Gesetzliche Rente, Geschichtswissenschaften und tödliche Worte

Eine Frau liest ein Buch.
Quelle: Pixabay

Unsere am meisten gelesene Artikel des Monats August.

Der August hat es in sich gehabt, liebe Leserinnen und Leser: Von der Frage nach der Zukunft der Rente über die Krise der Geschichtswissenschaften bis hin zum geopolitischen Schachbrett von Trump und Putin. Es ging um Worte, die töten, um deutsche Soldaten in der Ukraine, um Milliarden für den Krieg und um die Frage, ob unsere Gesellschaften nicht längst auf einen inneren Aufruhr zusteuern. Kurz: Die meistgelesenen Texte dieses Monats spiegeln, wie tief die Brüche in Politik, Wirtschaft und Kultur reichen – und wie sehr sie die Leserinnen und Leser beschäftigt haben.

Die Rente wäre sicher …
Höhere Beiträge? Na und. Heiner Flassbeck zerlegt das Märchen vom unbezahlbaren Umlagesystem. Entscheidend sei nicht die Demographie, sondern die Bereitschaft, Wohlhabendere stärker zu belasten. Wer die Rente kaputtreden will, betreibt Ideologie – nicht Aufklärung.

Die Krise der deutschen Geschichtswissenschaften
Deutschlands Historiker durch KI zu ersetzen, könnte eine gute Idee sein, findet Roberto De Lapuente. Denn die lautesten dieser Zunft machen lieber Politik als Forschung – und verwechseln Geschichtsschreibung mit moralinsaurem Aktivismus.

Der Aufstieg einer neuen Weltordnung
21 Thesen von Patrik Baab: Der Gipfel Trump–Putin in Alaska markiert eine tektonische Verschiebung. Russland ist zurück, die unipolare Welt vorbei, Asien im Aufstieg – und Europa? Marginalisiert, politisch abhängig, wirtschaftlich geschwächt.

Bundeswehr in der Ukraine: Spiel mit dem Feuer
Ein Tabu bricht auf: Nie wieder deutsche Soldaten gegen Russland – so lautete der Grundkonsens seit 1945. Heute wird in Berlin offen über Einsätze diskutiert. Günther Burbach nennt das Wahnsinn: Von „Friedensmission“ könne keine Rede sein, es wäre ein unkalkulierbarer Krieg.

Gipfel in Alaska – Gesten der Versöhnung, aber kein Deal
Händeschütteln, versöhnliche Gesten, viel Hoffnung – doch kein Durchbruch. Ulrich Heyden zeigt, wie Trump und Putin zwar kein Abkommen vorlegen, aber doch eine historische Wende andeuten: Reden ist wieder möglich, selbst wenn Europas Falken weiter auf Konfrontation setzen.

Rentenversicherung: Märchen werden nicht glaubwürdiger, wenn man sie wiederholt
„Generationenvertrag“? Suitbert Cechura hält das für ein ideologisches Märchen. In Wahrheit handele es sich um staatlich verordneten Zwang und eine Kasse, die immer wieder geplündert wird. Das Versprechen „Die Rente ist sicher“ bleibt – nur das Niveau sinkt stetig.

Worte, die töten
Sabiene Jahn zeichnet nach, wie Sprache im Donbass zur Waffe wurde. Wer Menschen als „Orks“ oder „Vieh“ bezeichnet, entzieht ihnen Würde – und öffnet die Tür zur Gewalt. Von Odessa bis Kiew, von Stadionparolen bis Medienberichten: Worte schaffen Realitäten.

Sozialstaat nicht mehr finanzierbar – aber Milliarden für den Ukraine-Krieg
Während Klingbeil Kiew neun Milliarden jährlich zusagt und Merz den Sozialstaat für unbezahlbar erklärt, wird klar: Für Waffenlieferungen sitzt das Geld locker, für Bürgerleistungen nicht. Florian Rötzer beschreibt eine Schieflage, die kaum zu übersehen ist.

Russischer Durchbruch bei Pokrowsk und das Treffen Trump–Putin
Russische Truppen rücken im Donbass vor, Selenskij steckt in der Zwickmühle: Trump oder die Europäer? Korruption, Kriegs­müdigkeit und wachsender Druck von außen machen sein politisches Überleben unsicher – während Trump als „Friedenspräsident“ glänzen will.

Trumps Inszenierung der Macht und die Unterwerfung der europäischen Bittsteller
Ein Foto vom Weißen Haus: Trump thront im Zentrum, die europäischen Regierungschefs im Halbkreis wie Bittsteller. Selenskij musste sogar seine Kriegs-Montur gegen den Anzug tauschen. Florian Rötzer nennt es ein Schauspiel der Unterwerfung – Europa als Vasall.

Ein Bollwerk gegen Bürgerkriege wäre die Existenz einer kompetenten Elite
Roberto De Lapuente im Gespräch mit David Betz: Der Westen stehe vor Aufständen, weil Wohlstand schwindet, Erwartungen enttäuscht werden und Eliten versagen. Ohne eine einheitliche, kompetente Führung drohe Europa ein Abgleiten in Bürgerkriege wie auf dem Balkan der Neunziger.

Redaktion

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Die Redaktion unseres Magazins: Florian Rötzer und Roberto De Lapuente.
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9 Kommentare

  1. Bismarck´s preußisches Projekt eines Großpreußens auf den Resten des Deutsch-Römischen Reichs haben das Land mindestens seit dem 20. Jahrhundert zum Paria der Welt gemacht.
    Daran ändert selbst das Millennium und das 21. Jahrhundert nichts.
    Die wirtschaftliche und soziale Schieflage im Innland und der EU, das absehbare Ende des Friedensprojekts EU sowie der kommende Krieg.

    Ja; wir können WIRKLICH stolz sein………..

    1. Das Heilige Römische Reich war ja nie ein Staat im modernen Sinne, sondern eine Phantasie.
      Die Reichseinigung und die Schaffung einer modernen bürgerlichen Nation war zweifelsfrei eine historische Notwendigkeit. Und da gab es nur die beiden Möglichkeiten : Mit Österreich, dass dann die Hegemonie gehabt hätte oder ohne, was zur preußischen Hegemonie führte. In WK1 sind sie dann gemeinsam gezogen. Ich weiß nicht, ob sich etwas geändert hätte, wäre die andere Möglichkeit verwirklicht worden.

      Auf jeden Fall hätte Deutschland das glücklichste Land der Welt werden können, weil es seit der Reichseinigung 1872 niemals angegriffen wurde. Und auch jetzt, wo wir in WK3 ziehen, wird sich das nicht ereignen. Und wir werden wieder nichts aus der Geschichte lernen.
      Könnte aber des letzte Mal gewesen sein.

  2. Zu dem was in Gaza vor sich geht:
    Am Samstag sind drei Menschen verhungert, in den letzten vierundzwanzig Stunden waren es sieben.
    Es verhungern also jeden Tag Menschen weil man ihnen die Hilfslieferungen vorenthält.
    Die Juden machen dass, man muss es auch sagen weil man sonst ein falsches Bild von der Situation bekommt.

    1. @Hey Termolo
      Poste doch bitte solche Beiträge unter den Artikel „From the River to the sea….“
      Dann erzielt Du mehr Reichweite und nützt der Sache Palästinas besser.
      Du hast doch die Fakten drauf
      Hier fällst du der versammelten Rentnergang sonst nur auf die Nerven!

  3. Was will die Redaktion „uns“ mit diesem Beitrag mitteilen? Wandelt man jetzt auf den Spuren von Neuberpolis und zählt alles in „Likes, Likes, Likes“ beziehungsweise „Clicks, Clicks, Clicks“? Der Artikel behauptet:

    Die meistgelesenen Texte dieses Monats spiegeln, wie tief die Brüche in Politik, Wirtschaft und Kultur reichen – und wie sehr sie die Leserinnen und Leser beschäftigt haben.

    Aha.

    Zunächst: Mir wird jetzt gar nicht ersichtlich, welcher der gelisteten Artikel der meistgelesene ist. Der von Flassbeck oben – weil der erste? Das Interview mit Betz (der unbedingt auseinandergenommen gehörte) unten – weil am Schluss? Der von Heyden in der Mitte – wegen Feng Shui? Und anhand welcher Parameter wird hier gemessen? Welche Kriterien zugrunde gelegt? Heißt meistgelesen auch meistkommentiert? Was bedeutet „meistgelesen“, was „meistkommentiert“? Fragen über Fragen, doch weiter geht’s:

    Welche „Brüche“ sind eigentlich gemeint – und für wen? Und wo ist überhaupt die gesellschaftliche Hauptbruchlinie – Klasse – abgeblieben? Ich postuliere jetzt einfach mal, dass das die Hauptbruchlinie ist, weil’s offenkundig sonst keiner tut. Von mir aus können Sie auch Gesellschaft, Stadt-Land oder was die Cleavage-Theorie hier noch hergibt einsetzen. Oder Geschlecht. Oder Fleischkäs. Ich bleibe mal bei Klasse und frage: Ist die Klassenfrage jetzt schon so pöse, backtracker, outoftime, retarded, unvermittelbar, schlicht nicht en vogue beziehungsweise schlicht nicht in der Vogue, dass man sie keinem mehr zumuten kann? Gibt ja kein Links und Rechts mehr (laut Sahra W. und Co. KG) und keine sozialen Probleme (laut Fritze Schmerz). Ist ja ein Land, „in dem jeder gut und gerne leben kann“ (so er nicht von der herrschenden Klasse schikaniert, sondern dort Mitglied ist). Oder geriert „Klasse“ schlicht zu wenig Clicks, Clicks, Clicks? Also zu wenig Cash, Cash, Cash? Oder läuft die jetzt unter „Politik“, „Kultur“, „ferner liefen“? So scheint’s!

    Warum werden Geschichten wie „Politik“ und „Kultur“ überhaupt als „Brüche“ angeführt? Gerade Kulturalismus-Thesen sind doch nichts als postmoderner Westlinkendull; Beschäftigungstherapieband für Sozilogen wie Leggewie und Co. KG. Zeug, das dann irgendwann auch die restliche Rechte übernommen hat und heute wird alles „in Kultur“ gemessen und ausgdeutelt. (Außer bei Philip Manow, der von „Modernisierungsverlierern“ spricht, um das pöse Wort „Klasse“ zu vermeiden, und außer bei Robert Misik, dessen Ansatz „pluralistisch und eklektisch“ ist, also ein Sammelsurium mit Wiener Schmäh.) Kulturalismus ist wunderbarer Druidenteeausschank im Elfenbeinturm, wo man sich nicht leisten kann, die wirklich heißen Eisen anzugehen. (Wer’s doch tut, kriegt seinen Kettenvertrag nicht verlängert und / oder keine Fördergelder.) Und wo sind die „Brüche“ in der Politik? Weil Grüne und CDU sich nicht einig sind wie viele Zwangsmigranten ins Land geholt werden sollen? Ist das jetzt ein „Bruch“? Für mich wäre es ein Bruch, wenn eine Partei mal tatsächlich gegen die Massenmigration wäre. (Die AfD-Wämser sind ja auch für „Einwanderung“, nur wollen sie handverlesene, abgewogene Inder oder Latinos oder weiß der Geier wen en masse holen, statt pösen Ziegentreibern. Ich dagegen bin weder für noch gegen Ausländer, sondern für Freiheit und die verträgt sich weder mit Zwang, noch mit Migration und am allerwenigsten mit Zwangsmigration.) Oder ist es ein „Bruch“, weil die einen das Windrad 150 Meter von den Bude ihrer Untertanen haben wollen und die anderen 1500 Meter? Weil die einen die Bundeswehr aufrüsten wollen für Kolonialabenteuer, die anderen für die Verteidigung des imperialen Zentrums und die Dritten (AfD, BSW), weil sie „kaputtgespart“ sei? Vom sonstigen Schmu, den scheinalternative Tröten von AfD, BSW und Co. KG verzapfen ganz zu schweigen.

    Nochmals: Wo sind die politischen Brüche? Die Kartellparteien stehen festgemauert in der Erden und wenn ihnen mal ein Schnäpperchen runterfällt, finden sie immer noch einen Steigbügelhalter. Die Linkende in M-V. Die Schill-Partei in HH. Das BSW (Bumsen; Saufen, Weibertratsch – mein Namensvorschlag übrigens für die Umbenennung. Der Name generiert massig Aufmerksamkeit in der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49jährigen und bringt ansonsten auf den Punkt, was bei JU, Julis, Jusos und Co. abends nach den Parteitagen abging. Wenn man mit den koalieren will, sollte man sich gleich auch deren Tugenden aneignen. Nur echt mit der Extraportion Verlogenheit, Koks / Gras und Lästern.) in Thüringen. Demnächst auch die faulen Melonen von der AfD. Die zentralen politischen Inhalte – die hard politics – sind unverrückbar. Wer sie zu verrücken sucht, wird bearbeitet wie Corbyn, abgesägt wie Edathy / Holm / hessische Finanzbeamte. Oder landet – wenn gar nichts hilft – wie Barschel in der Badewanne. Dieses Land ist kapitalistisch (in neoliberaler Ausprägung), imperialistisch (pro-NATO, -EU, deutsche Interessen in Übersee) und identitär (ob woke-identität, konsum-identitär, national-identitär, Islam-identitär – Identität muss sein, Authentizität dagegen kommt in die Tonne). Und wird es auch morgen und übermorgen noch sein. Es wird auch morgen noch Massenüberwachung, Massenmigration, Massenarmut, Massenschmu geben. Da ist es völlig wurscht, ob Union, SPD oder die Violetten an der Macht sind. Wer hier an die Macht kommt, kommt an die Macht, weil er an die Macht soll und die richtigen Leute mit den richtigen Capabilities beziehungsweise dem entsprechenden Vitamin B hinter sich hat, die ihm den Weg frei machen und in die Talkshows und Wahlurnen bahnen. Und weil er weiß, dass er von einem Volk umgeben ist, das – wie schon zu de La Boèties Zeiten – das Ganze eben in Duldungsstarre wie Applaus mit sich machen lässt. Die Abweichler werden verboten, einkaserniert oder gleich aus dem Land gejagt.

    Oder ist mit „Brüchen“ gemeint, dass es noch Leute gibt, die das ein oder andere anders sehen? Eben jene Abweichler? Ja, aber die sind ja kein „Bruch“. Für einen Bruch, eine Ruptur, brauchte es Kraft und Schwung. Fragen Sie Leute, die von ihren lächerlichen Geldverschwendungsboliden E-Bikes fielen. Die kleine Multitude an abweichenden Stimmen im Westen wird zwar zur Monstranz aufgeblasen und hier wird auch gern von „kommenden Aufständen“ geraunt – de facto ist sie aber weder mächtig noch sonst was. Sie dient allenfalls zum Angstmachen oder als Begründung für weitere Aufrüstung nach innen und außen. (Oho, bei einer anti-militaristischen Demo wurden ein paar Pegizisten verletzt. Jetzt sofort alle Antikriegsproteste verbieten! Sicher ist sicher! – Meine Fresse, wie langweilig soll das gegenrevolutionäre Drehbuch eigentlich werden?!)

    Dann aber zum Folgenden. Oder wie ein Mitforist bereits kommentierte: „Meistgelesen ist relativ“. Exakt. Und Klicks sagen originär gar nichts darüber aus, wie sehr ein Artikel irgendwen beschäftigt hat. Bei Ukraine-, Anschlags- und Palästina-Beitrag kann man davon ausgehen, dass ein signifikanter Anteil des „Traffics“ wie der Kommentare entweder Bots, Müll oder Botmüll sind. Und zwar egal ob bei Overton, ZON oder der Kreiszeitung Lüdenscheid. Klickzahlen spiegeln Teilöffentlichkeiten wider, nicht „die Gesellschaft“. Bei solchen Themen kriechen einfach sämtliche amtsbestellten Trolle, Sektenjünger, Druidenteeverkäufer und sonstigen Diskursanheizer aus allen Ecken und Löchern – zuzüglich natürlich jedem Michel, der denen freiwillig auf den Leim geht oder bloß seinem handelsüblichen Schlottern vor den großen deutschen Ängsten – KORAN, RUSSE, VIREN – virtuell Ausdruck verleihen will. Nur was sagt das aus?

    Hohe Klickzahlen und große Reichweite beweisen allenfalls, dass ein Thema emotionalisiert. Dass es polarisiert – nicht, dass es differenziert aufbereitet, in irgendeiner Form bedeutsam oder von einem tiefergehenden Diskurs geprägt ist. Ja nicht einmal, dass die Leute die Essenz des Beitrags geschweige denn des Themas erfasst haben. Und das sieht man ja bei Neuberpolis: Reißerische Schlagzeilen („Tiefdruckgebiete bombardieren Deutschland“), Skandalisierung („OnlyFans: Das digitale Bordell des 21. Jahrhunderts?“) oder bewusst gesetzte Kontroversen (Forenschließung / -entsperrung / -umdesignung) generieren oft mehr Klicks als nüchterne, aber sachlich fundierte Analysen. Sieht man ja auch hier. Die Artikel des Chefreds, die am wenigstens Kommentare haben, sind meist die besten.

    Und die Beiträge, die etwas länger sind oder viele Quellen aufweisen, haben wenig oder kaum Kommentare. Ihre Autoren sind eher unbekannt – und wollen auch unbekannt bleiben. (Stichwort: B. Traven. Bis heute ist nicht völlig klar, wer er war und er legte auch offensichtlich mehr Wert auf sein Wort und das Argument als auf seinen Namen – wo sind diese Leute heute, wo sich so gut wie jeder auf Insta und Co. prostituiert?) Nein, die meisten sorgfältig recherchierten Beiträge erreichen nie Spitzenwerte, weil sie komplex sind, sowie Zeit, Konzentration und / oder Hintergrundwissen verlangen. Solche Fertigkeiten sind im Westen im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen aber wohl einfach nicht mehr darstellbar. „Wie – dat soll ich lesen? Dat ist ja länger als ‘n Post-it!“ Tja, schon meine Mathematiklehrerin in der Grundschule wusste: „Denken sollte man den Pferden überlassen, die haben größere Köpp!“ Und das ist jetzt 25 Jahre her.

    Was dagegen – auf welcher Seite auch immer – ne knallige Überschrift und „5-6 Minuten Lesezeit“ (laut Browser Leseansicht) aufweist, wird gerammelt kommentiert wie Sau. Hohe Klickzahlen beweisen – wenn’s am besten kommt – dass ein Thema monetarisiert. Mein Februar-Beitrag zu Armut wiederum, war zwar nicht knapp, hatte zwar fast 350 Kommentare – für Overton-Verhältnisse wohl eine Hausnummer – aber leider eher wenige zu dem, um was es mir ging und worum ich im Artikel bat: Weitere Erfahrungsberichte / Diskussion zu Armut. Auch eine hohe Zahl an Kommentaren sagt somit wenig über die Diskussion und Inhalte aus und kann schlicht Spiegel von Empörung oder organisierter Stimmungsmache (Trolllantentum) sein.

    Was ist also der Mehrwert der Klicks? Na wohl einzig und allein: Cash! Beziehungsweise: Reichweite und dann Cash. In der neoliberalisierten Ellbogengesellschaft wird Mehrwert eben all zuvorderst finanziell verstanden. Und weniger geistig oder sonst wie. Was ziemlich blöd ist. Was heute die „meistgelesene Geschichte“ ist, wird morgen nämlich zumeist schon vergessen sein. Dauerhaften qualitativen Mehrwert, dauerhafte Relevanz bekommt ein Artikel / ein sonstiges Werk eines Autors doch freilich nur, wenn es noch Monate, Jahre oder Jahrhunderte später aufgegriffen wird – nicht durch kurzfristigen Klick-Hype. Doch dauerhaftes Einkommen kriegt ein Autor, der von Artikeln leben will, wiederum nur, wenn er den Neuber macht und zum Hansdampf in allen Gassen und auf allen Instas mutiert. (Wissen die Leute noch was Neuber oder Herr Rötzer vor einem Jahr schrieben? Wissen die selbst es noch?!) Und da scheint es einen Wechsel zu früheren Jahr(hundert)en gegeben zu haben.

    Kurzer Geschichtsexkurs noch: Herr Ensel verweist ja in seinen Beiträgen immer gern auf Zweig – nun, einige der heute sehr geschätzten Poeten und Schriftsteller des Fin de Siècles las damals keine Sau. Die kamen damals erst ganz spät oder gar erst posthum zu ihrem literarischen „Ruhm“. Die meisten (zwangs)arbeiteten als Archivare, Friedhofsverwalter etc. (geil, würde ich auch gern sein), um zu überleben. (Zweig war durchaus sehr privilegiert, was auch seine Analysen massiv einschränkt, btw.). So was wie Friedhofsverwalter war auf jeden Fall eine Tätigkeit, die ihnen einen halbwegs gescheiten Lebensunterhalt und zugleich Raum für ihre eigentlichen Leidenschaften (Schreiben, Malen…) ließ. Zweigs Kumpel Romain Rolland (seines Zeichens Nobelpreisträger) ist dagegen heute (zu Unrecht) vergessen (zumindest in Deutschland sehe ich sein Werk nicht groß aufgelegt / verbreitet). Auch erwähnenswert: Kafka, der sein Werk nie veröffentlicht sehen wollte (so ich richtig informiert bin), ist heute Abiturthema. Leo Perutz dagegen, ein halbes Jahr älter als Kafka und einer der meistgelesenen Autoren der Weimarer Republik (obendrein wie Kafka Jude, aus Prag sowie zeitweilig Angestellter bei Generali) kennt heute keine Sau mehr. Doch wo sind diese Jobs heute, wie kriegt man noch Zugang und halten sie einen über Wasser, geben sie einem noch Raum? Ein Medium, das nicht als Hobby oder Ehrenamt betrieben wird (mit den entsprechenden Limitationen), kann wohl nur überleben, wenn es sich verkauft. Und Werbung über Klicks geriert. Da gab es früher Alternativen. Heute sind davon allenfalls Reste übrig („Graswurzelrevolution“). Das ist bitter.

    Es stellt sich denn auch die Frage, worauf Overton setzen will. Wenn es Clicks braucht, dann sollte man alles was mehr als 7-8 Minuten Lesezeit hat und zu unpassend für die Zielgruppe ist, mit dem Stiefeltritt nach draußen befördern. Also am besten alles, das auch nur einen Hauch von Revolution umweht („Klassenfrage“). Rügemers heutiger Beitrag bei den NDS wurde ja bereits mit einem Hinweisschild versehen, sein Beitrag gebe „die Position des Autors, aber nicht die Position der NachDenkSeiten wieder“. Ja, bei einer Seite, die sich „NachDenkSeiten“ nennt, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass auch Beiträge kommen, über die sich nicht alle einig sind oder die viele – inklusive Angehörige der Redaktion – zum Nachdenken und gegebenenfalls gar – oh wie schreck – um Nachjustieren der eigenen Position anregen. Zweig wurde durch Rolland auch so einiges Mal ins Nachdenken und Überdenken gebracht. Schon früher hatte Rügemer Beiträge, die sicher nicht auf Blattlinie lagen – für was nun die Triggerwarnung? Und wann kommt die auch bei Overton? Heute positioniert man sich „gegen Debatteneinengung, Moralin und hinterfragt die allgemeinen Narrative“. Und morgen ist man dann nur noch „kein ideologisches Sprachrohr oder Verlautbarungsorgan“ mehr und positioniert sich wie Neuber (angeblich) zwischen Alternativ- und Leidmedien. Oder wie? Denn wenn man Klicks braucht, kann man keine Systemkritik üben. Zumindest keine generalständige. Bisschen Finanzmarktbashing oder Abarbeiten am Genderismus geht immer. Aber die Wurzeln der Probleme umschifft man dann, wenn man sich auf die bloßen Ausprägungen, die Symptome, kapriziert. Will man da hin? Oder man Angst, weil schon der Dobrindt lauert?

    Wenn ja, dann empfehle ich zukünftig folgende Themenfelder, die garantiert unverfänglich sind, aber Klicks und Cash liefern:

    – Sport („Warum Deutschland bei der Basketball-EM Gold holen wird“ – oder irgendetwas Weinerliches, wenn man dann im Völkermörder-Duell gegen Israel, Lettland oder die Türkei ausscheidet)

    – KORAN (immer gut als Aufreger und Angstmacher, gelesen haben den eh nur die wenigsten, inklusive der selbsternannten Islamisten selbst)

    – Irgendwelches Jammern über die „Demokratie“ (nur echt ohne Definition und Verständnis was Demokratie ist und wo ihre Probleme (nicht) liegen)

    – Apothekenumschau-Tipps („10 coole Tricks wie Sie auch mit Sommerreifen über den Winter kommen“)

    – Wetterprognosen (Vielleicht mit den Wetterfröschen Häring und Streck?)

    – Finanztipps („Wie Sie mit 50 Euro im Monat an der Börse fett für’s Alter vorsorgen können“)

    Sowie: Immer vom russischen „Angriffskrieg“ / „Krieg gegen die Ukraine“, dem „Genozid“ durch die Hamas oder vom armen Opfer Deutschland schreiben, das keine eigenen Interessen hat und Merz / vdL / den Amis hülflos ausgeliefert ist.

    Dann ist man aber nicht mehr alternativ, wenn man diesen Weg beschreitet. Aber dafür generiert man ja immerhin Klicks.

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