Österreich: Mag JJ die Juden nicht?

Am 19. Mai 2025 empfing Bundeskanzler Christian Stocker gemeinsam mit Vizekanzler Andreas Babler, Bundesministerin Beate Meinl-Reisinger und Staatssekretärin Elisabeth Zehetner den Eurovision Song Contest-Sieger JJ im Bundeskanzleramt. BildÖsterreichisches Außenministerium/CC BY-2.0

Lang hat es nicht gedauert bis im Austragungsland des Eurovision Song Contest (ESC) 2026 der Dachstuhl brannte. Für Österreich ist der ESC eine große Anstrengung und nachdem sich der eben noch gefeierte Gewinner JJ den Ausschluss Israels vom Wettbewerb wünscht, gesellen sich zu den logistischen Problemen heftige Diskussionen.

Zunächst sei noch ein Blick auf die heiteren Seiten der landesweiten Vorbereitungen auf die Austragung des Song Contest erlaubt. Heiter, weil sie der erwartbaren Dramaturgie der Provinzposse entsprechen. Die Republik Österreich muss sparen, damit das Budgetdefizit nicht aus dem Ruder läuft. Die Kosten für die ESC-Austragung sind aber beachtlich.

Man scherzte schon, der Finanzminister habe am Abend der Austragung absichtlich tausendfach für Schweden gestimmt, damit der Kelch an Austria vorbeigeht. Pech gehabt, der Zirkus kommt. Der ORF erinnerte in einem Bericht an die letzte Austragung vor genau zehn Jahren. Tenor des Beitrags: Es war damals sehr teuer und kompliziert. Gut zu wissen.

Wohin mit dem Monsterevent?

Mehrere Städte bringen sich bereits in Stellung. Sogar Spaßstarter wie Oberwart (genügend Nächtigungsmöglichkeiten vermutet man im nahegelegenen Bad Tatzmannsdorf) sind dabei. Der logistische Optimismus des Bürgermeisters Georg Rosner (ÖVP) ist löblich und schließlich ist Oberwart die drittgrößte Stadt des Burgenlands! Was soll da noch schiefgehen?

Auch das oberösterreichische Wels bringt sich und seine neue Messehalle in Stellung. Wels war bislang noch nicht auf der Landkarte internationaler Musikevents, aber das kann ja noch werden. Man hatte sich bereits 2014 (erfolglos) für den ESC beworben und das Messegelände wurde jetzt nochmals um 10.000 Quadratmeter erweitert. Das ist ein ganzer Fußballplatz zusätzlich!

Der ORF betont in seinem Bericht über die Bewerbung Wels‘ nochmals: die Sache wird teuer und kompliziert. Faszinierende Formulierungen des Staatssenders: Es sähe „danach aus“, dass der Wettbewerb „trotz der hohen Kosten“ in Österreich stattfinden kann. Aha. Hoffentlich kann Bürgermeister Andreas Rabl (FPÖ) zwischen den Zeilen lesen und ist dann nachher nicht zu enttäuscht, wenn es doch wieder Wien wird und Wels keinen neuen Flughafen für den ESC gebaut bekommt.

Wiens Bürgermeister Ludwig meint zumindest, Wien sei bereit, nur mit dem Dach hapert es noch. Man könnte ja wieder in die Stadthalle nehmen, liebäugelte aber mit dem ungleich größeren Ernst-Happel-Stadion. Das soll tatsächlich ein verschließbares Dach bekommen und wäre damit endgültig Eventarena (für Fußball wird das Stadion sowieso – aus bekannten Gründen – zu wenig gebraucht), nur leider ist bereits sicher, dass das mit dem Dach bis zum Mai nächsten Jahres nicht klappen wird.

Aufregung über den Israel-Sager

Alles ging seiner unvermeidlichen Wege und hätte putzig provinziell bleiben können, wenn da nicht die Weltpolitik wäre. Und an dieser Stelle muss der ESC-Vorbericht leider bitter werden. Das kam so: Der österreichische Gewinner Johannes Pietsch (Bühnenname JJ) wurde vermutlich ein wenig von der spanischen Zeitung „El Pais“ in die Falle gelockt.

In Spanien artikulierte sich bereits Unmut über das überraschend gute Abschneiden Israels beim Publikums-Voting und es wurden Stimmen laut, man solle KAN, die israelische Fernsehanstalt, auszuschließen. JJ sagte nun brav ins Mikrophon, er sei „sehr enttäuschend, dass Israel noch am Wettbewerb teilnimmt“ und er würde sich den Song Contest nächstes Jahr „in Wien“(sic!) „ohne Israel“ wünschen.

Ein bisschen also das, was die spanischen Kollegen wohl hören wollten. Es ist die ziemlich gleiche Aussage des letztjährigen Siegers aus der Schweiz, auch der zeigte Unverständnis, warum Israel noch mitmachen darf.

An der Stelle ein notwendiger Hinweis: Von deutschen (und österreichischen) Boden ging ein industriell organisierter Massenmord an den Juden aus. Daraus erwächst eine besondere deutsche und österreichische Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. Juden sollen dort friedlich und sicher leben können. Gleichwohl ist Massenmord, Vertreibung und eine in Teilen faschistische, israelische Regierung, die offenkundig Palästinenser als minderwertige Menschen betrachtet eine Katastrophe, die alle Menschen angeht und auch von einem österreichischen Musiker kommentiert werden darf. Denn dies ist ein moralisches Problem das auf allen lastet: „Wo warst Du, als Gaza starb?“

Nach JJs Äußerungen bemühten sich, vom österreichischen Bundespräsidenten abwärts, zahlreiche Vertreter des Staates zu relativieren. Das gelang mal besser und mal schlechter. Der Vorsitzende der Wiener FPÖ Dominik Nepp polterte los, die Bundesregierung habe mit JJ einen Antisemiten gefeiert.

Ein typisches Muster des Rechtspopulismus. In aller Welt tuen plötzlich Antisemiten so, als würden sie gegen den Antisemitismus kämpfen. Tun sie nicht. Sie nutzen dies nur als Vehikel antimuslimische oder im Fall von JJ anti-queere Ressentiments zu schüren.

JJ ist ziemlich sicher kein Antisemit. Er ist ein junger Musiker, der das Leid der palästinensischen Bevölkerung nicht mehr aushält und der nicht verstehen kann, weshalb niemand die tagtäglichen Bombardements der Zivilbevölkerung stoppt und den durch zeitweilige Totalblockade des Gazastreifens entstanden Hunger beendet.

Er sagt selbst, dass er sich mit den politischen Zusammenhängen nicht auskennt, aber seine Betroffenheit ehrt ihn und ist gut nachvollziehbar. Es ist wenig hilfreich, JJ jetzt undifferenziert ins Eck zu argumentieren und sich beispielsweise darüber zu empören, dass er Israel mit Russland vergleicht.

Dass hat er nicht eigentlich getan, wenn er erwähnt, dass nach der russischen Invasion das Land ausgeschlossen wurde, der „Aggressor“ Israel aber nicht. Als Mitglied der LGBTQ+-Community wird er sicherlich ein paar Unterschiede zwischen der Russischen Föderation und Israel kennen.

Außerdem, was verlangt man von JJ? Es gilt eine fadendünne Linie entlang zu wandern, auf der einerseits Verständnis für die enorm schwierige Lage Israels artikuliert wird und es aber andererseits keinerlei Verständnis dafür geben kann, dass in Gaza aus politischen Gründen Kinder getötet werden und verhungern.

Besonnenheit, die beim Konflikt zwischen Israel und Palästina kaum wer noch aufbringt, wäre gefragt. Die israelische Botschafterin in Österreich will JJ einladen und mit ihm reden, das wäre vielleicht ein guter Schritt.

Wurde die Abstimmung manipuliert?

Israels Regierung unter Bibi Netanjahu steht zunehmend im Abseits und daran ist sie alles andere als unschuldig. Für die Menschen in Israel ist dies fraglos eine große Belastung. Das Land steht mit dem Rücken zur Wand und fühlt sich, nicht ganz grundlos, von Feinden umgeben.

Ist es da ein Wunder, dass kaum jemand gewillt ist, harmlose Liebessongs zu trällern? Man möchte das eigene Leid artikulieren und in die Welt hinaustragen. Gut nachvollziehbar. Nur stelle man sich – als Gedankenexperiment – einmal ganz nüchtern ein Pitch-Meeting im Land X vor, bei dem nach dem möglichen Beitrag für den ESC gesucht wird und eine Person steht auf und sagt: „Ich habe eine Idee, lasst uns einen Song machen über ein entsetzliches Massaker, bei dem 1200 Menschen brutal ermordet wurden!“

Man würde der Person ein Glas Wasser reichen und ihr ruhig erklären, dass ein solches Musikstück zum ESC und seinen Bu-ba-ba-bu-ba-ba-Wohlfühlsongs irgendwie nicht passt. Tja, nur leider hat der israelische Sender KAN, ziemlich genau dies in den letzten zwei Jahren getan.

Mehr oder minder unverhüllt wurde auf das Massaker vom 7. Oktober hingewiesen und damit die Spaßveranstaltung ESC durchaus politisch gekapert. In der Musikszene hat dies zu zahlreichem Widerspruch geführt. 70 ehemalige Teilnehmer sprachen sich deshalb gegen eine erneute Teilnahme Israels aus und sie tun dies auch aus durchaus verständlichen, handwerklichen Gründen.

Denn bei der aktuellen Abstimmung letzte Woche ließ sich auf YouTube ablesen, dass der israelische Beitrag eher selten aufgerufen wurde. 19 andere Beiträge hatten mehr Klicks, dennoch erreichte der israelische Beitrag beim Publikumsvoting den überragenden ersten Platz. Warum gewinnt ein Lied, das sich kaum wer anhört?

Nun, die vielen Stimmen bekam Israel, weil Menschen aus politischen Gründen für den Beitrag gevoted haben. Sie wollten ihre Solidarität mit Israel bekunden. Fein, warum nicht? Aber das widerspricht eben leider eindeutig dem Geist des ESC, der ja die Musik feiern will und keine Abstimmung über Zuspruch oder Abneigung gegenüber der Politik eines Landes sein möchte. Für die anderen teilnehmenden Musikerinnen und Musiker ist das mehr als demotivierend und auch für israelische Musiker ist es verkorkst, wenn ihr möglicher Sieg so einen Beigeschmack bekäme.

Klar, einige aus der Musikszene mögen bei ihrer Kritik antisemitisch motiviert sein (ist ein häufiges Phänomen), aber sicherlich nicht alle. Es wäre letztlich wünschenswert, wenn dies die Sendungsverantwortlichen in Israel mitbedenken würden.

Fraglich ist, ob dies noch möglich ist, nachdem Bibi Netanjahu systematisch am Umbau des Senders KAN zum Propagandainstrument arbeitet. Der Sender berichtet kaum mehr über das namenlose Elend der palästinensischen Bevölkerung oder über mögliche Kriegsverbrechen der Israeli Defence Forces, die mittlerweile auch der ehemalige Premierminister Ehud Olmert nicht mehr gänzlich ausschließen mag.

Vor diesem Hintergrund klingt vielen Fans der Eurodance-Stampf des ESC hohl und deplatziert. Eigentlich könnte man sich vor diesem Hintergrund die Veranstaltung im wahrsten Sinne des Wortes sparen.

Es bleibt abzuwarten, wie es jetzt weitergeht, vielleicht speckt man den ESC einfach wegen all der nicht mehr aushaltbaren politischen Konflikte auf ein Minimum ab und dann kann vielleicht doch noch Wels als Austragungsort zum Zug kommen … oder das 8000 Einwohner starke Oberwart.

 

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23 Kommentare

  1. Ist ein JJ wirklich relevant genug für einen Artikel? Den man auch noch lesen soll? Sry, vielleicht wenn ich mal gaaanz viel Zeit habe… Nix gegen den Autor, jeder muß heutzutage sehen wie er (es) sich seine Semmeln verdient…..

    1. Was für ein dämlicher Kommentar!

      Es geht hier nicht um die Relevanz dieses JJ-Fuzzies, sondern die brisante politische Situation dahinter.

  2. „Besonnenheit, die beim Konflikt zwischen Israel und Palästina kaum wer noch aufbringt, wäre gefragt. Die israelische Botschafterin in Österreich will JJ einladen und mit ihm reden, das wäre vielleicht ein guter Schritt.“

    Nein. Was soll es da zu bereden geben? Wie notwendig die Ausrottung der Palästinenser aus Sicht Israels sei?

    Ein guter Schritt wäre vielmehr, wenn das österreichische Außenministerium die israelische Botschafterin vorladen würde, um ihr klarzumachen, daß Völkermord inakzeptabel ist, um anschließend sie und das gesamte diplomatische Personal Israels des Landes zu verweisen. Das wäre absolut angemessen!

  3. Israel von heute:
    https://youtu.be/pKQN79Eeo0w?si=lTIHaj49b9gCRG1V

    An was erinnern solche Typen?

    Massenmord bleibt Massenmord, egal ob ihn Amerikaner, Engländer, Deutsche oder Israeliten begehen.

    Ja, das was heute in Gaza passiert ist ein Genocid. 15000 Kinder verhungern jede Woche.

    Und ein Fascho bleibt ein Fascho, egal welches politische Mäntelchen er sich anzieht. Lrecht oder Lrinks 😊

    Alle Menschen sind gleich. Es gibt keine Besseren. Menschen die sich für besser halten sind arrogante Deppen.

    Und in diesem Sinne fand ich es auch erfrisched das endlich mal ein junger Mensch politisch unvoreingenommen über Israel heute spricht.

    Ja, Politiker und Medien wetzen jetzt die Messer.

    Aber das sind charakterlich die selben Messerwetzer und Wegseher wie damals als es Slaven, Polen, Juden und Romas an den Kragen ging.

    1. … und zur Ergänzung: auch den Ukrainern! Und diese alle mit tatkräftiger Unterstützung der jeweiligen Bevölkerung dieser Länder, die die Gelegenheit eifrig nutzte, sich unerwünschter Mitbürger zu entledigen. Es war für die Nazis keineswegs schwierig, einheimische Helfer für ihre ethnischen Säuberungen in diesen Ländern zu finden (Pars pro toto: Bandera!).

      1. 100%

        15 Millionen Russen hat die NS damals in den KZ ermordet (von Denen redet Keiner) und heute greifen sie wieder Russland an.

        PS: das erste Genocid in Europa machte die Habsburger Monarchie auch an Russen am Thalerhof in Feldkirchen.

  4. „Israels Regierung unter Bibi Netanjahu steht zunehmend im Abseits und daran ist sie alles andere als unschuldig. Für die Menschen in Israel ist dies fraglos eine große Belastung. Das Land steht mit dem Rücken zur Wand und fühlt sich, nicht ganz grundlos, von Feinden umgeben.“

    Wo steht Israel mit dem Rücken zur Wand?
    Und warum schaffen sich deren Politiker immer mehr Feinde?

  5. Hat der Tenor JJ was von Juden gesagt ?
    NEIN, er hat vom Ausschluss des israe -lischen Staates geredet. Hört der Autor
    nicht zu ?

  6. Der östereichische Songcontest-Teil –
    nehmer hat den Ausschluss Israels vom ESC gefordert. Von Juden hat er nicht geredet.

  7. ESC heißt „Europäen Song Contest“! Sehe ich mir meinen Globus an kann
    ich Israel in Europa nicht finden. Warum darf Israel überhaupt teilnehmen?
    Sollte dann nicht auch der Iran und Nord Korea mit dabei sein?

    1. Dein Einwand wäre bei Europameisterschaften berechtigt, wo ja auch Israel meist mitmacht. Angeblich, weil es in Asien (liegt in Vorderasien) nicht beliebt ist. Ich frag mich ja, woran das liegen mag…

      Der ESC ist aber eben der Eurovision Song Contest. Veranstaltet von der Eurovision respektive der Europäischen Rundfunk Union EBU. Und Mitglied der Eurovision ist Israel immerhin, denn die EBU ist größer als Europa:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Rundfunkunion

    2. „Warum darf Israel überhaupt teilnehmen?..“
      .. weil Europa sein Judenproblem nach 1945 in Palästina endgültig, zunehmend erfolgreich und sakrosankt entsorgt hat, daher das Waffenliefern zur Unterstützung der Entsorgungsprobleme, die den europäischen Beteiligten durchaus bekannt sich konsequent dort ergaben samt kleinem Hinweis auf den Tatbestand der DNA per Song Contest etc.

  8. Von deutschen (und österreichischen) Boden ging ein industriell organisierter Massenmord an den Juden aus.

    Von deutschem (und österreichischem) Boden. Der Akkusativ ist den Dativ sein Tod. Und der Massenmord an den Sinti und Roma war übrigens nicht weniger industriell organisiert. Mit dessen Anerkennung hat es allerdings… schreiben „wir“ mal „gedauert“. Und ist bis heute unvollständig, vom geringem Interesse der Mehrheitsbevölkerung ganz zu schweigen…

    1956 entschied der Bundesgerichtshof wie vor ihm bereits verschiedene Oberlandesgerichte, bis zur Deportation nach Auschwitz-Birkenau sei die Verfolgung von den „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“, nicht aber „rassenideologisch“ motiviert gewesen. Die Minderheit habe „auch schon früher Anlaß gegeben“, sie „besonderen Beschränkungen zu unterwerfen“. Dieses Urteil bekräftigte die bis dahin übliche Ablehnung von Entschädigungsleistungen und begründete die Fortführung dieser Praxis. Noch über den BGH hinaus ging das Oberlandesgericht München. 1961 bestritt es die Deportation selbst nach dem Auschwitz-Erlass als „aus Gründen der Rasse“ geschehen. „Zigeuner“ seien verfolgt worden, „weil sie ziel- und planlos umherzogen, sich über ihre Person nicht ausweisen konnten oder für Spione gehalten wurden“

    Hach, die guten Nachkriegsjahre! Endlich waren „wir“ wieder wer! Und für den Mehrheitsdeutschen zieht der Andere, der Feind einfach immer ziellos umher und ist „Spion“ oder sonst wie verdächtig. Ob Juden, Zigeuner, Kommunisten, Kameltreiber, pöse Iwans…

    Daraus erwächst eine besondere deutsche und österreichische Verantwortung gegenüber dem Staat Israel.

    Nein, tut sie nicht.

    Zuckermann hat in seinem heutigen Beitrag bereits darauf hingewiesen, wie das zionistische Regime die universellen, menschenzentrierten Lehren aus der Shoa in den Orkus gekippt und an ihre Stelle die nationalistische Verengung, den nationalistischen Irrweg, gesetzt hat. Wie die Shoa instrumentalisiert und missbraucht wird, um nationale, um nationalstaatliche Interessen, zu rechtfertigen. An die Stelle von Reflexion und einer möglichen Perspektive für alle wurde bloß wieder auf die Politik der harten Hand (Härte, Stärke, Sieg!) gesetzt. Nicht überraschend – so läuft’s eben in einem Staat. Man könnte noch Vamık D. Volkan anbringen und von einem gewählten Trauma – mit all den sich hieraus ergebenden Konsequenzen – sprechen. Aber das vielleicht ein anderes Mal.

    Mein Punkt ist: Die historische Verantwortung und die Lehren aus der Shoa – und aus dem Porajmos, aus Leningrad, der Omaheke-Wüste, Jasenovac, Armenien und all den anderen Völkermorden, die die Deutschen aktiv begangen und / oder unterstützt haben – bestehen nicht darin eine bestimmte Gruppe – und am allerwenigsten irgendeinen Staat – zu unterstützen, sondern sicherzustellen, dass Juden, Roma und alle anderen Menschen überall auf der Welt frei und sicher leben können. Und damit fängt man vor seiner eigenen Haustüre an, nicht mit Zeigefinger, Birkenstock und Maske wedelnd an Dnjepr oder Hindukusch. Die Antwort auf Auschwitz besteht nicht in der Stärkung eines bestimmten Nationalstaats (auf Kosten anderer) oder irgendeiner sonstigen autoritären Institution – die in der Regel Verstärker und Helfer bei den Barbarismen war –, sondern in der Schaffung eines neuen Systems, einer neuen Gemeinschaft, in der niemand mehr verfolgt, ausgeplündert, versklavt und ermordet wird.

    Was Jödicke hier referiert ist eine etatistische Position – eine deutsch-etatistische obendrein. Ich lehne diese ab, denn sie ist zu eng, zieht die falschen Schlüsse und ist Teil genau jenes (Problem)Systems, in dem diese Verbrechen überhaupt erst gedeihen konnten.

    Juden sollen dort friedlich und sicher leben können.

    Wie gesagt: Alle Menschen sollen überall friedlich und sicher leben können. Dafür braucht es freilich keinen Staat und schon gar keine nationalistische Verirrung!

    Wenn man sich von solchem Schmu löst, dann wird man auch in keine ominösen „Fallen“ gelockt.

    er sei „sehr enttäuschend, dass Israel noch am Wettbewerb teilnimmt“ und er würde sich den Song Contest nächstes Jahr „in Wien“(sic!) „ohne Israel“ wünschen.

    Er sei sehr enttäuschend? Alter, ich mache ja auch nicht selten Tippfehler, aber hier scheint die Grammatikkorrektur noch in der Beta-Phase zu stecken oder wat?

    Ansonsten: Mich juckt diese Pop-Agitprop-Veranstaltung nullkommaniente. Das ist Musik, die man nicht mal auf dem Personalklo laufen lassen kann, ohne Probleme mit den Genfer Konventionen zu bekommen. Und der Stadel an sich ist inzwischen so getürkt und politisiert wie jede Menge anderer Events – man blicke nur auf die aktuell laufende Eishockey-WM, an der Russland weiterhin nicht teilnehmen darf, weil pöse.

    Doch wenn schon auf Basis seines etatistisch-moralischen Verständnisses agieren will, dann sollte man dabei wenigstens halbwegs konsequent vorgehen. Und dann müsste man neben Israel auch Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Ukraine und vor allem Schandland Deutschland rausschmeißen. Vermutlich blieben dann am Ende aber nur Andorra, Monaco und Barbados übrig – wobei, keine schlechte Idee. 🍾🎧🎵🌴🎉🥳

    Es ist wenig hilfreich, JJ jetzt undifferenziert ins Eck zu argumentieren und sich beispielsweise darüber zu empören, dass er Israel mit Russland vergleicht.

    Völlig richtig. Es wäre völlig daneben einen Kolonialstaat, der Völkermorde begeht und in seinen Nachbarländern nach Gusto „interveniert“, mit einem Land zu vergleichen, das unter kolonialem und imperialem Albdruck steht und handelt.

    Das fängt beim Wörtchen Machtgefälle an. Der Kolonialstaat agiert aus einer Position der Stärke und Dominanz heraus und nutzt seine Macht, um andere Völker zu unterdrücken, auszuplündern und zu vertreiben oder zu vernichten. Er ist Emittent von kolonialer und imperialen Aggressionen. Der andere Staat hingegen agi(ti)ert in einem Zustand der fortgesetzten Bedrohung von außen und / oder einem der bereits eingetretenen Unterdrückung. Er ist Rezipient von kolonialen und imperialen Aggressionen! Das rechtfertigt natürlich nicht seine Handlungen, schon gar nicht spricht es jenen Staat – oder die Institution Staat – heilig, es ist bloß ein völlig anderer Rahmen, ein völlig anderer Kontext. Und den gilt es zu bedenken. Alle Staaten sind problematisch, alle Staaten reproduzieren Machtstrukturen und Unterdrückung – doch gibt es eben Abstufungen. Eine Gleichsetzung der Imperialmächte mit ihren Opfern oder Ländern, die sich im Würgegriff anderer Imperialisten befinden, führte schlicht zur Verharmlosung struktureller Ungleichheit und Verwischung der entscheidenden Differenzen.

    Als Mitglied der LGBTQ+-Community wird er sicherlich ein paar Unterschiede zwischen der Russischen Föderation und Israel kennen.

    Israel betreibt Pinkwashing, Russland nicht?

    Russland steht unter jenem fortgesetzten imperialem Druck des Westens. Seit über hundert Jahren – von Archangelsk und Brest-Litowsk über Stalingrad und CoCom zu den Businessmen der 1990er, der Präsidentschaftswahl von 1996 und den Beeinflussungsoperationen von heute. Dieser Kontext ist bei Bewertung russischen Tuns zu bedenken, genauso wie Aspekte der transnationalen und anderen Verflechtungen im postsowjetischen Raum. Das zionistische Regime dagegen ist ein westlicher Kolonialstaat und mit den Folgen und Herausforderungen kolonialem Tuns konfrontiert. Völlig anderes Setting.

    Die israelische Botschafterin in Österreich will JJ einladen und mit ihm reden, das wäre vielleicht ein guter Schritt.

    Damit er dann vielleicht gekimmicht wird und reumütig vor irgendwelchen ORF-Kameras weinend zu Kreuze kriecht? Und die Gesslerhüte grüßt?

    Israels Regierung unter Bibi Netanjahu steht zunehmend im Abseits und daran ist sie alles andere als unschuldig. Für die Menschen in Israel ist dies fraglos eine große Belastung.

    Soll jetzt mal wieder eine Regierung von ihren Wählern gelöst werden? Für welche Menschen in Israel ist diese Regierung denn eine Belastung? Die Fanatiker, der ihre Schritte noch nicht weit genug gehen? Die Soldaten, die sich einziehen lassen? Die arabischen Israelis? Die paar Handvoll Linke? Irgendwelche Migranten und Obdachlose?

    In Umfragen werden dem Netanjahu-Lager noch immer um die 50 Sitze prognostiziert (von 120, die es in der Knesset so gibt). Likud wäre weiterhin stärkste Kraft. Für welche Menschen ist diese Regierung denn eine Belastung? Und wäre die Opposition so viel anders, so viel besser und so viel belastungsärmer?

    Das Land steht mit dem Rücken zur Wand und fühlt sich, nicht ganz grundlos, von Feinden umgeben.

    Wie @ jjkoeln schon fragte:

    Wo steht Israel mit dem Rücken zur Wand?

    Aber klar, ein hypermoderner Industrieland, das vom kollektiven Westen seit Jahrzehnten ausgehalten und ausstaffiert wird, steht mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht mit Russland verwechselt? Aber das ist nicht (überall) von Feinden umgeben wie für Israel insinuiert wird. Und keiner von beiden wehrlos. Mit dem Rücken zur Wand stehen gerade vielleicht die Menschen in Gaza, gewisse Bevölkerungsteile in der Ukraine. Und eine Menge anderer Leute in den Peripherien dieser Welt, die aber kein Schwein interessieren. Von Khartum bis Kandahar.

    Und ist Israel eigentlich überall von Feinden umgeben? Mit Ägypten gibt es einen Waffenstillstandsvertrag, Jordanien ballert auf iranische Drohnen und Raketen, Syrien und Libanon sind seit Jahr(zehnt)en im Eimer, Saudi-Arabien kuschelt inoffiziell mit Tel Aviv… Bleibt doch einzig das Mittelmeer als bedrohlicher Nachbar. In Zeiten des Klimawandels eine vorstellbare Option.

    Und natürlich der pöse Iran. Aber der ist kein direkter Nachbar und dieser Konflikt ein Thema für sich.

    Nun, die vielen Stimmen bekam Israel, weil Menschen aus politischen Gründen für den Beitrag gevoted haben.

    Und ich verrücktes Huhn dachte, das hätte daran gelegen, dass irgendwer hier und da einen Hebel gedreht oder eine Kampagne abgezogen hätte… habe wahrscheinlich zu viel Graham Greene gelesen. Unser Mann in Basel und so.

    Davon abgesehen: Ich finde es gut, dass hier auch über Österreich berichtet wird. Aber als Anregung – vielleicht nächstes Mal wirklich noch ein paar andere Themen von drüben in den Fokus nehmen? Die Austeritätspläne der Regierung? Die Militarisierung? Oder – wo wir an der schönen blauen Donau schon sind – vielleicht etwas stromabwärts nach Bukarest tuckern? Und Fragen nachgehen, wie Wien und Berlin in alter Kaiser-Manier auf die dortigen Präsidentschaftswahlen eingewirkt haben? Ein gewisser Dominic Fritz hat da die Kandidatur von Nicușor Dan vorantreiben geholfen. Dass Fritz so grün wie deutsch ist, dass schon Dans Vorgänger Klaus Werner Johannis in Berlin kein Unbekannter war – solche Punkte sind selbstredend vernachlässigbare Details, denn Deutschland hat ja keine Interessen, das arme von Brüssel gescholtene und unterdrückte Land…

    1. 1956 entschied der Bundesgerichtshof wie vor ihm bereits verschiedene Oberlandesgerichte, bis zur Deportation nach Auschwitz-Birkenau sei die Verfolgung von den „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“, nicht aber „rassenideologisch“ motiviert gewesen. Die Minderheit habe „auch schon früher Anlaß gegeben“, sie „besonderen Beschränkungen zu unterwerfen“. Dieses Urteil bekräftigte die bis dahin übliche Ablehnung von Entschädigungsleistungen und begründete die Fortführung dieser Praxis. Noch über den BGH hinaus ging das Oberlandesgericht München. 1961 bestritt es die Deportation selbst nach dem Auschwitz-Erlass als „aus Gründen der Rasse“ geschehen. „Zigeuner“ seien verfolgt worden, „weil sie ziel- und planlos umherzogen, sich über ihre Person nicht ausweisen konnten oder für Spione gehalten wurden“

      Unfaßbar!

      Soll das heißen, daß dem Bundesgerichtshof 1956 die „Aktion Reinhardt“ noch nicht bekannt war? Und was hat „Auschwitz-Birkenau“ da zu suchen? Die erste industrielle Vernichtungsaktion der Nazis war besagte Aktion Reinhardt, in deren Zuge von 1942 bis 1943 etwa 1,8 Mio Juden und 50.000 Roma unterschiedslos ermordet wurden! Dafür wurden extra die Lager Treblinka, Sobibor und Belzec errichtet – und anschließend wieder eingeebnet, um die Spuren zu verwischen.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_Reinhardt

      1. Soll das heißen, daß dem Bundesgerichtshof 1956 die „Aktion Reinhardt“ noch nicht bekannt war?

        Daran habe ich starke Zweifel. Das war eher eine bewusste Umdeutung beziehungsweise Bagatellisierung, um Entschädigungsansprüche abzuweisen. Die Ursachen reichen m.E. von personeller NS-Kontinuität im westdeutschen Richterapparat, über wirtschaftliche Motive (Entschädigungszahlen wären der BRD sprichwörtlich teuer zu stehen gekommen) bis hin zur Rechtsversiffung der Gesellschaft, sprich dem allgemeinen Fortbestehen von antiziganistischen Vorurteilen. So wie für die Mehrheits(west)deutschen sogenannte „Asoziale“ schon „irgendwie zurecht im KZ“ gewesen waren, galt dies ebenso für die „Zigeuner“. Das Motivset auszuarbeiten wäre wohl eine eigenständige Dissertation wert.

        Ansonsten: Mein zugehöriger Link hat es vorhin nicht mit geschafft. Die zitierte Passage stammt aus dem Westipedia-Artikel zum Porajmos. 1963 wurde das Urteil teilweise revidiert. Quelle: hier

        Weiteres Moneyquote daraus:

        Erstaunlich ist nicht nur die Ablehnungen von Wiedergutmachungsleistungen durch die Behörden, sondern dass sie auch den Instanzenweg gegen Urteile pro Wiedergutmachung bis zu Ende bestritten.

        Ne, das ist konsequent. Konsequent in den Bahnen der rechten Denke.

        Und heute macht man Geschichtstheater und zelebriert wie viel man aus der Geschichte gelernt habe. Da ist eine Nachbarin hier ehrlicher gewesen. Sie meinte mal: „Wir Deutschen waren eben schon immer ein sehr sauberes Volk.“ Keine weiteren Fragen, euer Ehren!

  9. „An der Stelle ein notwendiger Hinweis: Von deutschen (und österreichischen) Boden ging ein industriell organisierter Massenmord an den Juden aus. Daraus erwächst eine besondere deutsche und österreichische Verantwortung gegenüber dem Staat Israel. “

    Und die geschichtlich ererbte Verantwortung gegenüber Israel besteht darin, jeden Scheiß, den Israel und seine Regierung verzapft, mitzumachen. So denken Völkische, also die Deutschen. Vielleicht wär es mal Zeit für was Neues.

  10. Man liest (nicht nur hier im Forum) fast nur von Juden (bestenfalls noch von Roma und Sinti), die in den faschistischen Lagern ermordet wurden.
    Jedoch sind ebenfalls Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter und ueberhaupt Menschen, die in Opposition standen zur Nazi-Herrschaft in den Todeslagern der Faschisten gelandet.

    1. und ueberhaupt Menschen, die in Opposition standen zur Nazi-Herrschaft in den Todeslagern der Faschisten gelandet.

      Man musste gar nicht in Opposition zum NS-Staat stehen. Bei etlichen Opfern reichte schon ihre bloße Existenz. Bei sogenannten „Asozialen“ etwa. Von den fanden viele ihrer werten „Mitbürger“ – besser: Mittäter – nach dem Krieg auch, dass sie schon zurecht im KZ gesessen hätten. Dementsprechend großzügige Entschädigungen erhielten sie ja auch.

      Oder man denke an Behinderte, die einfach vergast wurden. Viele Juden, Sinti und andere waren zudem „stolze Deutsche“, hatten aus dem Ersten Weltkrieg sogar noch Orden am Revers – hat nichts genützt, genauso wenig wie Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Verhältnissen anno 1933.

      Ansonsten haben Sie natürlich recht, dass zumeist nur auf einschlägige Opfergruppen fokussiert und viele andere unter den Teppich gekehrt werden.

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