar gemacht werden können. Dies wiederum hat – politisch genau gewünscht – zur Folge, dass grundsätzlich die Bereitschaft, eigene Handlungsspielräume zur Artikulation von politischem Protest und Dissens wahrzunehmen, sinken wird. Andererseits ist in Fällen von Wirtschaftskriminalität kaum damit zu rechnen, dass die anwendenden Instanzen zu einer entsprechenden Auslegung eines »gemeinsamen Tatentschlusses« kämen. Auch hier eröffnet eine Entformalisierung des Rechts, wie eine Fülle aktueller Fälle illustriert, mächtigen Akteuren »wahrhaft feudale Privilegien«.

Demokratisches Recht verlangt Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch präzise gefasste und inhaltlich allgemeine, gesetzliche Tatbestände. Eine Entformalisierung des Rechts lässt, besonders im Bereich derjenigen gesellschaftlichen

Bestimmten Gruppen sollen die Bürgerrechte versagt werden

Aktivitäten, durch die ein politischer Dissens artikuliert wird, staatliches Handeln unvorhersehbar und unberechenbar werden. Die derart erzeugten Ängste sind politisch erwünscht. Eine Entformalisierung des Rechts ebenso wie eine Ermöglichung einer Blanko­ und Vorschusslegalität, also das Erlassen von Gesetzen, die nur nachträglich, gleichsam auf Vorschuss oder blanko definieren, was erlaubt oder verboten ist, stellen, wie der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg im Detail aufzeigt, wesentliche Methoden einer »Staatstechnik« zur Stabilisierung von Machtverhältnissen dar.

Unbestimmte Rechtsbegriffe, die den Apparaten der Exekutive einen an Willkür grenzenden Spielraum bei einer situativ bestimmten Auslegung lassen, durchziehen in charakteristischer Weise auch rechtswissenschaftliche Diskussionen zur Einführung eines »Feindstrafrechts«, wie es von dem renommierten Rechtswissenschaftler Günther Jakobs vorgeschlagen wird. Eigentlich ist die Einführung des Begriffes »Feind« in das Strafrecht rechtsstaatlich absurd, weil jemand, der sich legal verhält, nicht aus Gründen, die innerhalb der Rechtsordnung nicht erfasst werden – und sich beispielsweise auf eine rechtlich nicht kodifizierte »Wertordnung« beziehen –, nicht als »Feind« bezeichnet werden kann.

Die Idee eines Feindstrafrechts zielt auf die Entwicklung eines Strafrechts, das bestimmten Gruppen von Menschen die Bürgerrechte versagt und sie als Feinde der Gesellschaft oder des Staates außerhalb des für die Gesellschaft geltenden Rechts stellt. Das Feindstrafrecht löst die Exekutivorgane von rechtsstaatlichen Bindungen und ermöglicht ihnen die Anwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel. Bei der Festlegung dessen, was als bestimmendes Merkmal eines »Feindes« anzusehen sei, spielt bei Jakobs der Begriff der »kognitiven Sicherheit« eine wichtige Rolle: »Wer keine hinreichende kognitive Sicherheit personalen Verhaltens leistet, kann nicht nur nicht erwarten, noch als Person behandelt zu werden […] Der prinzipiell Abweichende bietet keine Garantie personalen Verhaltens; deshalb kann er nicht als Bürger behandelt, sondern muss als Feind bekriegt werden.« Das Feindstrafrecht ist also bereits seinem Wesen nach ein Angstrecht und dient dazu, den Status quo zu stabilisieren.

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13 Kommentare

  1. Danke für diesen Artikel zur rechten Zeit.

    Es ist tatsächlich gelungen mich, einem bisher „unauffälligen“ Menschen mit Interesse an friedlichen Lösungen und Bereitschaft zu Kompromissen, in den Zustand der Wehrhaftigkeit zu versetzen. Ich bin wenig von mir überrascht, wenn ich mir vor Augen führe, wie die Regierung Opferbereitschaft einfordert, quasi ihre Klinge schon geschärft hat und nun ankündigt, diese auch zu benutzen. „Den Gürtel enger schnallen“ hatten schon aufhorchen lassen, aber es betraf „ja nur die Schmarotzer“. Wenn ich die Frage, warum ich mich wehre, beantworten müsste, würde selbst meine Antwort „Weil ich durch die Folgen beschlossener Dekrete der Regierung existentiell bedroht werde“ zu meinen Lasten ausgelegt. Ihnen würde die Quadratur des Kreises gelingen.
    Kritiker wurden seit Ausrufung des Notstands von Anfang an ignoriert, verleumdet und auch verfolgt. Radikalisiere ich mich im Falle einer Verteidigungsbereitschaft, wenn „die da oben“ und ihre Gesinnungsgenossen neben wüsten Beschimpfungen nun auch andere Mittel anwenden oder auch nur androhen? Mit Sicherheit, denn ich bin oder stehe im Verdacht Kontakt mit „radikalen“ Kräften zu haben, die eine „Delegitimierung des Staates“ forcieren. Der Einzelne zählt nicht mehr. Jede Unterstellung von Radikalität ist eine haltlose Behauptung und nur möglich durch die von Mausfeld angeführte „Entformalisierung des Rechts“.
    Und die „Delegitimierung des Staates“ und nicht nur seiner Vertreter, ist absolut gefordert, wenn wir uns vor Augen führen, dass das Grundgesetz immer noch die wahre Rechtsordnung ist. Wie zu erwarten war der Notstand nicht nur ein geschichtsvergessener, sondern angesichts einer Plandemie ein willentlich herbeigeführter Verfassungsbruch, mit dem Oppositionelle und Kritiker nun zum Freiwild erklärt werden und die drei Gewalten (plus vierte Gewalt) ganz sichtbar vor unser aller Augen verschmolzen sind. Und ich verstehe immer noch nicht, wie selbst einige Oppositionelle noch glauben können, wir hätten noch Rudimente einer Demokratie, die wir nutzen könnten.

    Und es gibt sooo viele Werkzeuge (Arbeitsniederlegungen / Generalstreik, Leerräumen der Girokonten, subversive Aktionen usw usf.), aber für alle Werkzeuge des Widerstands braucht es eine Mehrheit in der Bevölkerung, sonst ergehen sich die Gruppierungen hierzulande in einem üblen Bürgerkrieg. Ich weiß nicht, welche Sprache ich sprechen muss, um die Menschen zu erreichen. Vermutlich erreiche ich mit meinem „Geschwurbel“ in Gesprächen, sowohl bei „voller Injektion“ aber auch nur in gering „verabreichen Dosen“ (um in der Sprache des Regimes zu bleiben), weniger, als ich zunächst dachte. Erst Recht wenn ich mir vor Augen führe, dass dieser dämliche Ballermann-Hit „Layla“ (sorry, ich mag dieses Lied überhaupt nicht) offenbar mehr Türen zu öffnen vermag, als irgendwelche intellektuellen „Augenöffner“-Diskussionen. Also die Beschwörung einer sehnsüchtigen Kultur der Leichtigkeit? Die Mehrheit MUSS um jeden Preis die Wahrheit erfahren und vor allem akzeptieren.

  2. Hi Limonado,

    Dein Frustausbruch anerkennend, isr er doch von der Realität weit weg….

    „Und es gibt sooo viele Werkzeuge (Arbeitsniederlegungen / Generalstreik, Leerräumen der Girokonten, subversive Aktionen usw usf.)“
    -subversive Aktionen – vorsicht sie sind kein NSU, bei ihnen wird man nicht so lange mit der Auffindung warten
    -Leerräumen der Girokonten, dass passiert bei 60% der Bevölkerung Monat für Monat automatisch, das ist keine neue „Strafaktion“, dies hat unser Staat schon lange eingepreist
    -polit. Arbeitsniederlegungen oder gar „Generalstreik“ sind in der BRD gesetzlich verboten. Den letzten „Generalstreik“ auf deutschen Boden gab es in der brit./amer. Besatzungszone 1948 und man machte es der sowjetischen Besatzungsmacht vor, wie man mit solch „Pack“ zu verfahren hat.
    https://herne-damals-heute.de/streiks-und-demonstrationen/revolution-wird-nicht-geduldet-der-generalstreik-vom-12-november-1948/
    Aus diesem Artikel:
    „Mitte bis Ende Oktober folgen riesige regionale Demonstrationen, u.a. in Mannheim und Bremen. Am 28. Oktober kommt es in Stuttgart bei einer Streikaktion zu der der örtliche Gewerkschaftsbund aufgerufen hat, zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen die ebenfalls beteiligte US-Militärpolizei Panzer und Tränengas gegen die aufgebrachten, etwa 30.000 Demonstranten, einsetzt. Einige Schaufensterscheiben von Luxusgeschäften gehen zu Bruch. Deutsche Polizei prügelt mit Gummiknüppel auf die Demonstranten ein, es gibt viele Verletzte. Die Militärregierung verhängt im Anschluss für Stuttgart ein nächtliches Ausgangsverbot von 21:00 bis 04:00 Uhr.
    Und so kommt es am 12.November 1948 zum bisher einzigen Generalstreik nach dem Krieg, an dem sich über 9,25 Millionen Beschäftigte aus allen Wirtschaftsbereichen der Bi-Zonen beteiligen. Von 3.000 Betrieben stehen in Nordrhein-Westfalen 2.100 vollständig still. Im Durchschnitt liegt die Streikbeteiligung bei etwa 80 Prozent. In der ebenfalls zur Bizone gehörenden französischen Besatzungszone wird der Streik gänzlich verboten. Und dennoch ist der Streik vom 12. November der größte und umfassendste, seitdem die Gewerkschaften und Arbeiterparteien im März 1920 zum Generalstreik aufgerufen hatten und dem Kapp-Lüttwitz-Putsch damit ein Ende setzten.“

    Also denken sie am nächsten 17.Juni daran, wenn die MSM die bösen Sowjets berechtigter Weise des überzogenen Vorgehens gegen Demonstranten beschuldigen, die franz., amer. und brit. Besatzungsstreitkräfte haben es den sowj. Truppen nur vorgemacht, wie man mit dem deutschen Arbeiterpack umzugehen hat.

    Also diese „Doppelstandarts“ gibt es nicht erst seid der Ukrainekrise. „Doppelstandarts“ sind also in den Genen des „Wertewestens“ festgeschrieben. Die können gar nichts dafür, denn die sind ja die „Guten“.

    Um es mit Erich Maria Remarque zu sagen. „Im Westen nichts Neues“.

    1. Okay, danke für Deine Offenheit und das Wegwischen jeder Illusion, also dafür dass Du mir weitere Strohhalme aus dem Wasserglas gezogen hast :P. In Blogs habe ich mich schon mehrere Wochen nicht mehr blicken lassen und ich sollte es ganz sein lassen. Es gärt in mir und ich sollte in meiner Verfassung vorsichtig sein, über Auswege zu berichten, die mit heißer Nadel gestrickt sind. Sowieso werde ich immer „unvorsichtiger“.

      Es ist nämlich richtig, in den letzten Tagen bin ich extrem gefrustet, hatte u.a. einen politischen Disput mit meinem Mainstream-Vater (der über so einiges Bescheid weiß, aber vieles davon überraschenderweise für gut befindet), der für mich sehr emotional war. Ich konnte mich nie zuvor daran erinnern, jemals dieses starke Gefühl zu haben, welches sich wie ein bösartiges Geschwür im Magen anfühlt. Es war Hass und ich bin mir sicher (bisher kannte ich es nur vom Hörensagen). Gegen mein Vater, der mir zu keiner Zeit was getan hat und immer sehr ruhig ist. Und das macht mich gerade fertig und vieles andere auch. Ich finde keinen Ausgleich und keinen Frieden… sowohl mit mir, meiner Familie, meinen Mitmenschen und vor allem mit der sooo schönen, grünen, aber doch gnadenlosen Natur. Ich finde also selbst beim Spazieren im Grünen und dem Einatmen frischer Luft keinen Ausgleich mehr. Klar, ich „brauche“ Therapie, aber nicht in diesen Zeiten. Hatte da ohnehin schon genug schlechte Erfahrung und gerade jetzt? Vergiss es. Ich werde in diesem gottlosen Land begraben sein. Es ist außerdem besser wenn ich mir meine Dramatik spare und meine auferlegte Schreibsperre wieder aktiviere :P.

  3. Der Hinweis auf die Verwendung in gewisser Hinsicht schwammiger, gleichsam entgrenzter Begriffe durch die Legislative und in der Folge Judikative ist gewiss wertvoll. In der Tat kann man beim ‚Gefährder‘ von einem Baustein für ein ‚Feindrecht‘ sprechen, insofern in der Praxis, zumindest ursprünglich, damit auf eine Gruppe von Islamisten gezielt wurde. In der Folge kam / kommt es dann zu Ausweitungen. Der von Mausfeld ebenfalls angesprochene Eventualcharakter des Begriffs scheint mir aber noch zentraler. Sanktioniert werden kann eine angeblich bei einem gewissen Personenkreis vorliegende erhöhte Neigung zu Straftaten, nicht bloss deren konkrete Durchführung oder zumindest belegbar handfeste Planung. Damit aber wird der Boden des Rechtsstaates verlassen. Wer de facto Gesinnung mit Strafe bedroht, hat, wie das zitierte bayrische Polizeigesetz, der Willkür ein Tor geöffnet.

    Die Rede von der Entformalisierung leuchtet begrifflich nicht ein. Die fraglichen Begriff sind als solche durchaus präzise – zudem bliebe zu fragen, ob Vagheit und Formlosigkeit wirklich kongruent sind -, unpräzis ist bloss ihr Bezug zur Realität. Ob jemand den als Gesellschaftsgefährung definierten Tatbestand erfüllt, ist prinzipiell nicht hinlänglich objektivierbar. Es wäre daher eher von einer Unterdeterminiertheit, bzw. Determinierungsinsuffizienz zu sprechen.

  4. Danke für diesen Beitrag zur fundamentalen Wichtigkeit und Bedeutung des Rechtsstaats für die Demokratie. Leider scheint mir, dass viele Linke die Idee des Rechtsstaats, auch wenn sie in der Praxis entsprechend den Machtverhältnissen immer nur unvollständig umgesetzt wurde, nicht richtig verstanden haben und daher nicht ausreichend zu schätzen wissen. Der real existierende Rechtsstaat ist eben nicht allein Instrument der Herrschenden, sondern spiegelt auch das Verhältnis von Macht und Gegenmacht wieder. Nun wird das Recht weiter zu Gunsten der Herrschenden geschliffen und kaum jemand protestiert.
    Analog wird in der Öffentlichkeit ein „Softlaw“, etabliert, ein „weiches“ Recht ohne formale Gesetze, in dem von den Herrschenden unerwünschtes Verhalten oder bestimmte, unliebsame Personen gesellschaftlich geächtet und mit entsprechenden, ebenfalls unpräzisen Begriffen, wie dem des „Verschwörungstheoretikers“ belegt werden. Durchgesetzt werden diese Sanktionen vor allem mittels der Massenmedien, und dann durch die vielen Menschen, die gerne zu den „Guten“, gesellschaftlich Akzeptierten gehören wollen, und das von Oben vorgegebene Mobbing an die Menschen in ihrem Umfeld mit Vergnügen weiterreichen. Hier stehen interessanter Weise wiederum viele als „links“ auftretende Menschen an vorderster Diffamierungsfront.

    Zum Feindstrafrecht wäre noch Karl Popper zu nennen. Feindbestrafung quasi als Softlaw. Dieser schrieb das Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ in zwei Bänden. Hier werden ebenfalls „Feinde“ ausgemacht, für die die „offene Gesellschaft“ nicht gelten soll. „Keine Toleranz den Intoleranten“, lautet ein Schlachtruf. Ein Widerspruch in sich. Der Think Tank Liberale Moderne stößt mit seiner „Gegneranalyse“ übrigens ins gleiche Horn. Der Begriff meint „Gegner der offenen Gesellschaft“ und bezieht sich damit explizit auf Popper, der den Begriff der „offenen Gesellschaft geprägt hat (https://gegneranalyse.de/ueber-uns/).

    Ein weiterer Widerspruch: Popper, der den „kritischen Rationalismus“ und „klares Denken“ propagierte, sprach sich gegen die Verwendung von Definitionen aus, obwohl diese für beides Voraussetzungen sind, und verantwortet auch die vage Diffamierungs- und Angsterzeugungsformel „Verschwörungstheoretiker“. Die Widersprüchlichkeit in Poppers Werk ist meines Erachtens gewollt und Teil einer Verwirrungs- und Propagandatechnik, die der versierte Erkenntnistheoretiker Popper für die (sogenannten) Neoliberalen entwickelt hat – die in vielfacher Hinsicht gar nicht liberal sind.

    Freunde der „offenen Gesellschaft“ sollten Popper lesen, kritisch die Widersprüche analysieren, und nicht zulassen, dass in ihrem Namen Schließungen und Ausgrenzungen vollzogen werden, und die offene Gesellschaft damit gleich wieder abgeschafft wird.

  5. Limonado & andere…

    Ist schon alles richtig, nur… Was genau schlägst Du denn vor? Ich hoffe für Dich, Du bist nicht der Meinung, dass sich für Deinen Standpunkt in diesem Lande eine Mehrheit finden würde??? Oder einen Aufstand gegen die „Grünen“, die doch alles was gut und wahr ist, repräsentieren.
    Noch mehr hoffe ich, dass Du keine Ambitionen hast zum Märtyrer für „Recht und „Freiheit“ werden?

    Kann mir mal einer von Euch erklären warum ihr nicht alles was sich zu Geld machen lässt ganz schnell verkauft? Die Euro, solange sie noch jemand nimmt, in Dollar oder Franken und mit einem gültigen Reisepass ins Ausland abdampft um dort weit weg vom Zugriff dieses typisch deutschen Staates, ein erfreulicheres Leben zu führen.

    Man könnte auch folgenden Gedanken weiterspinnen: Scholz macht den Fischer und sagt: Sorry, I am not convinced, und erklärt in Brüssel vor versammelter Mannschaft, er werde was DE angeht die Sanktionen abblasen, wer will kann dabei mitmachen. Natürlich wird vdLeyen anfangen zu keifen, sobald sie aus ihrer Ohnmacht erwacht ist und kapiert, dass sie die Amis wegen Unfähigkeit absetzen werden. Aber sonst???

    Gut, Du könntest dann wieder hungern ohne zu frieren… aber Du bist immer noch den Lauterbachs und Baerbocks ausgeliefert… und lebst zwischen Bürgern die das alles ganz, ganz toll finden… und die negativ Punkte in deinem aus China importierten staatlichen Zuverlässigkeits Pass die bleiben auch drin.

    Ist das die Welt in der Du dein (dein einzigstes Leben!) verbringen willst

    1. Soso, und wohin emigrieren? Wo ist die andere Welt? Nebenbei, auch Russland ist nicht perfekt (hust). Immerhin hat man da keine Heizprobleme.

    2. Nur kurz: Es wird kein Martyrium von meiner Seite geben, ich werde also nicht für irgendwelche Gruppierungen oder „den Widerstand“ sterben oder mich „opfern“ und ich verspreche, dass ich keine Pläne habe, Gewalt anzuwenden. Ich sehe mittlerweile ein, dass es für mich hier nix zu tun gibt, außer mich um mein eigenes Wohl zu kümmern (wie auch immer sich das realisieren lässt). Und ich brauche keine Ratschläge, wie ich zu leben habe – das werde ich selbst herausfinden. Meine Äußerungen sind problematisch, gerade für Leute, denen es wie mir geht. Denen möchte ich sagen: Sorry, meine Frustkommentare sind verantwortungslos und unüberlegt. Hört auf euch selbst und niemand anderen. Da es momentan schwierig mit mir ist, sehe ich ein, dass es besser ist, einfach mal gar nichts mehr zu schreiben. Mir fällt auch nichts mehr ein und meine Vorschläge werden auch immer einfältiger und einfallsloser – vielleicht weil es auch keine „Lösungen“ gibt. Der Groschen ist endlich gefallen.

      1. Hi Limonado,

        Frust ist ein starkes Motiv fast aller Kommentatoren hier. Hinzu kommt, dass der Besuch des Magazins und des Forums doch auch neue Erkenntnisse bringt.
        Um Ihnen mal ein bisschen Mut zu machen:
        Ich komme aus dem Osten. Nach der für jeden DDR-Bürger erkennbar gefälschten Wahl war eine Spannung in der Luft, die wir im Unterricht gelernt haben, als „Revolutionäre Situation“ zu beschreiben. Doch nichts geschah im Mai.
        Am 07.Oktober gingen in Leipzig 9000 Leute friedlich auf die Straße. Massenhaft wurden sie auf dem AGRA-Gelände für das Wochenende weggesperrt. Am Montag den 09.Oktober liefen 70000 Leute um den Leipziger Ring. Ich auch. FRIEDLICH – die Teilnehmer UND die Polizei.

        Kann das der Kapitalismus auch? Friedlich? (nachtreten muss ich trotzdem)

        1. Hi, alles gut (wegen dem Nachtreten). Ja, dann schreibe dann doch noch mal eine Antwort.

          Ich habe bislang kein Verbrechen, auch kein Gewaltverbrechen begangen. Ob ich als im Kapitalismus sozialisierter Mensch meine Ellbogen zu weit ausgefahren habe? Meine gelinde gesagt an kapitalistischen Ansprüchen gemessen erfolglosen Biografie lässt dieses weniger vermuten. Aber ich weiß, dass allein diese kapitalistische Bewertung nichts aussagt: Bei meiner letzten Beschäftigung mit aufzustockendem Taschengeld ist Angeberei und Konkurrenzdenken selbst unter geringfügig Beschäftigten ein großes Muss und auch auf kognitiver Ebene sind viele darauf bedacht, der Einäugige unter den Blinden zu sein. Ich habe versucht mich aus solchen Wettbewerben bewusst rauszuhalten, aber manchmal ist es selbst mir nicht gelungen immer ehrlich zu sein, besonders wenn ich mich über reine Höflichkeit hinaus anbiedernd gegenüber anderen Beschäftigten oder sogar der Vorgesetzten geäußert habe. Das neue Maßnahmenregime hat mich dazu veranlasst, diese Verhalten abzustreifen und was soll ich sagen? Am Ende steht man allein im Regen und selbst die außerparlamentarische Opposition im Westen wünscht sich zu großen Teilen, so habe ich den Eindruck, vieles oder alles solle wieder wie vorher sein, obwohl dieser Mist immer wieder im Faschismus endet (der sich bislang offenbar grob an den warmen und kalten Jahreszeiten orientiert).
          Eigentlich habe ich mir vorgenommen in Kürze wieder an den Spaziergängen teilzunehmen und trotz geringerer Motivation wird es auch geschehen. Falls wirklich eine friedliche Revolution gelingen sollte, werde ich mir reichlich überlegen müssen, ob ich am Tauziehen um einen neuen Gesellschaftsvertrag teilnehmen werde. Vielleicht bestimmen aber auch einfach BRICS+ darüber. Was Schmerz und Leid betrifft, geht es immer schlimmer, aber groß enttäuscht werden kann ich als „N@zi“ mit dem Programm der Linken im Bücherregal nicht mehr (das Parteibuch habe ich letztes Jahr abgegeben). Die Erwartungen an die Zukunft sind bei mir eher gering, aber ich lasse mich überraschen und da vieles offenbar nach einem Drehbuch geschieht, bin ich gespannt, welche absurden Twists uns noch erwarten werden. Aber ich gewinne auch zunehmend den Eindruck, dass den Regisseuren allmählich das Spektakel entgleitet. Da aber viele Prämissen von Anfang ziemlich bescheuert gedacht wurden, ist es schwierig Unsinn von Eigendynamik zu entscheiden.

          1. Hi Limonado,

            ich kann fast alles nachvollziehen.
            Auch ich bin Jahr für Jahr hin und her gerissen, bleibe ich in der Gewerkschaft oder trete ich aus, denn deren Vereinbarungen mit der Betriebsleitungen sind nur bedingt in meinem Interesse. Aber meine Erziehung sagt mir noch, „nur vereint sind wir stark“.

            Jetzt erzähle ich dir mal noch eine kleine Annekdote aus meinem Leben. „AUFSTEHEN“ hatte sich gebildet als SAMMELBEWEGUNG der links denkenden/ fühlenden Bürger. Hoffnungsvoll bin ich zur ersten Demonstration/ Kundgebung nach Magdeburg gefahren und nahm daran teil. Es waren ca. 300 Leute, alles bunt gemischt. Viele Altlinke also Rentner /-innen, aber auch junge Familien mit Kindern, SPD-Anhänger und -Anhängerinnen, auch zwei Handvoll Leute von der Partei gut am mitgeführten Bierkasten zu erkennen. Es war das, was Sarah wollte, ein breit aufgestelltes Bündnis, wo die soziale Frage, die Friedenserhaltung, die Nähe zum Arbeiter und Angestellten, Arbeitslosen und armen Rentner mit deren aktuellen Problemen im Vordergrund steht. Wir liefen eine Hauptstraße rauf und dann auf der anderen Seite wieder zurück. Aller paar hundert Meter machten wir ein kurzen Halt, wo eines dieser Themen kurz angesprochen wurde und alle riefen dazu eine Losung (diese habe ich vergessen – die war auch nicht so gut). Am letzten Halt zumindestens mein letzter ergriff die Veranstalterin (denn jede echt deutsche Demonstration braucht einen Veranstalter) das Wort und sagte sinngemäß, dass die Leute (sie benutzt nicht das Wort „Die Partei“) mit den Bierkasten doch den Demonstrationszug verlassen sollen, weil diese Leute das gute Bild des Zuges stören würde und die Sammelbewegung dadurch einen schlechten Ruf bekäme. Hä? Sammelbewegung nicht Elithenbewegung! Man schämte sich wieder für seine Proleten? Da haben wir doch das PROBLEM der etablierten Linken-Organisationen (nicht nur der Partei „Die Linke“), DEN ELEFANTEN IM RAUM, man schämt sich für sein Klientel, was man vertreten will. Ich als noch nicht Anhänger der Partei war dann mal weg und kam auch nie wieder. Obwohl ich gegen den Alkeholkonsum persönlich eingestellt bin, hatten genau die Typen meine Sympathie – weil ich tolerant bin. Und Toleranz/ Verständnis zu ihrer Klasse/ Schicht/ Klientel das fehlt der SPD und Der Linken. Und deshalb ziehen sie auch in den nächsten Bundestag (Die Linken) nicht mehr ein (ich versuche mich mal als Kassandra).

  6. Alles was wir aktuell als Sekundär-Erosion von Recht, Gesetz, Demokratie, Föderalismus, Gemeinsinn, Anstand, Würde wahrnehmen, geht auf eine Primär-Erosion zurück:

    die Erosion der „vierten Gewalt“. Die Erosion des „öffentlichen Diskurses“ zu einer Werbeveranstaltung der Reichen und Einflussreichen und für deren Interessen. Meist verdeckt hinter apokalyptischen Schreckensszenarien wie Klimawandel (= Wiedereinführung von Kernkraft) oder Corona-Seuche (= pervers hohe Pharma-Profite) oder Ukraine-Krieg (= Rüstungs-Profite und Europa-Russland-Schwächung) oder all die anderen panisch-hysterisch verhandelte Themen, die alle nur dazu dienen das Angstlevel hochzutreiben und damit die Bevölkerung in dauerhafter Schockstarre zu halten.

    Ein sehr wichtiges Medium dazu ist auch das Internet und die a-„sozialen Medien“. Alles in der Hand der Superultramilliardäre und deren Gefolgsleute, Büchsenspanner, Wasserträger, Büttel und Schergen. (Der ÖRR wird über die Altparteien-Nomenklatura dirigiert).

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